Warten
Sie stank.
Denn seit unbestimmbar langer Zeit war sie im feuchten dunklen Keller.
Der Brei kam abends durch eine Klappe in der Türe, wobei auch dann nur ein kleines Rechteck des Betonbodens gelblich erhellt wurde. Nie genug. Nicht genug Licht, nicht genug zu Essen.
Zitternd, fiebernd und am Rande des Wahnsinns wartete sie.
Anfangs hatte sie um eine Erklärung gebeten.
Danach hatte sie geschrieen, n der Tür und den Wänden gekratzt, dagegen getreten und um sich geschlagen. Doch als sie immer schwächer wurde, verlegte sie sich auf Betteln. Irgendwann hatte ihre Kraft auch dazu nicht mehr gereicht und so wartete sie.
Sang sich selber Kinderlieder vor.
Beschwor die Bilder herauf, wie sie noch vor wenigen Tagen mit der Rasselbande, die sie betreute, im Sonnenlicht draußen gespielt hatte. Schaukeln, die hin und wieder zurück schwangen, so wie jetzt ihr Oberkörper ohne dass sie sich dessen bewusst war.
Ihre Haare hatte sie gedreht, sich fingerdicke Strähnen um die Zeigefinger gewickelt, sie in den Mund genommen und auf den Spitzen herumgekaut.
Als sie ihre Blase zum ersten Mal in einer Ecke entleert hatte, war ihr der Urin durch Unebenheiten im Boden an die Füße gelaufen, die Socken hatten sich damit voll gesogen. Ein dünner Rinnsal war bis zur Matratze gekrochen und die linke Ecke wurde erst feucht, dann nass. In der Dunkelheit unbeholfen zog sie das schwere Ungetüm etwas zur Seite, in die Mitte des Raumes. Dann kam der Augenblick, in dem sie musste. Stundenlang ignorierte sie den Druck ihres Darms, wollte, konnte nicht auch das in der Ecke hinterlassen. Doch als die Krämpfe einsetzten gab es keine Wahl mehr.
Im Anschluss reinigte sie sich behelfsmäßig mit einer der Socken.
Kurz darauf begannen die Geräusche. Knirschendes Kratzen chitingepanzerter Füßchen, die über den Boden huschten und sich in der Ecke sammelten. Etwas Pelziges berührte ihre Wade und zertrümmerte den letzen Rest Selbstbeherrschung. Leises Summen. Fiepen.
Ihre Fingernägel zogen blutige Striemen über ihre eigenen Unterarme, um mit dem Blut den Durst zu löschen, die Zähne gruben sich tief in ihre Lippen, um die Schreie zurückzuhalten, bis sie auf einem fleischigen Fetzen kaute.
Sie starrte auf die Stelle, an der sie die Klappe in der Tür vermutete.
Lange.
Dann spürte sie wieder weiches Fell an ihrem Knöchel. Zuckte zusammen und huschend entfernte sich der warme Körper.
Aber er kehrte zurück.
Hunger.
Rasend und von innen zersetzend.
In diesem Raum war er allumfassend, allgegenwärtig.
Sie zog schnüffelnd Luft ein, angelockt vom Blut.
Die winzige feuchte Nase berührte die fast eingetrocknete klebrige Spur auf ihrem Daumenballen. Zögerlich leckte die dazugehörige Zunge darüber.
Als sich die Härchen auf dem Arm aufstellten und die Muskeln unter der Haut anspannten, wich die Ratte wieder zurück, grade soweit, dass ihre Wärme noch zu spüren war.
Das Fiepen wurde lauter.
Nichts rührte sich.
Warten.
Warten.
Nach einiger Zeit kam sie wieder heran, mutiger diesmal, begierig ihre Zähne in das Gewebe zu schlagen, dem Quell des verlockenden Blutes näher zu kommen. Frisches Fleisch, alle Sinne konzentriert auf dieses Ziel.
So nah.
Aus dem Dunkel ein weiterer fiepender Laut.
Scharren und schnüffeln.
Mutiger geworden näherte sich das erste Tier wieder dem Arm, biss hinein, ließ sich durch den Schmerzenslaut nicht mehr ablenken, zog und zerrte an Haut und Fleisch, als sich blitzschnell eine Hand in ihr Nackenfell krallte, eine zweite sich um ihren Hals legte.
Ein schriller Warnschrei in Todesangst und die zweite Ratte suchte fluchtartig das Weite, bereit jeden Artgenossen zu warnen, der ihr begegnen würde.
Mit einer heftigen Bewegung brach das kleine Genick, die Beinchen zuckten noch kurz, dann wurde es wieder still.
Der Hunger blieb lauernd in den Schatten.
Sie schleuderte das tote Tier angeekelt von sich. Es landete an der Wand, Knochen brachen splitternd, die kleine Leiche rutschte herunter und blieb mit einem satten Geräusch liegen.
Tiefes Ausatmen. Wenigstens brauchte sie sich keine Sorgen mehr machen, einzuschlafen, denn es würden keine weiteren Nager folgen.
Die Klappe öffnete sich nicht.
Es dauerte, war aber ebenso unausweichlich wie das Geschäft in der Ecke.
Mit zitternden Händen tastete sie in der Dunkelheit. Als ihre Haut dann doch auf das kalte Fell stieß, zuckte sie zurück.
Aber tief in ihr regte sich der Hunger mit unerbittlicher Gewalt, verbrannte die Logik, ihr Körper schrie nach Nahrung.
Fell zwischen den Zähnen, Innereien, die sich in ihren Mund gossen. Der Gestank, der an dem Tier haftete, trieb ihr die Tränen in die Augen, obwohl der Geruchssinn sich schon lange ausgeschaltet hatte.
Sie schluckte würgend hinunter, um bloß nicht zu kauen.
Den Rest für später…
Es kostete fast die letzte Kraft, der Rebellion in ihrem Magen nicht nachzugeben.
Das Summen im Raum wurde beständiger, als sich die Fliegen auf dem offenen Körper der Ratte niederließen. Sich im geöffneten Bauch paarten und ihre Eier ablegten.
Als nichts mehr von der Ratte übrig war, wurde der Schlaf zur einzigen Möglichkeit, den Hunger zu verdrängen. Ihr Magen knurrte nicht mehr. Sie legte sich auf die Matratze, zog sich zusammen und schloss die Augen.
Wieder warten. Warten auf das Ende. Und keine Tränen mehr.
Die freiwilligen Feuerwehrmänner mussten ihren Brechreiz unterdrücken, als sie die Tür eingetreten hatten. Unsteten Schatten werfend huschten die Lichtkegel der Taschenlampen über den Boden, bis sie sich an der Gestalt auf der Matratze festsaugten.
Verfilztes, wirres Haar bedeckte das Gesicht, verdreckte Kleidung den ausgemergelten Körper. Schwach wimmerte die Frau, als die ungewohnte Helligkeit ihre entzündeten Augen traf. Hysterisch um sich schlagend wehrte sie sich gegen die Hände, die eine schnelle Untersuchung vornahmen und sie anschließend auf die Tragbahre legten. Aus ihrem Mund ein unverständliches Wirrwarr aus Lauten und Melodiefragmenten.
Vor dem Haus brach die Mutter der jungen Frau weinend in den Armen des am nächsten stehenden Polizisten zusammen, nicht in der Lage, in diesem Bündel Mensch ihre Tochter zu erkennen.
Sie stank.
Denn seit unbestimmbar langer Zeit war sie im feuchten dunklen Keller.
Der Brei kam abends durch eine Klappe in der Türe, wobei auch dann nur ein kleines Rechteck des Betonbodens gelblich erhellt wurde. Nie genug. Nicht genug Licht, nicht genug zu Essen.
Zitternd, fiebernd und am Rande des Wahnsinns wartete sie.
Anfangs hatte sie um eine Erklärung gebeten.
Danach hatte sie geschrieen, n der Tür und den Wänden gekratzt, dagegen getreten und um sich geschlagen. Doch als sie immer schwächer wurde, verlegte sie sich auf Betteln. Irgendwann hatte ihre Kraft auch dazu nicht mehr gereicht und so wartete sie.
Sang sich selber Kinderlieder vor.
Beschwor die Bilder herauf, wie sie noch vor wenigen Tagen mit der Rasselbande, die sie betreute, im Sonnenlicht draußen gespielt hatte. Schaukeln, die hin und wieder zurück schwangen, so wie jetzt ihr Oberkörper ohne dass sie sich dessen bewusst war.
Ihre Haare hatte sie gedreht, sich fingerdicke Strähnen um die Zeigefinger gewickelt, sie in den Mund genommen und auf den Spitzen herumgekaut.
Als sie ihre Blase zum ersten Mal in einer Ecke entleert hatte, war ihr der Urin durch Unebenheiten im Boden an die Füße gelaufen, die Socken hatten sich damit voll gesogen. Ein dünner Rinnsal war bis zur Matratze gekrochen und die linke Ecke wurde erst feucht, dann nass. In der Dunkelheit unbeholfen zog sie das schwere Ungetüm etwas zur Seite, in die Mitte des Raumes. Dann kam der Augenblick, in dem sie musste. Stundenlang ignorierte sie den Druck ihres Darms, wollte, konnte nicht auch das in der Ecke hinterlassen. Doch als die Krämpfe einsetzten gab es keine Wahl mehr.
Im Anschluss reinigte sie sich behelfsmäßig mit einer der Socken.
Kurz darauf begannen die Geräusche. Knirschendes Kratzen chitingepanzerter Füßchen, die über den Boden huschten und sich in der Ecke sammelten. Etwas Pelziges berührte ihre Wade und zertrümmerte den letzen Rest Selbstbeherrschung. Leises Summen. Fiepen.
Ihre Fingernägel zogen blutige Striemen über ihre eigenen Unterarme, um mit dem Blut den Durst zu löschen, die Zähne gruben sich tief in ihre Lippen, um die Schreie zurückzuhalten, bis sie auf einem fleischigen Fetzen kaute.
Sie starrte auf die Stelle, an der sie die Klappe in der Tür vermutete.
Lange.
Dann spürte sie wieder weiches Fell an ihrem Knöchel. Zuckte zusammen und huschend entfernte sich der warme Körper.
Aber er kehrte zurück.
Hunger.
Rasend und von innen zersetzend.
In diesem Raum war er allumfassend, allgegenwärtig.
Sie zog schnüffelnd Luft ein, angelockt vom Blut.
Die winzige feuchte Nase berührte die fast eingetrocknete klebrige Spur auf ihrem Daumenballen. Zögerlich leckte die dazugehörige Zunge darüber.
Als sich die Härchen auf dem Arm aufstellten und die Muskeln unter der Haut anspannten, wich die Ratte wieder zurück, grade soweit, dass ihre Wärme noch zu spüren war.
Das Fiepen wurde lauter.
Nichts rührte sich.
Warten.
Warten.
Nach einiger Zeit kam sie wieder heran, mutiger diesmal, begierig ihre Zähne in das Gewebe zu schlagen, dem Quell des verlockenden Blutes näher zu kommen. Frisches Fleisch, alle Sinne konzentriert auf dieses Ziel.
So nah.
Aus dem Dunkel ein weiterer fiepender Laut.
Scharren und schnüffeln.
Mutiger geworden näherte sich das erste Tier wieder dem Arm, biss hinein, ließ sich durch den Schmerzenslaut nicht mehr ablenken, zog und zerrte an Haut und Fleisch, als sich blitzschnell eine Hand in ihr Nackenfell krallte, eine zweite sich um ihren Hals legte.
Ein schriller Warnschrei in Todesangst und die zweite Ratte suchte fluchtartig das Weite, bereit jeden Artgenossen zu warnen, der ihr begegnen würde.
Mit einer heftigen Bewegung brach das kleine Genick, die Beinchen zuckten noch kurz, dann wurde es wieder still.
Der Hunger blieb lauernd in den Schatten.
Sie schleuderte das tote Tier angeekelt von sich. Es landete an der Wand, Knochen brachen splitternd, die kleine Leiche rutschte herunter und blieb mit einem satten Geräusch liegen.
Tiefes Ausatmen. Wenigstens brauchte sie sich keine Sorgen mehr machen, einzuschlafen, denn es würden keine weiteren Nager folgen.
Die Klappe öffnete sich nicht.
Es dauerte, war aber ebenso unausweichlich wie das Geschäft in der Ecke.
Mit zitternden Händen tastete sie in der Dunkelheit. Als ihre Haut dann doch auf das kalte Fell stieß, zuckte sie zurück.
Aber tief in ihr regte sich der Hunger mit unerbittlicher Gewalt, verbrannte die Logik, ihr Körper schrie nach Nahrung.
Fell zwischen den Zähnen, Innereien, die sich in ihren Mund gossen. Der Gestank, der an dem Tier haftete, trieb ihr die Tränen in die Augen, obwohl der Geruchssinn sich schon lange ausgeschaltet hatte.
Sie schluckte würgend hinunter, um bloß nicht zu kauen.
Den Rest für später…
Es kostete fast die letzte Kraft, der Rebellion in ihrem Magen nicht nachzugeben.
Das Summen im Raum wurde beständiger, als sich die Fliegen auf dem offenen Körper der Ratte niederließen. Sich im geöffneten Bauch paarten und ihre Eier ablegten.
Als nichts mehr von der Ratte übrig war, wurde der Schlaf zur einzigen Möglichkeit, den Hunger zu verdrängen. Ihr Magen knurrte nicht mehr. Sie legte sich auf die Matratze, zog sich zusammen und schloss die Augen.
Wieder warten. Warten auf das Ende. Und keine Tränen mehr.
Die freiwilligen Feuerwehrmänner mussten ihren Brechreiz unterdrücken, als sie die Tür eingetreten hatten. Unsteten Schatten werfend huschten die Lichtkegel der Taschenlampen über den Boden, bis sie sich an der Gestalt auf der Matratze festsaugten.
Verfilztes, wirres Haar bedeckte das Gesicht, verdreckte Kleidung den ausgemergelten Körper. Schwach wimmerte die Frau, als die ungewohnte Helligkeit ihre entzündeten Augen traf. Hysterisch um sich schlagend wehrte sie sich gegen die Hände, die eine schnelle Untersuchung vornahmen und sie anschließend auf die Tragbahre legten. Aus ihrem Mund ein unverständliches Wirrwarr aus Lauten und Melodiefragmenten.
Vor dem Haus brach die Mutter der jungen Frau weinend in den Armen des am nächsten stehenden Polizisten zusammen, nicht in der Lage, in diesem Bündel Mensch ihre Tochter zu erkennen.