Was für ein Horror.

Leise schleicht das Fremde

Es waren seelenlose Körper, die an ihm vorübergingen, ihn mit Blicken streiften und deren Augen die Drohung aussprach, dass sie ihn hassten. Ausgeliefert und entkräftet irrte er durch die düsteren Gänge, einem Gewölbe voll von schwarzer Geschichte und angsterfülltem Grauen, die Wände erzählten eine Epoche der Pein und des Blutes, dass noch immer an einigen Stellen klebte – eine eingetrocknete Vergangenheit.
Nein, er wollte nicht daran denken, doch konnte er es nicht verhindern. So klar lag die Wahrheit an diesen Wänden und der tiefliegenden Decke. Eine Höhle, die so schwarz war wie mit Pech bestrichen. Langsam trugen ihn seine müden Beine weiter, sie durften nicht schlapp machen, sie trugen sein ganzes Gewicht, seinen geschwächten Körper. Die Füße entwickelten schmerzhafte Blasen vom Umherirren durch die Gänge, die kein Ende fanden und kein Ziel hatten. Selbst er wusste nicht, wo hin er ging, geschweige denn, wo die Gänge hinführten. Ängstlich schaute er über seine rechte Schulter und sah zwei namenlose Gestalten die etwa dreißig Schritte hinter ihm liefen. Die Gestalten wollten, dass er weiter ging, ins Leere lief, ohne zu wissen, was ihn dort erwartete.
Die zwei Wesen, die aussahen wie graue Geister aus einem Albtraum, fanden ihn tief eingekauert in einem Felsvorsprung, der nicht viel höher war als fünfzehn Meter von der Erdoberfläche.
Wie immer war er mit seinem Kollegen und besten Freund Andre auf einem Routineflug mit dem Helikopter. Da sie beide die Leidenschaft zu fliegen teilten, trafen beide regelmäßig zusammen, um diese Leidenschaft auszuleben.
Sie kreisten über dunkle Wälder, engstirnigen Felswänden und über glasklare Seen, die der Landschaft einen sensiblen Eindruck vermachten, so als wäre sie zerbrechlich. Beeindruckenderweise waren die beiden Männer in diesen Momenten, wenn sie über solche Gebiete flogen, die Herren der Natur.
Das unbeschreibliche Gefühl von Freiheit und Macht umgab sie bei jedem Flug und ihre Augen waren voll heller Freude und Erwartung, ihre Münder umspielte stets ein Lächeln, und sie sahen sich beide an wie Kinder, die einen großen Schatz entdeckt hatten. Mike und Andre waren wie Brüder und kannten sich ebenso viele Jahre, wie ihr Alter versprach. Beide Männer waren an die vierzig und liebten das Abenteuer.
Eines Nachmittags drehten sie wieder ihre allgemeine Flugroute, nur wurde es Andre nach einigen Stunden zu langweilig und er änderte den Kurs auf ein Gebiet, das einige Stunden später vor ihnen auftauchte und den Männern bis zu diesem Tag völlig fremd geblieben war.
Ein gewisses Misstrauen flog über das Gesicht von Mike, als sie über das unbekannte Land flogen, das dunkel und ungewiss unter ihnen lag.

Nachdem sie etwa eine halbe Stunde über dem unbekannten Gebiet gekreist waren, steuerte Andre den Helikopter auf eine freie Fläche eines Berges und setzte sauber auf.
„Was meinst du Mike? Sollen wir uns mal umschauen?“
Fragte Andre, während seine Augen über die vor ihm stehende Natur schweiften.
„Ich weiß nicht, sieht nicht sehr einladend aus.“ Antwortete Mike.
Etwa hundert Meter vor ihnen lag dichte Natur, in der stämmige Bäume und hohe Tannen in den Himmel ragten und ein grüner Teppich aus Gras und Farn und saftigem Moos bedeckte den Waldboden. Beide öffneten die Türen und traten auf den ausgetrockneten Boden, der nicht ein Grashalm zuließ und am Anfang des Waldgebietes endete.
„Gehen wir näher ran, vielleicht sehen wir ein Reh und können es erlegen.“
Sagte Andre.
„Gib` mir bitte mein Gewehr raus! Es liegt auf der Rückbank.“
Mike holte das Gewehr und gab es ihm.
„Bist du sicher, dass du das tun willst? Es wird bald dunkel, vielleicht sollten wir zurück fliegen.“
„Ach was, wir sind vor Einbruch der Dunkelheit wieder zurück. Außerdem, wo bleibt dein Abenteuersinn? Früher sind wir auch tief in die Wälder vorgedrungen, und es war immer aufregend, oder?“
„Stimmt genau,“ entgegnete er.
„Aber wenn es anfängt zu dämmern, fliegen wir sofort zurück. Schließlich sind wir keine zwölf mehr, die über jeden Felsen sprangen und Bäume hochkletterten.“
Andre gab Mike sein Okay und Sekunden später verschwanden sie im dichten Wald.
Zwanzig Minuten später kamen sie an einen großen Stein, der aus der Erde ragte und ihnen den Weg versperrte. Er maß eine Höhe von etwa drei Metern und ging auf mindestens sieben Metern in die Breite.
„Das ist aber ein großer Brocken.“ Sagte Mike und starrte auf den Stein.
„Wie kommt so ein riesiger Stein hierher, in der ganzen Umgebung sind weit und breit keine Gesteine oder Felsen zu finden.“
Der Stein sah ziemlich ungewöhnlich für diese Gegend aus. Er war eindeutig aus Granit und war an einigen Stellen glatt geschliffen worden; man könnte meinen, dass es Menschen gibt, die aus diesem Monstrum eine Figur machen wollten. Er sah aus wie ein übermäßig großer Glücksbringer, nur das man ihn nicht in die Tasche stecken konnte.
Neben den abgeschliffenen Stellen waren eingemeißelte sehr kleine Symbole angeordnet, die aussahen wie ein Teil einer Stenogrammaufnahme.
„Ich weiß nicht“ Antwortete Andre und besah sich den Stein genauer.
„Vielleicht haben die Menschen vor Jahrtausenden diesen Stein hierher geschafft, als eine Art Symbol oder die Natur hat einfach ihren Lauf genommen und dieses Prachtstück von einem Felsgestein an diesen Ort getragen.“
Mike persönlich war dieser Brocken nicht geheuer, von ihm ging eine sonderbare Aura aus, die ihn unruhig stimmte. Am Boden, dort wo der Stein aus der Erde ragte, war das Gras niedergetrampelt worden –jemand anderes stand eben noch an dieser Stelle, wo Mike und Andre nun standen-, wäre es längere Zeit hergewesen, hätte sich das Gras längst wieder aufgerichtet. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich seinen Geist, als ob sie beobachten würden. Plötzlich wollte er so schnell wie möglich von diesem Ort verschwinden.
„Komm Andre, verschwinden wir von hier, der Ort ist mir unheimlich. Und es dämmert bereits. Lass` uns zurück zum Hubschrauber gehen. Andre, hörst du? Andreee.“
Doch Andre rührte sich nicht, sondern starrte gebannt auf den Fels, der ihn magisch anzuziehen schien. Er konnte seinen Blick nicht von diesem Stein wenden. Mike rief seinen Namen, doch er hörte ihn nicht, er packte ihn am Arm und schüttelte ihn kräftig.
Dann starrte Andre von dem Stein weg und sah seinen Freund an, nein, er starrte durch ihn hindurch. Mit einer Hand umklammerte Mike sein Handgelenk und zog ihn mit sich, auf dem direkten Weg zurück, den sie gekommen waren.

Nach einiger Zeit sah er die Lichtung, die sie entlang gegangen waren und er rannte mit Andre darauf zu. Andre machte ihm das Laufen nicht einfach, er stolperte oft und fiel einmal auf den Boden, er half ihm auf und zog ihn weiter.
Als sie auf die Lichtung trafen sah Mike, wie etwas links vor ihnen blitzschnell im Wald verschwand. Abrupt blieb er stehen und schaute in die Richtung, wo er es gesehen hatte. Eine hohe Tanne wiegte sich im Wind und der Busch davor bewegte sich raschelnd.
„Hast du das eben auch gesehen?“
Flüsterte er Andre zu, ohne den Blick von dem Busch zu wenden. Andre antwortete nicht, deshalb zog er ihn weiter die Lichtung entlang, bedacht darauf, dass sich ihnen plötzlich irgendwer, irgendwas in den Weg stellen könnte.
Am Ende der Lichtung hörte er wie es im nahen Wald geräuschvoll knackte, er drehte sich um und versuchte das Geräusch zu orten – wieder sah er nichts als Bäume und Sträucher und die tiefliegende Dunkelheit dahinter. Dann wieder ein Knacken, eine Bewegung auf der anderen Seite der Lichtung, auf der sich die Schatten der Bäume sammelten.
Der Himmel verdüsterte sich immer mehr und er hatte nicht vor, noch länger mit Andre an diesem Ort zu bleiben, also kümmerte er sich nicht weiter drum und lief mit Andre an der Hand zum Waldesrand, auf den kahlen Platz, wo der Helikopter stand. Als der Wald hinter ihnen lag und sie den Hubschrauber bereits sehen konnten, ließ er Andre los. Was für ein Fehler, Andre lief nicht hinter Mike her, sondern zurück in den Wald.
„Nein, Andre. Komm zurück ... Andreeee.“
Schrie Mike, doch er reagierte nicht und er sah ihn wieder im Wald verschwinden. Er lief zum Helikopter und überlegte, was er nun tun sollte. Das Beste würde sein, Hilfe zu holen, doch zu seinem Pech konnte er den Helikopter nicht fliegen.
Andre war derjenige mit dem Pilotenschein und Mike derjenige, der nur mitflog. Ihm fiel das Funkgerät ein. Er kletterte in die Kanzel und nahm das Funkgerät in die Hand, tastete nach Knöpfen, die er nicht kannte und versuchte jemanden zu erreichen, doch die Antwort blieb stumm. Verzweifelt sah er auf den Wald, dessen unbekannte Schwärze seinen besten Freund verschlang. Ein rotierendes Geräusch riss ihn aus seinen Gedanken, und er blickte aufgeschreckt nach allen Seiten; sah Schatten an den Scheiben vorüberhuschen und bemerkte zu seinem Entsetzen, dass sich die Rotoren bewegten.
Die Maschine vibrierte und die Rotoren über seinem Kopf wurden lauter und drehten sich immer schneller. Er öffnete blitzschnell die Tür und sprang aus der Maschine, sah zu den Flügeln hoch, deren Geschwindigkeit nun wieder abebbte. Am hinteren Flügel der Maschine erblickte er einen Schatten, beim genauen Betrachten jedoch, war es ein Abdruck einer Hand, der sich tief in die Maschine gefressen hatte. Mikes Augen weiteten sich und er trat von dem Abdruck zurück, als wäre er ansteckend. Wieder huschten Schatten durch sein Blickfeld.
Die Rotoren waren verstummt und er stolperte nach hinten, sah unter der Maschine aufgewirbelten Staub hervortreten, der sich kurz darauf auflöste. Verwirrt drehte er sich um und rannte einfach los, schaute ab und zu hektisch über die Schulter und sah nur Staub, der sich um die Maschine verteilte und zu Boden sank. Auf keinen Fall wollte er wieder in den Wald zurück, also schlug er eine Richtung ein, wo es abgestorbene Bäume und verdorrte Äste gab –ein gutes Stück vom Wald entfernt- eine Fläche die nicht beängstigend wirkte.

Er rannte darauf zu und stand in mitten von Gräsern, die von der Sonne verbrannt waren, trotz der heißen Wetterzone, fragte er sich, warum es auf der anderen Seite einen dichten grünen Wald gab und diese Seite hier restlos ausgetrocknet war.
Als er weiterrannte sah er einen Berg vor sich aufragen, ausser Atem versuchte er
ihn hinauf zu klettern. Einige Meter höher sah er den Helikopter stehen; es waren keine Schatten und auch keine Staubwolken zu sehen, überhaupt war alles ruhig, als ob überhaupt nichts passiert wäre.
Er setzte sich auf die kalten Steine und pustete durch. Hinter ihm entdeckte er einen Felsspalt, an den er sich anlehnte und nach Minuten des wachsamen Blickens
vor Erschöpfung widerwillig einschlief. Es wurde dunkel und der Mond warf seinen hellen Schein auf die Umgebung nieder.
Als Mike erwachte, war es bereits finstere Nacht und er sah auf seine Uhr, schaltete die Lichtfunktion ein und sah, dass es bereits Viertel vor eins war. Etwas verkrampft richtete er sich auf und rieb sich die Augen, als er erschrocken feststellen musste, dass er sich nicht mehr auf dem Berg befand, sondern in einer Höhle, die mit Licht von Fackeln (die an der Wand befestigt waren) erleuchtet wurde. Ihm lief es eiskalt den Rücken hinunter und das hatte sicher nicht nur damit zu tun, weil er auf dem kalten Felsen eingeschlafen war. Dem Anschein nach war es ein alter Stollen aus dem 18. Jahrhundert, dessen Wände stark abbröckelten und sich große Teile der Wände bereits gelöst hatten, auf dem Boden verliefen Schienen von Loren, mit denen wohlmöglich damals Eisen oder derartiges transportiert worden war. Seine Augen suchten nach einem Ausgang, fanden aber keinen, nur einen langen schmalen Gang, an dessen Wände ebenfalls tropfende rote Kerzen mit einem Halter befestigt waren. Er stand mit dem Rücken an eine Wand gedrängt, als sich plötzlich zwei Schatten aus dem Tunnel näherten, als sie näher kamen erkannte er die Gestalten: Sie hatten sehr schmale Körper und lange dünne Arme, die ihnen bis zu den Knien reichten, einen kahlen Schädel und übergroße schwarze Augen. Er schaute mit offenem Mund in die Richtung, aus der sie kamen, und konnte sich vor Erstaunen und Entsetzen nicht bewegen.
Dann standen diese Kreaturen vor ihm und sahen ihn an, dessen Blick er ängstlich erwiderte, in ihren Augen sah er nichts als pures Schwarz und nur die Lichter in der Höhle spiegelten sich in ihren Augen. Einer von ihnen hob seinen knochigen Arm und berührte mit seinen spindeldürren Fingern die Brust von Mike, dann nahm es die Hand wieder weg und trat einige Schritte zurück, der andere tat es ihm gleich. Mike konnte sie nur fassungslos anstarren und presste seinen Körper noch dichter an die Wand, als ob sie ihm Schutz bieten könnte. Der eine wies mit seiner rechten Hand in den Tunnel, was wohl die Aufforderung war, er sollte dort hindurch gehen. Da es keine Fluchtmöglichkeit gab, wohin er hätte ausweichen können, setzte er sich widerwillig in Bewegung und begann langsam den Gang entlang zu gehen.
Einige Meter weiter hinten gingen die beiden Gestalten und folgten ihm, abgesehen davon, dass sie stumm hinter ihm her liefen, kam von ihren Gesichtern nicht die kleinste Reaktion. Ab und zu drehte er sich zu ihnen um, ob sie noch da waren, während er weiter lief und seine Befürchtung, hier nicht mehr lebend heraus zu kommen, stark wuchs. Sein Herz schlug hart in seiner Brust und sämtliche Adern waren gespannt und traten am Körper hervor, bei jedem seiner Schritte verspürte er drückende Schmerzen durch die Blasen, die er durchs Laufen bekommen hatte und versuchte es zu ignorieren.
Durch den Schein der Kerzen an den Wänden breitete sich eine glühende Hitze aus und Schweißperlen standen ihm auf der Stirn, trotzdem tappte er weiter und spürte die Angst die in ihm wuchs mit jedem Schritt mehr. Hoffentlich hat der Gang bald ein Ende, dachte er und etwas später sah er ein Licht, das ihm entgegen schien und ihn blendete.

Dieses Licht kam aus einem großen Raum und erhellte ihn mit seiner faszinierenden Wirkung, die auf Mike übersprang wie Magie. Was er jedoch dahinter erblickte, ließ ihn zurückschrecken und er blieb abrupt stehen.
Das Licht zog ihn magisch an, doch konnte er sich nicht bewegen, wurde dann jedoch von den Kreaturen, die hinter ihm waren, zum weitergehen gelenkt. Also ging er in das grelle Licht hinein und stand plötzlich in diesem riesigen Raum, in dessen Mitte ein Tisch platziert war und um ihn herum einige sehr merkwürdig aussehende Wesen standen.
Der Raum hatte schiefergraue Wände, die –wie es aussah- mit Metallplatten verziert waren, das grelle Licht schien von der Decke herab und strahlte den kompletten Raum aus. Mit voller Wucht wurde er in den Raum zur Mitte gestoßen und fiel auf die Knie, wobei er sich beide Hände aufschürfte. Als er sich aufgerappelt hatte stand er vor dem Tisch und alle Wesen, die um ihn herumstanden, starrten ihn an, mit ihren dunklen Augen, in denen er seine eigene Angst sehen konnte.
Ein Zittern durchfuhr seinen Körper und er fing an zu schlottern, das mussten sie bemerkt haben, denn sie deuteten ihm, er solle sich auf den Tisch legen, der blank war wie ein Spiegel. Gebannt durch die Blicke, die auf ihn gerichtet waren, verfiel er in Trance, stieg auf den Tisch und schaute zur Decke, schloss die Augen und verfiel in eine Art Schlaf, in dem wilde Träume den Platz einnahmen: Ein Skalpell tauchte auf, Schnitte waren auf seinem Körper zu sehen, doch er spürte nichts. Eine Pumpe wurde angebracht in der Höhe des Herzens und ein Schlauch zog rote Flüssigkeit aus Mikes Körper und floss unter ihm in einen gläsernen Behälter. An seinem rechten Arm war ebenfalls ein Schlauch eingeführt worden, der schwarze Flüssigkeit hineinpumpte und das rote Blut ersetzte. Wieso taten sie das? Dachte er. Was, oh Gott, hatten sie vor? Grelles Licht schien auf seinen Körper, Blitze zuckten über seinen Augen und Kälte umspülte seinen Verstand.

Er erwachte Stunden später aus einem langen Schlaf und lag noch immer auf dem blanken Tisch, nur die Wesen waren fort und es gab auch kein Licht mehr, dass auf ihn herabschien. Kurz überlegte er, ob er vielleicht nur geträumt hatte, dennoch konnte er sich nicht erklären, wie er dann hier her gekommen war. Mit trüben Augen sah er sich um und betrachtete seinen Körper: Noch immer hatte er alle Kleidungsstücke an und es war nichts von Kanülen oder Einstichen oder von Schnitten zu sehen. Als er versuchte sich aufzurichten und seine Beine auf den Boden stellte, durchzuckte ein stechender Schmerz seinen Leib und er kniff die Augen zusammen.
„Mist, verdammter“ Murmelte er und stand auf.
Der Schmerz fuhr ihm in alle Glieder.
„Was haben die mit mir gemacht?“
Fragte er sich und versuchte seine Beine zum Gehen zu bewegen.
Es gelang ihm auch, doch fühlten sie sich wie Blei an und sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Rechts von ihm entdeckte er einen Spalt in der Wand und ging darauf zu. Es war ein Durchgang, der zwar ins dunkle führte, vielleicht aber auch nach draußen. Mike folgte ihm bis zu einer Kreuzung, die er weiter geradeaus ging und dann sah er endlich ein Licht, das absolut nicht unheimlich oder angsteinflößend war – es war das Tageslicht, der Schein der aufgehenden Sonne.
Ihre Strahlen wärmten sein Gesicht; er schloss die Augen und genoss den Augenblick.

Schon komisch, dass man seine Umwelt nach einem schrecklichen Erlebnis sehr viel intensiver wahrnimmt, als vorher.
Der Mensch wird dadurch aufgerufen, alles um ihn herum einmal genauer zu betrachten, sich mehr an das Leben selbst zu erfreuen und auch an gewissen Kleinigkeiten, die das Leben ausmachen, Freude zu haben. Nach einem schweren Autounfall zum Beispiel, kann es zu einem Trauma kommen, in dem der Betroffene die Erleuchtung findet, dass das Leben selbst zu kostbar ist, als das man es einfach so riskieren könnte.
Da nun, wie Mike hoffte, alles vorbei war und er den Boden der Freiheit betrat, entfernte er sich langsam von den dunklen Höhlen der unbekannten Macht. Noch immer schmerzten seine Beine und die Augen ließen sich nur halb öffnen; er kämpfte darum klar bei Verstand zu bleiben und den Weg ins bekannte Land anzustreben. Er erinnerte sich, dass er einfach geradeaus weiter lief, bis er den Hubschrauber sah, der noch immer an der Stelle stand, wo Andre und er ihn verlassen hatten – einsam und fest. Noch bevor Mike sich in die Pilotenkabine setzte, fiel sein Blick abermals auf den hinteren Flügel. Der Abdruck war nicht mehr da, als ob alles nur ein böser Traum war.
Er begann allmählich daran zu glauben, das es so war, denn nur so konnte er es akzeptieren, was mit ihm geschah und dass Andre verschwunden war. Die Realität bohrte sich jedoch in seinen Verstand und behauptete stets etwas anderes, und gegen die Stimme seines Verstandes kam er nicht an. Doch im Moment wollte er nur Heim, nach Hause in seine Wohnung und alles vergessen, was hier passiert war. Niemand würde ihm glauben, wenn er erzählen würde, was sich hier abgespielt hatte, dachte er, alle würden ihn für verrückt halten. Seine Augen blickten trübe in die Landschaft und er war müde, sehr müde, wollte nur noch schlafen und seine Gedanken abschalten. Dann setzte er sich in die Kabine und schaute verzweifelt auf die Bedienungstafel, derer er nicht mächtig war. Ein Seufzer kam aus seiner Kehle und die Augen senkten sich schwer, als läge Blei auf ihnen.

Ein rotierendes Geräusch ließ ihn die Augen wieder aufreißen, als er plötzlich ein bekanntes metallisches Ding vor sich sah, dass unvergleichbar einem Helikopter ähnelte. Er setzte zur Landung an und drei Männer stiegen aus der Maschine aus, Männer die er nicht kannte, aber ein Geschenk Gottes sein mussten – sie hatten ihn gefunden.
Sie kamen zu Mike herüber und öffneten die Tür. Mit einem leichten Lächeln im Gesicht schaute Mike sie an und zeigte ihnen seine Erleichterung.
„Oh man“ sagte er „Bin ich froh, sie zu sehen.“
„Was ist passiert? Wo ist ihr Partner?“
Fragte einer der Männer.
Er trug einen langen schwarzen Mantel und hatte eine schwarze Sonnenbrille auf der Nase und einen festen Gesichtsausdruck.
„Das weiß ich nicht mehr genau. Wir sind in den Wald gegangen, fanden dann diesen riesigen Stein und Andre veränderte sich...“
Er hechelte fast, als ihm die Worte aus dem Mund fielen, er war noch immer freudig erregt Menschen zu sehen.
„Veränderte sich?“
Fragte der Mann skeptisch und seine Stirn zog Falten.
„Ja, ich rief seinen Namen, aber er verstand nicht, also zog ich ihn aus dem Wald und wollte wieder zurück fliegen, doch Andre lief wieder hinein. Das war das letzte Mal, dass ich ihn gesehen habe.“
Antwortete er wahrheitsgemäß und schaute sie dabei an. Die anderen beiden Männer schienen Piloten zu sein, sie trugen eine grüne Armeeuniform und verspiegelte Sonnenbrillen.

Beide standen hinter dem Mann mit dem langen schwarzen Mantel und sagten nichts.
„Und mit ihnen ist alles in Ordnung?“
Fragte ihn der Mann mit einem skeptischen Unterton, nahm die Sonnenbrille ab und ging dichter an Mike heran, schaute ihm in die Augen und fragte nochmals, ob er Okay wäre. Da Mike die Glaubwürdigkeit der Menschen schon immer für beschränkt hielt, ließ er es bei einem kurzen JA und erzählte nichts von den fremden Kreaturen, die ihn gefangen nahmen und wer weiß was mit ihm gemacht hatten.
„Können sie mich mit zurück nehmen, ich kann diese Maschine leider nicht fliegen, Andre ist immer geflogen und wir hatten einen Rundflug gemacht.“
Sagte er schnell und hoffte, dass sie nicht näher auf den Vorfall eingehen würden.
Sie taten es nicht und nahmen Mike in ihrer Maschine mit. Da er ziemlich geschwächt war, halfen sie ihm raus und wurde in die andere Maschine gesetzt. Dann hob der Hubschrauber vom Boden ab und steuerte Bollobeck an, seinem Heimatort.
Während sie abhoben schaute Mike noch einmal auf den Wald hinab, der unter ihm lag, und in dem Andre verschwunden war. Ich komme zurück Andre und man wird dich finden, dachte er. Und hatte doch tief in ihm drin die Hoffnung bereits verloren ihn je wieder zu sehen.

Zwei Tage später hatten die Suchtrupps Andre noch immer nicht gefunden und gaben es auf. Mike saß in Bollobeck in seiner Wohnung und wusste, dass sie ihn nie finden würden, so verborgen und weit weg war das Geheimnis um die Höhlen im Berg, nahe dem dunklen Wald; er wusste noch nicht einmal wie diese Gegend überhaupt genannt wurde. Während er auf der Terrasse saß und Bier aus der Flasche trank und den Rauch einer Zigarette ausstieß, fing er an nachzudenken. Nachdem die Männer ihn vor zwei Tagen auf dem Berg gefunden hatten, führten sie jede Menge gesundheitliche Tests mit ihm durch, prüften seinen seelischen Zustand und fragten ihn stundenlang über den Vorfall im Wald aus. Er bezweifelte stark, dass das alles nur einen formellen Hintergrund hatte, stellte aber keine Fragen, da er nicht wollte, dass sie glaubten, er hätte mehr gesehen, als er zugeben wollte.
Doch es war vorbei, und er wird wohl das geschehene so schnell nicht aus seinem Gedächtnis verbannen können, dafür ist zuviel passiert. Und die Sache mit Andre wird Mike ewig in seinem Hinterkopf stecken haben, ihn quälte die Ungewissheit, was mit ihm passiert sein könnte. Durchlebte Andre das gleiche Schicksal wie er auch, oder wurde er getötet und seine Leiche liegt verscharrt unter Laub und morschen Ästen. Vielleicht lebte er noch, tief verborgen in den dunklen Höhlen unter dem Wald. Mike wusste es nicht, und diese Sache würde ihn verfolgen wie einen Schatten. Hätte er denn etwas tun können? Warum lief er ihm nicht nach, warum nicht?
Er musste aufhören mit der Grübelei, sonst war er bald ein seelisches Wrack, das zitternd und sabbernd durch die Straßen von Bollobeck lief und sich selbst nicht wieder erkannte. Langsam senkte er den Kopf, starrte auf die halbleere Bierflasche und zog an der Zigarette. Es war gegen dreiundzwanzig Uhr in der Nacht, als es an der Wohnungstür klingelte und er aus seinen Gedanken gerissen wurde. Wer könnte zu so später Stunde noch was von ihm wollen? Er stellte die Flasche auf den Tisch und drückte den Zigarettenstummel im Aschenbecher aus. Auf dem Weg zur Tür klingelte es abermals.
„Ja, ich komme ja schon. Wenn das jetzt nicht wirklich wichtig ist ...“
Als er sie öffnete stand vor ihm ein abgemagerter junger Mann mit braunem Haar, das an einigen Stellen kahl geworden war.
Er hatte tief liegende schwarze Augen, unter denen sich dunkle Ränder gebildet hatten und sah aus als hätte er zwei Wochen nicht geschlafen. Sein Gesicht war bleich wie eine Wand und er zitterte am ganzen Körper, als würde es draußen stürmen und schneien.
„Kann ich etwas für sie tun?“ Fragte Mike den Mann.
„Mister Michael Clawson? Ich muss dringend mit ihnen sprechen.“
„Ja, und wer sind sie? Worüber wollen sie mit mir reden?“
Antwortete er skeptisch.
„Mein Name ist Alberto Pintero ... aber bitte, darf ich reinkommen, es ist wirklich wichtig.“
Das Gesicht des Mannes drückte Verzweiflung aus, als ob ihm nur noch sehr wenig Zeit bliebe, eine dringende Botschaft zu übermitteln.
„Na schön, kommen sie herein.“
Er ließ ihn eintreten und schloss die Tür.
„Nun erzählen sie mal was so wichtig ist um elf Uhr nachts. Woher kennen sie mich überhaupt? Hat ihnen die Polizei meinen Namen gegeben?“ Wollte er wissen und setzte sich in den Sessel im Wohnzimmer.
„Nein, nicht die Polizei.“
Er machte eine Pause und setzte sich Mike gegenüber auf die Couch.
„Mister Clawson, ich weiß, dass sie vorgestern im Wald waren, auch was mit ihnen passiert ist. Ebenso weiß ich was mit ihrem Freund geschehen ist und was diese Männer vom Untersuchungsausschuss wirklich wollten.“
Mit erstaunten Augen sah er ihn an und fragte ihn, was er denn gesehen hätte.
„Ich habe sie nicht beobachtet, wenn sie das meinen. Gestern sah ich sie in den Nachrichten und hörte, was ihnen beiden zugestoßen war. Aus diesem Grund bin ich gekommen, um sie zu warnen.“
Sein Gesicht wurde ernst und er schaute Mike in die Augen.
„Zu warnen? Wovor warnen, ich kann mich kaum noch an alles erinnern...“
„Doch das können sie: Sie schlafen schlecht, haben seit zwei Tagen schlimme Alpträume, und das sehe ich nicht nur an den dunklen Rändern unter ihren Augen. Vertrauen sie mir, ich weiß alles.“
Dann fing er an ihm davon zu erzählen, dass er ähnliches durchlebt hatte, wie Mike in jener Nacht. Er berichtete ihm, dass er vor genau einem Monat auf Wildfang war und plötzlich verfolgt wurde, von etwas, was er nicht sehen konnte. Er entdeckte einen übermäßig großen Stein und er zog ihn magisch an, so wie er Andre angezogen hatte.
Dann wurde er von hinten mit einem Ast oder Knüppel niedergeschlagen und wachte Stunden später in einer Höhle auf, tief unter der Erde.
„Sie sehen Mister Clawson, wir beide teilen das gleiche Schicksal. Auch ich wurde durch einen Tunnel zu einem großen kahlen Raum geführt, in dessen Mitte ein Tisch war und um ihn herum schmale Wesen mit grauer Hautfarbe standen. Aber ab da an ist meine Erinnerung ausgelöscht, ich habe keine Ahnung, was sie mit mir gemacht haben, eins ist jedoch sicher, es hatte Folgen.“
Geduldig ließ Mike ihn sprechen und befürchtete, was er ihm sagen wollte.
„Was ich ihnen jetzt sage, wird sie schockieren und sie werden denken, dass ich verrückt bin.“
Sagte er ernst und rieb sich die Hände, die noch immer zitterten.
„Nichts kann mich nach diesem Vorfall schockieren und ich halte sie nicht für verrückt.“ Entgegnete er ihm.
„Ich weiß, was ich gesehen habe, und werde es wahrscheinlich nie wieder vergessen können. Also, wovor wollen sie mich warnen?“
Er war gefasst auf alles was er ihm sagen würde, rechnete mit dem Schlimmsten, doch als er es ihm sagte, fiel ein grauer Schleier über sein Gesicht.

„Nach etwa vier Tagen werden sie ein leichtes Brennen in den Ohren spüren und die Fingerspitzen fangen an zu kribbeln, als ob Ameisen durch ihren Körper laufen, sie bekommen Halluzinationen und Schweißausbrüche, meistens wenn sie aus einem Alptraum erwachen. Ebenso werden ihnen die Haare ausfallen und ihr Appetit wird nachlassen, es kann sein, dass sie Stiche in der Brust haben werden, die sich wie Nadelstiche anfühlen. Nach 3-4 Wochen werden sie Krämpfe bekommen und pochende Kopfschmerzen, die ihre Sinne betäuben.“
Er hielt für einen Moment inne, sah auf den Boden, und dann wieder zu ihm.
Mike sah ihn an, wie man einen Menschen ansieht, der einem die schlimme Nachricht vom Unfalltod seiner Frau überbringt. Dann fuhr er fort.
„Nach vier quälenden Wochen haben sie bereits ein Teil ihrer Sinne verloren und sind nicht mehr Herr über ihren Körper; er wird sich schütteln, in Krämpfen winden und sie werden vor Schmerzen schreien. Lassen sie es nicht dazu kommen, ich rate ihnen, kaufen sie sich eine Waffe und erschießen sie sich selbst.“
Für einen Moment konnte Mike kein Wort fassen, das er hätte aussprechen können. Es war geradezu unvorstellbar, das alles zu glauben.
„Woher wollen sie wissen, dass das alles mit mir geschehen wird? Das ist doch verrückt?“ Sagte er und bemerkte ein leichtes Zittern in seiner Stimme.
„Genauso verrückt, wie die Männchen unten im Berg, die dafür verantwortlich sind. Schauen sie mich an und glauben sie mir, dass alles wird eintreffen, wenn sie es nicht verhindern. Ihr Körper wird sich verändern: Die helle Hautfarbe wird in aschfahles Grau übergehen und ihre Pupillen werden sich schwarz verfärben, ihr Körper wird abmagern und auf dem Kopf werden keine Haare mehr nachwachsen... Sie werden einer von IHNEN.“
„Aber wieso, warum ich?“
In Mike wuchs die pechschwarze Angst, dass der Mann recht haben könnte.
„Weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Ebenso hätte es jemand anderen treffen können. Mit ihrem Freund wird das nicht passieren, er ist bereits tot. Er war nicht so willig, mit diesen außerirdischen Männchen mit zu gehen und wehrte sich. Sie sahen in ihm eine Bedrohung und töteten ihn. Sie sehen in uns nicht mehr als waberndes Fleisch, was auf Erden wandelt und entweder vernichtet werden muss oder als gleichgeschlechtliches Wesen in die außerirdische Gruppe aufgenommen werden soll.“
Erzählte er und während er so redete, fiel es ihm doch auf, dass seine Stimme zunehmend leiser wurde - seine eigenen Worte deprimierten ihn. Er senkte den Kopf und schaute auf seine Hände, die bereits an einigen Stellen eine aschgraue Farbe angenommen hatten und aussahen, als hätten sie bereits sechzig lange Lebensjahre hinter sich. Die Adern traten hervor und verkrampften sich, er schaute seine Hände an, verschränkte sie ineinander und ließ sie wieder sinken.
„Also...“ Sagte Mike und sah ihn noch immer entgeistert an.
„Was soll ich jetzt tun?“


Er sah von seinen Händen ab, sah Mike an und stand auf.
„Das sagte ich ihnen bereits. Und ich habe keine Lust es noch einmal zu wiederholen, denn es fällt mir noch schwerer es zu tun, um so öfter ich davon rede.“ Antwortete er und seine Augen suchten hektisch nach verborgenen Schatten im Raum, wie ein verstörtes Huhn, das verwirrt im Hühnerstall auf und ab läuft.
„Es gibt keinen anderen Ausweg und auch keine Möglichkeit die Kreaturen auszulöschen, denn wir wissen nicht wie. Sicher, man könnte alles Mögliche versuchen, aber wie viel Menschleben können wir riskieren, wie viel? Es wird ihnen kein Trost sein, aber ich werde es tun, weil ich nicht so ein bleigraues Wesen werden möchte, wie die es sind. Mir scheint, sie kommen von einem Planeten, der Hass über die Menschen ausgestreut hat, und es ihnen nicht genug war nur zu hassen, sie wollen uns besitzen ... Wir werden nicht überleben, die Zeit wird es zeigen. Und wir beide waren erst der Anfang.“
Dann kehrte er Mike den Rücken und ging zur Tür. Mike saß nur da auf seinem Sessel und starrte ins Leere, konnte nicht fassen, dass es keinen anderen Ausweg geben würde, als sich umzubringen.
Mister Pintero ging einfach, öffnete die Tür -ohne sich noch einmal umzudrehen- und ging auf den Flur hinaus. Noch immer saß er schweigend im Sessel und versuchte den Gedanken von sich zu drängen, dass es keine Möglichkeit gab, diese Brut zu töten, die Ausgeburten der Hölle zu vernichten. Dann kam ihm ein Gedanke, der so klar und doch so sinnlos vor ihm lag, dass er ihn sofort in die Tat umsetzen wollte.

Geduldig wartete er auf den Morgengrauen, auf das Tageslicht, das sich langsam über die Stadt ausbreitete und den frischen Geruch des Erwachens freilegte. Ohne auch nur eine Minute geschlafen zu haben, stieg er in sein Auto und fuhr zum städtischen Landeplatz, dort wo die eisernen Piloten in den frühen Morgenstunden an ihren Maschinen bastelten. Dort angekommen, unterhielt er sich kurz mit einen der Männer und keine fünfzehn Minuten später saßen beide in einem Helikopter. Sie flogen weit über das Land, über Seen und Täler und Felswänden. Der Pilot stellte keine Fragen, da Mike ihm eine beachtliche Summe seines Bankkontos in die Hand drückte, die er zuvor abgehoben hatte, er brauchte ja es nun nicht mehr.
Als sie über das unbekannte Land und über die dunklen Wälder flogen, wies er ihm die Maschine auf den freien Platz nahe des Waldes zu setzen. Als sie aufsetzten, stieg Mike aus, winkte ihm zum Dank und wollte einfach drauflos marschieren. Der Pilot rief ihm nach, ob er nicht warten solle, bis er wieder zurückkam. Er schüttelte nur den Kopf und deutete ihm, er solle losfliegen. Als der Helikopter außer Sicht war, betrat er den Wald und kam schon nach wenigen Minuten an dem Felsbrocken an, den Andre und er eingehend studiert hatten, er wusste noch ganz genau, wo er ihn finden würde. Er ging um ihn herum und studierte ihn. Plötzlich traf ihn etwas am Hinterkopf und er prallte gegen den Stein, eine schwarze Decke legte sich über seine Augen, auf der helle Sterne funkelten und er rutschte bewusstlos am Stein hinab.

Als er aus seinem widerwilligen Dämmerschlaf erwachte, kam ihm der Ort, an dem er sich befand, bekannt vor: Er war wieder im Stollen und er wusste was er zu tun hatte.
Also stand er auf und folgte dem Gang. Als er zum großen Saal kam, standen um den Tisch nicht vier oder fünf von diesen außerirdischen Wesen; sie befanden sich alle im Raum – jedenfalls hatte es den Anschein, dass es alle waren. Er stand unter dem Eingang und schaute sie an, ihre pechschwarzen Kohleaugen starrten zurück, und er hatte das Gefühl, als würden sie sich an ihn erinnern.
Mit der rechten Hand befühlte er den Gegenstand, der an seinem Rücken in der Jeans steckte und ließ seine Hand darauf ruhen.
Mike ließ seinen Blick über die versammelte Brut des Bösen schweifen und verspürte sogar ein Funken Mitleid mit ihnen. Aber nicht genug Mitleid, um das Vorhaben abzublasen. Einer der Wesen, der am nähesten an Mike stand, hob plötzlich seinen rechten knochigen Arm und wies auf den Eingang unter dem er stand. Dann öffnete es seinen mit rasiermesserscharfen Zähnen beschwerten Schlund und stieß einen unnatürlich grellen Schrei aus, der von den alten Wänden des Stollens widerhallte. Zu diesem Schrei setzten hundert weitere Schreie ein und ließen den Stollen erzittern, so dass sich von den Wänden Staub und Gestein lösten. Dann kam Bewegung in den Raum und die Kreaturen bewegten sich auf Mike zu, stoisch und den Blick nicht von dem Eindringling gewandt, wie Zombies in einem Gruselfilm. Die Schreie hörten auf, doch er schritt langsam zurück (ihm kam es vor, als bewegte er sich in Zeitlupe), drehte sich hektisch um und lief den Gang entlang.

Beim Laufen griff er nach dem Gegenstand, der hinten in seiner Hose steckte und umklammerte es panisch. Es war ein 38er Revolver, den er eigentlich nur benutzte, wenn er auf die Jagd ging und dem erlegten Tier den Gnadenschuss verpasste. Er lief den Gang entlang, der sich endlos in die Länge zu ziehen schien und schaute immer wieder über die Schulter; seine Verfolger hielten Schritt. Jetzt waren sie alle hinter Mike hier, und wenn sie ihn bekamen, würden sie ihn mit Sicherheit töten. Nicht, dass ihm das in diesem Moment noch etwas ausgemacht hätte, aber er wollte sie nicht einfach so davon kommen lassen.
Dann geriet er in eine Sackgasse und drehte sich zu seinen Verfolgern um. Völlig außer Atem stand er da und sah wie sie auf ihn zu kamen, mit weitaufgerissenen Mäulern und ihren steifen Bewegungen beim Laufen. Sein Herz pochte in seiner Brust, als drohte es zu zerspringen und die Panik umschloss seinen Hals, Schweiß lief ihm ins Gesicht und er hatte Mühe klare Sicht zu behalten. Als sie etwa zwanzig Meter vor ihm waren, viel ihm etwas ein. Er richtete den Revolver auf die Decke über den Kreaturen und schoss, er gab etwa drei Schüsse in die Decke ab und hechelte dabei wie ein Hund. Ein donnerndes Geräusch war zu hören, als die Kugeln durch die Decke gingen und ein gewaltiges Echo auslöste, so dass die Wände bebten und die Decke zum einstürzen brachten.
Brocken von Stein, Kiesel und Staub schlugen auf die grauen Wesen ein, die Kreaturen wurden von der endlosen Geschichte des Stollens begraben. Der Schall der Steine, die herunterkamen, war so stark und die Wände so alt, dass die ganze Höhle einstürzte. Mike hatte sich dicht an die Wand gedrängt und die Hände schützend über den Kopf gehalten; er merkte wie ihm Steine und Sand auf den Rücken fielen und unsagbare brennende Schmerzen auslösten. Ein Stein fiel ihm auf den Kopf und er verlor das Bewusstsein.

Wie durch ein Wunder überlebte er den Einsturz und war wohl der einzige Überlebende; die Wesen wurden allesamt begraben, da er genau über ihren Köpfen in die Decke schoss, niemand konnte das überlebt haben.


Doch er lebte und war dennoch schwer verletzt: In seinen Beinen fand er kaum Gefühl, so dass er hätte aufstehen können, in seinem Rücken pochte es gewaltig, als würde ihm jemand einen Hammer in den Rücken stoßen, vermutlich hatte er sich ein paar Rippen gebrochen. Seine Hände waren stark aufgeschürft und Blut sickerte durch das Hemd. Sein Kopf fühlte sich an, als wäre er vollgestopft mit Blei und drohte auseinander zu springen und doch befriedigte ihn die Gewissheit, es geschafft zu haben – er hatte die Brut ausgelöscht. Die Pistole, die nur drei Kugeln enthielt, flog während der Erschütterung aus seiner Hand und wurde ebenfalls unter Geröll begraben. Trotz der Schmerzen umspielte ein Lächeln seine Lippen und er sah ein helles Licht, dass über die Steine fiel. Er fragte sich, ob es das Todeslicht war, das ihn nun in die stille Welt der Seelen holte. Es war jedoch der Schein der Sonne, der auf ihn niederging wie etwas Göttliches. Durch die Erschütterung des Stollens wurde ein Ausgang freigelegt, durch den er die Natur des Waldes sah. Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog er sich zu diesem Ausgang hin und beide Beine schleiften über Steine und Sand, aber er merkte es kaum.
Nachdem er draußen war, legte er sich ruhig auf den grasbewachsenden Boden und schaute in den Himmel, an dem weiße Wolken vorüberzogen. Sein Herz pochte nun langsamer und er genoss den Geruch von Tannen und Gräsern, das Zwitschern der Vögel und das Nachlassen seiner Schmerzen. Sie ebbten ab und es war eine unglaubliche Befreiung, eine Last, die abfiel, als wären Säcke von Sand von seinen Schultern genommen worden, die er stundenlang getragen hatte. Sein Körper schien zu schweben und sich nicht mehr auf dem Boden zu befinden, über seine Augen legte sich ein weißer Schleier und die Lider senkten sich langsam.

Während der Wald natürliche Geräusche von sich gab, wurde Michael Clawson in eine Welt getragen, in der er seine Ruhe fand. In der er sich nicht vor fremden Wesen fürchten, und auch nicht gegen etwas Böses kämpfen musste. Dort musste er sich nicht erklären, warum es auf der Welt so viel Schlechtes gab und Dinge, von denen wir noch nicht einmal ahnen würden, das es sie gab. Doch es wird immer so sein, dass es Dinge gibt, auf denen wir keine Antwort wissen, und wir leben damit. Bis zu dem Tage an dem uns ein Phänomen, eine höhere Macht –ob Gut oder Böse- erreicht, und unsere Fragen beantworten wird.



E N D E
 



 
Oben Unten