Was im Leben zählt
Rastlos getrieben hielt er inne, als sein Weg in einem Park am Rande der Stadt endete. Obschon sein Leben reich war an allerhand Materiellem - an teuren Anzügen, Uhren, Gemälden, an Grundstücken von denen andere nur träumten, an Aktien, Beteiligungen und Festgeldern, von denen ganze Horden Armer sich über Jahre ihre Existenz hätten sichern können - sein Herz war leer. Und so leer sein Herz, so überladen war sein Geist, voll verwirrter Gedanken und Fragen, die immer mehr Zeit hatten, sich auszubreiten und ihn langsam, aber stetig auffraßen. "So ist es, wenn andere für einen arbeiten und man von den Zinsen lebt!", dachte er, als er sich auf einer Parkbank niedersetzte. Schwer waren seine Beine geworden; es tat gut, einen Moment zu sitzen. Doch es dauerte keine Minute, da blickte er bedeutungslos starr auf die gegenüberliegende Seite, wo eine andere Bank stand, von der ein Windhauch zwei trockene Blätter des längst vergangenen Herbstes hinab trug. Nutzlos saß er da, so nutzlos, wie er sich fühlte. Längst hatte er es satt, all seine Reichtümer zu hüten und zu pflegen; satt in der Welt zu reisen, um in ebenso nutzlosen Gesellschaften einen Moment seine Sorgen im Alkohol zu ertränken.
Auf der Holzbank gegenüber nahmen zwei junge Kerle Platz, die sich unterhielten und gelegentlich laut auflachten. Er beobachtete die beiden, und seine Augen wurden rege und glanzvoll, als ob er plötzlich mit ihrem Erscheinen all seine Enttäuschung vergessen hätte. "Leicht war es damals, als man so jung war, voller Sinn das Leben; verlockend süß war es. Spannung lauerte hinter jedem neuen Tag, und unbeschwert fern lag die Zukunft".
Er sinnierte, während die beiden ein Fläschen Bier öffneten und miteinander teilten. Sie tranken es nicht ganz leer und brachen bald auf. Da war er wieder alleine.
Von fernher hörte er ein tiefes Lachen - Lachen, das ihn schmerzhaft in den Ohren klang; nichts hasste er in diesem Moment mehr als die Freude anderer. Zwei Vagabunden kamen daher und nahmen auf der morschen Holzbank Platz. Er warf einen grimmigen Blick hinüber und wandte sich sogleich ab. Ihre Kleider waren schmutzig und reich an Löchern, die fransig, wie Wolkenfetzen am Himmel, hervorragten. Er wollte schon aufstehen und gehen, so lästig waren ihm diese frohmutigen Gestalten, doch: "Warum flüchten vor diesem Pack?", dachte er und fürchtete lediglich angebettelt oder bespottet zu werden, schließlich saß er auf der Bank, wie auf einem Präsentierteller, in edelstem Frack, frisch frisiert, und sein übermüdetes und angespanntes Gesicht war nicht in der Lage, daran etwas zu ändern. Hin und wieder riskierte er einen Blick, den er schnell abwandte, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Aus ihrem Beutel kramten sie einen trockenen Laib Brot, von dem der eine mit einem scheinbar stumpfen Messer versuchte, Stücke abzuschneiden. Gemächlich kauten sie; schneller waren die Spatzen, die sich auf die Krümel am Boden stürzten. Es dauerte nicht lange, da gingen sie fort, und er, auf der anderen Seite, war wieder alleine.
Schwerfällig und langsam an zwei Krücken folgte ein alter Mann seiner Frau, die sich langsam aus ihrer krummen Haltung auf die rettende Bank fallen ließ. Sie breitete ein Kissen aus, auf das sie ein zweites stapelte. Behutsam klopfte sie auf den kleinen Turm, der ihrem Mann das Sitzen erleichtern sollte. Sie streckte ihre kurzen Arme aus und nahm ihm die Krücken ab. Noch langsamer und vorsichtiger als zuvor sie, setzte sich der Alte. Gemeinsam blickten sie hoch zu den Baumspitzen und nieder zu den Spatzen, die nach den letzten Brotkrümeln suchten. Das alte Paar reichte sich die Hände und schien zufrieden. "Wäre man doch so alt.", dachte er und schaute bewundernd zur morschen Bank, wie auf eine Theaterbühne. "Man ist reif und spürt den Tod - das Ende allen Leidens - in sicherer Nähe". Am liebsten wäre er jetzt selbst gestorben. Endlos lange saßen die beiden, endlos. Und er schlief ein. Da träumte er, dass sein Ebenbild auf der gegenüberliegenden Seite Platz nahm, und erstmals seit endlos langer Zeit spürte er Aufregung. Er ekelte sich vor dem Anblick und stand auf, um hinüber zu gehen und das Scheusal der anderen Seite umzubringen. Er kam näher, und sein Ebenbild verschwand. Wie aus dem Nichts stieg Dunst auf. Er hörte eine Stimme, die er nie zuvor gehört hatte.
"Du schaust auf die Armen herab, die sich, ob ihrer Schwäche, des Lebens erfreuen.
Du beneidest die Jungen, die gerade das Wertvollste ihres Lebens verlieren und immer unsicherer in die Zukunft blicken.
Du wünschst dich selbst alt, wo du gar nicht weißt, welche Gebrechen und Sorgen das Alter bringt.
Du wünschst dir den Tod, da dir fremd ist, was im Leben zählt.
Du bist im besten Alter, gesund und unabhängig, deine Taschen sind reich gefüllt, doch dein Herz ist arm.
Geh, schäm dich! Du, der alles hat, was andere missen.
Doch noch eine Chance will ich dir geben, eine letzte Chance: Teile dein Leben mit den Jungen, den Armen, den Alten. Gehe hin und helfe, wo du zu helfen bereit bist. Und sie werden dir geben, was dir fehlt. Du bist ein Teil vom Ganzen. Und das ist alles, was zählt."
Die Bäume rauschten im lauen Wind. Ein paar Vögel sangen noch.
Die letzten Sonnenstrahlen blinzelten durch das pulsierende Grün. Langsam und still floss der Bach. Auf einer Rose landete ein Schmetterling. In der Ferne erklang Kinderlachen.
Er öffnete die Augen. Alles war anders.
Rastlos getrieben hielt er inne, als sein Weg in einem Park am Rande der Stadt endete. Obschon sein Leben reich war an allerhand Materiellem - an teuren Anzügen, Uhren, Gemälden, an Grundstücken von denen andere nur träumten, an Aktien, Beteiligungen und Festgeldern, von denen ganze Horden Armer sich über Jahre ihre Existenz hätten sichern können - sein Herz war leer. Und so leer sein Herz, so überladen war sein Geist, voll verwirrter Gedanken und Fragen, die immer mehr Zeit hatten, sich auszubreiten und ihn langsam, aber stetig auffraßen. "So ist es, wenn andere für einen arbeiten und man von den Zinsen lebt!", dachte er, als er sich auf einer Parkbank niedersetzte. Schwer waren seine Beine geworden; es tat gut, einen Moment zu sitzen. Doch es dauerte keine Minute, da blickte er bedeutungslos starr auf die gegenüberliegende Seite, wo eine andere Bank stand, von der ein Windhauch zwei trockene Blätter des längst vergangenen Herbstes hinab trug. Nutzlos saß er da, so nutzlos, wie er sich fühlte. Längst hatte er es satt, all seine Reichtümer zu hüten und zu pflegen; satt in der Welt zu reisen, um in ebenso nutzlosen Gesellschaften einen Moment seine Sorgen im Alkohol zu ertränken.
Auf der Holzbank gegenüber nahmen zwei junge Kerle Platz, die sich unterhielten und gelegentlich laut auflachten. Er beobachtete die beiden, und seine Augen wurden rege und glanzvoll, als ob er plötzlich mit ihrem Erscheinen all seine Enttäuschung vergessen hätte. "Leicht war es damals, als man so jung war, voller Sinn das Leben; verlockend süß war es. Spannung lauerte hinter jedem neuen Tag, und unbeschwert fern lag die Zukunft".
Er sinnierte, während die beiden ein Fläschen Bier öffneten und miteinander teilten. Sie tranken es nicht ganz leer und brachen bald auf. Da war er wieder alleine.
Von fernher hörte er ein tiefes Lachen - Lachen, das ihn schmerzhaft in den Ohren klang; nichts hasste er in diesem Moment mehr als die Freude anderer. Zwei Vagabunden kamen daher und nahmen auf der morschen Holzbank Platz. Er warf einen grimmigen Blick hinüber und wandte sich sogleich ab. Ihre Kleider waren schmutzig und reich an Löchern, die fransig, wie Wolkenfetzen am Himmel, hervorragten. Er wollte schon aufstehen und gehen, so lästig waren ihm diese frohmutigen Gestalten, doch: "Warum flüchten vor diesem Pack?", dachte er und fürchtete lediglich angebettelt oder bespottet zu werden, schließlich saß er auf der Bank, wie auf einem Präsentierteller, in edelstem Frack, frisch frisiert, und sein übermüdetes und angespanntes Gesicht war nicht in der Lage, daran etwas zu ändern. Hin und wieder riskierte er einen Blick, den er schnell abwandte, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Aus ihrem Beutel kramten sie einen trockenen Laib Brot, von dem der eine mit einem scheinbar stumpfen Messer versuchte, Stücke abzuschneiden. Gemächlich kauten sie; schneller waren die Spatzen, die sich auf die Krümel am Boden stürzten. Es dauerte nicht lange, da gingen sie fort, und er, auf der anderen Seite, war wieder alleine.
Schwerfällig und langsam an zwei Krücken folgte ein alter Mann seiner Frau, die sich langsam aus ihrer krummen Haltung auf die rettende Bank fallen ließ. Sie breitete ein Kissen aus, auf das sie ein zweites stapelte. Behutsam klopfte sie auf den kleinen Turm, der ihrem Mann das Sitzen erleichtern sollte. Sie streckte ihre kurzen Arme aus und nahm ihm die Krücken ab. Noch langsamer und vorsichtiger als zuvor sie, setzte sich der Alte. Gemeinsam blickten sie hoch zu den Baumspitzen und nieder zu den Spatzen, die nach den letzten Brotkrümeln suchten. Das alte Paar reichte sich die Hände und schien zufrieden. "Wäre man doch so alt.", dachte er und schaute bewundernd zur morschen Bank, wie auf eine Theaterbühne. "Man ist reif und spürt den Tod - das Ende allen Leidens - in sicherer Nähe". Am liebsten wäre er jetzt selbst gestorben. Endlos lange saßen die beiden, endlos. Und er schlief ein. Da träumte er, dass sein Ebenbild auf der gegenüberliegenden Seite Platz nahm, und erstmals seit endlos langer Zeit spürte er Aufregung. Er ekelte sich vor dem Anblick und stand auf, um hinüber zu gehen und das Scheusal der anderen Seite umzubringen. Er kam näher, und sein Ebenbild verschwand. Wie aus dem Nichts stieg Dunst auf. Er hörte eine Stimme, die er nie zuvor gehört hatte.
"Du schaust auf die Armen herab, die sich, ob ihrer Schwäche, des Lebens erfreuen.
Du beneidest die Jungen, die gerade das Wertvollste ihres Lebens verlieren und immer unsicherer in die Zukunft blicken.
Du wünschst dich selbst alt, wo du gar nicht weißt, welche Gebrechen und Sorgen das Alter bringt.
Du wünschst dir den Tod, da dir fremd ist, was im Leben zählt.
Du bist im besten Alter, gesund und unabhängig, deine Taschen sind reich gefüllt, doch dein Herz ist arm.
Geh, schäm dich! Du, der alles hat, was andere missen.
Doch noch eine Chance will ich dir geben, eine letzte Chance: Teile dein Leben mit den Jungen, den Armen, den Alten. Gehe hin und helfe, wo du zu helfen bereit bist. Und sie werden dir geben, was dir fehlt. Du bist ein Teil vom Ganzen. Und das ist alles, was zählt."
Die Bäume rauschten im lauen Wind. Ein paar Vögel sangen noch.
Die letzten Sonnenstrahlen blinzelten durch das pulsierende Grün. Langsam und still floss der Bach. Auf einer Rose landete ein Schmetterling. In der Ferne erklang Kinderlachen.
Er öffnete die Augen. Alles war anders.