Was man alles tun kann

4,10 Stern(e) 10 Bewertungen

HelenaSofie

Mitglied
Da soll sich einer noch auskennen. Mama nennt sie Tunwörter. Bei Oma heißen sie Tätigkeitswörter oder Tuwörter. Eben weil man etwas tut. Deshalb werden sie auch klein geschrieben. Ich soll sie aber jetzt Werben nennen, hat meine Lehrerin gesagt. In meinen Augen haben sie zwar nichts mit Werbung zu tun, aber sie wird schon wissen, was sie uns beibringt.
Als Hausaufgabe müssen wir nun zehn Sätze mit Werben aufschreiben. Dann kann sie sehen, ob wir wissen, was Werben sind.
Wie finde ich aber so schnell die passenden Sätze? Papa kann ich nicht fragen. Der fühlt sich für Hausaufgaben nicht zuständig und Opa hat keine Meinung dazu. Da fällt mein Blick auf die Apothekenzeitschrift auf der Fensterbank.
Schneller als erwartet habe ich die Sätze zusammen und aufgeschrieben.
Die Nase läuft.
Die Augen brennen.
Die Haut juckt.
Die Seiten stechen.
Der Magen drückt.
Die Beine kribbeln.
Die Gelenke reißen.
Der Hals kratzt.
Der Bauch kneift.
Die Ohren sausen.
Irgendwie schien meine Lehrerin am nächsten Tag ausgerechnet mit meinen Beispielen nicht ganz zufrieden zu sein.
Zur Übung noch einmal acht Beispiele als Hausaufgabe, dieses Mal mit klarer Ansage: Was getan wird, kann man auch sehen.
Der Platz am Küchentisch ist ideal zum Beobachten. Bald stand in meinem Heft:
Der Mixer mixt.
Der Kocher kocht.
Der Tortenheber hebt.
Der Sprudel sprudelt.
Der Schaum schäumt.
Der Regen regnet.
Der Putzlappen putzt.
Der Handfeger fegt.
Ich habe es mir fast gedacht. Wieder nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit. Langsam verunsichert sie mich. Dabei sollen die Lehrer doch das Selbstbewusstsein ihrer Schüler stärken.
Aber eins weiß ich aus Erfahrung. Sie ist ziemlich stur und erst zufrieden, wenn alles so gemacht wird, wie sie sich das vorgestellt hat. Deshalb war die neue Hausaufgabe auch keine Überraschung für mich.
Acht Beispiele, aber nur von Menschen und Tieren.
Was jemand tut, soll man auch hören können.
Ich habe genau auf die Geräusche in unserem Haus geachtet.
Am nächsten Morgen las ich in der Klasse vor:
Die Katze miaut.
Der Vogel singt.
Mama lacht.
Oma schnarcht.
Opa rülpst.
Papa f... „Stopp, stopp!“, rief sie mir einfach dazwischen. „Das genügt, die andern Kinder wollen auch noch vorlesen.“
Na gut, aber die letzten fünf Wörter vorzulesen, hätte auch nicht so viel Zeit gekostet.







Falls ihr euch dafür interessiert, das stand in meinem Heft:
Papa flucht. Mia hüpft. Lenni weint.
Papa fluchte, weil meine Schwester Mia im Flur hin und her hüpfte und dadurch den kleinen Lenni aufweckte, der dann anfing zu weinen.
So viel Zeit hätte doch sein müssen!
Aber sie weiß jetzt, dass wir wissen, was Werben sind.
 
U

USch

Gast
Hallo HelenaSofie,
sehr lustiger Text. Mal wieder müssen die Lehrerinnen dran glauben, die einfach keine klaren Aufgaben stellen. Kein Werben für diesen Beruf :)
LG USch
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Tut Tut

In meiner Grundschulzeit hießen die Werben noch „Tutwörter“, und ich habe mich immer wieder gefragt, ob es beim Schreiben oder beim Lesen tutet - und warum eigentlich.

Ein recht witziger Text nach dem Motto: „Kinder sind auch nur Menschen“.

Gern gelesen und geschmunzelt.

Grüße vom Ironbiber
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Jaja, und Beispiele für das Passiv oder die Leideform sind:

Ich werde geschlagen.
Ich werde getreten.
Ich werde gehauen.
Ich werde geboxt

usw.

Ich tat deinen Text gerne lesen!

LG Doc
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ja,

mit vergnügen gelesen.
komisch, dass sich manche sachen in jeder generation wiederholen - bei gab es ähnliche verwirrung zwischen tuwort, tätigkeitswort und verben. glücklicherwiese gab es die werbung noch nicht . . .
lg
 

HelenaSofie

Mitglied
Herzlichen Dank USch,

für deinen schnellen Kommentar. Habe bei jeder Geschichte noch immer so etwas wie Lampenfieber, trotz fast vier Jahren LL. Und da ist der erste Kommentar besonders wichtig.
Der Kleine in der Geschichte hat trotz allem ein gutes Verhältnis zu seiner Lehrerin. Ich habe deshalb das distanzierende "Lehrerin" so oft wie möglich durch "sie" ersetzt.

Ironbiber, ich weiß nicht,

ob das stimmt mit deinen Tut-Wörtern. Habe den Begriff noch nie gehört. Aber schön ist er trotzdem und vor allem deine Überlegung dazu.

Doc, welch toller Hinweis.

"Leideform", das gabs auch mal. Hatte das Wort ganz aus meinem Gedächtnis gestrichen. Ja, die Leide(ns)form tat schon weh.
Besonders diese:
Ich werde gelobt. Ich werde geküsst. Ich werde umarmt.


flammarion, freue mich sehr,

nach längerer Zeit wieder etwas von dir zu lesen. Du hast Recht, vieles wiederholt sich. Ich hätte gern einmal einen Blick in dein Klassenzimmer in Berlin geworfen.

Ciconia,

wie schön, dass du den Text gelesen hast und er dir gefällt.


Ich danke euch für eure interessanten Kommentare und guten Bewertungen.
"Tut" was Schönes am Wochenende

HelenaSofie
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

liebe Helena sofie, habe eigens für dich das kapitel aus meinen memoiren noch mal hochgepusht, das meine schulzeit behandelt.
viel vergnügen!
lg
 

molly

Mitglied
Hallo HelenaSofie,
eben erst habe ich den lustigen Text entdeckt.
:) sehr gern gelesen und laut gelacht!
Liebe Grüße
molly
 

HelenaSofie

Mitglied
herziblatti,
lieben Dank fürs Lesen und die gute Bewertung.

KaGeb,
freue mich, dass dir die Geschichte gefallen hat.

molly,
wie schön, dass der Text dir so gut gefällt und er dich zum Lachen gebracht hat.

Liebe Grüße an euch
HelenaSofie
 

HelenaSofie

Mitglied
Da soll sich einer noch auskennen. Mama nennt sie Tunwörter. Bei Oma heißen sie Tätigkeitswörter oder Tuwörter. Eben weil man etwas tut. Deshalb werden sie auch klein geschrieben. Ich soll sie aber jetzt Werben nennen, hat meine Lehrerin gesagt. In meinen Augen haben sie zwar nichts mit Werbung zu tun, aber sie wird schon wissen, was sie uns beibringt.
Als Hausaufgabe müssen wir nun zehn Sätze mit Werben aufschreiben. Dann kann sie sehen, ob wir wissen, was Werben sind.
Wie finde ich aber so schnell die passenden Sätze? Papa kann ich nicht fragen. Der fühlt sich für Hausaufgaben nicht zuständig und Opa hat keine Meinung dazu. Da fällt mein Blick auf die Apothekenzeitschrift auf der Fensterbank.
Schneller als erwartet habe ich die Sätze zusammen und aufgeschrieben.
Die Nase läuft.
Die Augen brennen.
Die Haut juckt.
Die Seiten stechen.
Der Magen drückt.
Die Beine kribbeln.
Die Gelenke reißen.
Der Hals kratzt.
Der Bauch kneift.
Die Ohren sausen.
Irgendwie schien meine Lehrerin am nächsten Tag ausgerechnet mit meinen Beispielen nicht ganz zufrieden zu sein.
Zur Übung noch einmal acht Beispiele als Hausaufgabe, dieses Mal mit klarer Ansage: Was getan wird, kann man auch sehen.
Der Platz am Küchentisch ist ideal zum Beobachten. Bald stand in meinem Heft:
Der Mixer mixt.
Der Kocher kocht.
Der Tortenheber hebt.
Der Sprudel sprudelt.
Der Schaum schäumt.
Der Regen regnet.
Der Putzlappen putzt.
Der Handfeger fegt.
Ich habe es mir fast gedacht. Wieder nicht zu ihrer vollen Zufriedenheit. Langsam verunsichert sie mich. Dabei sollen die Lehrer doch das Selbstbewusstsein ihrer Schüler stärken.
Aber eins weiß ich aus Erfahrung. Sie ist ziemlich stur und erst zufrieden, wenn alles so gemacht wird, wie sie sich das vorgestellt hat. Deshalb war die neue Hausaufgabe auch keine Überraschung für mich.
Acht Beispiele, aber nur von Menschen und Tieren.
Was jemand tut, soll man auch hören können.
Ich habe genau auf die Geräusche in unserem Haus geachtet.
Am nächsten Morgen las ich in der Klasse vor:
Die Katze miaut.
Der Vogel singt.
Mama lacht.
Oma schnarcht.
Opa rülpst.
Papa f... „Stopp, stopp!“, rief sie mir einfach dazwischen. „Das genügt, die andern Kinder wollen auch noch vorlesen.“
Na gut, aber die letzten fünf Wörter vorzulesen, hätte auch nicht so viel Zeit gekostet.



Falls ihr euch dafür interessiert, das stand in meinem Heft:
Papa flucht.
Mia hüpft.
Lenni weint.

Papa fluchte, weil meine Schwester Mia im Flur hin und her hüpfte und dadurch den kleinen Lenni aufweckte, der dann anfing zu weinen.
So viel Zeit hätte doch sein müssen!
Aber sie weiß jetzt, dass wir wissen, was Werben sind.
 



 
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