Was mir bleibt

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Was mir bleibt

Es ist Nacht. Leise Klaviermusik weht zu mir auf die Veranda und webt sich in Wellen durch meine streunenden Gedanken. Wohlig lehne ich mich zurück in Großmutters alten Ohrensessel und lausche in die Dunkelheit. Die Welt ist rund. Fast perfekt. Ich liebe die Einsamkeit der ganz späten Stunden und der ganz frühen, wenn keine menschlichen Geräusche zu hören sind. Wenn der Duft und die Frische der Wiesen mich allein meinen und mir das Rauschen des Gräsermeeres Unerhörtes flüstert. Das kleine Windlicht zittert und schenkt mir Zuflucht in einem weichen Kreis aus geschmolzenem Licht. Ich bin zu Hause.
Es riecht nach Stille und den Blüten des Kirschbaumes, der mir sein duftiges Rosa als Geschenk auf das alte Holz zu meinen Füßen streut. Samtschwarz schmiegen sich die Sträucher an das Haus. In einer Ecke unter dem Dach webt eine Kreuzspinne ihre silbernen Fäden in die feuchte Luft des aufkommenden Regens. Zögernd noch klatschen einzelne schwere Tropfen auf das Vordach und den ausgetrockneten Pfad, der von meinem Haus zum Friedhof führt. Donner rollt sich über die Hügel in der Ferne und spaltet meine Stille, ohne sie zu stören. Ich fröstele leicht und ziehe meine Jacke enger um mich. Meine Füße legen sich wie von selbst auf das Geländer. Ich reiße das Streichholz an und inhaliere aus hohler Hand meine Chesterfield.
Die Glut malt mir orange Gesichter in die Dunkelheit. Der Wind reißt mir den Rauch in Fetzen vom Mund und weht seine blaugraue Anmut in die Nacht. Ich schmiege mich tiefer in die Polster und schließe die Augen. Ja, ich bin zu Hause.
Hinter den Lidern finden meine Gedanken dein Gesicht. So unendlich vertraut bist du mir. Ich kenne jedes Detail. Alle deine Gesichter sind mir bekannt. Ich liebte dich. Ich liebte dich für den trotzigen Ausdruck, wenn du wütend auf mich warst und für den der Hingabe, wenn wir miteinander schliefen. Der Gedanke macht mich weich und Sehnsucht kriecht mir vom Schoß bis zum Hals und drückt mir die Kehle zu.
Fast zwei Jahre ist es her, dass du gingst. Mein Rückzug, nein meine Flucht in die Stille des kleinen Dorfes und die Obhut dieses Hauses, in dem ich heute wohne, war das Einzige, was gegen den reißenden Schmerz in mir half. Frieden finden und Wunden lecken und irgendwie überleben. Seither sind meine Pflanzen meine einzige Liebe und die Musik.
Und jetzt bist du da. Schwebst mit dieser unverschämten Leichtigkeit durch meinen Schädel und ich erinnere mich an deine seidigen Küsse und daran, dass du beim Abwaschen immer gesungen hast. Ich war meist im Nebenzimmer und lächelte still in mich hinein.
Ich erinnere mich an deinen weichen Bauch, deine Brüste, die warm und voll an meinen lagen in dem Bett, dass wir uns gebaut hatten, an die Mühe und den Spaß, und an deinen abgebrochenen Fingernagel, als du versuchtest, das schwere Kantholz aufzuheben. Ich habe es beim Umzug nicht mitgenommen.
Mein Leben mit dir war mir nie eine Selbstverständlichkeit und das tröstet mich heute ein wenig. Ich liebte jeden Tag mit dir und hab dein Lachen und den Anblick deiner geschmeidigen Bewegungen tief in mich hinein gesogen. Meine Nase liebte ihren Platz in deiner Schlüsselbeinschale. Du hattest immer den Duft von Abenddämmerung an dir. Und ich habe deine Schönheit genossen; habe mich mit dir gefüllt bis du so sehr zu mir gehörtest, dass ich glaubte, ich müsse sterben ohne dich. Bin ich auch fast.
Vor einem Jahr etwa, an einem kalten Wintertag bei einem der unvermeidbaren Wege in die Stadt, trug der Wind ein Geschenk zu mir. Dein Parfum. Es wehte herüber von der jungen Frau an der Haltestelle und katapultiere mich hinaus aus der dumpfen Lethargie, in der ich seit Monaten lebte. Der Augenblick des Verstehens ist wohl das Grausamste daran. Er ließ mich weinend im Schnee zusammensinken und häutete mir die frisch vernarbte Traurigkeit in Streifen von der Seele.
Jeden Sonntag zünde ich eine Kerze für dich an. Und wie immer bleibe ich nicht zum Gottesdienst. Es ist mir zu fremd. Noch bevor die Orgel die kleine Sandsteinkirche füllt, gehe ich.
Die Stille in meiner Küche drückt mir heute nicht mehr das Trommelfell ein und die Luft zwischen den Pfannen und dem Tontopf, den du für die Kartoffeln gemacht hast, lässt sich wieder atmen. Ich greife nicht mehr lächelnd in der Nacht neben mich, um mich an dich zu schmiegen und mein neues Bett hat genau die richtige Größe.
 
M

mirami

Gast
Hallo freifrau,

ein schöner Text mit vielen Stimmungsbildern voll Poesie und Trauer. Wunderbar beschreibst du die Atmosphäre des Augenblicks auf der Verenda, der Leser sieht, riecht und fühlt mit.

Eine Kleinigkeit fiel mir auf: Soweit ich weiß, kann ein Weberknecht keine Fäden oder Netze spinnen, die krabbeln nur blöd durch die Gegend :)!

LG
mirami
 



 
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