Wasser-Elegie

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Nightingale

Mitglied
Wasser-Elegie

Meiner Oma gewidmet


Hörtest du das Wasser gefrieren
im Asphalt der Kastanienallee?
Sie platzte auf über Nacht und für Wochen
klirrte das Leergut des Greises, das
er im Einkaufswagen vorbeischob am Haus.
Was draußen war pauste sich durch die Gardine auf
die dafür leere Tapetenwand: Rand
deiner Sonntagsgedanken. Dampf
im Bad und der langsam beschlagende Spiegel, groß
genug für so manches Gedicht. Du sahst dich
durch die Schrift, wenn du schriebst. Danach
sankst du in die Wärme des Wassers,
in die Wärme deiner Erinnerung.

Manchmal sprachst du noch davon:
Die Wassermühle deiner Kindheit.
Wie langsam sie sich drehte, als du
im Fluss tauchtest jenseits der Laute.
Damals war der Mond noch Mond.
Du sahst in ihm noch nicht die Lampe
des SS-Manns, der euch fand
im Kohlenkeller eures Hauses.
Ich dachte an die Wollfaden-Bilder
in deinem Flur, als du erzähltest, so
ein Schmerz in deinen Zügen, als stricktest
du die Erinnerung in deine Haut.

Dein Haus war das letzte der Straße.
Oft hörtest du in der Einfahrt die Autos
wenden, weil sie sich verfuhren, dein Atem,
aufgeregt gesammelt zuvor
(,,Wer kommt dort?"),
kehrte um mit ihnen,
wenn du die letzte Lampe loschst.

Über dich kann ich nur ausschweifend reden,
denn du lebtest wie getauter Schnee.
Und ab und an brachst du den Backstein auf,
dass Vergessenes blüht in der Allee.
 

Kaleidoskop

Mitglied
Hallo Nightingale,

du hast einige interessante Sachen drin wie:

Was draußen war pauste sich durch die Gardine auf
die dafür leere Tapetenwand: Rand
deiner Sonntagsgedanken. Dampf
Aber es ist mir viel zu lang und überladen.
Mit mehr Verdichtung könntest du viel erreichen.

lg,
kalei
 

Nightingale

Mitglied
Hallo Haleidoskop,

ich bin auch eigentlich inzwischen Verfechter der (teils radikalen) Verdichtung. In diesem Fall aber wäre es meiner Meinung nach schädlich, weil die Authenzität vollkommen verloren ginge. MIr ging es darum auf mehrere Arten einen Querschnitt durch eine Persönlichkeit zu ziehen, mit verschiedenen Facetten.
Auch finde ich, dass die Länge inhaltlich gerechtfertigt wird. Einmal durch den Titel, dann aber vor allem durch die letzte Strophe.
Danke trotzdem für deinen Kommentar.

LG David
 
B

Beba

Gast
Mir gefällt der Text, auch in seiner Länge. Er wirkt auf mich sehr intensiv. Man könnte, sollte aber hier wohl nicht verdichten.
Bleibt einzig die Frage, um was es sich handelt. Für mich ist es lyrische Prosa. Wo diese hingehört, ist in der LL wohl nicht ganz klar. Schade ist aber, wenn ein solcher Text hier verdörrt, nur weil er kein klassisch lyrischer ist.

LG
Beba
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Für mich ist das eine tolle Verbindung von Lyrik und Prosa und auch dafür ist dieses Forum der
richtige Ort.

LG Franka
 

Nightingale

Mitglied
Inzwischen ziehe ich auch gar nicht mehr so definitiv eine Grenze, wann etwas nun Lyrik und wann Prosa ist. Für mich liegt das in einem abstrakten innerlichen Rhythmus begründet, der sich dann auf Sprache und Bilder niederschlägt. Meine Prosa jedenfalls liest sich ganz anders als meine Lyrik.
Und erzählende Gedichte haben ja z.B. auch in der Balladenform ihre Tradition, wobei ich diesen Text nicht als solche einordnen würde.
Danke für eure Kommentare. Hat mich gefreut :)

LG David
 

ENachtigall

Mitglied
Ich dachte an die Wollfaden-Bilder
in deinem Flur, als du erzähltest, so
ein Schmerz in deinen Zügen, als stricktest
du die Erinnerung in deine Haut.
Hallo David,

hier müsste es " ... als sticktest du ... heißen, weil im Vergleich die Haut das Tuch ist und beim Stricken die Fäden mit nur einer Nadel da hindurch gezogen werden. Beim Stricken hingegen entsteht das Gewebe an zwei großen Nadeln und wächst aus der Verschlingung der Fäden.
Vielleicht ist Dir das überschüssige R aber auch nur so aus Versehen dazwischen geraten.

Wie sich das Wasser in seinen diversen Aggregatzuständen durch das "Portrait er alten Dame" zieht, so wachsen auch die Nuancen ihrer Persönlichkeit zu einem eindrucksvollen ganzen Leben zusammen, das Du den Leser nachspüren lässt.
Ich finde das sehr gelungen.


Grüße von Elke
 

Nightingale

Mitglied
Hallo ENachtigall,

da hast du tatsächlich einen Fehler gefunden, der weder mir noch sonst irgendjemandem sonst bisher aufgefallen ist.
Ansonsten freue ich mich über die positiven Worte zu diesem Text.

LG David
 



 
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