Wasserläufer

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vimana

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Fasziniert schaute er dem leichtfüßigen Huschen der Wasserläufer zu, wie sie sich ruckartig auf langen Beinen scheinbar mühelos auf der Oberfläche bewegen konnten.
So etwas auch zu Wege bringen, schoss es dem alten Peter durch den Kopf. Überhaupt wollte er schon immer etwas Großes, Niedagewesenes machen. Gegen Ende glaubte er die Zeit dafür gekommen. Und weil schon so viel Einzigartigkeit von so vielen beansprucht wurde, wollte er etwas einzigartig Einzigartiges vollbringen. Was Jesus mit zwei schaffte, die Wasserläufer mit sechs Beinen leisten, sollte ihm mit vier gelingen. Auf allen Vieren übers Wasser schreiten, gleiten eher, krabbeln wenigstens. Fester Wille, Vertrauen, Disziplin und Mut sollten seine Stützen sein.
Peter, der Allzufrührentner lebte allein und zurückgezogen in einem arg vernachlässigten Häuschen am Rand eines Sees. Ja, die Zeit war nun gekommen, sich herauszufordern, sich zu beweisen. Hatte viel von wundersamen Dingen gehört, wusste, wozu Menschen in der Lage sind. Feuerlaufen, Glasscherbenessen, Zungedurchbohren. Andere ließen sich eingraben, leckten glühende Kohlen, hängten sich an den Haaren auf oder stellten sich einfach in ein Flussbett, bis Fische ihnen das Fleisch von den Beinen weggeknabbert hatten. Überwasserlaufen war neu, einzigartig eben. Wenn man mal vom Heiland absehen mochte. Mit dem wollte sich Peter nun doch nicht messen. Aber mit Wundermännern und Fakiren schon. Mit den unscheinbaren Wasserläufern allemal.
Peter erkannte sofort ein erstes Problem. Sein Gewicht. Und so magerte er sich zunächst runter, dass bei hellem Gegenlicht man durch ihn hindurchsehen konnte. Und von Derwischen wusste er, dass sie bei ekstatischem Gottesgedenken die Kunst des Atemhaltens beherrschten und so schwebende Leichtigkeit verspürten. Peter übte sich in dieser Fertigkeit und konnte sich dabei so aufblähen, dass er wie ein Ballon zu schweben glaubte. Und als die wenigen Umwohnenden den alten Peter tagelang um seine Hütte auf allen Vieren krabbeln sahen, meinten sie, er sei nun völlig übergeschnappt.
Petrus, so wurde er zuweilen auch genannt, weil er mit wuscheligem Apostelkopf nur am Ufer oder mit dem Boot auf dem See den Fischen hinterher zu sehen war. Außerdem schien der Fischer fromm zu sein, nicht kirchenfromm, eher selberfromm. So von Natur aus. Den wenigen, denen es gelang, in seine Behausung einzudringen, fielen überquellendes heiliges Zeug auf samt Portraits von wundersamen Typen. Komische Heilige alles.
Nun war es an der Zeit. Auf besonderes Wasserüben verzichtete er. Petrus vertraute seinen vier Stützen und schritt zur Tat. Etwas erregt schon. Immerhin stand womöglich die Revolutionierung der gesamten Seefahrt bevor. Fähren, Boote, ja Schiffe aller Art gerieten überflüssig.
An einem Sonntagmorgen in aller Frühe, Gaffer und Nachäffer mochte er nicht, ruderte Petrus sein Boot weit auf den See hinaus. Mit einem leichten Blick gen Himmel und einem schweren in die Tiefe empfahl er sich irgendwie und irgendwem, zog Unmengen Luft, blähte sich auf, hielt sie an und ließ sich aufs Wasser nieder, worin er augenblicklich versank
Und auf dem wieder spiegelglatten See, ganz nahe beim leeren Boot ruckten Wasserläufer.
 



 
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