Welche Farbe hat der Regen ?

5,00 Stern(e) 1 Stimme

Cirias

Mitglied
WELCHE FARBE HAT DER REGEN ?



Ich sah in Svanjas Lächeln. Der Regen zog Glasfäden in der Luft. Regenschatten flaggten die Wände der Häuser.

Ich lief fast jeden Tag über die Felder und Wiesen in das nahe Dorf, wo Svanja hinter dem Ladentresen stand und, so bildete ich mir ein, nur auf mich wartete. In ihrem Laden war alles voller Farben und Gerüche. Wenn der Winterregen manchmal tage – und wochenlang über der Insel hing, verweilte ich gern in ihrem Laden. Dann standen wir beide oft hinter dem Schaufenster und sahen hinaus in den Regen, der wie ein durchsichtiger Schleier aus den Tiefen des Himmels fiel. Manchmal spürte ich ihren Atem an meinem Hals.

Wieder war es Winter und ich konnte es nicht erwarten, nach der Schule in den kleinen Laden am Marktplatz zu laufen, auch wenn ich gar keine Besorgungen für meine Mutter zu erledigen hatte. Ich rannte über die vom Regen aufgeschwemmten Wege, sprang über Pfützen und flache Seen. Ich spürte, wie der Regen unter meine Kleidung rann, sah auf die silbrigen Spuren, die das Wasser auf den Regenschirmen der Vorübergehenden und auf dem Lack der Autos hinterließ.

Es ging das Gerücht, dass Svanja bald auf das Festland gehen würde, um dort die Universität zu besuchen. Ich wagte nicht sie danach zu fragen.

Als ich an diesem Nachmittag in ihrem Laden stand, war der Regen sehr stark. Er spülte alle Farbe von den Dingen. Svenja trat an meine Seite. Ich spürte ihren Atem in meinem Nacken. „Welche Farbe hat der Regen“, flüsterte sie mir ins Ohr. Ich sah sie an. Ihre Augen waren farblos. Auf ihrer Iris schwamm eine blasse Regenhaut. Svanjas Augen waren wie der Regen. „Der Regen hat nachgelassen. Du musst jetzt gehen“, sagte sie leise.

Ich nahm meinen Korb und rannte aus dem Laden. Der Himmel riss auf und ich sah auf ein fernes Stück Blau, das den Horizont mit Licht tönte. Der Regen kroch unter meine Kleidung und meine Haut, er sog mich auf und zog mich in das Blau, das in meiner Erinnerung an die letzten Tage meiner Kindheit Svanjas Augen füllte.
 



 
Oben Unten