Weltmüde

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Weltmüde

I

Hab all eure Liebe
geschmiegt an die Sterne
allein und auf Knien überstanden
hab meine Seele, lockend duftend
ausgebreitet in den Raum
bis meine Engel und Teufel mich fanden
Niemals aber ihr.

II

Sie hoben mich hoch in den Himmel hinein
jauchzend ritt ich auf Wolken
und warfen mich ab und ließen mich los
mit steinschwerer Brust stürzte ich
nur eine ängstliche Bitte bloß
hinab in tosende Stille – allein.

III

Kein Geräusch dringt an mein Ohr
außer das Schließen der Lider
wund gerieben im Schoße der Welt
heb ich sie lauschend wieder
ins Übermaß der Nacht hinein
kein Laut klingt wie zuvor.

IV

Obdachlos schläft alles Sehnen
heimlich unter niemands Brücken
von fern hör ich leise Gesang
Der Morgen ergießt mich in alle Gassen
und tägliches Ringen wird ohne Belang
Ich will mich nackt an neue Sterne lehnen.


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© Eve Avatar 2004​
 
L

Lotte Werther

Gast
An freifrau von löwe

Als ich mich von den Metaphern dieses Textes einfangen und hineinfallen ließ, habe ich darin erkannt, dass du dich nicht nur nackt an Sterne, sondern gekonnt auch an Rilke lehnst.

Was macht diese Nähe aus? Sind es allein Worte wie Engel, Sterne, Lieder, lauschen, Sehnen? Das allein wohl kaum, denn dann wären viele Texte Rilke nachempfunden. Auch nicht die römische Ziffrierung der Strophen, die man auch bei Rilke antrifft.

Nein, es ist die damit verbundene Stimmung, die Bilder, die du malen kannst.
Ja, du kannst es.

Ich lese die Strophen wie ein Gebet „allein und auf Knien überstanden“ und möchte sie nach mehrmaliger Lektüre mit „Schließen der Lider“ in einem monotonen Singsang hersagen. Nur an einigen Stellen werde ich unterbrochen, „heb ich sie lauschend wieder“.

Um auch in einem Bild zu sprechen, es ist mir, als läge ich mit geschlossenen Augen in der Sonne und ließe mich von der Wärme tragen, bis unvermittelt eine Wolke mir den Schatten kühl über die Lider streift und ich mit einem kleinen Unbehagen die Augen öffne.

hab meine Seele, lockend duftend

Sie hoben mich hoch in den Himmel [strike]hinein[/strike]

von fern hör ich leise Gesang

Hier wäre es für einen fließenden Rhythmus wert, daran zu feilen.

Ich möchte nicht zu sehr sezieren, und Lyrik muss nicht strenger Logik folgen. Wenn du dich dennoch mit dem logischen Ablauf der Bewegungen anfreunden kannst, könntest du die Zeile „und warfen mich ab und ließen mich los „, umstellen.

Wortbilder wie „Der Morgen ergießt mich in alle Gassen“ oder „Obdachlos schläft alles Sehnen
heimlich unter niemands Brücken“
lassen mich andächtig werden. Deshalb auch der Vergleich mit einem Gebet.

Als Letztes diese tröstliche Feststellung: du bist nicht weltmüde.

Du fällst aus der Vergangenheit "mit steinschwerer Brust stürzte ich" in die Gegenwart: "Kein Geräusch dringt an mein Ohr" und erhoffst dir Zukunft: "Ich will mich nackt an neue Sterne lehnen."

Die Zeiten der Verben verraten dich. Wie schön.

Lotte Werther
 
liebe lotte,

wiederum ein danke für die intensive beschäftigung mit meinem gedicht.

dass ich scheints an rilke lehne, wird wohl daran liegen, dass es zeiten gab, in denen ich rilke atmete und aß... :)

es hat mir sehr geholfen, längere texte von ihm zu lesen, wie z. b. malte laurids brigge, um immer wieder nachzufühlen, was mir seine bilder sagen und es umgekehrt zu versuchen: vom fühlen in den kopf aufs papier. und es fällt mir immer noch sehr schwer.

ansonsten ist der vergleich allerdings so, als würde man einen steckerlfisch mit einem delphin vergleichen...

ich mir werde auf jeden fall die zeit nehmen um in ruhe nachzudenken, über das, was du als verbesserungswürdig befunden hast.

lieben gruß
 
S

Sandra

Gast
Auch mir gefallen die Metaphern hier sehr gut. Lotte hat denke ich, schon sehr viel zu deinen Zeilen gesagt, auch den Bezug zu Rilke aufgeführt, den ich auch nachempfunden habe. Mir gefällt dein Gedicht sehr, sehr gut. Es läßt mich fühlen und empfinden und anders, als es bonanza wohl gelesen haben muss, konnte ich sehr viel für mich daraus gewinnen.

Danke

Sandra
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
ausgeblendeter Beitrag...

Schade: da ich ein sehr neugieriges Wesen bin, hätte ich doch zu gern gewußt, was ein Leser/Schreiber wie Bonanza zum Gedicht reflektierte... Sollte das so daneben gewesen sein?

Pen.
 



 
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