Wenn Mary wütend wird

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Conny

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[red]Anmerkung: Alle Personen dieser Erzählung existieren wirklich und verhalten sich auch so! Einige Namen wurden geändert.[/red]


Mitten in der Nacht klingelte das Telefon. Sarah konnte es nicht fassen. Was denn jetzt schon wieder? Sie nahm widerwillig den Hörer ab. Meldete sich, hatte schlechte Laune. Es war Mary, Mutter ihrer besten Freundin Jacky. Sie war besoffen, wie immer.
"Sarah? Ihr müßt mir helfen!"
"Was denn?"
"Du hältst die Klappe!", lallte sie. "Hör zu, der Freddy hat mich verkloppt. Und ich hab ihn rausgeschmissen."
"Ja und?"
"Jetzt red ich! Jacky und du, ihr müßt kommen und eurer Mutter helfen!"
Mary bezeichnete Sarah als ihre Stieftochter. Sie kannte sie schon lange. Jacky und Sarah waren in den gleichen Kindergarten gegangen. Sarah seufzte.
"Weißte, wie spät das ist!"
"Außerdem hab ich die Bullen angerufen! Ich mach Anzeige gegen den Mutterficker! Er hat den Schlüssel, Sarah, ich bin in meiner eigenen Wohnung nicht mehr sicher! Und mein Geld, das letzte bißchen, hat er geklaut!"
Jacky wurde wach. Sarah zeigte auf das Telefon und sagte: "Mary!"
"Gib mir mal meine kleine Jacky!", sagte Mary.
Jacky winkte ab und tippte sich an die Stirn.
"Nee, red mit mir, die ist noch halb am Pennen!"
"Kommt ihr oder kommt ihr nicht? Warte...ich hör die Tür, der Schweineficker...!"
Sarah hörte, wie Mary das Telefon wegwarf. Jacky zog eine genervte Miene.
"Was will die?"
"Die sagt, wir sollen kommen, der Freddy hat sie verkloppt."
Jacky störte sich kaum noch an Marys Eskapaden. Das ging nun schon ihr ganzes Leben so.
Am Telefon hörte Sarah Mary Schreien.
"Ich habe die Sarah am Telefon! Die kommen gleich, du Hurenarsch!"
Freddy stotterte irgendwas. Sarah verstand nichts Genaues. Plötzlich hatte sie ihn am Apparat. Mary schrie: "Gib das Telefon her, du schwuler Mutterficker!
Freddy stotterte: "Hör mamamal, Sarah! Die Mamamary spielt dodoof! Die wowollte mir eine Bierflasche über den Kokopf schlagen! Die ist lelebensgefährlich!"
Sarah hörte, wie Mary ihm den Hörer aus der Hand riß.
"Sarah! Ihr müßt kommen! Ich will mit dem Affenarsch nicht alleine sein! Gib mir mal meine Jacky!"
"Vertragt euch wieder. Das bringt doch nix!"
"Ich mich vertragen? Nicht eher bis ich ihm die Augen ausgekratzt habe!"
Fredy rief: "Dada, höhörst du, Sarah? Die spispinnt!"
Mary fauchte, Sarah hörte, wie sie auf ihn losging.
"O.k., wir kommen!"


Bis zur Mary waren es zehn Minuten mit dem Auto. Schnell was angezogen und dann los. Die Straßen waren noch völlig überlaufen vom letzten Unwetter. Aber schön leer.
Die Sozialgegend, in der Mary wohnte, schlief noch nicht. Gleich nebenan standen die Container für die Flüchtlinge. Eine karge und dreckige Gegend. Dicke Mercedes versperrten ihnen den Weg. Araber, Zigeuner, Türken, dunkle Geschäfte abwickelnd. Sarah versuchte, cool zu bleiben. Ein ganz normales Gesicht machen, nicht zu neugierig, nicht zu gelangweilt. Scheiße, dachte sie. Die lassen uns nicht vorbei. Jacky hielt den Wagen an und wartete. Die Dealer, oder was auch immer sie waren, verhielten sich unauffällig. Im schwachen Licht wirkten sie wie Raubkatzen, auf Beute lauernd. Sarah bekam Schiss. Wenn sie jetzt auf sie zukämen? Hier würde sich keiner an ihre Schreie stören. Die war man hier gewohnt.
Nach einigen Minuten stiegen sie in ihre dicken Kisten und brausten davon. Jacky fuhr an und parkte auf dem Hof zu Marys Haus. Im ganzen Haus brannte Licht. Unter Marys Wohnung die Familie mit den sechs Kindern. Alleinerziehnder Vater. Mutter hatte sich mit einem Ausländer aus dem Staub gemacht. Das Älteste der Kinder war ungefähr zwölf und hatte Haare wie ein Engel. Im Haus stank es nach Hund.
Sie klopften an Marys Tür. Hörten sie leise redend näher kommen.
"Kommt rein!"
Ihr kurzes, blondiertes Haar war völlig durcheinander. Wie Zuckerwatte stand es in alle Richtungen vom Kopf ab.
Sie ging ins Wohnzimmer, knallte sich auf ihre Coauch.
Es stank nach Schnaps.
"Ich hab ihn rausgeschmissen! Die Bullen kommen auch gleich!"
Sie nahm einen Schluck von dem Schoppen.
"Der verdammte Hurenarsch! Das wird der bereuen! Kommt, Kinder! Ich trete ihm jetzt die Bude ein!"
"Mama, hör doch auf!"
Jacky war sichtlich genervt.
"Ich zieh mir eben was über!"
Sie kam mit einem Pelzmantel, den sie noch aus ihren Glanzzeiten hatte, zurück.
"Kommt, jetzt gibts einen auf die Zwölf!"
Sie verließen das Haus. Freddy wohnte nur zwei Straßen weiter, ein Katzensprung. Mary nannte sich gerne eine Katze, denn wie diese, glaubte sie, sieben Leben zu besitzen.


Die Haustür stand offen. Auch in diesem Haus roch es nach Moder. Freddy wohnte im zweiten Stock. Auf den Treppen kam ihnen ein Mann entgegen, auch blau. Er stierte sie an. Fremde im Haus? Gefährlich? Ach was, egal! Er taumelte weiter. Vor der Wohnungstür angekommen. Mary klopfte, die Schelle war kaputt. Nichts geschah.
"Pass mal auf, du alter Hurenbock!"
Mary ging einen Schritt zurück, holte mit dem rechten Bein aus und trat gegen die Tür. Die fiel - Bumms! - nach innen in den Korridor.
"So!"
Mary lachte.
Jacky hob die Tür wieder auf, lehnte sie gegen den Türrahmen. Die Wohnung sah schlimm aus. Gelb vom Nikotin die Wände, Wohnzimmer und Küche ein Raum, spärlich eingerichtet. Schlafzimmer übervoll mit Klamotten. Ein leerer Vogelkäfig stand auf dem Schrank. Aufgeräumt war es. Doch die Armut war nicht zu übersehen.
"Die Tür wurde nicht zum ersten Mal eingetreten!", sagte Mary. "Der alte Mutterficker hat Feinde! Und passt mal auf, Kinder, was ich jetzt mach!"
Sie öffnete den Kühlschrank, nahm einige Tuppadosen und Töpfe raus und leerte die Inhalte auf den Boden.
Rosenkohl vom Mittagessen, eine Suppe vom Abend, Käsestückchen, Gewürzgurken. Mary sagte: "So!" Sie begutachtete ihr Werk, hatte aber noch nicht genug. Aus dem Schlafzimmer holte sie einige Hemden und schmiß sie in die Lauge. Stampfte mit ihren kleinen Füßen auf ihnen herum.
"Noch mehr?", fragte sie.
"Nee, das reicht!", sagte Jacky und grinste ein bißchen.
"Lass und abhauen!", meinte Sarah. "Bevor er kommt!"
Sie verließen die Wohnung. Mary lachte, sie konnte sich kaum am Treppengeländer halten. Plötzlich Schritte! Schnell nach oben in die oberste Etage! Mary kam kaum hoch, so blau wie die war.
"Falscher Alarm!" entwarnte Jacky. "War jemand anders!"
Also wieder runter. Und aufpassen, dass Mary nicht fiel. Jacky hielt sie am Pelzmantel fest.
"Jetzt geh ich pennen!", sagte Mary.
Hoffentlich, dachte Jacky. Mary kicherte wieder.
"Was meint ihr, was der denken wird? Kommt nach Hause und hat seinen ganzen Kühlschrank auf dem Boden! Das hat der Arsch vedient. Der weiß nicht, dass man eine Mary Deko nicht so behandelt. Nicht mit ner Mary Deko!"
Als Mary zu Hause war, legte sie sich auf ihre Couach. Der Fernseher lief noch immer. Der bekam nie eine Pause.
"Wir hauen jetzt ab!", sagte Jacky.
"Ja gut, Kinder. Ich penn jetzt auch."
Schweigend und müde fahren sie nach Hause.
Der Mond stand und Himmel und schien zu Grinsen.
Auch so ein Irrer!
 
N

niclas van schuir

Gast
Eine solche Geschichte kann kaum der Fantasie entspringen, sie schreit geradezu nach Insiderkenntnissen. Nichts für Schöngeister, aber hervorragend für Szenen eines sozialkritischen Films geeignet. Verdammt gut, Conny, obwohl sicherlich nicht jedermanns/-frau Sache. Ich punkte hoch!
LG, Nic
 



 
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