Wenn Nacht beginnt

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Carina M.

Mitglied
Ins Nichts zerfließen Tage, Nächte winden sich
in kühlen Kissen kraftlos hingegossen
doch immer noch liegt gänzlich unverdrossen
ein Sehnen in den Federn heimlich sicherlich

Wenn Nacht beginnt dann kommen all die Träume
zurück in eine Wehmutswirklichkeit
noch immer wie vor längst vergangener Zeit
erfüllt ihr Schimmer schwerelos die Räume

Das Schöne aber will ich mir bewahren
und an dich denken bei des Mondes Schein
auch später dann nach noch so vielen Jahren

bleibst du mir in Erinnerung, allein
ist auch der Zug der Zeit davon gefahren
der Traum von uns wird immer bei mir sein
 
Dein Sonett, bestehend aus zwei Quartetten und drei Terzetten im Schema - abba - cddc - efe - fef - beschreibt die Vorgänge im Innern beim Andenken an den geliebten Menschen, dessen Liebenswürdigkeiten noch immer greifbar in der Luft schweben. Vor seiner Erinnerung verblassen die Begebenheiten des Tages. Die Nächte sind erfüllt von Einsamkeit („Wehmutswirklichkeit”), man kann keine Kraft mehr aus der gelösten Verbindung schöpfen. Die Sehnsucht nach dem Verlorenen ist noch stark. In Träumen bringt sie einen Abglanz glücklicherer Tage, den es zu bewahren gilt – auch nach noch so vielen Jahren, wenn „der Zug der Zeit” längst davongefahren sein wird. Dieser Traum, in dem das erlebte Beisammensein lebendig wird, währt ewig.

Was dem Partner widerfahren ist, wird nicht gesagt. Das gibt dem Leser die Möglichkeit, Vermutungen anzustellen und es sich zusammenzureimen. Vielleicht ist es gar nicht so wichtig, was mit dem verlorenen Menschen geschah. Doch es liegt eine gewisse Schwermut in den Zeilen, was darauf schließen lässt, dass er etwa den Kampf gegen eine Krankheit verloren hat oder ähnliches. Hier geht es um das, was in der hinterbliebenen Person vorgeht. Was immer auch geschehen sein mag, die Erzählperson leidet, aber mit einer gewissen Stärke und in dem Wissen, dass es wieder aufwärts geht.

Du hast das alles gefühlvoll und sehr persönlich ausgedrückt. Auch die Sprache ist sehr poetisch: „Tage zerfließen, Nächte winden sich”, „kraftlos hingegossen”, „der Zug der Zeit” etc. Gleich zu Beginn erschaffst du mit dem Bett und dem Kissen (dem Ruheplatz des Kopfes, wo alles „zusammenkommt”), die Szene des „privaten Umfelds” schlechthin. Gibt es einen privateren Ort als das eigene Bett? Vor diesem Bild schweifen die Gedanken und Träume in den restlichen Strophen dahin, bei des Mondes Schein.

Das Sonett wirkt auf mich besinnlich, sehr sensibel für die eigene Gefühlswelt. Sie wird wahrgenommen, beobachtet - und auch zugelassen, bis sie sich von selbst wieder verändert. Eine Trennung zu verarbeiten, braucht Zeit und Muse. Das kommt in deinem Werk gut rüber!

Mir hat es ausnehmend gefallen!

Liebe Grüße
Markus
 

Carina M.

Mitglied
Lieber Markus,
ich danke dir herzlich für deinen ausführlichen und wundervollen Kommentar.

Mich erstaunt sehr, was du alles aus dem Text zu lesen vermagst und zeigt mir noch einmal, wie nah der Text immer noch in mir selber schlummert.
Auch nach noch so vielen Jahren.

Sei herzlich gegrüßt,
Carina
 
Liebe Carina,

erst mal möchte ich dir für deine herzliche Antwort danken! Ich schätze, ich kann's nur schwer verhindern, dass ich so ausführlich kommentiere. Immer habe ich anfangs vor, mich kurz zu fassen (eine der wichtigsten Schreibregeln überhaupt), aber dann knie ich mich voll rein, ohne es zu merken, und ich setze mich intensiv mit dem erwählten Text auseinander, der immer noch interessanter und noch reizender wird - und ich schreibe und schreibe, und schließlich breche ich mir einen ab, um das Ding endlich auf den Punkt zu bringen :) Auch nach so vielen Jahren. Schau dir nur mal an, wie lang dieser Absatz hier ist, selbst ohne den Satz, den du gerade liest :)

Man kann viel herauslesen, wenn man seine Vorstellungskraft spielen lässt, wobei ich mich manchmal etwas bremsen muss, da sonst zu viel dabei heraus kommt.

Vielleicht wird nur eine Sache, die einem wichtig genug erscheint, aufgeschrieben. Aber weil sie einem so wichtig ist, steht sie ewig ebenso in die Seele eingemeißelt. Vermutlich wird einem erst durch die mitgeteilte Sicht aus anderen Augen bewusst, was man unbewusst alles zwischen den Zeilen ins eigene Werk hat miteinfließen lassen.

Es ist mir eine Ehre, dir einen so "wundervollen Kommentar" geschrieben zu haben.

Sei ganz lieb gegrüßt!
Markus
 

Walther

Mitglied
Liebe Carina,

sehr wehmütiges Sonett. Gefällt mir.

Allerdings sind in S1Z1 und Z4 je eine Hebung zuviel hineingeraten (sonst durchgehend 5, dort 6).

Gruß W.
 

Carina M.

Mitglied
Lieber Markus,

ich finde es wirklich bemerkenswert wie sehr du dich in den Text reinfallen lassen, in tieferen Schichten lesen kannst und nicht nur an der Oberfläche bleibst.
Dafür danke ich dir.

Deine langen Sätze zeigen mir wie gerne du schreibst und den Dingen auf den Grund gehen möchtest.

Es ist (leider) so, dass ich (fast) immer sehr Persönliches mit in den Text fließen lasse und du hast Recht, nicht immer wird mir das so deutlich bewusst.

Ich kann ja auch nur das schreiben, was ich selber empfinde.

Herzliche Grüße,
Carina
 

Carina M.

Mitglied
Hallo Walther,

es freut mich, wenn dich mein Sonett erreicht hat.

Nun ja, ich gestehe, mit den Hebungen und Co stehe ich echt auf Kriegsfuß. Es reicht mir schon wenn ich Silben zählen soll, bis es passt. ;)

Aber wie heißt es so sinnig: "Man kann alt werde wie ne Q und lernt immer noch dazu." :)

Carina...immer noch lernend
 

Walther

Mitglied
Hi Carina,

man kann nur über das schreiben, was man empfindet. Die Frage ist, wie weit hat man es verarbeitet und transzendiert.

Das Metrenbild:
Ins Nichts zerfließen Tage, Nächte winden sich
xXxXxXxXxX[red]xX[/red]
in kühlen Kissen kraftlos hingegossen
xXxXxXxXxXx
doch immer noch liegt gänzlich unverdrossen
xXxXxXxXxXx
ein Sehnen in den Federn heimlich sicherlich
xXxXxXxXxX[red]xX[/red]

Wenn Nacht beginnt dann kommen all die Träume
xXxXxXxXxXx
zurück in eine Wehmutswirklichkeit
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noch immer wie vor längst [red]vergangner[/red] Zeit
xXxXxXxXxX
erfüllt ihr Schimmer schwerelos die Räume
xXxXxXxXxXx

Das Schöne aber will ich mir bewahren
xXxXxXxXxXx
und an dich denken bei des Mondes Schein
xXxXxXxXxX
auch später dann nach noch so vielen Jahren
xXxXxXxXxXx

bleibst du mir in Erinnerung, allein
xXxXxXxXxX
ist auch der Zug der Zeit davon gefahren
xXxXxXxXxXx
der Traum von uns wird immer bei mir sein
xXxXxXxXxX
Eine Silbe habe ich ver "vergang[strike]e[/strike]ner" gleich noch rausgenommen, weil dort eine Senkung (unbetonte Silbe / kleines "x") ebenfalls zuviel war.

Eigentlich ist das ganz einfach. :D Aber, wie man sieht, bei mir hapert es auch immer mal wieder.

LG W.
 
B

Benedikt Behnke

Gast
Hi!

Schönes Sonett, besonders der Anfang gefällt mir sehr, sie sind kraftstrotzend, wahr, richtig, aber irgendwie erscheint mir die Formulierung "liegt gänzlich unverdrossen" nicht ganz auf der Höhe des Vorangegangenen ... störe mich besonders an "gänzlich" ... kA ... die letzte der vier Zeilen finde ich nicht so berauschend, bloß "heimlich sicherlich" hat was ... die ersten beiden Zeilen der zweiten Strophe allerdings sind wieder toll, besonders der Ausdruck "Wehmutswirklichkeit"!
Ansonstens gefällt mir noch sehr "will ich mir bewahren", mit dem Rest kann ich mich nicht 100%ig anfreunden, auch wenn's natürlich eine gute Lösung ist, aber du hast so bahnbrechend gut begonnen, da - so finde ich - verlangt's nach mindestens Ebenbürtigem! =P
Sorry!

Gruß
Bene
 

Carina M.

Mitglied
Ins Nichts zerfließen Tage, Nächte winden sich
in kühlen Kissen kraftlos hingegossen
doch immer noch liegt gänzlich unverdrossen
ein Sehnen in den Federn heimlich sicherlich

Wenn Nacht beginnt dann kommen all die Träume
zurück in eine Wehmutswirklichkeit
noch immer wie vor längst vergangner Zeit
erfüllt ihr Schimmer schwerelos die Räume

Das Schöne aber will ich mir bewahren
und an dich denken bei des Mondes Schein
auch später dann nach noch so vielen Jahren

bleibst du mir in Erinnerung, allein
ist auch der Zug der Zeit davon gefahren
der Traum von uns wird immer bei mir sein
 

Carina M.

Mitglied
Hallo Bene
freut mich, dass du es dennoch als gut befunden hast.
Ich bin nicht perfekt (noch lange nicht und ob ich es jemals sein werde ist auch fraglich) aber ich versuche gut zu sein.
Ob's immer gelingt?

Liebe Grüße,
Carina
 



 
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