Wenn der Elvis mit der Oma...

Eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1959

Meine Großmutter Hanni, eine kleine, kugelrunde Sächsin, war eine überaus lebenslustige und humorvolle Frau. Sie liebte ein gutes „Tröpfchen“, frisch gemahlenen Bohnenkaffee, Dresdner Stollen und – Elvis Presley.

Als Elvis Ende der fünfziger Jahre in Friedberg/Hessen stationiert war und in Bad Nauheim wohnte, hatte sie ihren sechzigsten Geburtstag längst hinter sich, und ich, ihre Enkelin, befand mich gerade in der Pubertät. Wir schwärmten beide für Elvis, jede auf ihre Art. Oma war angetan von seiner Stimme, und ich fand alles an ihm großartig.
Gemeinsam hörten Hanni und ich uns unzählige Male auf einem kleinen, tragbaren Plattenspieler „One night“ und „A fool such as I“ an, die erste Elvis-Singleplatte, die wir damals besaßen.
„Ne scheene Stimme!“ fand meine Großmutter.
„Ein toller Kerl“, ergänzte ich.

Es war die Zeit, in der ich meine ersten Portraitversuche mit Bleistift machte, vornehmlich von Elvis. Und die gelangen auf Anhieb und fanden bei meinen Schulfreundinnen reißenden Absatz.
„Ach, Oma, ein Autogramm von Elvis auf einem Portrait, das wäre was!“
„Nu, mir gehn hin und lassen uns ens gäm.“
„Was? Du kommst mit?“
„Ich lass dich doch nich allene!“
So war meine Oma. Jung geblieben im Geist und jederzeit bereit, ihrer Enkelin einen Herzenswunsch zu erfüllen.

Ohne sie hätte ich mich niemals getraut, an der Haustür in der Goethestraße Nummer 14 zu klingeln.
Hier wohnte Elvis im letzten Jahr seiner Soldatenzeit in Deutschland, und wir Bad Nauheimer hatten manchmal das Vergnügen, ihm vor seinem Domizil, in der Stadt oder im Park zu begegnen, meist in Begleitung seiner Leibwächter. Allein unterwegs war er meist nur in seinem flotten, weißen Flitzer, mit dem er vor allem zum Dienst in die Friedberger Kaserne fuhr.

Vor seinem Haus versammelten sich immer Scharen von wartenden jungen Leuten, die extra angereist waren, um ihn einmal zu sehen. Sie belagerten nicht nur den Bürgersteig, sondern auch den Vorgarten und die Treppenstufen bis vor die Haustür. Einige lehnten sich an die am Gehsteig geparkten Cadillacs oder bekritzelten den weißen Holzzaun, der die kleine Villa zur Straße hin abgrenzte, mit Liebesschwüren. Andere vertrieben sich die Zeit beim Tauschen von Autogrammkarten und sonstigen Elvissouvenirs.
Ab und zu ließ sich ein aufgebrachter Leibwächter in der Haustür blicken und versuchte vergeblich, die wartende Meute zu verjagen.
Wenn Elvis dann in seinem weißen Sportwagen angefahren kam, freute er sich meistens über das Gekreische der Mädchen, und kaum dass er die Tür seines Wagens abgeschlossen hatte, gab er noch auf der Straße freundlich und geduldig Autogramme auf Fotokarten, in Schulhefte und wer weiß wohin. Dabei ließ er sich gerne fotografieren, und die eine oder andere Schöne erhaschte sogar ein Küsschen von ihm.

Wie gut, dass ich meine Oma dabei hatte! Das Gedränge war wieder einmal besonders groß.
Welche Großmutter interessierte sich damals schon für den King of Rock und Roll? Ich kannte nur eine, und das war meine. Wie war ich stolz auf sie!

Hanni zögerte nicht lange und verschaffte sich energisch Platz, mich dabei hinter sich herziehend. Nachdem wir es endlich geschafft hatten, die Treppenstufen bis zur Haustür hinauf zu gelangen, drückte meine Oma gleich mehrere Male auf den Klingelknopf, während ich den Umstehenden stolz meine selbstgefertigte Zeichnung unter die Nasen hielt.
Insgeheim hatte ich mir schon einige Sätze in Englisch eingeprägt, mit denen ich Elvis begrüßen und um ein Autogramm bitten wollte. Oh, wie war ich aufgeregt! Hoffentlich würde ich nichts durcheinander bringen und keinen knallroten Kopf bekommen. Schließlich wollte ich ihm doch gefallen.
„Nu, was is“, brummte meine Großmutter ungeduldig, nachdem uns nicht sofort geöffnet wurde.
Die Umstehenden lächelten nur mitleidig und meinten: „Das bringt nichts. Es macht niemand auf.“
Aber sie kannten meine Oma nicht.
„Das wärn mer ja sehn“, entgegnete sie und klingelte unverdrossen weiter.

Da! Mit einem Mal wurde die Tür ruckartig aufgerissen, und ein bulliger Leibwächter blickte wütend in die Runde. Unüberhörbar gab er zu verstehen, dass wir schnellstens zu verschwinden hätten, alle und auf der Stelle. Die kleine Oma vor sich musste er übersehen haben, denn er bemerkte sie erst, nachdem er sie fast umgestoßen hätte.
Für einen Moment schaute er verblüfft auf sie herunter, dann auf meine Zeichnung, die ich ihm ängstlich entgegen hielt, und schon war er ohne ein weiteres Wort wieder hinter der Tür verschwunden.
Meine Großmutter war sprachlos und ich den Tränen nahe.

Doch gleich darauf öffnete sich die Haustür ein zweites Mal.
Die Fans kreischten, und mir wäre fast das Herz stehen geblieben – Elvis!
Sofort kam Bewegung in die wartende Menge, die nach vorne drängte. Währenddessen begrüßte der große Elvis schelmisch lächelnd und mit freundlichen Worten, die mir nicht in Erinnerung geblieben sind, meine glücklich strahlende, kleine Oma. Sie palaverte unbefangen in sächsisch drauflos, und für eine Weile unterhielten sie sich auf eine vergnügliche Art und Weise, bei der keiner von beiden verstand, was der andere sagte. Die gegenseitige Sympathie war unübersehbar.
Nebenbei signierte Elvis meine mitgebrachte Zeichnung, ohne dass ich Gelegenheit gehabt hätte, mein Schulenglisch in die Praxis umzusetzen, denn er hatte nur noch Augen für Hanni.

Später auf unserem Nachhauseweg rechnete sie sich vor, dass Elvis ihr Enkel sein könnte, und seufzte dabei sehnsüchtig: “Ach, wär das scheen!“
 
Eine wahre Geschichte aus dem Jahr 1959

Meine Großmutter Hanni, eine kleine, kugelrunde Sächsin, war eine überaus lebenslustige und humorvolle Frau. Sie liebte ein gutes „Tröpfchen“, frisch gemahlenen Bohnenkaffee, Dresdner Stollen und – Elvis Presley.

Als Elvis Ende der fünfziger Jahre in Friedberg/Hessen stationiert war und in Bad Nauheim wohnte, hatte sie ihren sechzigsten Geburtstag längst hinter sich, und ich, ihre Enkelin, befand mich gerade in der Pubertät. Wir schwärmten beide für Elvis, jede auf ihre Art. Oma war angetan von seiner Stimme, und ich fand alles an ihm großartig.
Gemeinsam hörten Hanni und ich uns unzählige Male auf einem kleinen, tragbaren Plattenspieler „One night“ und „A fool such as I“ an, die erste Elvis-Singleplatte, die wir damals besaßen.
„Ne scheene Stimme!“ fand meine Großmutter.
„Ein toller Kerl“, ergänzte ich.

Es war die Zeit, in der ich meine ersten Portraitversuche mit Bleistift machte, vornehmlich von Elvis. Und die gelangen auf Anhieb und fanden bei meinen Schulfreundinnen reißenden Absatz.
„Ach, Oma, ein Autogramm von Elvis auf einem Portrait, das wäre was!“
„Nu, mir gehn hin und lassen uns ens gäm.“
„Was? Du kommst mit?“
„Ich lass dich doch nich allene!“
So war meine Oma. Jung geblieben im Geist und jederzeit bereit, ihrer Enkelin einen Herzenswunsch zu erfüllen.

Ohne sie hätte ich mich niemals getraut, an der Haustür in der Goethestraße Nummer 14 zu klingeln.
Hier wohnte Elvis im letzten Jahr seiner Soldatenzeit in Deutschland, und wir Bad Nauheimer hatten manchmal das Vergnügen, ihm vor seinem Domizil, in der Stadt oder im Park zu begegnen, meist in Begleitung seiner Leibwächter. Allein unterwegs war er meist nur in seinem flotten, weißen Flitzer, mit dem er vor allem zum Dienst in die Friedberger Kaserne fuhr.

Vor seinem Haus versammelten sich immer Scharen von wartenden jungen Leuten, die extra angereist waren, um ihn einmal zu sehen. Sie belagerten nicht nur den Bürgersteig, sondern auch den Vorgarten und die Treppenstufen bis vor die Haustür. Einige lehnten sich an die am Gehsteig geparkten Cadillacs oder bekritzelten den weißen Holzzaun, der die kleine Villa zur Straße hin abgrenzte, mit Liebesschwüren. Andere vertrieben sich die Zeit beim Tauschen von Autogrammkarten und sonstigen Elvissouvenirs.
Ab und zu ließ sich ein aufgebrachter Leibwächter in der Haustür blicken und versuchte vergeblich, die wartende Meute zu verjagen.
Wenn Elvis dann in seinem weißen Sportwagen angefahren kam, freute er sich meistens über das Gekreische der Mädchen, und kaum dass er die Tür seines Wagens abgeschlossen hatte, gab er noch auf der Straße freundlich und geduldig Autogramme auf Fotokarten, in Schulhefte und wer weiß wohin. Dabei ließ er sich gerne fotografieren, und die eine oder andere Schöne erhaschte sogar ein Küsschen von ihm.

Wie gut, dass ich meine Oma dabei hatte! Das Gedränge war wieder einmal besonders groß.
Welche Großmutter interessierte sich damals schon für den King of Rock und Roll? Ich kannte nur eine, und das war meine. Wie war ich stolz auf sie!

Hanni zögerte nicht lange und verschaffte sich energisch Platz, mich dabei hinter sich herziehend. Nachdem wir es endlich geschafft hatten, die Treppenstufen bis zur Haustür hinauf zu gelangen, drückte meine Oma gleich mehrere Male auf den Klingelknopf, während ich den Umstehenden stolz meine selbstgefertigte Zeichnung unter die Nasen hielt.
Insgeheim hatte ich mir schon einige Sätze in Englisch eingeprägt, mit denen ich Elvis begrüßen und um ein Autogramm bitten wollte. Oh, wie war ich aufgeregt! Hoffentlich würde ich nichts durcheinander bringen und keinen knallroten Kopf bekommen. Schließlich wollte ich ihm doch gefallen.
„Nu, was is“, brummte meine Großmutter ungeduldig, nachdem uns nicht sofort geöffnet wurde.
Die Umstehenden lächelten nur mitleidig und meinten: „Das bringt nichts. Es macht niemand auf.“
Aber sie kannten meine Oma nicht.
„Das wärn mer ja sehn“, entgegnete sie und klingelte unverdrossen weiter.

Da! Mit einem Mal wurde die Tür ruckartig aufgerissen, und ein bulliger Leibwächter blickte wütend in die Runde. Unüberhörbar gab er zu verstehen, dass wir schnellstens zu verschwinden hätten, alle und auf der Stelle. Die kleine Oma vor sich musste er übersehen haben, denn er bemerkte sie erst, nachdem er sie fast umgestoßen hätte.
Für einen Moment schaute er verblüfft auf sie herunter, dann auf meine Zeichnung, die ich ihm ängstlich entgegen hielt, und schon war er ohne ein weiteres Wort wieder hinter der Tür verschwunden.
Meine Großmutter war sprachlos und ich den Tränen nahe.

Doch gleich darauf öffnete sich die Haustür ein zweites Mal.
Die Fans kreischten, und mir wäre fast das Herz stehen geblieben – Elvis!
Sofort kam Bewegung in die wartende Menge, die nach vorne drängte. Währenddessen begrüßte der große Elvis schelmisch lächelnd und mit freundlichen Worten, die mir nicht in Erinnerung geblieben sind, meine glücklich strahlende, kleine Oma. Sie palaverte unbefangen in sächsisch drauflos, und für eine Weile unterhielten sie sich auf eine vergnügliche Art und Weise, bei der keiner von beiden verstand, was der andere sagte. Die gegenseitige Sympathie war unübersehbar.
Nebenbei signierte Elvis meine mitgebrachte Zeichnung, ohne dass ich Gelegenheit gehabt hätte, mein Schulenglisch in die Praxis umzusetzen, denn er hatte nur noch Augen für Hanni.

Später auf unserem Nachhauseweg rechnete sie sich vor, dass Elvis ihr Enkel sein könnte, und seufzte dabei sehnsüchtig: “Ach, wär das scheen!“
 



 
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