Karl Feldkamp
Mitglied
Bis der Tod mitlacht
„Von wegen – Schluss mit lustig. Mir geht es um das Ende aller ernsthaften Vernunft.
Das Ende des Lebens kommt für mich unweigerlich, ob ich mich nun darüber lustig mache oder ihm ernsthaft entgegenblicke. Also, warum es nicht gleich mit Totlachen versuchen?! Ich will keine ernst dreinblickenden Beerdigungsgesichter.“ Das waren Hedwigs Worte, als sie aus dem Krankenhaus zurückkam und nur noch krächzen konnte. Sie begann heiser, japsend und so laut sie konnte zu lachen. Ihre leicht eingefallenen Wangen erröteten und sie schlug sich mit der Faust gegen die Brust.
Hedwig wollte kein Begräbnis. Schließlich gab sie den Wünschen ihrer beiden Töchter nach, legte aber Wert darauf, schlicht und ohne Pomp beerdigt zu werden. Keine Kränze und keine Blumen. Das eingesparte Geld für die Krebshilfe, waren ihre Bedingungen.
Als sie Wochen später nicht mehr reden und sich nur noch schreibend verständigen konnte, vereinbarte sie sowohl mit Marianne, ihrer älteren Tochter als auch mit ihrer jüngeren Tochter Regine, die seit knapp zehn Jahren mit dem reichen Autohändler Ferdinand Reising verheiratet war, eine einfache Urnenbeisetzung im Friedwald.
Nach Hedwigs Tod ließ Schwiegersohn Ferdinand dem Bestattungsunternehmer umgehend einen nagelneuen Leichenwagen zu äußerst günstigen Konditionen zukommen.
Hedwigs Beerdigung verzögerte sich. Das Krematorium war stark ausgelastet.
Am liebsten wäre Hedwig gewesen, ihre Asche auf einem Berg dem Wind zu überlassen. Jedenfalls hatte sie mir das, als sie noch reden konnte, immer wieder bei unserem wöchentlichen Plausch in meiner Wohnung gesagt. Hedwig liebte Sturm. „Der weht dir sinnlose Gedanken aus dem Kopf!“ Und sie wollte des Aufwindes wegen mit zweiundsiebzig noch einen Segelflugschein oder wegen des Fahrtwindes wenigstens noch den Motorradführerschein machen.
Der nagelneue von Schwiegersohn Ferdinand gelieferte Leichenwagen fuhr am Eingang zum Friedwald vor. Auf der Nummerschildbefestigung warb Autohaus Reising mit seinem roten unverkennbaren Schriftzug.
„Warum muss für eine einzige Urne so ein protziger Leichenwagen vorfahren?“ zischte Hedwigs jüngere Tochter Regine, ihrem Ewald zu, der von Montag bis Freitag zwischen 8.00 und 16.00 Uhr bei der Stadtverwaltung im Tiefbauamt Bauanträge bearbeitete. Ewald antwortete grinsend: „Wir mit unseren Gehältern im Öffentlichen Dienst werden uns kein solches Begräbnis leisten können.“
Regine nickte. „Schwester Marianne hätt sich wenigstens schwarze Strümpfe leisten können. Aber dann sieht man an den Beinen das teure Urlaubsbraun von den Malediven nicht.“
Die Urne wurde an einer riesigen Buche beigesetzt. Hedwig liebte Bäume und vor allem Buchen. „Wenn der Wind das Laub erfasst, dieses Rauschen…“ schwärmte sie, bevor der Kehlkopfkrebs sie nicht mehr schwärmen ließ.
Bei der Leichenfledderei im Waldcafé saß ich mit Marianne und ihrem Autohändler am Tisch und verwickelte Ferdinand Reising in eine politische Diskussion.
„Wollen Sie etwa ernsthaft behaupten, die Umweltpolitik entspricht den Regeln logischer Vernunft. Wenn ich da zum Beispiel an Autoabgase denke….“
Ferdinand Reisig lächelte. Sein dröhnender Bass nahm den überzeugendsten Klang an. „Die Rußpartikelfilter bei Dieselfahrzeugen sind heute schon sehr ausgereift!“
Er strich über seinen breiten zitronengelben Schlips, schob seinen Bauch zurecht, während seine Frau auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen begann. „Ich weiß nicht, ob das die richtigen Gesprächsthemen zur Beerdigung von Mutter sind?“
Ich nickte, legte behutsam meine langfingrige Hand auf Ferdinands kurzfingrige. „Finden Sie es denn gerecht, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden? Der Teufel scheißt bekanntlich nur auf große Haufen. Und christliche Politiker wollen uns weismachen, der liebe Gott habe ähnliche Verdauungsgewohnheiten.“
Ferdinand Reisig begann lauthals zu lachen.
Plötzlich wurde es still im Cafè. Nur das Scheppern des Geschirrs von der Theke und Ferdinands Lachen. Beides verhallte als Echo und die Trauergemeinde nahm murmelnd ihre Gespräche wieder auf.
Anklagend hob ich die Arme. „Reichtum macht auch nicht glücklich. Und das Märchen vom Hans im Glück ist nur ein Märchen.“
Ferdinand nickte leidenschaftlich. „Dieser Hans war ein Verrückter, der von profitablen Tauschgeschäften absolut nichts verstand.“
Auf einmal fiel mir Hedwig und deren Wunsch ein, ihre Asche dem Wind zu überlassen.
Die Tische im Café waren zu einem offenen U zusammen geschoben. Ich erhob mich, ging langsam in die Öffnung des U und bat um Ruhe.
Tochter Regine half mir mit ihrer schriller Stimme: „Hedwigs Nachbar will noch was sagen!“
Ich musste mich lange räuspern. „Ja, ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Hedwig eigentlich gar nicht beerdigt werden wollte. Sie hielt mehr vom Fliegen, wollte, dass ihre Asche vom Wind in alle Himmelsrichtungen geweht wird.“
Regine bekam feuchte Augen und nickte heftig.
Noch einmal räusperte ich mich ausgiebig. „Also, das wollte ich nur noch einmal gesagt haben. Und jetzt möchte ich mich verabschieden.“
Ganz langsam ging ich zur Tür des Gastzimmers. Bevor ich die Tür von außen schloss, hörte ich, wie Marianne, die Ältere rief. „Meine Mutter war viel zu bescheiden.“ Und ihr Autohändler bestätigte mit dröhnendem Bass: „Eigentlich hätte sie ein großes Begräbnis verdient.“
Als ich aus dem Café kam, empfing mich Nieselregen. Zielstrebig ging ich zu meinem Auto auf dem Parkplatz und holte aus dem Kofferraum eine kleine Schaufel, die ich mir am Tag zuvor im Baumarkt gekauft hatte. Außerdem nahm ich aus dem Handschuhfach noch die Plastiktüte, die, falls ich sie bei Einkäufen brauchte, dort bereit lag.
An den Gräsern recht und links der feuchten Wege des Friedwalds hingen schillernde Wassertropfen. Neben Hedwigs Buche steckte im Boden, der ihre Urne bedeckte, eine langstielige dunkelrote Rose. Vorsichtig zog ich sie heraus und begann hastig zu buddeln.
Die Urne war nicht besonders tief vergraben. Behutsam hob ich sie aus dem Loch, öffnete sie, stülpte die Plastiktüte über die Öffnung und drehte die Urne um.
Keine Asche.
Vorsichtig entfernte ich die Plastiktüte. Ein Zettel. Mit rotem Filzstift beschrieben: Ich wollte Erde unter, nicht über mir.
Unwillkürlich begann ich laut zu lachen.
„Von wegen – Schluss mit lustig. Mir geht es um das Ende aller ernsthaften Vernunft.
Das Ende des Lebens kommt für mich unweigerlich, ob ich mich nun darüber lustig mache oder ihm ernsthaft entgegenblicke. Also, warum es nicht gleich mit Totlachen versuchen?! Ich will keine ernst dreinblickenden Beerdigungsgesichter.“ Das waren Hedwigs Worte, als sie aus dem Krankenhaus zurückkam und nur noch krächzen konnte. Sie begann heiser, japsend und so laut sie konnte zu lachen. Ihre leicht eingefallenen Wangen erröteten und sie schlug sich mit der Faust gegen die Brust.
Hedwig wollte kein Begräbnis. Schließlich gab sie den Wünschen ihrer beiden Töchter nach, legte aber Wert darauf, schlicht und ohne Pomp beerdigt zu werden. Keine Kränze und keine Blumen. Das eingesparte Geld für die Krebshilfe, waren ihre Bedingungen.
Als sie Wochen später nicht mehr reden und sich nur noch schreibend verständigen konnte, vereinbarte sie sowohl mit Marianne, ihrer älteren Tochter als auch mit ihrer jüngeren Tochter Regine, die seit knapp zehn Jahren mit dem reichen Autohändler Ferdinand Reising verheiratet war, eine einfache Urnenbeisetzung im Friedwald.
Nach Hedwigs Tod ließ Schwiegersohn Ferdinand dem Bestattungsunternehmer umgehend einen nagelneuen Leichenwagen zu äußerst günstigen Konditionen zukommen.
Hedwigs Beerdigung verzögerte sich. Das Krematorium war stark ausgelastet.
Am liebsten wäre Hedwig gewesen, ihre Asche auf einem Berg dem Wind zu überlassen. Jedenfalls hatte sie mir das, als sie noch reden konnte, immer wieder bei unserem wöchentlichen Plausch in meiner Wohnung gesagt. Hedwig liebte Sturm. „Der weht dir sinnlose Gedanken aus dem Kopf!“ Und sie wollte des Aufwindes wegen mit zweiundsiebzig noch einen Segelflugschein oder wegen des Fahrtwindes wenigstens noch den Motorradführerschein machen.
Der nagelneue von Schwiegersohn Ferdinand gelieferte Leichenwagen fuhr am Eingang zum Friedwald vor. Auf der Nummerschildbefestigung warb Autohaus Reising mit seinem roten unverkennbaren Schriftzug.
„Warum muss für eine einzige Urne so ein protziger Leichenwagen vorfahren?“ zischte Hedwigs jüngere Tochter Regine, ihrem Ewald zu, der von Montag bis Freitag zwischen 8.00 und 16.00 Uhr bei der Stadtverwaltung im Tiefbauamt Bauanträge bearbeitete. Ewald antwortete grinsend: „Wir mit unseren Gehältern im Öffentlichen Dienst werden uns kein solches Begräbnis leisten können.“
Regine nickte. „Schwester Marianne hätt sich wenigstens schwarze Strümpfe leisten können. Aber dann sieht man an den Beinen das teure Urlaubsbraun von den Malediven nicht.“
Die Urne wurde an einer riesigen Buche beigesetzt. Hedwig liebte Bäume und vor allem Buchen. „Wenn der Wind das Laub erfasst, dieses Rauschen…“ schwärmte sie, bevor der Kehlkopfkrebs sie nicht mehr schwärmen ließ.
Bei der Leichenfledderei im Waldcafé saß ich mit Marianne und ihrem Autohändler am Tisch und verwickelte Ferdinand Reising in eine politische Diskussion.
„Wollen Sie etwa ernsthaft behaupten, die Umweltpolitik entspricht den Regeln logischer Vernunft. Wenn ich da zum Beispiel an Autoabgase denke….“
Ferdinand Reisig lächelte. Sein dröhnender Bass nahm den überzeugendsten Klang an. „Die Rußpartikelfilter bei Dieselfahrzeugen sind heute schon sehr ausgereift!“
Er strich über seinen breiten zitronengelben Schlips, schob seinen Bauch zurecht, während seine Frau auf ihrem Stuhl hin und her zu rutschen begann. „Ich weiß nicht, ob das die richtigen Gesprächsthemen zur Beerdigung von Mutter sind?“
Ich nickte, legte behutsam meine langfingrige Hand auf Ferdinands kurzfingrige. „Finden Sie es denn gerecht, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer werden? Der Teufel scheißt bekanntlich nur auf große Haufen. Und christliche Politiker wollen uns weismachen, der liebe Gott habe ähnliche Verdauungsgewohnheiten.“
Ferdinand Reisig begann lauthals zu lachen.
Plötzlich wurde es still im Cafè. Nur das Scheppern des Geschirrs von der Theke und Ferdinands Lachen. Beides verhallte als Echo und die Trauergemeinde nahm murmelnd ihre Gespräche wieder auf.
Anklagend hob ich die Arme. „Reichtum macht auch nicht glücklich. Und das Märchen vom Hans im Glück ist nur ein Märchen.“
Ferdinand nickte leidenschaftlich. „Dieser Hans war ein Verrückter, der von profitablen Tauschgeschäften absolut nichts verstand.“
Auf einmal fiel mir Hedwig und deren Wunsch ein, ihre Asche dem Wind zu überlassen.
Die Tische im Café waren zu einem offenen U zusammen geschoben. Ich erhob mich, ging langsam in die Öffnung des U und bat um Ruhe.
Tochter Regine half mir mit ihrer schriller Stimme: „Hedwigs Nachbar will noch was sagen!“
Ich musste mich lange räuspern. „Ja, ich möchte noch einmal daran erinnern, dass Hedwig eigentlich gar nicht beerdigt werden wollte. Sie hielt mehr vom Fliegen, wollte, dass ihre Asche vom Wind in alle Himmelsrichtungen geweht wird.“
Regine bekam feuchte Augen und nickte heftig.
Noch einmal räusperte ich mich ausgiebig. „Also, das wollte ich nur noch einmal gesagt haben. Und jetzt möchte ich mich verabschieden.“
Ganz langsam ging ich zur Tür des Gastzimmers. Bevor ich die Tür von außen schloss, hörte ich, wie Marianne, die Ältere rief. „Meine Mutter war viel zu bescheiden.“ Und ihr Autohändler bestätigte mit dröhnendem Bass: „Eigentlich hätte sie ein großes Begräbnis verdient.“
Als ich aus dem Café kam, empfing mich Nieselregen. Zielstrebig ging ich zu meinem Auto auf dem Parkplatz und holte aus dem Kofferraum eine kleine Schaufel, die ich mir am Tag zuvor im Baumarkt gekauft hatte. Außerdem nahm ich aus dem Handschuhfach noch die Plastiktüte, die, falls ich sie bei Einkäufen brauchte, dort bereit lag.
An den Gräsern recht und links der feuchten Wege des Friedwalds hingen schillernde Wassertropfen. Neben Hedwigs Buche steckte im Boden, der ihre Urne bedeckte, eine langstielige dunkelrote Rose. Vorsichtig zog ich sie heraus und begann hastig zu buddeln.
Die Urne war nicht besonders tief vergraben. Behutsam hob ich sie aus dem Loch, öffnete sie, stülpte die Plastiktüte über die Öffnung und drehte die Urne um.
Keine Asche.
Vorsichtig entfernte ich die Plastiktüte. Ein Zettel. Mit rotem Filzstift beschrieben: Ich wollte Erde unter, nicht über mir.
Unwillkürlich begann ich laut zu lachen.