Wenn ein kleiner Kerl Großes tut

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tinta

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Zugegeben, die Geschichte passt jetzt nicht ganz zur Jahreszeit, aber vielleicht lässt sie ja den ein oder anderen doch an wärmere Tage denken... Ich freue mich über jeden Kommentar. Ehrlich! Liebe Grüße, Tinta

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Also, das ist mir ja noch nie passiert: Da finde ich mich heute morgen um 8.30 Uhr plötzlich auf den Treppen zum Firmeneingang wieder und starre voller Faszination auf einen dicken, behäbigen Käfer, der die Stufe entlang zöckelt.

"Ein richtiger Maikäfer!" denke ich und bin ganz verstört, dass ich den Spinnenbecher nicht dabei habe. Weil gerade niemand in der Nähe ist, laufe ich ins nächste Großraumbüro und platze mit meiner Neuigkeit heraus, dass da draussen wahrhaftig ein echter Maikäfer auf den Stufen herum-krabbelt. Zwar löst sich eine Kollegin aus der Runde und guckt ihn sich an, aber gegen die Begeisterungsstürme meines Sohnes kann sie natürlich nicht anstinken. Also trabe ich die zwei Stockwerke hoch in mein Büro, denn mittlerweile ist mir eingefallen, dass ich ja eigentlich zur Arbeit wollte und dass ich mich vielleicht mal zwei Etagen höher blicken lassen sollte. Mein Chef wird als erster informiert.

"Sehr unglücklich, dass ich den Spinnenbecher nicht dabei habe", denke ich laut. "Wann sieht man schon mal einen Maikäfer? Am liebsten würde ich ihn mitnehmen zum
Kindergarten." Und: "Aber ich kann ihn ja wohl schlecht den halben Tag gefangenhalten, oder?"

Mein Chef ist nicht nur ein Chef, sondern auch Vater zweier Kinder – jedenfalls sieht er das anders: "Warum nicht? Fangen Sie ihn doch ein."

Das reicht. Manchmal genügt ein winziger Stups und schon weiß man, was zu tun ist. Ich krame in meinem Büroschrank und finde eine ausgediente Quarkschale. "500 g Sommerquark, 0,2% Fett" steht darauf. Und "Onken."
Durchsichtiger Plastikdeckel. Genau das richtige für kleine
(und große) Forscher. Trabe wieder runter. Eiligen Schrittes. Jeder denkt vermutlich, gute Güte, die hat wahrlich immer viel zu tun.

Wenig später hocke ich also auf den Stufen und ertappe
mich beim Käfernapping. Stolz präsentiere ich ihn wenig später meinem Chef und meiner Kollegin. Verwegen nehme ich hierzu extra den Deckel ab. "Der kann sicher fliegen?" gibt mein Chef zu bedenken. Erschrocken schmeisse ich den Deckel wieder oben drauf.

Nur eine Reaktion aus alten Zeiten.
"Der arme Kerl." Meine Kollegin zeigt Mitleid. So kommt es, dass ich die Treppen wieder schleunigst herunter trabe. Und wieder werden die anderen sich gewundert haben, dass ich es so eilig habe heute morgen. Während nämlich oben meine Kollegin gemütlich am Schreibtisch sitzt und Löcher in den Plastikdeckel bohrt, zupfe ich, perfekt ausgerüstet mit Schere und Schüssel, in gebückter Haltung Grünes für den Käfer. Dabei rutscht mir der Rock meines Kostüms einen Tick zu weit über die Knie. Sehr zur Begeisterung der Bauarbeiter, die mich offenen Mundes anstarren. Ich runzele die Stirn. Ich habe Wichtigeres zu tun: Löwenzahnblättchen (riecht eindeutig nach Ruccola!) und Gras pflücken am Rande des Firmenparkplatzes. Noch so eine Entdeckung: Salat werde ich zukünftig nicht mehr kaufen, wo ich ihn gleich vor der Bürotür habe.

Tja, und wo ich das gerade zu Papier bringe, da fällt mir auf, dass das mir passiert ist. Ich, die noch vor ein paar Jahren hysterisch keifend auf dem armen Sechsbeiner herum-getrampelt hätte! Und zwar so lange, bis man aus den Überresten nicht mehr viel hätte erkennen können.

Da hat er schon Großes geleistet, der kleine Kerl. Ich meine den, der sich heute mittag riesig über meinen Fund freuen wird.
 

tinta

Mitglied
Freut mich, dass Euch die Geschichte gefallen hat. Dass die armen Käfer einst als Spielzeug verkauft wurden, habe ich nicht gewusst. Ich glaube, ich hätte mir auch keinen gekauft... Lieben Gruß, Tinta
 



 
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