Wertstoff

JCC

Mitglied
Wertstoff

Mitternacht.
Der Vollmond stand über dem verfallenen Friedhof und warf sein gespenstisches Licht auf die verwitterten Grabsteine. Ein modriger Geruch lag über den Gräbern.
In der Ferne wieherte ein Uhu.
Drei Männer kamen mit geschulterten Schaufeln durchs Friedhofstor. Ihre Wege trennten sich, und jeder von ihnen begann seine Arbeit an einem anderen Grab.
Einige Zeit später trafen sie sich wieder vorm Tor. Jeder trug einen schlaffen Körper über der Schulter, die Stoffetzen, die von den Körpern herunterhingen, flatterten im Nachtwind, oder vielleicht waren es auch Hautfetzen, wenn man bedenkt, daß bei längeren Grabaufenthalt der persönliche Zusammenhalt immer leidet, so daß zum Beispiel auch die Augen und die Zunge... nein, lassen wird das.
Sie flatterten also im Wind, die Fetzen.
„Meine stinkt.“
„Und meine erst. Und die Fingernägel sehen so komisch aus.“
„Und der Kopf schaukelt so seltsam.“
„Hört auf, ihr zwei Schwachköpfe! Wenn wir sie kaputtmachen, kriegen wir keinen Pfennig mehr dafür!“
„Du meinst wirklich, daß man uns die alten Dinger noch abkauft? Die sind ja völlig vergammelt.“
„Na und? Die werden doch eingefroren. Und dem Hackfleisch sieht man's hinterher auch nicht mehr an. Kann ja nicht jeder ein Steak werden.“
Ächzend trotteten die drei mit ihrer fauligen Last die Straße entlang und erreichten bald die Fabrik.

Die Sonne blinkte fröhlich zwischen den Bäumen auf dem Spielplatz hindurch.
Ein Haufen Nachwuchs saß im Sandkasten. Ein Eismann hielt an der Straße und klingelte.
„Der Eeeeeismaaaaann!“, brüllte ein Kind, „ich will ein Eis, sofort!“
„Ich auch, ich auch, ich auch!“
„Nehmt mich mit!“
Die Kinderhorde stürmte auf den Wagen zu, und wenige Minuten später saßen sie schmatzend auf dem Boden herum. Jemand schmiß mit Sand auf ein fremdes Eishörnchen und verlor kurz darauf zwei Zähne, ein Vanillebällchen flog quer über den Platz und ins Gesicht eines Alten, der sich mit heruntergelassener Hose im Gebüsch am fröhlichen Treiben der Kinder ergötzte und die eine oder andere Unschuld wurde gegen Erdbeer mit Sahne gehandelt.
Doch plötzlich unterbrach ein Schrei die Idylle.
„Nein! Neinneinnein! Jetzt hab ich gar kein Geld mehr! Wie soll ich mir jetzt 'Die Rache des verrückten Mutantenhausmeisters' im Kino angucken!?“
„So'n Pech, Du Fressack.“
„Ich hab's total vergessen... ich warte schon seit Wochen auf den Film! Ich brauch Geld. Gibt mir einer Geld? Bitteee...“
„Du spinnst wohl. Sieh doch zu, wie du zu Geld kommst!“
„Hm...“
Die kleinen Hände des Abgebrannten umfaßten sein Schäufelchen fester und er blickte sich suchend um. Ein kleiner, schielender Junge saß in einer Ecke des Sandkastens und lutschte sabbernd an einer Kugel Waldmeister herum.
„He, du!“
Er zog die Schultern hoch und tat so, als hätte er nichts gehört.
„Du da, Kurzer!“
„Jaaa...?“
„Komm doch mal mit zur Rutsche!“
Der Kleine blickte unschlüssig. Der Junge mit der Schaufel baute sich drohend vor ihm auf.
„Du bist doch ein guter Kumpel, oder?“
„Na... na gut...“
Er stand auf und ging zur Rutsche. Der andere zog ihn in deren Schatten und blickte etwas ratlos.
„Was ist?“
„Ich hab sowas noch nie gemacht.“
„Was?“
„Egal. Leg dich mal hin.“
„Wiesoooo?“
„Mach schon, du lahme Ente.“
Er knuffte ihn mit der Schaufel. Der kleine Junge zuckte zusammen.
„Auf den Bauch.“
„Ja, und jetzt mach schon.“
Er legte sich in, und der andere kniete über ihm. Probeweise betastete er den Nacken des Kleineren, und hieb dann kräftig mit der scharfen Kante Schaufel in dessen Genick. Das Opfer zuckte einmal auf und ein dünnes Rinnsal von Blut vermischte sich mit dem Sand.
Der Junge warf sich die Leiche über die Schulter und wanderte unter den bewundernden Blicken seiner Freunde in Richtung Straße. „Für den krieg ich genug, um mir auch noch 'Die Rückkehr der Killerförmchen' anzugucken.“

Ein nettes Reihenhaus in einer ordentlichen Straße in einem sauberen Stadtviertel.
„Schatz? Ich bin zurühüück!“
„Schön. Ich hab auch schon das Essen vorbereitet.“
Die Frau holte eine Schüssel Kartoffeln und eine braune Soße aus der Küche.
„Guten Appetit.“
„Willst du nichts von der Pilzsoße?“
„Och nö, ich esse die Kartoffeln lieber so. In Soßen ist soviel Fett drin, sagen die bei Weight Watchers.“
„Na gut.“
„Du?“
„Erinnerst du dich an den Mantel, den ich letzte Woche kaufen wollte? Dieses wunderbare Stück, von dem Du steif und fest behauptetest, er sei zu teuer, und den ich schweren Herzens im Laden zurückließ?“
„Ja, wieso?“
Der Mann lief blau an, riß den Mund auf, rang nach Luft und fiel wie ein Stein vom Stuhl zu Boden.
„Ach, nur so.“
Sie schleifte ihn aus dem Zimmer, packte ihn in den Kofferraum und fuhr zur Fabrik.

Die Fabrik war eine große Halle, in der viele Arbeiter am Fließband saßen und die Lieferungen ausnahmen, zerteilten und weiterverarbeiteten. Die Lieferanten standen vor dem Eingangsschalter Schlange, manche hatten nur ein Kind im Rucksack, manche gingen gebeugt unter der Last ihrer älteren Verwandten.
In einer Ecke war eine Art Büro durch zwei Milchglaswände abgeteilt. Eine Frau saß darin, beschäftigte sich mit Papierkram und warf gelegentlich einen zufriedenen Blick auf das Treiben in der Halle. Plötzlich stürmte ein Mann ins Büro.
„Eine Katastrophe! Stoppen Sie die Verarbeitung, schmeißen Sie die Leute raus!“
„Was ist denn los? Machen Sie doch nicht so einen Aufstand.“
„Der Verbraucherschutz hat Rindfleisch wieder für unbedenklich befunden! Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Leute den Empfehlungen wieder vertrauen! Wer wird uns unsere Ware dann noch abnehmen? Rindfleisch ist so viel billiger, wir haben keine Chance! Wir werden pleite gehen...“
Die Frau runzelte die Stirn. „Hm hm...“
„Was machen wir denn jetzt!?“
„In die Seifenfabrik.“
 

Haggard

Mitglied
Hi JCC

Hab in letzter Zeit keine Posts mehr von dir gefunden, bis
ich diese Geschichte hier, gut bei der Satire, versteckt
fand.

Eine der besten Geschichten, die ich bis jetzt hier gelesen
habe.
 

JCC

Mitglied
Oha!
Ich bin erschüttert!
Heißt das, in Satire guckt eh keiner rein? :(

Ja, ich war in letzter Zeit ein bißchen anderweitig beschäftigt, aber jetzt werde ich mich mal wieder dem Dummes-Zeug-Schreiben widmen. ;)

Freut mich, daß Du die Geschichte magst. :)
 

Druidencurt

Mitglied
Ein Labsal für meine Augen, die allerfeinste Geilheit, komm aus dem Schmunzeln nicht mehr raus !!! *ggg*

Bei soviel Mühe eine glatte 10 von mir

Gruß

Druidencurt
 

Tanshee

Mitglied
Hi, JCC!

Sooo böse - einfach schön! :) :) :)
Absolute Klasse!
Und jetzt weiß ich endlich, wo ich meine bestgehaßte Kollegin hinschicken werde!

Liebe Grüße,
Tanshee
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wow - ein echter JCC! Ab in meine Sammelmappe, wo ich die für meine Begriffe besten Geschichten der Lupe sorgsam verwahre. Danke auch für die Aufklärung. Jetzt weiß ich, daß die ganze BSE-Affäre reiner Schwindel ist. Sie wurde lediglich von Leuten in die Welt gesetzt, die etwas gegen die drohende Überbevölkerung tun wollen.

Gruß Ralph
 



 
Oben Unten