What you see
Man sagt, dass im letzten Augenblick das ganze Leben an einem vorbeizieht. In diesem Fall war es nur ein kurzer Eindruck. Sein Leben war kurz gewesen, vor allem sein zweites. Das erste endete mit dem Unfall. Sein zweites begann damit ihm. Und damit begann auch der Rückblick im letzten Moment seines Lebens.
Er erwachte plötzlich und schweißgebadet wie aus einem Alptraum. Alles um ihn herum war dunkel. Er setzt sich ruckartig im Bett auf. Dafür wurde er mit einem brennenden Schmerz im Gesicht und in den Augen bestraft. Seine Hand ging zum Kopf und ertastete vorsichtig die Bandagen. Er konnte sich nicht erinnern. Warum war er hier? Was war geschehen?
Bei diesen Fragen begann sein Herz wie wild zu hämmern, und er hörte zum ersten Mal bewusst das laute Piepsen der Maschine neben sich. Dann erklang ein Rauschen und er ahnte, dass eine Türe geöffnet wurde. Kurz darauf schien Licht durch seine geschlossenen Augen.
Er spürte, wie das Bett sich bewegte und seine Finger in eine warme Hand genommen wurden.
„Wie geht es ihnen?“, sprach eine sanfte, weibliche Stimme.
Als er nur ein Grunzen zustande brachte, streichelte sie seine Hand.
„Sie haben lange geschlafen, aber sie werden wieder gesund. Sie hatten einen Unfall.“
Er presste ihre Hand aus Angst vor der Erinnerung. Doch es stellten sich keine Bilder ein. Nur Dunkelheit.
„Wie?“, fragte er.
„Ein Autounfall. Sie haben ihr Augenlicht verloren.“
Er straffte sich in seinem Bett.
„Aber beruhigen sie sich. Wir haben ihnen zwei neue Augen eingesetzt. Sie werden wieder sehen können.“
Er hörte sie noch etwas von Organspende sagen, doch da war er schon fast wieder eingeschlafen.
Sein Leben änderte sich nach dem Unfall. Er war vorher ein junger, nicht unattraktiver Mann gewesen. Trotzdem war er immer verkrampft geblieben, nicht nur was den Kontakt zum anderen Geschlecht betraf. Mädchen konnte er nicht anlächeln, selbst wenn sie nett zu ihm waren. Seine Phantasien aller Art zügelte er durch reine Willensanstrengung. Kneipentouren waren ihm fremd und Freunde hatte er kaum welche.
Und nun starrte er in den Spiegel und wusste nicht mehr weiter. Quer durch sein Gesicht verlief eine dünne, kaum sichtbare Narbe von der Verletzung, die ihn auch sein Augenlicht gekostet hatte. Und mitten aus diesem ihm eigentlich so vertrauten Gesicht starrten ihn zwei fremde Augen an. Und sie schienen zu lächeln.
Er hatte Karl im Krankenhaus kennen gelernt. Er schien Karl auf den ersten Blick sympathisch zu sein, denn der junge Mann plapperte von Anfang an drauflos und sollte für die nächsten Wochen nicht mehr aufhören. So kam es, dass sich um Karl und ihn eine kleine Clique aus Pflegern und Krankenschwestern bildete, die auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bestand hatte. Sein Leben fing an sich zu verändern.
Während er früher oft zu Hause gesessen hatte und vor seinem Computer oder seinen Büchern gegrübelt hatte, fand er sich nun im Mittelpunkt von immer mehr Bekannten und Freunden abends in den Kneipen und Diskotheken der Umgebung wieder. Dabei habe ich mich gar nicht verändert, dachte er. Aber die Menschen fingen an, anders als früher auf ihn zu reagieren.
An diesem Abend saßen sie zu siebt in der Kneipe und ließen den Abend ausklingen. Er hatte sich zurückgelehnt, genoss die neue Atmosphäre und lauschte der angeregten Unterhaltung zwischen Karl und einigen Pflegern.
Wenn er sich überwand und den Mund öffnete, um etwas beizutragen, sahen die anderen ihn an und hörten zu. Meist lachten sie danach oder nahmen den Punkt begierig auf, um ihn zu diskutieren. Das war ein vollkommen neues Lebensgefühl. Ihm wurde fast mulmig vor Glück. Er starrte gedankenverloren in die Dunkelheit der Gaststätte, als ihm jemand auf den Arm tippte.
„Hast Du mal ne Kippe?“, fragte eine junge Frau neben ihm.
Er griff zur Packung auf dem Tisch und hielt sie ihr hin. Seine Augen wanderten über ihr Gesicht und ihre Haare. Dann senkte er seinen Blick und starrte auf den Hals, die Brüste und den Bauch. Vor seinem inneren Auge begannen ihre Kleider zu verschwinden. Langsam, Stück für Stück, Schicht für Schicht lösten sich zuerst der Pulli, dann das Unterhemd auf, bis sie nackt neben ihm saß.
Als sie seinen Blick bemerkte, lachte sie.
„Kommst Du mit nach draußen eine rauchen? Hier ist es mir zu stickig.“
Er nickte nur und stand auf.
Das eiskalte Wasser aus dem Hahn lief über sein Gesicht. Er prustete und hob den Kopf. Seine Augen starrten ihn aus dem Spiegel an. Waren dass seine Augen? Wenn nicht, wessen Augen waren es dann? Und was machten sie mit ihm? Sie ließen ihn Dinge sehen, von denen er vorher nie gewagt hatte zu träumen. Sie zeigten ihm die Wirklichkeit in einem anderen Licht. Bestimmte Dinge wirkten so... begehrenswert. Seine Augen zeigten ihm die Sachen, die er haben musste! Er wurde immer schwieriger seiner Lust zu widerstehen. Er fing an die Kontrolle zu verlieren.
Er blickte sich um. Das Mädchen aus der Kneipe lag dort bäuchlings auf seinem Bett. Sie hatte die Bettdecke nur notdürftig über den Rücken gezogen. Um sie herum schimmerte das Licht. Sie hatte diese gewisse Aura. Die Luft um sie herum schien zu glänzen und zu flimmern. Seine Augen hafteten auf ihrem Rücken. Sie zog ihn an.
Nein, er wurde angezogen, ließ sich anziehen. Irgendwo tief in ihm schrie sein altes Bewusstsein auf. Doch die Person, die er mal war, war dort verschüttet. In ihm herrschte nur noch was er sah. Und langsam ging er auf sie zu.
Nachdem er wegen mehrfachen Mordes zum Tode verurteilt wurde, durfte er ein letztes Mal telefonieren. Er wählte die Nummer der Klinik, in der er aufgewacht war und wartete.
Das Telefon tutete leise. Dann wurde abgehoben.
„Augenklinik Lichtblick, Prof. Dr. Schmitz am Apparat.“, hörte er eine freundliche Stimme am anderen Ende.
Er nannte seinen Namen und wartete auf eine Reaktion.
Zuerst folgte Stille, dann fuhr die Stimme kurz angebunden fort:
„Ich habe von Ihnen in den Nachrichten gehört. Eine Schande, um die Zeit, die wir in sie investiert haben. Sie sind nicht besser als der Spender Ihrer Augen. Was wollen Sie von mir?“
„Herr Professor, sie sprechen den Punkt bereits an. Woher stammen meine Augen?“
Wieder folgte eine kurze Stille.
„Sie wussten es nicht?“, flüsterte er?
„Nein.“
„Ihre Augen stammen von einem verurteilten Mörder, der erst vor wenigen Wochen hingerichtet wurde.“
„Wartet, ich habe noch einen letzten Wunsch!“, schrie er.
„Was denn?“, fragte der Wärter, der seine Hand schon auf den Hebel gelegt hatte.
„Ich will nicht, dass irgendetwas von mir als Organspende freigegeben wird. Vor allem nicht meine Augen! Ihr dürft mir meine Augen nicht nehmen.“
Der Wächter lachte.
„Du bist gut. Das kannst Du vergessen, die Augen bringen doch am meisten.“
Dann drückte der Wärter den Hebel nach unten.
Man sagt, dass im letzten Augenblick das ganze Leben an einem vorbeizieht. In diesem Fall war es nur ein kurzer Eindruck. Sein Leben war kurz gewesen, vor allem sein zweites. Das erste endete mit dem Unfall. Sein zweites begann damit ihm. Und damit begann auch der Rückblick im letzten Moment seines Lebens.
Er erwachte plötzlich und schweißgebadet wie aus einem Alptraum. Alles um ihn herum war dunkel. Er setzt sich ruckartig im Bett auf. Dafür wurde er mit einem brennenden Schmerz im Gesicht und in den Augen bestraft. Seine Hand ging zum Kopf und ertastete vorsichtig die Bandagen. Er konnte sich nicht erinnern. Warum war er hier? Was war geschehen?
Bei diesen Fragen begann sein Herz wie wild zu hämmern, und er hörte zum ersten Mal bewusst das laute Piepsen der Maschine neben sich. Dann erklang ein Rauschen und er ahnte, dass eine Türe geöffnet wurde. Kurz darauf schien Licht durch seine geschlossenen Augen.
Er spürte, wie das Bett sich bewegte und seine Finger in eine warme Hand genommen wurden.
„Wie geht es ihnen?“, sprach eine sanfte, weibliche Stimme.
Als er nur ein Grunzen zustande brachte, streichelte sie seine Hand.
„Sie haben lange geschlafen, aber sie werden wieder gesund. Sie hatten einen Unfall.“
Er presste ihre Hand aus Angst vor der Erinnerung. Doch es stellten sich keine Bilder ein. Nur Dunkelheit.
„Wie?“, fragte er.
„Ein Autounfall. Sie haben ihr Augenlicht verloren.“
Er straffte sich in seinem Bett.
„Aber beruhigen sie sich. Wir haben ihnen zwei neue Augen eingesetzt. Sie werden wieder sehen können.“
Er hörte sie noch etwas von Organspende sagen, doch da war er schon fast wieder eingeschlafen.
Sein Leben änderte sich nach dem Unfall. Er war vorher ein junger, nicht unattraktiver Mann gewesen. Trotzdem war er immer verkrampft geblieben, nicht nur was den Kontakt zum anderen Geschlecht betraf. Mädchen konnte er nicht anlächeln, selbst wenn sie nett zu ihm waren. Seine Phantasien aller Art zügelte er durch reine Willensanstrengung. Kneipentouren waren ihm fremd und Freunde hatte er kaum welche.
Und nun starrte er in den Spiegel und wusste nicht mehr weiter. Quer durch sein Gesicht verlief eine dünne, kaum sichtbare Narbe von der Verletzung, die ihn auch sein Augenlicht gekostet hatte. Und mitten aus diesem ihm eigentlich so vertrauten Gesicht starrten ihn zwei fremde Augen an. Und sie schienen zu lächeln.
Er hatte Karl im Krankenhaus kennen gelernt. Er schien Karl auf den ersten Blick sympathisch zu sein, denn der junge Mann plapperte von Anfang an drauflos und sollte für die nächsten Wochen nicht mehr aufhören. So kam es, dass sich um Karl und ihn eine kleine Clique aus Pflegern und Krankenschwestern bildete, die auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus bestand hatte. Sein Leben fing an sich zu verändern.
Während er früher oft zu Hause gesessen hatte und vor seinem Computer oder seinen Büchern gegrübelt hatte, fand er sich nun im Mittelpunkt von immer mehr Bekannten und Freunden abends in den Kneipen und Diskotheken der Umgebung wieder. Dabei habe ich mich gar nicht verändert, dachte er. Aber die Menschen fingen an, anders als früher auf ihn zu reagieren.
An diesem Abend saßen sie zu siebt in der Kneipe und ließen den Abend ausklingen. Er hatte sich zurückgelehnt, genoss die neue Atmosphäre und lauschte der angeregten Unterhaltung zwischen Karl und einigen Pflegern.
Wenn er sich überwand und den Mund öffnete, um etwas beizutragen, sahen die anderen ihn an und hörten zu. Meist lachten sie danach oder nahmen den Punkt begierig auf, um ihn zu diskutieren. Das war ein vollkommen neues Lebensgefühl. Ihm wurde fast mulmig vor Glück. Er starrte gedankenverloren in die Dunkelheit der Gaststätte, als ihm jemand auf den Arm tippte.
„Hast Du mal ne Kippe?“, fragte eine junge Frau neben ihm.
Er griff zur Packung auf dem Tisch und hielt sie ihr hin. Seine Augen wanderten über ihr Gesicht und ihre Haare. Dann senkte er seinen Blick und starrte auf den Hals, die Brüste und den Bauch. Vor seinem inneren Auge begannen ihre Kleider zu verschwinden. Langsam, Stück für Stück, Schicht für Schicht lösten sich zuerst der Pulli, dann das Unterhemd auf, bis sie nackt neben ihm saß.
Als sie seinen Blick bemerkte, lachte sie.
„Kommst Du mit nach draußen eine rauchen? Hier ist es mir zu stickig.“
Er nickte nur und stand auf.
Das eiskalte Wasser aus dem Hahn lief über sein Gesicht. Er prustete und hob den Kopf. Seine Augen starrten ihn aus dem Spiegel an. Waren dass seine Augen? Wenn nicht, wessen Augen waren es dann? Und was machten sie mit ihm? Sie ließen ihn Dinge sehen, von denen er vorher nie gewagt hatte zu träumen. Sie zeigten ihm die Wirklichkeit in einem anderen Licht. Bestimmte Dinge wirkten so... begehrenswert. Seine Augen zeigten ihm die Sachen, die er haben musste! Er wurde immer schwieriger seiner Lust zu widerstehen. Er fing an die Kontrolle zu verlieren.
Er blickte sich um. Das Mädchen aus der Kneipe lag dort bäuchlings auf seinem Bett. Sie hatte die Bettdecke nur notdürftig über den Rücken gezogen. Um sie herum schimmerte das Licht. Sie hatte diese gewisse Aura. Die Luft um sie herum schien zu glänzen und zu flimmern. Seine Augen hafteten auf ihrem Rücken. Sie zog ihn an.
Nein, er wurde angezogen, ließ sich anziehen. Irgendwo tief in ihm schrie sein altes Bewusstsein auf. Doch die Person, die er mal war, war dort verschüttet. In ihm herrschte nur noch was er sah. Und langsam ging er auf sie zu.
Nachdem er wegen mehrfachen Mordes zum Tode verurteilt wurde, durfte er ein letztes Mal telefonieren. Er wählte die Nummer der Klinik, in der er aufgewacht war und wartete.
Das Telefon tutete leise. Dann wurde abgehoben.
„Augenklinik Lichtblick, Prof. Dr. Schmitz am Apparat.“, hörte er eine freundliche Stimme am anderen Ende.
Er nannte seinen Namen und wartete auf eine Reaktion.
Zuerst folgte Stille, dann fuhr die Stimme kurz angebunden fort:
„Ich habe von Ihnen in den Nachrichten gehört. Eine Schande, um die Zeit, die wir in sie investiert haben. Sie sind nicht besser als der Spender Ihrer Augen. Was wollen Sie von mir?“
„Herr Professor, sie sprechen den Punkt bereits an. Woher stammen meine Augen?“
Wieder folgte eine kurze Stille.
„Sie wussten es nicht?“, flüsterte er?
„Nein.“
„Ihre Augen stammen von einem verurteilten Mörder, der erst vor wenigen Wochen hingerichtet wurde.“
„Wartet, ich habe noch einen letzten Wunsch!“, schrie er.
„Was denn?“, fragte der Wärter, der seine Hand schon auf den Hebel gelegt hatte.
„Ich will nicht, dass irgendetwas von mir als Organspende freigegeben wird. Vor allem nicht meine Augen! Ihr dürft mir meine Augen nicht nehmen.“
Der Wächter lachte.
„Du bist gut. Das kannst Du vergessen, die Augen bringen doch am meisten.“
Dann drückte der Wärter den Hebel nach unten.