Wie beschreibt ein Blinder Farben oder Österreich und die Fußball WM

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birdy

Mitglied
Unter Fußballfans wird die sportliche Potenz einer Nation an den Erfolgen respektive Platzierungen bei Fußballweltmeisterschaften gemessen.
Ich bin Österreicher.
Daher impotent.
Ich muss jeden Tag dabei zusehen, wie sich die Verehrer um die Gunst der Dame ihres Begehrens namens Weltpokal duellieren, bis schließlich einer übrig bleibt, sie mit nach Hause nehmen darf und mit ihr unter seine Decke schlüpft.
Der nationale Orgasmus.
1954 in der Schweiz durften wir der Angebeteten immerhin unter den Rock sehen, wir wurden 3. Doch das Jahr unseres größten Erfolges war auch der Beginn unserer ewigen Eifersucht. Denn als wir gerade auf dem besten Weg waren, der guten Dame zu zeigen, wo der Hammer wirklich hängt, kam der Nebenbuhler aus Deutschland – 1:6.
Es war ein Duell um eine Frau, das bedeutet 6 Treffer in die Hoden bei einem Streifschuss. So etwas vergisst man nicht so leicht. Dass Ungarn dann gegen Deutschland im Grande Finale 2:3 unterlag, war weniger Trost als doppeltes Leid.
Die medizinischen Langzeitfolgen waren dramatisch.
Heute können wir nicht einmal mehr onanieren.
Bei irgendeiner EM-Qualifikation verloren wir gegen die Faröer Inseln 0:1, eine Inselgruppe mit 45.000 Einwohnern, die anscheinend hoheitlich zu Norwegen (oder ist es Dänemark?) gehört, aber doch aus welchem Grund auch immer eine eigene Fußballmannschaft aufstellen durfte, die aus Zauberern der 3. und 4. norwegischen, schwedischen und dänischen Fußballdivisionen bestand.“ Es gibt keine Fußball - Entwicklungsländer mehr„ sprach unser Teamchef mit einer dunklen Vision vor seinem 3. Auge und unsere Teamspieler konnten sich der Suggestionskraft dieser Prophezeiung nicht mehr entziehen. .“ Es gibt keine Fußball - Entwicklungsländer mehr„ sprach unser Teamchef, als er nach dem Match seine Laufbahn im Emirat Qatar fortsetzte.
Doch einmal, einmal durchbrach unsere Nationalmannschaft den fußballerischen Backspin, in dem Sie sich seit 1954 befand.
Kleinkinder auf der ganzen Welt lernen als erste Wörter Mama, Papa, eventuell Auto. Das erste Wort unserer Babys ist CORDOBA.
Am 21. Juni 1978 im Stadion »Chateau Carreras« wuchsen unseren Teamspielern für 90 Minuten Stierhoden. Nach 2 Toren von Hans Krankl, eines Tores unseres zweitbesten Spielers Hans Hubert „Berti“ Vogts (was eine denkbar schlechte Vita für einen deutschen Teamchef war) und 2 Gegentoren von irgendwem prunkten unsere Spieler erhobenen Hauptes als Sieger vom Platz, direkt zur Samenspende.
Ok, wir wurden nicht Weltmeister, aber Deutschland auch nicht. Wegen uns!
Das Fußballplansoll war mit diesem Moment für mehrere hundert Jahre übererfüllt.
Wenn sich jetzt und in Zukunft Fußballnationalmannschaften alle 4 Jahre zum großen Kräftemessen treffen, sitzen wir Österreicher vollkommen entspannt vor unserem Fernsehgerät, in dem Bewusstsein, bei keiner WM Endrunde jemals wieder dabei zu sein, wenn uns die Qualifikation nicht mit Andorra, Vatikanstaat, Sierra Leone und den kleinen Antillen zusammenführt.
Wir diskutieren darüber ob Zinedine Zidane einfach nur Angst vor einer Haartransplantation hat, erkennen die Ferse als wichtigsten Körperteil zur Ballabgabe bei Kamerun, decken uns mit den Nationalflaggen des jeweils nächsten Gegners Deutschlands ein und kommen zu dem Schluss, dass wir Saudi Arabien eigentlich auch gepackt hätten.
Unsere WM Tipps pendeln, gekennzeichnet durch erstaunliche Flexibilität, zwischen »wahrscheinlich leider Deutschland« und »egal wer, Hauptsache nicht Deutschland«.
Und während deutsche Fans ungewiss vor Großbildleinwänden dem 4. Weltmeistertitel entgegenfiebern, erleben wir die Endrunde in einem emotionalen Kontinuum.
Paraguays Nationalflagge ist schon ausverkauft.


Kommentare erwünscht ;)
 
B

Bruno Bansen

Gast
Falscher Zeitpunkt

Hi birdy!

Gute Satire erkennt man sehr leicht an dem Umstand, daß sie wesentlich besser, als schlecht ist. Sehr gute hingegen, kommt mit noch größerem Abstnd daher und wenn die Sache hervorragend geworden ist - dann scheint sie keiner zu lesen! Das ist ein Naturgesetz, an deren Neufassung der Bernd Hutschenreuther aus Dresden bereits geraume Zeit arbeitet. Man sollte ihm auf jeden Fall den Tip geben, daß auch dieses hier eienr Renovierung bedarf!

Da ich eher ein Lyrik-Fan bin und mich da besser auskenne, kann ich hierzu wenig sagen, außer, daß diese Fußballsache von dir, die beste ist, die über die, ja allgemein bekannte, wohl schönste Nebensache der Welt, verfasst wurde.Da man für's Fussballspieln höhere Intelligenz braucht (wurde mir mal mitgeteilt, nachdem jemand mehrere Wochen vergeblich versuchte, mir das Regelwerk zu verklickern) bin ich also hervorragend ausgestattet, um das von dir verzapfte auch in der richtigen Forom zu begreifen.

Herrlich!!!

Viele Grüße

Bruno
 
N

niclas van schuir

Gast
Wusste noch gar nicht, dass Minderwertigkeitskomplexe so herrlichen Stoff für Satiren gebären.Ich leide mit euch Österreichern, wenn auch nicht mehr als unbedingt nötig und dem Missstand angemessen. Allerdings: Ich bringe entschieden mehr Sympathie für Mitglieder eines Volkes von schlechten Fussballern auf als für Gesinnungsgenossen eines noch schlechteren Haiders und rate als Abhilfe, ein verstärktes Training mit dem runden Leder ins Grundgesetz zu übernehmen.
Mit ballrunden Augen, Niclas
 

birdy

Mitglied
Hallo Bruno, hallo Nicolas !

Freut mich, dass euch die Geschichte von unserem ewigen Fußballschmerz gefallen hat.

@Bruno

Hab´ mir einige deiner Werke angesehen - Hut ab !
Was als Lob aus meinem Mund aber in etwa soviel stellenwert hat, wie das eines österreichischen Fußballers für seinen brasilianischen Kollegen - gut gespielt. Er kann´s nicht, er versteht es gerade noch was da passiert, er versucht es besser gar nicht selbst.
Lyriker sind die Brasilianer der Literatur.
Ich bin in jeder Hinsicht Österreicher.

@Nicolas

Meiner Ansicht nach kann gute Satire nur aus Minderwertigkeitskomplexen entstehen. Wo soll sonst die leichte Bitterkeit herrühren?
Zeig mir einen amerikanischen Satiriker, dann mach ich mich auf die Suche nach einem dicken Äthiopier (wenn mir dieser politisch unkorrekte Vergleich erlaubt ist). ;)

Liebe Grüße euch beiden
birdy
 

birdy

Mitglied
@ niclas

Entschuldige, daß ich mir deinen Namen nicht richtig angesehen habe, kannst mich jetzt brdy nennen :rolleyes: :rolleyes:
 
N

niclas van schuir

Gast
Brdy, ich kenn einen, oder ist der Komiker? Schorsch Dabbelju Busch!?!
 

Dorian

Mitglied
Hallo Birdy!

Tja, wir Österreicher habens nicht leicht, was den Fußball angeht, aber nach Lektüre Deines Werkes muß ich sagen, daß es mir entschieden leichter fällt, nicht bei der WM dabei zu sein.
Exzellente Arbeit, weiter so!

LG

Dorian

P.S.: Ach ja, ich glaube Woody Allen behauptet von sich Satiriker zu sein. Aber wenn man sich den anschaut, kann das eigentlich nur persönliche Gründe haben.
 

birdy

Mitglied
@ Dorian und alle

Bitte mich nicht in einem Atemzug mit Satirikern zu nennen. Ich versuche einfach nur kleine Geschichten zu schreiben, über die man hoffentlich schmunzeln kann.
Dass dabei Satire herauskommt, ist reiner Zufall.

@niclas
Ja, G.W.B. - das erste halbwegs erfolgreiche Experiment der Humangenetiker. Wurde geschaffen aus einem DNS - Cocktail der berühmtesten Slapstickkomiker.

Liebe Grüße
birdy
 
N

niclas van schuir

Gast
Hallo Birdy, eine hervorragende Definitiom des Schorsch Dabbelju. Man muss wohl Wiener sein, um die Befähigung zu erlangen, derart feinsinnig zu formulieren.
:D Nic
 



 
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