Wie es wirklich war

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knychen

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Liebe Marie!
Dass da ein Anderer ist an deiner Seite, das weiß ich längst.
Immerhin liegt dein letzter Besuch sieben Wochen zurück und schlecht geschauspielert hast du auch.
Ich akzeptiere das. Du bist jung, hübsch; was sollst du also mit einem, der seit drei Jahren im Knast sitzt und selbst bei guter Führung erst in dreizehn Monaten raus kommt.
Dass ich der Vater deines Kindes bin? Viele Kinder wachsen ohne den leiblichen Vater auf
Dass wir uns einmal sehr geliebt haben? Viele Beziehungen gehen kaputt und ich werde ein ganz anderer Mensch sein nach meiner Entlassung.
Natürlich werde ich im Rahmen meiner Möglichkeiten finanziell für unser Kind sorgen.
Versprich mir nur eins- erzähl der Kleinen nicht, ich wäre ein schlechter Mensch gewesen und vor allem kein Totschläger.
Deswegen will ich dir heute in meinem letzten Brief etwas mitteilen, was ich damals selbst dem Anwalt nicht erzählt habe. Es hätte mir eh nichts genutzt. Es sind keine Fakten und nur die haben Bestand.
Ich weiß, dass du die ganze Vorgeschichte kennst, aber ich muss beim Urschleim anfangen.
Denn jede Nacht seit dem Unfall laufen die Ereignisse als Film vor meinem inneren Auge ab.

Es war also der bewusste Samstagmorgen vor drei Jahren. Ich fuhr mit dem Lkw auf der A9 in Richtung Berlin, die Ausfahrt Köselitz lag kurz hinter mir.
Die Stunde der toten Augen- grau brachte sich der Morgen in Erinnerung, aber noch war es Nacht. Viele Unfälle passieren in dieser Zeit, es ist die biologische Uhr, welche die Lider schwer werden und die Konzentration sinken lässt. Aber ich war putzmunter, erst seit drei Stunden am Arbeiten. Noch dreißig Minuten, dann das Auto an die Rampe stellen, ab nach hause und Wochenende.
Der Verkehr tendierte gen Null, ich hätte minutenlang mit aufgeblendeten Scheinwerfern fahren können.
Im Rückspiegel sah ich ein schnell näher kommendes Auto. Das Licht sah irgendwie seltsam aus, als ob der Wagen drei Scheinwerfer hatte. Dann erkannte ich, dass es zwei Fahrzeuge waren. Sie fuhren sehr schnell auf der ganz linken Spur, der hintere Wagen etwas seitlich versetzt, dadurch die Illusion der drei Scheinwerfer. In unregelmäßigen Abständen versuchte der Fahrer des hinteren Wagens den Vorausfahrenden mittels Lichthupe zum Spurwechsel zu bewegen. Irgendein niederer Jagdinstinkt lässt die Leute immer wieder solchen Schwachsinn veranstalten.
Als die Beiden genau neben mir waren, bestimmt doppelt so schnell wie ich, also ungefähr 180, gab der Vordere mit seinem Blinker zu erkennen, dass er nun die Spur wechseln würde. Sofort verkürzte der hintere Wagen den Abstand von vielleicht drei Metern auf maximal Einen. Ein Wahnsinn bei dem Speed.
Der vordere Wagen, ein dicker, dunkler Audi mit polnischem Kennzeichen, schob sich langsam nach rechts, aber kurz bevor der Abstand links neben ihm zu einem wenn auch gefährlichen Überholen ausgereicht hätte, unterbrach er die Seitwärtsbewegung. Das brachte den Fahrer des ebenfalls dunklen BMW hinter ihm aus dem Konzept. Er verriss kurz das Lenkrad, touchierte die Mittelleitplanke, kam wieder von ihr weg, schoss nach rechts über alle drei Spuren, tauchte, da am rechten Rand keine Leitplanke war, in den flachen Straßengraben ein und verschwand ungefähr fünfhundert Meter vor mir mit einem wilden Flicflac im Kiefernwald.
Der Audi bestand nur noch aus sich schnell entfernenden roten Lichtpünktchen.
Schon als die Beiden so rasant an mir vorbei flogen, hatte ich den rechten Fuß über dem Bremspedal, die ganze Situation stank förmlich im Vorfeld und beim Touche an der Leitplanke ging ich in die Eisen. Immerhin hatte ich fünfundzwanzig Tonnen Zement geladen und dass der BMW im Wald verschwinden würde, konnte ich ja nicht voraus sehen. Eine fette Staubwolke hing in der Luft und wies mir den genauen Weg des Unfallwagens.
Auf der anderen Straßenseite fuhr ein Kollege vorbei, ich rief ihm über Funk zu, er solle Polizei und Krankenwagen rufen, A9 zwischen Köselitz und Klein Marzehns, Fahrtrichtung Berlin. Er rief zurück, ob ich Hilfe bräuchte, ich antwortete, ich weiß es noch nicht, aber wird schon jemand in meiner Fahrtrichtung kommen und anhalten.
Ich griff hinter den Fahrersitz, kramte die Taschenlampe hervor. Sie funktionierte sogar. Dann nahm ich meine Arbeitshandschuhe und rannte los.
Es war mir schon öfter passiert, dass ich der Erste an einer Unfallstelle bin und ich wusste, wie schmerzhaft es sein kann, wenn man jemanden aus einem Auto zieht und sich erst durch Scherben oder heiße Motorteile kämpfen muss, deswegen die Handschuhe.
Der Wald an der Unfallstelle besteht aus erwachsenen Kiefern, so dreißig bis vierzig Zentimeter dick. Sie stehen mit unterschiedlichen Abständen im kniehohen Gras und der BMW konnte nicht allzu weit gekommen sein. Dreißig Meter hatte er aber doch geschafft, denn in etwa dieser Entfernung sah ich ihn hochkant mit der Schnauze im Dreck an zwei eng stehenden Kiefern. Der Motor hatte sich selbst abgewürgt und ich hoffte, dass sich kein Benzin auf irgendwelchen Krümmern oder Strom führenden Teilen entzünden würde.
Beinahe trat ich auf etwas Buntes, das vor mir im Gras lag.
Ich erschrak.
Da lag ein kleines Mädchen.
Du weißt, ich bin nicht religiös, aber in diesem Moment sagte ich doch so was wie: ‚Lieber Gott, mach es mir nicht so schwer heute. Ich will ja helfen, aber versau mir nicht für ewige Zeiten den Spaß an der Arbeit’
In Gedanken setzte ich sogar noch ein ‚Bitte’ dazu.
Die Kleine, ungefähr vier Jahre alt, lag in einer fast exakten stabilen Seitenlage auf dem Waldboden. Helles Blau schien ihre Lieblingsfarbe zu sein. Im wirr daliegenden schwarzen Haar funkelte eine blaue Spange, das T-Shirt war himmelblau, die knielangen Radlerhosen ebenso, blaue Sandalen mit Glitzer drauf hatte sie an den Füßen, besser gesagt nur am Rechten, der Linke trug nur eine Ringelsocke in Blaugelb. Kratzer auf den dünnen Beinchen und eine tiefe Fleischwunde auf dem linken Unterarm, das waren die einzigen Verletzungen, die ich erkennen konnte.
Das Auto lag noch zehn Meter weiter als die Kleine, vermutlich hatte sie auf dem Rücksitz liegend geschlafen und wurde einfach herausgeschleudert bei einem Überschlag.
Es roch nach heißem Metall und Benzin, aber nicht brenzlig. Das Wrack knackte, ab und an unterbrochen vom Geräusch herabrieselnder Glassplitter.
Ich strich dem Mädchen die Haare zur Seite und als ich meine Hand zurückzog, sah ich viel glänzendes Blut im Schein meiner Lampe. Vorsichtig nahm ich die Locken am Hinterkopf hoch und stolperte vielleicht zwei Schritte rückwärts.
Da war kein Hinterkopf mehr.
Eine schleimige blutverschmierte Masse vermischte sich mit dem Gras und Sand und das Blut hatte schon einen beachtlichen Fleck Waldboden dunkel gefärbt.
Ich wurde panisch. Was sollte ich auch machen?
Etwa, entschuldige diese Pietätlosigkeit, alles in den Kopf schieben und die Hand schützend darüber halten bis Hilfe kommt? Alles konnte falsch und genauso richtig sein.
Dann sah ich, wie die Kleine den Mund bewegte. Nicht als ob sie sprechen wollte, mehr wie ein Suchen nach Nuckel oder Daumen.
Ich besah mir ihre Hände. Die Spuren waren eindeutig, sie nuckelte am rechten Daumen. Ihre rechte Hand lag schon in der richtigen Position, ich musste sie nur noch ein paar Zentimeter zu ihr hin schieben. Die Augenlider des Mädchens flackerten ein wenig, wurden aber sofort ruhig, als sie den Daumen gefunden hatte. Die linke Hand nahm ich mit Zeige- und Mittelfinger ein wenig hoch. Mit sanftem Druck erwiderte sie meine Geste.
Dann kam der schrecklichste Moment dieses Morgens.
Urplötzlich wurde aus der kleinen warmen Hand, die meine beiden Finger umschloss, etwas Lebloses. Die Mundbewegungen am Daumen hörten auf und zum ersten Mal in meinem Leben hörte in meinem Beisein ein Herz auf zu schlagen.
Und ich konnte nichts machen.
Ich weiß nicht, wie lange das Alles gedauert hat, und ich weiß auch nicht, wie lange ich heulend neben der Kleinen gehockt habe, aber irgendwann brachte mich ein Knacken hinter mir dazu, mich umzudrehen.
In einem regelmäßigen Kreis von vielleicht sieben, acht Metern Durchmesser saßen oder hockten seltsame Gestalten um mich herum. Große schwarze Schatten, wie Geier mit hochgezogenen Schultern. Sie knurrten und knackten mit irgendwelchen Gliedmaßen oder Kiefern, begannen unruhig den Kreis enger zu machen.
Dann ertönte ein scharfes Zischen.
‚Schhhhhhhhhhhh!’ machte es.
An der der Tiefe des Waldes zugewandten Seite des Kreises hüpften zwei der Schatten unbeholfen auseinander und schufen so eine Öffnung, durch die eine große, aus meiner Hockposition sogar riesengroße Gestalt trat. So um die zweieinhalb Meter hoch vielleicht, gekleidet in einen schwarzen oder doch zumindest sehr dunklen Umhang mit Kapuze.
‚Der Tod!’ dachte ich erschrocken. Aufstehen konnte ich nicht, überhaupt keine Bewegung war mir möglich.
Die hohe Gestalt hob ein wenig die Kapuze, aber außer zwei leuchtenden Punkten, wohl den Augen, war nichts zu erkennen. Die beiden Ärmel seines Gewandes, die ineinander verschränkt waren wie bei einem Mönch, öffneten sich und eine unendlich lange strahlendweiße Knochenhand erschien.
Zuerst hielt sie mit einer Geste, die international für „Stop“ steht, die unruhigen Gestalten um mich herum zurück. Bis auf den Zeigefinger knickten die anderen Finger ein und die Hand bewegte sich zweimal von links nach rechts und zurück, wie um zu sagen: ‚Das ist nichts für euch’.
Dann schoss der Finger auf mich zu, schwenkte dann ein wenig herum und wies auf einen Punkt etwa drei Meter neben mir. Ohne eine Lichtquelle erkannte ich dort einen handlichen Kiefernknüppel, ungefähr einen Meter lang und geformt wie einen Baseballschläger. Der Finger wanderte weiter und wies auf den Wagen, der auf seinen Kühlergrill gestützt an den beiden Bäumen stand.
Wie auf Kommando begann es in dem Wrack zu poltern, ich leuchtete hinüber, sah wie jemand versuchte, die Fahrertür von innen zu öffnen, hörte ein Fluchen und Husten, ein Schlagen gegen Glasreste und konnte dann einen Mann erkennen, der sich kopfüber aus der Frontscheibenöffnung wälzte.
Er fiel zu Boden, stütze sich an dem einen Baum ab, stand wankend auf und starrte auf sein Auto.
Von Ferne erkannte ich schon ein bläuliches Flackern aus Richtung Autobahn, Hilfe war also im Anmarsch.
Das ganze Ausmaß der Zerstörung erkennend, begann der Mann plötzlich zu brüllen.
‚Das Schwein bring ich in den Knast! Der Polacke hat mich abgedrängt! Wo ist das Scheißhandy?!’ und alles so wirres Zeug.
Nach dem kleinen Mädchen suchte er nicht.
Der große Schwarze wies erneut energisch zu dem Mann.
Ich nahm den Knüppel, ging ohne Geräusche zu verbergen hinüber, der Mann stand ja mit dem Rücken zu mir, holte weit aus und schlug zu.
Der Kerl erstarb in seinen Bewegungen.
Das Knirschen des Knüppels oder des Schädels, es war mir egal, pflanzte sich über das Holz und meinen Arm bis in mein Herz fort, es steigerte meine Wut über die Selbstsucht dieses Mannes. Er hatte, um seinen Alphamännchen-Trieb zu befriedigen, das Leben anderer, wahrscheinlich seiner eigenen Tochter aufs Spiel gesetzt und selbst jetzt interessierte ihn nur der Sachschaden. Dass der Mann unter Schock stehen konnte, kam mir überhaupt nicht in den Sinn. Ich hatte ja den Unfallhergang gesehen und wusste, dass er schuld war.
Als ich erneut ausholen wollte, hing der Knüppel irgendwie fest. Ich musste mehrmals rütteln um ihn los zu bekommen. Wiederum holte ich Schwung, der Mann ging währenddessen in die Knie, ließ aber die Arme wie in einer flehenden Geste hoch aufgerichtet. Im Schwungholen sah ich, dass der Knüppel an der Stelle, mit der ich den Mann getroffen hatte, einen ungefähr zehn Zentimeter langen Aststumpf besaß. Dieser Stumpf musste dem Mann tief in den Schädel gedrungen sein.
Zu einem zweiten Schlag kam es nicht mehr.
Zwei Rettungssanitäter, die inzwischen angekommen waren, drehten mir brutal die Arme auf den Rücken. Einer drückte mich dann zu Boden und der Andere lief zu dem Mann, der immer noch reglos kniete und die Arme hoch hielt.
Polizei kam dazu, riß mich weg von dem Ort.
‚Seht ihr nicht den Tod? Seht ihr nicht, was der da macht?’
Aber wahrscheinlich war mein Geschrei bar jeder menschlichen Verständigung und so blieb ich wohl alleiniger Zeuge der Szene.
Der große Schwarze war inzwischen an den Knienden herangetreten, unbemerkt von den beiden Sanitätern, die den Mann ansprachen und sich selbst medizinische Fachausdrücke zuwarfen. Mit der langen dünnen weißen Knochenhand griff der Tod dem Verletzten oben in die Kopfwunde hinein, tiefer und tiefer schob er seinen Arm in den Körper, den Blick der hohlen Augen nach oben ins Nichts gewand. Die Bewegung des Armes erstarb, er hatte wohl gefunden, was er suchte, mit einem Ruck riss er an dem Gefundenen, zog ein langes schwarzes Seil aus dem Schädel des Mannes, nahm die andere Hand zu Hilfe und verschwand mit den anderen Schattengestalten unter Gekreisch und Gewinsel im Wald.
Der Mann fiel im gleichen Augenblick zusammen wie eine Marionette, der man sämtliche Fäden mit einem Mal durchschneidet.
Wie du weißt, wollte man mich erst wegen Herbeiführung eines schweren Verkehrsunfalls belangen, aber schnell erkannten die Ermittler, dass der BMW-Fahrer selbst Schuld gewesen sein muss. Der Vorwurf des Totschlages blieb und dafür sitze ich ja nun auch.
Jede Nacht, aber wirklich jede, versuche ich einzuschlafen, bevor die Bilder kommen. Es gelingt selten, eigentlich nur, wenn ein wenig Gras im Spiel ist. Doch selbst das mildert es nicht für mich.
Denn immer zur Zeit des Unfalles, um drei Uhr siebenunddreißig, erscheint das kleine Mädchen vor mir. Längst ist sie älter geworden, sieben oder acht jetzt, spricht aber immer noch mit der Stimme einer Vierjährigen.
Und jede Nacht fragt sie mich ununterbrochen: ‚Wo ist Papa? Wo ist Papa? Wo ist Papa?’
Ich erwache dann in einer Ecke auf dem Fußboden sitzend, die Hände schützend über den Kopf gebreitet, weil ich Angst vor den schwarzen Schatten habe.
Jede Nacht! Seit drei Jahren!
Noch einmal: Du weißt, ich bin nie ein religiöser Mensch gewesen. Hätte ich etwas ändern können, wenn ich vielleicht eine halbe Stunde später losgefahren wäre?
‚Natürlich!’ wirst Du denken.
'Nein!' werde ich dir dann antworten, es war Bestimmung.
Ich bin nämlich nicht später losgefahren, ich bin zur exakten Zeit an der Unfallstelle gewesen, ich habe diesen Kerl erschlagen und ich würde es wieder tun. Vielleicht dafür die Strafe. Weil ich das Böse gesehen habe.
Die Strafe.
Leb wohl, Marie!
Besuch mich nicht mehr!
Ich bin ein anderer Mensch!
Ich muss mich jetzt verstecken, es ist fünfundzwanzig Minuten nach Drei!
Fahr immer vorsichtig!
Karl
 

katia

Mitglied
eine für mich sehr runde, spannende und außergewöhnliche geschichte, die ich zu ende lesen musste, obwohl hier auf dem schreibtisch genug arbeit liegt, und die ich auch weiter empfehlen bzw. noch mal lesen werde. die erzählung bachmeiert ganz schön und es bleibt einmal mehr die frage: wie würde man selbst reagieren?
mir gefällt auch der briefstil in diesem zusammenhang, weil der gleich mehrere seiten der leser herausfordert.
die wenigen kleineren handwerklichen flüchtigkeiten, die mir aufgefallen sind, schicke ich dir per e-mail. sind aber wirklich nur erdnüsse (um den anglizismus peanuts zu vermeiden)
 

knychen

Mitglied
die frage ist der grund

moin katia,
die frage, die dir bleibt, ist der grund für das entstehen der geschichte.
aus langeweile denke ich mir bei langweiligen nachtfahrten ab und an gefahrensituationen aus und spiele dann verschiedene mögliche handlungsabläufe durch, bis ich mit dem ergebnis zufrieden bin. das soll mich im ernstfall vor gefühlsduselei und zu langen denkzeiten schützen. also eine schlichte feuerwehrübung. eigentlich gab es noch eine vorgeschichte, aber ich habe irgendwann gemerkt, ich muß weder karl noch seine zukünftige exfrau noch irgendjemanden in dieser geschichte deutlicher vorstellen. zweites ziel, mehr so eine persönliche vorgabe, die erst beim schreiben entstand, war der versuch, nur opfer zurück zu lassen. gut, es gab einen sieger: den seelensammler.
bis dann. knychen
 

San Martin

Mitglied
Die Geschichte fand ich ganz in Ordnung. Dem miesen BMW-Fahrer-Schwein hätte ich gern persönlich seinen Schädel eingeschlagen. Insgesamt wirkt deine Art zu Schreiben an einigen Stellen unbeholfen, oder als ob du dir keine Zeit zum Überarbeiten genommen hättest.

Hier noch einige Vorschläge:

grau brachte sich der Morgen in Erinnerung
Seltsame Formulierung.

erst seit drei Stunden am Arbeiten
"Am Arbeiten" ist Talk-Show-Grammatik.

Eine fette Staubwolke hing in der Luft und wies mir den genauen Weg des Unfallwagens.
Woher kommt der Staub? Fährt der Unfallwagen nicht in einen Kiefernwald? Du schreibst: "Der Wald an der Unfallstelle besteht aus erwachsenen Kiefern, so dreißig bis vierzig Zentimeter dick. Sie stehen mit unterschiedlichen Abständen im kniehohen Gras" - kniehohes Gras ermöglicht keinen Staub.

Du weißt, ich bin nicht religiös, aber in diesem Moment sagte ich doch so was wie: ‚Lieber Gott, mach es mir nicht so schwer heute. Ich will ja helfen, aber versau mir nicht für ewige Zeiten den Spaß an der Arbeit’
In Gedanken setzte ich sogar noch ein ‚Bitte’ dazu.
"Lieber Gott, mach, dass sie noch lebt" fände ich bei weitem glaubwürdiger, weil es kürzer und klarer ist.

das Blut hatte schon einen beachtlichen Fleck Waldboden dunkel gefärbt.
Bitte streich das "beachtlich". Es wirkt hier sehr fehl am Platz.

Zuerst hielt sie mit einer Geste, die international für „Stop“ steht, die unruhigen Gestalten um mich herum zurück.
Meiner Meinung nach vergreifst du dich hier im Ton. Bei der Schilderung einer unheimlichen Knochengestalt sollte auf keinen Fall etwas von der "internationalen Geste für Stop" erwähnt werden. Das zerstört die Atmosphäre.

Aber wahrscheinlich war mein Geschrei bar jeder menschlichen Verständigung
"Bar jeder..."? Das passt stilistisch nicht zum restlichen Text. Entweder du hebst das sprachliche Niveau an, oder hältst es umgangssprachlich. Ein Mix von beiden passt nicht recht.

Mit der langen dünnen weißen Knochenhand
Adjektive bitte ausdünnen oder ganz entfernen.

zog ein langes schwarzes Seil
Seil? Ich verstehe, was du sagen willst, aber "Seil" finde ich nicht gut.

Leb wohl, Marie!
Besuch mich nicht mehr!
Ich bin ein anderer Mensch!
Ich muss mich jetzt verstecken, es ist fünfundzwanzig Minuten nach Drei!
Fahr immer vorsichtig!
Diese Aneinanderreihung von Ausrufesätzen wirkt ungeschickt, und das finale "Fahr immer vorsichtig" beinahe wie Parodie. Das verleidet mir den Schluss erheblich...
 

knychen

Mitglied
rechtfertigung

hallo martin,
ist ja 'ne ganze menge, die du bemängelst. ich kann aus zeitgründen nicht auf jede stelle eingehen, weil ich in wenigen minuten in meinen lkw steige und nach münchen muß.
was du als sprachliche unbeholfenheit bzw an anderer stelle als umgangssprachlich bezeichnest, hat seine ursache in der briefform. alles, was zur vorstellung des schreibenden beitragen könnte, mußt du dir selbst herauslesen. (schulbildung, soziales gefüge etc.) bestes beispiel: das schwarze seil. ein subjektiv geprägtes bild. ich bzw karl hätte natürlich seele schreiben können, aber wenn es nun mal wie ein seil aussah, warum es nicht so benennen. genauso die internationale geste. jeder zöllner und polizist benutzt diese geste und so hat karl sie auch gedeutet. warum also in eine epische breite gehen, die dem klischee eines lkw-fahrers nicht entspricht?
weiter im text.
wenn du mal auf der A9 nach berlin fährst, dann schau am bezeichneten kilometer einfach nach rechts. das land brandenburg besteht dort aus sand, sand und sand. darüber eine dünne schicht schwarzerde und darauf kümmerliche flachwurzler wie kiefern, birken etc. gras ist ebenfalls anspruchslos und bildet keine geschlossene narbe. schon ein schlag mit 'nem golfschläger wirbelt staub auf, vorausgesetzt, es war ein paar tage trocken.
"am arbeiten" ist umgangssprache.
"bar" bleibt auch stehen. jeder mensch hat irgendwelche sprachlichen eigenheiten, meist aus der kindheit übernommene gewohnheiten. ich kenne jemanden, der sagt zu einer toilette ganz normal toilette oder wc oder bad. aber wenn er bei seiner oma ist, verfällt er in die altertümliche bezeichnung "abort".
die finale aneinanderreihung von ausrufezeichen ist dem umgangston des karl angepaßte ausdrucksmöglichkeit. ich gehe davon aus, daß er nicht den höheren bildungsweg beschritten hat.
parodie ist der letzte satz nicht, eher ein flehen um der tochter willen.
karl hat sich schließlich verändert, so wie knast die meisten menschen verändert. und wenn er jede nacht das gleiche träumt, ist davon auszugehen, daß er angst davor hat.
danke dafür, daß du dich mit dem text so sehr beschäftigt hast. wenn dir das sprachliche niveau trotzdem zu schaffen macht, stell dir den brief mit der ungelenken schrift eines menschen, der selten längere texte schreibt und mit ein paar typischen rechtschreibfehlern vor. vielleicht ist er dann glaubhafter.
gruß aus berlin und jetzt muß ich los. knychen
 
S

suzah

Gast
hallo knychen,
diese geschichte ist sehr beeindruckend und der stil stimmt finde ich. er paßt zu dem mann, der den brief schreibt, von anfang bis ende.
du hast es nicht nötig, dich deshalb zu rechtfertigen.
lg suzah
 
B

bluefin

Gast
mich beeindruckt nicht der inhalt der geschichte und schon gar nicht der unbeholfen-martialische ton, in dem sie gehalten ist, sondern die präpotenz des protagonisten, die dem leser suggerieren möchte, er habe annähernd recht gehandelt.

sowas nenne ich allmachts-fantasie. es gibt überhaupt keinen vernünftigen grund, einen mitmenschen zu erschlagen - selbst dann nicht, wenn dieser fehler gemacht hat (dass das kennzeichen des vorauseilenden rasers ein polnisches gewesen sein muss, rundet mir das bild ab).

mein lieber @knychen - das, was du uns hier so plastisch zu schildern bemüht bist, war kein totschlag, sondern mord. und dafür gibt's nicht nur bei uns, sondern auch in polen nicht nur drei jahre und ein bisschen was, sondern zu recht lebenslänglich - es sei denn, der täter erwiese sich als dauerhaft psychisch krank. dann kommt er für immer in die klapse.

mag sein, dass manche freude an derlei gewaltverherrlichungen haben. gegenstand literarischer bemühungen sollten sie nicht sein.

grüße aus münchen

bluefin
 

knychen

Mitglied
ich kann damit leben, bluefin, dass ein fantasieloser mensch wie du mit meinen geschichten nicht zurecht kommt. ich verstehe nur nicht, was dich immer wieder treibt, sie zu lesen.
gewaltverherrlichung? tsss - was du da wieder rausliest...
wenn ich dich richtig verstehe, gehören alle storys, die nicht mit geigenspiel und vergissmeinnichtblauen herzen vor sonnenuntergang und röhrendem hirsch enden, schlichtweg verboten. isset so?
fehlt dir wieder mal der humanistische grundgedanke, der die welt verbessern soll?
by the way - hätte das auto ein münchner kennzeichen gehabt, hättest du gewiss das gleiche dazu gebubbelt.
vielleicht liegt es einfach nur daran, dass du nur in schwarzweiss denken kannst, dass es für dich nur laut oder leise gibt - niemals beides gleichzeitig.
du verstehst halt mich nicht und ich verstehe halt dich nicht. recht hat keiner von beiden. ist wie mit clownfischen und walen, die du pedant seltsamerweise auch zu den fischen zählst. der eine kennt sich im bunten riff aus und der andere im abyss.
stopf dir also weiterhin den buchstabenkrill auch der für dich uninteressanten beiträge in die aufgepusteten backen, weide die kelpwälder der grammatischen kausalketten ab und wälz dich im tran deiner selbstgefälligkeit, aber verschone mich bitte mit deiner dogmatischen verständnislosigkeit. schieb dir die bubbles unter die fluke.
allerliebste grüsse aus berlin.
knychen
 
B

bluefin

Gast
die lelu, @knychen, versteht sich als literaturforum. sie dient der diskussion von und der kritik an texten: nicht wir beide stehen im mittelpunkt des interesses, sondern unsere hervorbringungen. was an der deinen zu kritisieren ist, hab ich versucht, dir näher zu bringen.

keinesfalls ist die lelu aber ein tableau für hasstiraden, herabwürdigungen und die gezielte beleidigung dritter. dafür gibt's die gosse.

ich hoffe, du kannst das auch so sehen.

bluefin
 

knychen

Mitglied
@bluefin
da ich aber mit meinen beiträgen mehr zuspruch als ablehnung erfahre, gibt es für mich keinen grund, deinem speziellen verständnis über sinn und zweck von literatur zu entsprechen. und nur weil ich deutlicher sage, was du nur sehr von oben herab im subtext mitschwingen lässt - andere sagen "scheinheilig" dazu - verbreite ich noch lange keine hasstiraden. es sei denn, jemand legt unbedingten wert darauf, alles was nicht dem eigenen dogma entspricht, als unwert und bösartig zu bezeichnen.
deine eigene unfähigkeit mit ablehnender kritik umzugehen, hat sich in der lelu mehrmals gezeigt. respektive natürlich die entsprechende selbstgefälligkeit, auf zuspruch zu reagieren.
entscheidend für mich ist immer noch die wortwahl dabei.
und da bist du einfach bei mir unten durch. da steh ich zu.
im übrigen finde ich für einen menschen deiner bildung und deines anspruchs die verwendung des begriffs "klapse" als bedenklich.
ist das nicht diskriminierend für die menschen, die dort arbeiten und auch für die, die therapiert werden sollen?
egal, ab jetzt wirst du einfach ignoriert.
ist einfacher für beide.
letzter gruß.
knychen
 
B

bluefin

Gast
du solltest unterscheiden zwischen kritik und persönlicher beleidigung, @knychen. du argumentierst nicht, sondern versuchst, deinen kritiker herabzusetzen. sei versichert: damit machst keine punkte, denn wer und was du bist, was du anderweitig treibst oder publizierst, interessiert im zusammenhang mit deinem text niemanden - ebensowenig, wer oder was bluefin wirklich ist.

du wirst ertragen müssen, dass ein walfisch deinem text, den du unter der rubrik "erzählung" eingestellt hast (und nicht unter "horror und psycho", wo er wohl besser aufgehoben gewesen wäre) mängel und grobe fehler vorhält - nicht nur plumpe präpotenz und die damit verbundene segnung primitivster selbstjustiz, sondern vor allem, dass mord als vermeintlich entschuldbarer totschlag geschönt wird: in einer "erzählung" sind derlei schnitzer todsünden.

dass manche deinen text toll finden können, verschlägt nichts - er ist halt nach ihrem geschmack. aber um den geht's nicht, sondern um die objektivierbaren schwächen deiner hervorbringung.

ausdrücke wie klapse, knast und gosse sind soweit gebräuchlich, dass sie keinen direkten schluss auf dessen verwender zulassen - auch da solltest du dich ein bisschen zurücknehmen: den kritiker triffst du damit nicht.

verhaltene grüße aus münchen

bluefin
 



 
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