Wie gehabt

3,50 Stern(e) 8 Bewertungen
H

HFleiss

Gast
Wie gehabt


Als ich von der Frankfurter Allee
mit bescheidenem Einkauf nach Hause ging,
es regnete und die unvermeidlichen Konsumpaläste
spiegelten sich auf dem tadellosen
granitnen Straßenpflaster,
Autos zischten
rechterhand vorbei an mir,
erinnerte ich mich
an einen viel belaufenen Parkweg
an der Stelle eines
im Kriege zerbombten Wohnhauses.
Auch ich bin ihn oft gegangen,
hinein in die Jacques-Duclos-Straße,
benannt nach einem französischen Maquis,
die heute wieder Möllendorffstraße heißt
nach einem reaktionären preußischen Minister.
Ein Sozialdemokrat nagelte vor Jahren
Triumph im Blick und mit eigener Hand
das alt-neue Straßenschild an.
Als ich den Kopf hob, erblickte ich Bagger
und Krane und einen Berg Bauaushub.
Hier entsteht für Sie ein Kaufcenter, las ich.
Für Sie.
Wenn es fertig ist und uns im Wege steht,
dachte ich, werden wir Namen lesen:
die Namen der Handelsketten, die
uns nicht gehören.
 
R

Richard von Lenzano

Gast
Liebe Hanna,

sehr, sehr hintersinnig. Gefällt mir aber gur, vor allem es liesr sich flüssig

meint
Richard
 
H

HFleiss

Gast
Danke, Richard, für deine Meinung. Ohne ein bisschen Hintersinn braucht man doch erst gar nicht anfangen zu schreiben, oder?

Lieben Gruß
Hanna
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Liebe Hanna,

ich habe bei diesem Werk ein kleines Problem, vielleicht magst du mir helfen: Warum steht dieser Text unter Lyrik?

LG Franka
 
H

HFleiss

Gast
Hallo Franka, ich mag dir helfen: Weil es Prosa-Lyrik ist.

Lieben Gruß
Hanna
 
B

bonanza

Gast
ich mag prosagedichte, um mich eine kleine wegstrecke in den gedanken des dichters
treiben zu lassen. dies gelang dir mit diesem gedicht, hfleiss.

bon.
 

Inu

Mitglied
Hallo Hanna

Der Anfang hat mich gelangweilt. Ist das poesiewürdig? Stell ich jetzt mal als Frage in den Raum. Ab hier wird es dann spannender:

Als ich den Kopf hob, erblickte ich Bagger
und Krane und einen Berg Bauaushub.
Hier entsteht für Sie ein Kaufcenter, las ich.
Für Sie.
Wenn es fertig ist und uns im Wege steht,
dachte ich, werden wir Namen lesen:
die Namen der Handelsketten, die
uns nicht gehören.
Der Schluss ist ok.

liebe Grüße
Inu
 
H

HFleiss

Gast
Lieber Bonanza, liebe Inu

ich danke euch für eure Aufmerksamkeit für mein bescheidenes Gedichtchen. Der Anfang, Inu, ist deshalb so "langweilig", weil hier zwei Dinge gegeneinandergestellt werden: mein (und nicht nur meiner)erzwungen bescheidener Einkauf und die riesigen Gelderwerbspaläste. Nun ja, ich glaube, ich habe schon mal besser gedichtet, aber die schlechteste Aussage zumindest enthält der Vers nicht. Trifft doch zu. Oder?

Liebe Grüße
Hanna
 
M

Melusine

Gast
Gelungene Symbolik. Gefällt mir sehr gut.
Na ja, der Anfang ist (wohl Einschubsatz-bedingt) sprachlich etwas schwerfällig.
"Maquis" musste ich nachschlagen, ich kenne nur den (wohl gebräuchlicheren) Ausdruck "Maquisard". Würde ich evtl. in einer Art Fußnote erklären, da es nicht Allgemeinwissen sein dürfte.

Mel
 
H

HFleiss

Gast
Ja, da hast du recht, Melusine, im Westen ist der Begriff Maquis wahrscheinlich recht unbekannt, hab nicht dran gedacht. Maquisard ist natürlich richtig - ein Mitglied des Maquis. Werde ich ändern.
Der Maquis war die französische Untergrundbewegung beim Kampf gegen die deutschen Besatzer zur Zeit des zweiten Weltkriegs.
In ihm kämpften unter großen Opfern alle Schichten des französischen Volkes, das hat man bis heute nicht vergessen, auch die Kommunisten werden übrigens auch heute noch geehrt. Jacques Duclos war nach dem Krieg Vorsitzender der französischen Kommunisten, deshalb musste geschichtsvergessen nach Ansicht der sozialdemokratischen Fraktion von Lichtenberg, trotz zahlreicher auch bürgerlicher Proteste aus Frankreich, dieser Name aus dem Straßenbild verschwinden.

Gruß
Hanna
 
M

Melusine

Gast
Hallo Hanna,
ja, das ist nun mal so... wir lernten in der Schule Jahrhunderte alte Herrschergeschichte. Dafür können wir nichts. Wir haben es uns genausowenig ausgesucht wie ihr.
Als "gelernte" Historikerin kann ich dir sagen, dass "marxistische Theorie" im Westen mindestens seit 89 ziemlich verpönt ist und teilweise als "lächerlich" betrachet wird. Tja. Ich hatte freilich nie ein Problem damit, mich "lächerlich" zu machen ...

Liebe Grüße,
Mel

P.S.: Auch in Österreich gab es nach 1955 eine Art Kommunistenverfolgung. Hat aber jetzt mit deinem Text nichts zu tun.
 
H

HFleiss

Gast
Wenn ich es recht bedenke - ich auch nicht, Melusine.

Gruß
Hanna
 
H

HFleiss

Gast
Svalin, das ist mehr als Klasse. Ich hatte nicht gewusst, dass man hier auch Fotos veröffentlichen kann. Eine gute Auswahl. Danke, das unterstützt die Aussage des klitzekleinen Gedichts (über dessen Qualität ich meine eigenen Zweifel habe)
sehr. Ich dachte nur: Schreib mal darüber, was du siehst.

Lieben Gruß
Hanna
 

Svalin

Mitglied
Hallo Hanna,

Ich glaube, dass sich die Wirkung deines Textes eigentlich nur regional voll entfalten kann. Man braucht eine gewachsene Beziehung zu diesem Ort, um es wirklich mit- bzw. nachempfinden zu können. Schon die vorbeieilenden Pendler oder Autofahrer werden wenig Bemerkenswertes daran entdecken können: eben nur ein Übel von vielen. Dem auswärtigen Leser wird es da nicht anders/besser gehen: irgendeine Straße halt, ein Einkaufscenter, eine Baustelle und die plakative Verheißung blühenden Konsums. Was genau daran so besonders ist, kann ich auch nicht sagen. Die Beklemmung ist irgendwie atmosphärischer Natur: subtil und unerklärlich.

Viele Grüße
Martin

P.S.: Veröffentlichen kann man Fotos auf der LL nicht - sie liegen auf meiner Webseite.
 
H

HFleiss

Gast
Martin, es ist einfach so, dass man vom Regionalen auf das Überregionale schließt, und hier geht es nicht um den Ort, sondern um die Schlussfolgerung in der letzten Zeile: die uns nicht gehören. Es ist ein erzählendes Gedicht mit Pointe. Das ist das ganze Geheimnis. Dass ich einen konkreten Ort benannt habe, das ist doch völlig in Ordnung, aber ich habe kein Gedicht über einen Ort geschrieben (das sähe natürlich anders aus) - diesen Ort gibt es eben nicht nur in Lichtenberg.

Lieben Gruß
Hanna
 

Svalin

Mitglied
Hallo Hanna,

hier geht es nicht um den Ort, sondern um die Schlussfolgerung in der letzten Zeile: die uns nicht gehören.
Im Umkehrschluss bedeutet das: Gehörte allen alles, wäre es "Volkseigentum". Verbirgt sich damit in der letzten Zeile tatsächlich eine Kapitalismuskritik?

Viele Grüße
Martin
 
H

HFleiss

Gast
Auch, Martin. Für wen wird denn da gebaut - etwa für uns?
Einkaufen kann ich auch im Tante-Emma-Laden. Und falls dir das noch nicht reicht: Geh heut doch mal zur Eröffnung des Galeria-Kaufhauses am Alex, des ehemaligen HO-Kaufhauses.
Übelste Naziarchitektur, im Stile des seligen Albert Speer. Von Modernität weit und breit nichts zu sehen. Und für wen wird das gebaut - für uns? Sind wir diejenigen, die den Gewinn einstecken?

Gruß
Hanna
 
S

Seelenblume

Gast
Auch wenns totaler Offtopic ist: Ich finde es erschreckend, wieviele Berliner sich hier rumtreiben. ;)
Und nochwas: Ich war heute bei dieser Galeria Kaufhof- Eröffnung und mir kam derselbe Gedanke wie Hanna hier im Thread: für wen?

Kein Mensch braucht sowas außer die Geldverdienwoller.
Man darf den Gedanken nicht zu lang denken., sonst landet man beim: Was braucht ein Mensch wirklich?
Und dann kann man sich sehr schnell sehr nutzlos fühlen.

Gruß,
Seelenblume
 

Svalin

Mitglied
Hallo Hanna,

Und für wen wird das gebaut - für uns? Sind wir diejenigen, die den Gewinn einstecken?
Die Antwort darauf findet sich vielleicht in deinem Text ;) Das lyrische Ich ist stiller Teilhaber dieser Welt, sogesehen ein Kleinaktionär, der über einen immensen inneren Reichtum verfügt und eine sehr menschliche Schwäche: eher darauf zu schauen, was er nicht hat. Aber anders als es sich und den Leser glauben machen will, trägt das lyrische Ich weitaus mehr als nur den bescheidenen Einkauf mit sich herum: es ist geradezu eine Rüstung aus Wahrnehmungen, Erinnerungen und Gedanken. Darauf zeigt sich als eine der "üblichen" Gebrauchsspuren: Resignation.
Schönfärberei, mag man da denken, aber die eigentliche Frage ist doch, wie es gelingen kann, mit einer derartigen Verbitterung (wie sie aus deinen letzten Kommentaren spricht) einen solch "unaufgeregten", versöhnlich gestimmten, letztlich abgeklärten Text zu schreiben.

Viele Grüße
Martin
 



 
Oben Unten