Wie kann man nur so naiv sein?! (überarbeitet)

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
Wie kann man nur so naiv sein?!

Wieder einmal war ein Umzug nötig gewesen. Nach fast siebzig Jahren in der Anonymität der Großstadt wollte ich nun mein Glück in einer kleinen Stadtrandsiedlung versuchen, wo jeder jeden kennt. Das geht bestimmt nicht lange gut, aber frisch gewagt ist halb gewonnen.
Um neugierigen Blicken und aufkommenden Gerüchten vorzubeugen, lud ich schon am dritten Tag die Nachbarn zu mir ein. Allerdings folgten der Einladung nur das alte Ehepaar von gegenüber mit ihrer Enkelin. Das freute mich sehr, denn kleine Mädchen haben oft eine reiche Fantasie, von der ich zu profitieren hoffte.
Wir saßen im Garten bei Kaffee und Kuchen und unterhielten uns über Gott und die Welt. Plötzlich zeigte die kleine Luisa in den Pflaumenbaum: „Seht mal, was da für ein großer Vogel sitzt! Ist das eine Krähe?“
„Nein, Krähen sind schwarz und der da ist grau-weiß-schwarz gescheckt. So einen Vogel gibt es überhaupt nicht“, meinte der Opa.
Die Oma sagte: „Das könnte eine Eule sein“.
„Ja, so eine Eule wie du“, schäkerte der Opa.
Ich aber ging mir den Vogel näher betrachten. Als ich die Hand nach ihm ausstreckte, sprang er auf meine Schulter. Und schon hatte ich eine Katze im Arm! Der Vogel war in Wahrheit eine Katze. Sie schnurrte wohlig und ließ sich streicheln. Noch nie hatte ich eine derart kuschlige Katze im Arm. Muss wohl ein Angora - Mischling sein.
Glücklich kehrte ich an den Tisch zurück: „Seht mal, das war gar kein Vogel!“
Alle wollten die Katze streicheln, aber sie duldete es nur von mir. Ich gab ihr ein Schälchen Milch, mit Wasser verdünnt, und ein paar mit Leberwurst bestrichene Brotkrumen. Sie nahm beides dankbar an.
Natürlich nahm ich das weiche Kuschelkätzchen mit in mein Zimmer, sogar mit ins Bett. Katzenfell ist gut gegen Rheuma.
Als ich am anderen Morgen erwachte, erschrak ich. Die Gardinen lagen zerfetzt am Boden, mein Federbett war aufgeschlitzt und die Schränke arg zerkratzt. Auf dem Ofen saß ein hässlicher Gnom in einem grau-weiß-schwarz gescheckten Pelzmantel und kicherte: „Wie kann man nur so naiv sein und fremde Katzen mit ins Schlafzimmer nehmen!“
Da enttarnte ich meinen Januskopf, von dem niemand etwas wusste und entgegnete: „Wie kann man nur so naiv sein und das Zimmer eines Magiers verwüsten? Ganz schnell bringst du das wieder in Ordnung, mein Freund!“
Er schnappte mehrmals nach Luft, hatte dem aber nichts entgegen zu setzen. Langsam begann er sich zu drehen, wurde rasch immer schneller, bis er einem kleinen Wirbelwind glich. Mit sanftem Zischen fuhren die Gardinen wieder heil und ganz an die Fenster, die Federn zurück ins Bett und die hässlichen Kratzer an den Schränken verschwanden, als hätte es sie nie gegeben.
Allerdings hatte ich ihn Freund genannt. Was in der Welt der Menschen manchmal einfach nur so dahin gesagt wird, kann in der magischen Welt ein bindendes Versprechen sein. Ich musste zu diesem Wort nun auch stehen, Gnome sind da sehr genau und ich wollte nicht wegen Beleidigung vor das Magiergericht gestellt werden. Na, irgendwie werde ich ihn schon irgendwann loswerden.
Dieses irgendwann rückte schlagartig in weite Ferne, weil der Gnom mir etwas vorwimmerte von wegen kein Zuhause und übergroßer Einsamkeit und dass er nur deshalb meine Gardinen zerfetzt habe. Er berief sich auf unsere "Freundschaft" und ich musste ihn bei mir wohnen lassen.
Nur gut, dass ich mein Refugium schon fertig hergerichtet hatte. Ich musste es nur noch durch einen speziellen Zauberbann vor meinem neuen Gefährten schützen.
Jedenfalls kann ich die nähere Bekanntschaft mit der niedlichen Luisa erst einmal vergessen. Das ist überaus bedauerlich. Denn nach den über sechshundert Lebensjahren gingen mir allmählich die Ideen aus. Und die alten Ideen lassen sich nicht bis ins Unendliche variieren.
Wie aber sollte ich ihr den Gnom erklären? Der musste erst mal erzogen werden, bevor ich ihn als kleinwüchsigen Menschen vorstellen konnte. Da lag ein hartes Stück Arbeit vor mir.
Immerfort wuselte er um mich herum – er hatte schon sehr lange keinen Freund mehr. Kein Wunder bei seinem Zerstörungsdrang. Er hatte einfach Spaß daran, wenn etwas zu Bruch ging. Es waren weniger die Scherben, die ihn freuten, als vielmehr der Knall, dieses laute Geräusch, wenn etwas von hoch oben auf die Erde fiel, möglichst auf sehr harten Untergrund. Vielleicht konnten ein paar harmlose Knallfrösche ihn für eine Weile vom Geschirrzerdeppern abhalten? Die sind schnell produziert. Noch eine Dämpfungshaube auf das Haus, damit die Nachbarschaft sich nicht über die Knallerei wundert, und schon konnte es losgehen. Wir machten uns ein Feuerwerk, als fielen Sylvester, der Nationalfeiertag und eine gewonnene Fußball-WM zusammen.
Nur wurde der Gnom – wir einigten uns nach langer Diskussion auf den Namen Katus, den Namen, den seine Eltern ihm gaben, hatte er längst vergessen und Katus klang so schön lateinisch – dadurch noch anhänglicher. Er hatte mich als wahren Freund erkannt, als einen, der sich um ihn kümmert und seine kleinen Sorgen ernst nimmt. Ich kam zu gar nichts mehr, ständig drängte er sich in den Vordergrund.
Da nahm ich ihn eines Tages zur Seite und sagte: „Du, Katus, wir sind doch auf der Welt, um den Menschen irgendwie beizustehen. Du könntest in deiner Katzengestalt – du bist ja ein Katzengnom – auskundschaften, was in der Nachbarschaft so los ist. Dann sagst du mir das alles und ich überlege, ob wir eingreifen oder nicht und wenn ja, auf welche Weise“.
Er erkundigte sich mit funkelnden Augen, ob wir auch ungezogene Kinder bestrafen werden. Das verneinte ich: „Wir werden ihnen vielleicht einen Streich spielen, aber mehr nicht“.
„Einen Streich spielen? Das wird lustig!“, freute er sich, nahm seine Katzengestalt an und huschte von dannen.
Gleich darauf schepperte es im Nachbargarten. Katus hatte die Gießkanne umgeworfen. Dabei waren zwei Fliesen kaputt gegangen, die ich nun ersetzen durfte. Das nahm ich gern in kauf; hatte ich doch jetzt wenigstens ein paar Stunden des Tages Ruhe.
Falls jemand in der magischen Welt nicht so recht Bescheid weiß - Es gibt den uralten Stamm der Wurzelgnome, die zu gleichen Teilen von den Zwergen und den Elfen abstammen, sehr scheu sind, aber hin und wieder einem in Not geratenen Menschenkind helfen. Sie leben in den tiefen Wäldern. Und es gibt Katzengnome, die halten sich gern in der Nähe von Menschen auf und machen viel Unfug. Ihre Herkunft ist noch nicht ganz geklärt. Die Nachtmahre und -alben sollen da mit im Spiel gewesen sein.
Katus kam mit den kuriosesten Nachrichten zu mir. Mal wunderte er sich darüber, dass es Rasensprenger gab, die unbeaufsichtigt ihren Dienst taten und man „nie“ wissen konnte, wann sie ihre Richtung ändern. Sein armes Katzenfell war nass geworden! Er verlangte eine schlimme Bestrafung für den Besitzer des Sprengers. Was musste ich tun? Ich musste mich mit ihm zusammen neben den Sprenger stellen und ihm zeigen, wann die Richtung geändert wird und dass man sich das sehr wohl merken kann.

Dann kam er ganz aufgeregt zurück und berichtete, dass jeder, aber auch jeder! in der Siedlung in irgendeiner Ecke seines Gartens einen „Misthaufen“ hat, wo alles Mögliche aufeinander liegt. Das stinkt! Das ist Umweltverschmutzung! zeterte er.
Geduldig erklärte ich, dass das keine Mist-, sondern Komposthaufen sind, wo Abfälle zu Gartendünger verarbeitet werden. Etwas Sinnvolles und Umweltschonendes. „Wenn jetzt bald der Herbstwind die Blätter von den Bäumen pflückt, werden die Leutchen hier diese Blätter zu Häufchen zusammenfegen. Dann wird daraus Mulch, worin die Igel sehr gern ihren Winterschlaf halten“, fügte ich noch hinzu und dachte an jenen Tag, wo ich in meiner alten Stadtwohnung Dutzende von Gartenfachbüchern vor mir erscheinen ließ, um mir dieses Wissen anzueignen.
Seine Augen funkelten auf. Ach, hätte ich doch vorher gewusst, was dieses Funkeln bedeutet! Dann wäre der Igelfamilie die Ruhestörung im Januar erspart geblieben. Aber ich wurde abgelenkt durch einen sehr erbosten Nachbarn, der behauptete, dass mein „blödes Katzenvieh“ seinen wohlgeordneten Komposthaufen auseinander gescharrt habe. Ich blickte Katus streng an und er senkte schuldbewusst das Haupt. Entnervt murmelte ich: „Ich sollte dir das Fell über die Ohren ziehen!“
„Ja“, tobte daraufhin der Nachbar, „erschießen müsste man den!“
Erschrocken duckte Katus sich. Ich nahm ihn auf den Arm und sagte: „Ich pass in Zukunft besser auf, ja? Es soll nicht wieder vorkommen“.
Damit musste der Mann sich zufrieden geben.
Eines Tages klingelte der neunjährige Frederic bei mir und sagte: „Guten Tag, es tut mir leid, aber Ihre Katze sitzt bei uns im Apfelbaum und traut sich nicht mehr runter. Dabei habe ich Hasso längst in seinen Hundezwinger gesperrt“.
Der treue Augenaufschlag konnte mich nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Bengel Katus absichtlich von seinem Schäferhund auf den Baum jagen ließ. Ich nahm einen Wurstzipfel und ging mit zu jenem Apfelbaum. Bald lag der zitternde Kater in meinen Armen. Gern hätte ich ihn ausgelacht, denn in seinem Alter – er war ungefähr so alt wie ich – hätte er doch wissen dürfen, was ein Hund ist und was Hunde tun. Aber ich gab ihm die Wurst und tröstete ihn: „Ist doch nur n Hund, der kann uns doch nicht imponieren!“

Eines Nachts wurde ich durch lauten Gesang von der Straße her geweckt. Es klang sehr unharmonisch. Ich spähte durch die Gardine und sah, dass da zwei Betrunkene eng untergehakt singend durch die Gegend torkelten. Ich schnob verächtlich und wollte wieder in mein Bett, da bemerkte ich mit meinen Adleraugen, dass der jüngere von den beiden dem älteren in die Brusttasche griff und ihm wohl die Brieftasche stehlen wollte. Gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ich die zwei noch nie zusammen gesehen hatte. Soso, dachte ich, da hast du dich wohl angeboten, den Nachbarn nach Hause zu bringen und willst ihn nun etwas erleichtern! Aber nicht vor meiner Haustür!
Ich murmelte mehrere Zauberformeln. Danach befand sich der stark betrunkene ältere Mann sogleich in seinem Bett, der Taschendieb aber blieb wie angewurzelt stehen und musste stundenlang in der Haltung eingefroren bleiben, in der ich ihn beim Stehlen ertappt hatte. Am Morgen hatte er einen ebenso grässlichen wie wohlverdienten Muskelkater.
Als Katus wieder einmal durch die Siedlung streifte, verspürte er ein Jucken auf dem Rücken, an einer Stelle, wo er sich nicht selber kratzen konnte. Da sah er Luisas Oma vom Einkaufen kommen. Sofort hatte er eine Idee: Wenn er nämlich unter ihre Tasche kroch, dann könnte die ihn kratzen! Und schon hatte er den Gedanken in die Tat umgesetzt. Die Oma bemerkte es und sagte: „Na, Katus, gehst du spazieren?“, und freute sich, dass das Gewicht der Einkäufe etwas leichter geworden war. Der Gnom aber war so geplagt vom Juckreiz, dass ihm gar nicht bewusst wurde, wie er der Großmutter beim Tragen half. Derartig direkte Hilfe ist für Gnome nämlich geradezu unnatürlich.
Mein Nachbar zur Linken hatte einen großen Birnbaum, auf den er sehr stolz war. Er trug die saftigsten Birnen, die man sich denken konnte. Auch in diesem Jahr hing der Baum recht voll. Noch waren die Birnen klein und nicht ganz reif, aber einige waren schon herab gefallen. Es wird wohl kein gutes Birnenjahr werden. Da kam der kleine Marc des Weges und pflückte eine Birne, die über den Zaun hinaus gewachsen war. Mein Nachbar hockte gerade hinter dem Zaun beim Unkraut jäten, bemerkte den Mundraub und drosch mit seinem Gehstock auf den kleinen Birnendieb ein. Vor Schreck und Schmerz ließ der Junge die Frucht fallen und rannte schreiend nach Hause.
Na warte, dachte ich bei mir, dir werde ich helfen! Du hast in deiner Jugend auch in Nachbars Garten geerntet, und nicht zu knapp und jetzt machst du einen auf Moralapostel? Na warte!
Nacht für Nacht ließ ich nun die Birnen größer und dicker werden. Ich musste die Äste und Zweige durch Zaubersprüche stärken, damit sie die Last tragen konnten.
Endlich waren die Früchte so dick und groß, wie man selten welche sah und ich ließ sie alle vom Baum fallen. Mein Nachbar wunderte sich vor lauter Gier gar nicht, dass der Baum plötzlich kahl war und sammelte seine Ernte auf. Jedoch – die Birnen waren überreif. Sie faulten ihm unter den Händen weg. Alle landeten auf dem Komposthaufen. Am nächsten Tag umsummten riesige Fliegenschwärme das Haus. Die sollten ihm auch noch einige Zeit treu bleiben und unzähligen Nachwuchs bekommen. Bald konnte man vor lauter Fliegen das Haus nicht mehr sehen. Da ließ ich es genug sein und tötete sie alle durch einen Zauberspruch. Es sollte ja nicht zu einer Seuche ausarten.
Eines Tages kam Katus wieder einmal mit einer „Schreckensnachricht“ zu mir. Ein Nachbar hatte an seinen Rosenbäumchen Vandalismus betrieben. Das musste ich mir aus der Nähe ansehen.
Wir spazierten zu dem besagten Garten und ich sah, dass der Gärtner sich wohl bemüht hatte, die Rosenstöcke zu veredeln. Sauber und ordentlich hatte er ein paar Zweige aufgepfropft. Aber das tut man doch spätestens Ende Juni und nicht Ende Oktober!
Dies Unterfangen konnte nicht gelingen. Also wollte ich wissen, warum der Mann die Dummheit beging. Ich schlich mich des Nachts in seine Träume und erfuhr so die ganze Geschichte: Er hatte einem „Freund“ sein Leid geklagt, wie schwer er es als Arbeitsloser hatte, seine Familie durchzubringen. Er barmte: „Wenn ich doch wenigstens die Möglichkeit hätte, unauffällig etwas dazu zu verdienen! Nicht mal das Obst aus meinem Garten konnte ich in diesem Jahr verkaufen!“
Da gab ihm der Freund den Rat, die Rosenstöcke zu veredeln und dann im nächsten Jahr Sträuße zu verkaufen. Am Bahnhof würde er sie gewiss für gutes Geld los werden. Er half ihm sogleich mit seinem Okuliermesser und machte die Bäume fachgerecht klar. Natürlich ließ er sich die Arbeit bezahlen.
Die Bäume werden diese Einschnitte vielleicht überleben, die dünnen, aufgepfropften Reiser aber kaum, das Geld war zum Fenster hinaus geworfen. Ich wollte schon kopfschüttelnd meine Schritte heimwärts lenken, da fiel mein Blick auf seine kleinen Kinder. Die konnten nichts dafür, dass ihr Vater keine Arbeit fand!
So beschloss ich, dem Manne zu helfen. Ich umgab die Rosenstöcke mit einem Wachstumszauber. Der treu sorgende Vater sollte die schönsten Rosen der Stadt bekommen.
Laute Musik untermalte meine Formeln. Nanu, woher kam die denn? Wollte mich ein Kollege narren? Ich streckte meine Fühler nach allen Seiten aus, aber da war nichts. Nicht der kleinste Anflug der Gegenwart einer anderen magischen Person außer Katus, und der war zu solchen Dingen nicht in der Lage.
Auf dem Heimweg wurde die Musik immer lauter. Bald erkannte ich, woher sie kam. Aus dem Kofferradio eines Jugendlichen, der mit seinen Kumpeln vor meinem Hause stand. Aber gegenüber wohnten Luisas Großeltern. Sie waren von dem Lärm aufgeweckt worden und die Oma wies die Teenies zurecht. Sie bekam eine sehr empörende, ungezogene Antwort.
Für so etwas hatte ich ja nun mal nicht das geringste Verständnis. Für Musik schon, aber nicht für Frechheiten. Leise murmelte ich ein paar Flüche, die ihre Wirkung nicht verfehlten. Alle diese Jugendlichen werden genau dieses Lied, was sie gerade hörten, jetzt eine Woche lang hören. In voller Lautstärke immer nur dieses eine Lied und sonst nichts weiter. Kein Wort ihrer Freunde, keinen Ton ihrer Computerspiele und keinen Filmdialog. Hoffentlich half das.
An einem Sonntagmorgen hockte sich Katus vor mich hin und fragte: „Soll ich dir nun sagen, was sich die Kinder wünschen? Ich sollte das doch in Erfahrung bringen“.
Ja, das sollte er. Damit hatte ich ihn beauftragt. Ich zog mir einen Stuhl heran und wollte seinen Bericht hören. Er begann: „Maria möchte später mal ihre Hochzeitsreise an die Niagara-Fälle machen. Kitschig, nicht?“
„Ein bisschen schon, aber das geht uns nichts an“.
Katus leckte sich eine Vorderpfote und fuhr fort: „Victor möchte Tierarzt werden, das muss man ihm doch austreiben, so klein und zierlich, wie der ist!“
„Das sehe ich nicht so. Er ist intelligent, und wenn er fleißig lernt, wird er sein Ziel erreichen. Und er wird auch darauf kommen, dass man durch Sport und spezielle Übungen groß und stark wird. Sport bedeutet ja nicht für umsonst Körperertüchtigung“.
Katus machte es sich auf dem Fußboden gemütlich und sprach mit halb geschlossenen Augen: „Wanda wünscht sich eine Eisbombe, bestehend aus einer Schicht gehackter Nüsse, je eine Kugel Schokoeis, Vanille, Erdbeer, Himbeer, Kirsch und Pistazie, dazu einige Stückchen Ananas, zwei Portionen Schlagsahne und Eierlikör. Ganz schön genäschig, oder? So, wie ich dich kenne, wirst du ihr das doch jetzt täglich zukommen lassen, bis es ihr zu den Ohren herauskommt“.
„Nein. Solche Gelüste vergehen gewöhnlich von selbst. Ein paar nette Nachmittage mit ihren Freundinnen, ein paar knifflige Hausaufgaben und schon wird das Eis vergessen sein. Außerdem kommt jetzt bald die kalte Jahreszeit, da isst man schon naturgemäß nicht soviel Eis“.
Der Gnom zeigte sich ein wenig maulig, weil ich seine Sensationsgier nicht stillen wollte. Er hätte zu gern gesehen, wie ich ein Kind bestrafe. Aber ich hab es nun mal nicht so mit dem Bestrafen, jedenfalls, was Kinder anbelangt.
So rasselte er jetzt in einer Geschwindigkeit, dass ich kaum so schnell hören konnte, alles herunter, was er über die Kinder und ihre Wünsche erfahren hatte: „Laura wünscht sich eine Puppe, Martin ein Handy, Silvester einen Computer, Anna ein Spitzenkleid, Andre ein neues Computerspiel, Slivko will auch eins, Ole eine Modelleisenbahn, Marc will Polizist werden, Anka Schauspielerin, Moritz wünscht sich ein Laserschwert, Ada wünscht ihre kleine Schwester zum Teufel . . .“
„Halt!“, rief ich. „Das geht uns alles gar nichts an, darauf werden wir nicht den geringsten Einfluss nehmen! Du solltest nicht so profane Dinge auskundschaften, sondern echte Träume. Der von Victor ist schon recht gut. Solche Sachen, die nur mit Anstrengung und Mühe zu erreichen sind, dabei könnten wir den Menschen helfen. Puppen und Kleider kommen von den Eltern, oder die Kinder lernen verzichten, was gar keine so üble Eigenschaft ist“.

Katus räkelte sich ausgiebig und schwieg. Dann sagte er ganz leise: „Mir scheint, du hast eine ganz andere Auffassung vom Helfen als ich“.
Das schien mir auch so, dennoch fragte ich: „Warum?“
Er legte den Kopf schief und erzählte: „Vorgestern haben Erkan, Dominic, Michel und Demian ihren Klassenkameraden Willi gehänselt, geschubst und geschlagen. Vier auf einen! Da hab ich dem Willi ein Bein gestellt, damit er hinfällt und die Fäuste ihn nicht erreichen. Leider bekam er dafür eben die Fußtritte ab“.
Was sollte ich dazu sagen? Wie sollte ich meinem kleinen Freund klar machen, dass er da nicht dem Schwachen, sondern den Fieslingen geholfen hatte? Er blickte mich erwartungsvoll an. Bedächtig meinte ich: „Dumm gelaufen, was? Und, würdest du es beim nächsten Mal anders machen?“
Er erwiderte fauchend und typisch Katzengnom: „Beim nächsten Mal würde ich gar nischt machen!“
Ich lachte: „Aber mit gar nischt ist auch dem Willi gar nicht geholfen. Du willst ihm doch helfen, oder?“
„Bin ich dann ein Held?“, stellte er mir eine Gegenfrage. „Hm, ich glaub schon“, erwiderte ich gedehnt. „Kennst du „Die unendliche Geschichte“ von Michael Ende?“ – „Nee, wozu?“ – „In dem Buch gibt es auch so einen Willi, der von seinen Klassenkameraden geplagt wird. Aber bald hat er einen Drachen als Freund, natürlich nur in Gedanken. Das könnten wir für unseren Willi tun. Wir könnten einen Drachen in seine Träume schicken. Auch aus Träumen können Kinder Kraft schöpfen. Und sicher kommt er dann auch darauf, wie er diesen Bengeln aus dem Weg gehen kann“.
„Ja, aber wie soll er sich jemals an ihnen rächen können?“, empörte sich der Gnom. „Rache ist unwichtig und gering“, belehrte ich. „Außerdem sind die Typen schon bestraft genug mit ihrer Gewaltbereitschaft. Sie werden nie richtige Freunde finden“.

Katus schlug träge mit dem Schwanz und trollte sich.
Nach einer Stunde hockte er wieder vor mir und sagte: „Du hast mir doch versprochen, dass wir den Menschen hin und wieder einen Streich spielen“. Ich zog die Brauen hoch. Hatte ich das wirklich versprochen? Ich hatte es vielleicht erwähnt . . .
Dann stehlen wir einen Buchstaben, das wird lustig, wenn sie alle nicht mehr richtig reden können. Stell dir nur mal vor, wir stehlen das s. Dann wird aus Puste Pute, aus Spaten Paten, aus Schloss Chlo, aus Paste Pate, aus Spaß Pa, aus . . .
„Jaja, das würde die gesamte Verständigung durcheinander bringen“, unterbrach ich ihn. „Aus stopp zum Beispiel würde topp werden. Und wenn dadurch beim Telegrafieren ein Unglück geschieht? Du weißt doch, immer, wenn ein Mensch durch Gnomenunfug zu Tode kommt, wird der Verursacher ein Stück kleiner und hässlicher, bis er irgendwann verschwindet. Willst du das? Willst du verschwinden?“
Der Gnom zog eine Schippe und maulte: „Irgendwann ist ja nicht gleich . . .“
Ich ignorierte das und fuhr fort: „Außerdem würden wir der Welt einiges an Poesie und Musikalität nehmen. Zum Beispiel würde aus dem melodischen und lustigen „Hopsassa“ ein ziemlich hartes Hopaa. Ich möchte nicht wissen, wie das die Menschen verändern würde!“
„Dann nehmen wir eben einen anderen Buchstaben!“
Katus war nicht zu bremsen. Ich seufzte: „Glaube mir, es ist mit jedem Buchstaben so. welchen auch immer du nimmst, es wird die Harmonie zerstören“.
„Ach, Harmonie“, meinte er wegwerfend. „Wozu braucht man denn die?“
„Zum Wohlfühlen. Würdest du dich wohlfühlen, wenn ich dich unharmonisch anschreie?“
„Nee“.
„Na siehste“.
Ein paar Tage später kam er winselnd nach Hause. Ich wollte wissen, was ihm Schlimmes begegnet sei. Es stellte sich heraus, dass er seine Krallen ausgerechnet an der Pergola gewetzt hatte, die ein Nachbar gerade aufgebaut hatte. Das dünne Spangeflecht löste sich in tausend Fetzen auf und der Mann verfolgte den Kater mit einer Gerte, die ihn mehrmals in das Fell zwickte. Oh, wie war mein Katus erbost!
Nachdem er sich einigermaßen beruhigt hatte, meinte er: „Man müsste den Menschen einen Tag stehlen, gerade den heutigen! Kannst du das nicht richten? Du bist doch so ein großer Magier“. Ich überlegte, was ich darauf antworten könnte. Sollte ich eingestehen, dass meine Zauberkraft nicht so weit reicht? Oder sollte ich dem Gnom etwas Vernunft beibringen? Das schien mir besser. Ich erklärte ihm also, dass das Zeitgefüge durch die Wegnahme eines Tages gestört werden würde und dadurch große Schäden angerichtet würden und er mit Sicherheit danach nicht mehr existieren würde. Widerwillig sah er es ein, war aber nicht besänftigt.
Ich versuchte, ihn zu trösten mit dem Hinweis, dass ja bald Weihnachten sei. „Ich kann Weihnachten nicht leiden“, fauchte er. Wenn ich es mir recht bedachte - ich auch nicht.
Nach einer Weile hob er sein Köpfchen und das alte Funkeln erschien wieder in seinen Augen: „Aber Ostern ist lustig, da können wir die Eier verschwinden lassen!“
Wir lachten, dass die Wände wackelten und hatten noch viele schöne Tage und ebenso viele heftige Diskussionen, bis er eines Tages einen anderen Gnom kennen lernte, mit dem er von nun an durch die Welt zog.
 

Inu

Mitglied
hallo Old Icke

Mir gefällt das überraschende Ende.
Ich würde aber die Magierin allein leben lassen. Vielleicht könnte statt der Tochter ein Nachbarkind zufällig im Garten anwesend sein? Denn die verwüstete Wohnung, die Hexenhaftigkeit ;) auch der Frau, das passt nicht so ganz in ein familiäres Umfeld mit Tochter und Großvater. Eine normale Familie würde etwas von der Magie aus der Geschichte nehmen

Aber das ist nur so ein Gedanke von mir.

LG
Inu
 
S

SilverSephiroth

Gast
Ähhm ja....

muss erstmal was loswerden, kann es ehrlich gesagt net verstehen wie Inu dafür 8 Punkte geben konnte, sry, aber das is doch nichts weiter...

Naja ich halt mich hier raus :)
Ich würde des ja noch bissel ausbauen und Inus Tipp vll befolgen.
Bei 8 Punkten müsste es doch ein Gewinn für die LL sein, oder?
Ich denke dass es einfach ne Story ist, aber hat weder was Witziges, noch was Spannendes, noch irgendwas, sry flammarion.

Oder ich bin vll zu doof, das zu verstehen ;-)
Naja egal, ich kann die 8 Punkte jedenfalls net nachvollziehen

lg Silver
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
vielen

dank fürs lesen, kommentieren und die tolle bewertung.
deine anregungen nehme ich gerne an, liebe inu. vielleicht wird daraus auch noch ne gaaaanz lange fortsetzungsgeschichte.
silver, so ganz unrecht hast du nicht. ich werde obiges wohl zurückziehen und erst wieder veröffentlichen, wenn ich mehr gehalt in die sache gebracht habe.
lg
 

Inu

Mitglied
silver, so ganz unrecht hast du nicht. ich werde obiges wohl zurückziehen und erst wieder veröffentlichen, wenn ich mehr gehalt in die sache gebracht habe.
lg
Ich bin nicht der Ansicht, dass der Text schlecht und gehaltlos ist. Die Geschichte hat einen tollen Aha-effekt. Mir gefällt auch die Kürze und Prägnanz. Mir war sie ( allein schon von der Idee und Originalität ) 8 Punkte wert.

Gruß
Inu
 

Felix

Mitglied
Also ich muss Silver recht geben, acht Punkte hat diese Geschichte wirklich nicht verdient.
Ich will sie keineswegs als inhaltslos und schlecht abtun, sie ist in meinen Augen einfach nur zu kurz.
Vor allem das Ende kommt für meinen Geschmack zu plötzlich. Der gesamte Text hat das Potenzial zu einer größeren Geschichte, die Beziehung zwischen der Magierin und dem Gnom könnte noch viel interessanter erzählt werden.
Aber du willst den Text ja eh noch einmal zurückziehen.
 

Doska

Mitglied
Und weil
die Meinungen gerade so verschieden sind, kommt jetzt noch eine hinzu. Mir hat dieses superkurze Märchen besonders wegen dem Anfang, in dem erst einmal Alltägliches geschildert wird, sehr gut gefallen. He, warum sollten Magierinnen keine Töchter haben? Umso überraschender empfindet man nämlich deshalb das zauberhafte Ende.Ich glaube gerade Kinder - und für die sind ja Märchen eigentlich gedacht- dürften deshalb an dieser Geschichte einen Heidenspaß haben.
In einem Punkt muss ich allerdings den anderen Recht geben.Bitte,liebe Flammarion, meeeehr davon!
 

Doska

Mitglied
Ups?
Habe dein tolles Märchen gesucht und nun bist du hier? Kannst du mich in meiner Doofheit mal aufklären, warum du das machst?
Verwirrte Grüße
Deine Doska
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
na,

weil ich noch daran arbeiten möchte, liebe doska. wenn du ganau hinsiehst, kannste schon n paar veränderungen sehen.
lg
 

Doska

Mitglied
Ja,
du hast dieses Märchen mächtig verändert! Es ist durch die hinzu gefügten Details nicht nur länger tatsächlich NOCH besser geworden. Man lebt förmlich mit. Die sonderbare Feundschaft zwischen dem Magier und dem Gnom ( von dem wir nur wissen, dass er zu den Katzengnomen gehört, hehe!)ist herrlich humorvoll. Hier gib`s wirklich nichts mehr zu meckern, bis auf eine winzige Kleinigkeit. Könntest du uns Lesern den Zaubertrick mit der Schalldämmung noch etwas näher veranschaulichen? Dann wäre die Geschichte in meinen Augen perfekt und was sagen die übrigen ehemaligen Kritiker nun dazu?
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

ein magier, der keine schalldämmung erzeugen kann, taugt nicht viel. das bekommt man mit der muttermilch mit, mensch.
kichernd grüßt
 

taxidriver

Mitglied
aaaalso old icke...
ich weiß nicht wer was gelesen hat... aber ich konnte nichts von einer tochter lesen... grins seh ich mal wieder nicht gut???...
klärt mich jemand darüber auf??
ich find die geschichte jedefalls lustig und überrachend...

gruß taxidriver
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
nun,

taxidriver, die tochter ist inzwischen das enkelkind der nachbarn. die urfassung des märchens war keine seite lang. inzwischen passt es nicht mehr ins konzept, dass der magier eine tochter hat. bin auch noch nicht klar darüber, ob s ein magier oder eine magierin ist. ich arbeite weiter . . .
lg
 

Inu

Mitglied
Hallo flammarion

Da ist ja jetzt eine ganz neue, auch interessante Geschichte entstanden. Aber ich sag noch immer ... die superkurze Fassung hatte für mich ein gewisses ETWAS. War natürlich noch nicht ganz perfekt.

Aber mit meiner Liebe dazu stand ich wohl allein auf weiter Flur. Und Du liebst es ja auch auszuschmücken, zu erfinden und zu fabulieren :)

Liebe Grüße
Inu
 

Doska

Mitglied
Äh...jetzt ist diese Story
ein wenig zu lang geworden. Ich würde entweder einiges raffen oder ganz heraus nehmen, um sie als Kurzgeschichte zu belassen.
Wenn du jedoch ein längeres Märchen daraus machen möchtest, könntest du die vielen kleinen Erlebnisse zu weiteren Kapiteln umfunktionieren. Dazu müsstest du aber eine GRUNDLEGENDE Idee für diese Geschichte parat haben - weißt ja, der anstrengende gut ausgearbeitete rote Faden, puh! Für eine gaaaanz lange Story ist das Thema meiner Meinung nach leider NOCH zu dünn.
L. G.
Doska
 

Deva

Mitglied
Eine amüsante Geschichte mit überraschenden Ende. Ich finde sie ganz niedlich, zeigt ja auch mal wieder, wie naiv wir mMenschen sein können ;)

Greetz flammarion
 



 
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