Wie lang darf ein Gedicht sein?

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Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Mein bisher kürzestes Gedicht war unaussprechlich. Es bestand aus einem schwarzen Punkt auf hellgrünem Grund. Ich hatte es in der Leselupe veröffentlicht, leider finde ich es nicht mehr. Es gab auch zahlreiche aufmunternde Kommentare.

Ein noch kürzeres Gedicht ist nur scheinbar kürzer, denn es bestehet ewiglich. Es ist allerdings schwer zu erkennen, es hat keine, oder auch null Zeichen. Trotzdem unterscheidet es sich dadurch dass es ein Gedicht mit Null Zeichen ist, von keinem Gedicht mit null Zeichen, wobei kein Gedicht nicht nichts sei, sondern lediglich kein Gedicht.

Dein kürzestes Gedicht, Ibini, ist ein Modell von meinem kürzesten Gedicht, denn es symbolisiert ebenfalls die Ewigkeit.

Mein längstes gedicht habe ich nicht mehr parat. Es ging verloren. Es war in einer Mappe und handelte von Faust. Daraus sind nur noch Fragmente übrig.

Doch unbesorgt, in der Bibliothek von Babel sind sicher noch einige Exemplare unterschiedlicher Ausgaben enthalten.

Viele Grüße und weiterhin viel Spaß am Unfassbaren und Unermesslichen.

Bernd.

PS:

Dein kürzestes Gedicht ist eben zugleich auch Gemälde und Symbol.
Es verschlüsselt alle anderen Gedichte, die schon geschrieben wurden, oder je geschrieben werden, oder geschrieben werden könnten, in einem einzigen Buchstaben, dem "o"

Ausruf des Erstaunens und Erschreckens zugleich.
Symbol der Geburt und der Bewegung
 

Haget

Mitglied
MoinMoin,
aber wir sind uns einig, dass ein "O" mit gleicher (oder sogar größerer?) Berechtigung auch eine Geschichte/ Erzählung sein könnte? Fest steht jedenfalls, dass es kein Reimgedicht ist!! O - O

Wo liegen die Grenzen? Goethe schrieb sein "Hermann und Dorothea" im Hexameter. Eine Erzählung? oder schon Gedicht?

Aber die Grenze ist sowieso - für mich - unwichtig.

LG
 

ibini

Mitglied
Hallo Harget,

grundsätzlich hast Du recht, aber man kann auch argumentieren: gut halbgereimt ist besser als schlecht vollgereimt (obwohl mir natürlich klar ist, was Du sagen wolltest). Außerdem gibt es den Halbreim als festen literarischen Begriff. Und wenn ich mich nicht irre, sind sogar bei unseren Paradepoeten wie Heine Gedichte zu finden, die in sich teils gereimt, teils nicht gereimt sind. Vorstellen kann ich mir allerdings, daß für den schwäbischen Hofkomödianten Willi Reichert all diese Fragen nur von untergeordneter Bedeutung waren. Und auch dem Geißbock hätten sie sicher nicht das Leben gerettet.

Übrigens habe ich eines aufgrund Deiner Bemerkung gelernt: hudeln bedeutet schlecht arbeiten, pfuschen. Ich habe es eigentlich bisher immer nur mit antreiben, sich beeilen, hetzen in Verbindung gebracht. Der Zusammenhang ist zwar naheliegend, muß aber nicht unbedingt stimmen.

Mit Gruß
ibini
 

GabiSils

Mitglied
Hudeln

Hallo ibini,

im Badischen ist "huddle" ein Ausdruck für: etwas schnell und daher flüchtig machen, eine Arbeit "zammehuddle" zum Beispiel.


Gruß
Gabi
 

Haget

Mitglied
JA,
aber "no net hudle" bedeutet auch etwas erweitert: Nur nicht zu schnell! Nur nichts überstürzen! - Kommt sinngemäß auch in Richtung "pfuschen".

LG
 

ibini

Mitglied
Hallo Bernd,

da es mir vorrangig darum geht zu lernen, frage ich mich natürlich zuerst, was Deine Zeilen hier hergeben. Und das ist eine ganze Menge! Einmal, man kann nicht genug aufpassen, daß einem nichts verschütt geht. Ich werde also mein kleines o nicht aus den Augen lassen. Vor allem, da es – um Dir zu folgen – gewissermaßen der Inbegriff aller Dichtkunst bzw. der Urvater oder die Urmutter aller Poesie zu sein scheint. Der Gedanke, daß nichts so klein ist, daß es nicht noch kleiner sein könnte, spielt da nur eine untergeordnete Rolle. Insbesondere, weil Dein Pünktchen als „lebender“ Beweis dafür sich verdrückt hat oder verdrückt wurde. Schade, denn die Diskussion der beiden (Pünktchen, kleines o) hätte vielleicht zur Urkürze geführt. Das hätte bedeutet, jeder wäre zum Beispiel ein Goethe, ohne sein eigenes Ich aufzugeben. Eine phänomenale Vorstellung, allerdings erkauft mit dem Nachteil fehlender Kritikressourcen. Ausgeglichen werden könnte das aber im Gegenbereich, der Gedichtlänge. Hier scheint noch alles im Fluß zu sein, denn Du bist am hoffenden Suchen (oder suchenden Hoffen) und ich noch am Schreiben. Käme man zum Beispiel auf maximal etwa ein Gedicht pro Person und Generation, so würde, wie ich meine, vielen etwas erspart bleiben.

Du siehst also, es gibt noch genug Möglichkeiten, in die Annalen der Literaturgeschichte einzugehen. Bleibend und nicht nur in einem Jahresband. Vielleicht empfiehlt es sich dabei, von Zeit zu Zeit unsere Rollen mal zu tauschen: das heißt, Du schreibst, und ich verlege bzw. suche etwas. Literarisches Job-Rotation mit noch ungeahnten Chancen! Trotzdem werde ich ganz konventionell mein kleines o nicht aus den Augen lassen! Ach so, ehe ich es vergesse: Zu Beginn meines dritten Satzes solltest Du das „Einmal“ streichen, denn auf den nächsten „ausgeworfenen“ Punkt wartet man vergeblich, danke!

Mit Gruß
ibini
 

Haget

Mitglied
MoinMoin GabiSils,
wir hatten etwa gleichzeitig geantwortet. Aber ich denke, meine Erklärung aus dem hohen Norden stimmt mit Deiner gut überein.

Liebe Grüße
 

ibini

Mitglied
Hallo Gabi,

mit den verschiedenen Wortbedeutungen ist es manchmal nicht ganz leicht! So könnte man sagen: „Hudel mich nicht, sonst hudle ich!“ Das hieße: „Hetz mich nicht, sonst bau ich Mist!“ Wie das erklären!?

Mit Gruß
ibini
 

GabiSils

Mitglied
Hallo ibini,

"hudel mich nicht" gibt es nicht. Man kann nicht jemanden hudeln, auch nicht sich selber. Insofern ist das Wort nicht exakt gleichbedeutend mit hetzen.

Dagegen kann man sagen "jetz huddel doch nit so!", das heißt sinngemäß: mach doch langsam, nicht so hektisch.


Grúß
Gabi
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Noch ein kleines PS

Eine bemerkenswerte, fast übersehene, Tatsache ist hierbei noch die Slbstbezüglichkeit des Gedichtes, das über andere Gedichte zu schreiben scheint, aber doch auch sich darstellt.
 

ibini

Mitglied
Hallo Gabi,

schade, mein schöner Satz in seiner Aussage! Kann man da nicht handeln?


Hallo Bernd,

diese Selbstbezüglichkeit mag bemerkenswert sein. Letztlich ist sie jedoch nicht mehr als ein vielleicht letzter menschlicher Zug des Gedichtes. Denn auch da ist es nicht ungewöhnlich, über andere zu schreiben, sich selbst dabei aber wie selbstverständlich in den Vordergrund zu stellen. Wichtiger als das erscheint mir allerdings hier ein anderes: Dir ist ja schon wieder etwas verlorengegangen. Diesmal ein kleines e. Wenn das so weitergeht, müssen wir uns bald nach einem neuen Buchstabensystem als Grundlage der Dichtkunst umschauen. Wie wäre es zum Beispiel mit einem „Eurobeth“?

Mit zwei Grüßen
ibini
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Liebe Ibini, ich habe es voller Bedauern schon gesehen, leider erst nach einer halben Stunde. --- Nicht korrigierbar.

Ich füge hier das "e" ein und gebe noch eine Zugabe:

Selbstbezüglichkeit

---

hab Dank für die Antwort
 

Dorian

Mitglied
Hudlerei

Griaß Eich, olle mitanond!

Im Wienerischen würde man sagen:
"Nua ned hudln, vom hudln kumman dKinda."
Im Sinne von:
"Immer mit der Ruhe, sonst gibts ein Unglück."

Danke Euch übrigens. Ihr habt mich zu einem Dialekt-Gedicht inspiriert.
 

ibini

Mitglied
Hallo Bernd,

angenommen, einschließlich der Zugabe als Geschenk! Allerdings – das gestehe ich – nur sehr ungern. Denn der Gedanke an ein „Eurobeth“ hat mich selbst von Minute zu Minute mehr begeistert. Nun muß ich mich davon wohl entgeistern. Um jedoch gerüstet zu bleiben, werde ich die Idee nicht ab-, sondern wiedervorlegen. Sollte die Notwendigkeit mein Vergeßlichkeitsniveau übersteigen, dann darf ich sicher auf Deine Erfahrungen als Suchspezialist von Punkten und anderen Zeichen jeder Kleine zurückgreifen.

Mit Gruß
ibini
 

ibini

Mitglied
Hallo Dorian,

griaß Di wieda! Jetza woas i, wieso es heit nur mehr so wenig Stoacherl bei uns gibt: d’Leit hudeln z’vui. Wia hom koa Markt-, sondern wia lehm in a Hudlwirtschaft. Ob des lang guatgeh wird? Und wo is Dei Gedichterl? Schließli san mir hier d’Hebamm.

Pfüat Di
ibini
 

Dorian

Mitglied
Hallo ibini!

Gedicht ist fertig, habs soeben unter "Poesie" gepostet.
Heißt "Wiener Dialekt-Gedicht" und hat sogar eine Übersetzung. Hoffe es gefällt Euch

Das Sprichwort mit dem hudln soll übrigens ausdrücken, daß Kinder in diesem speziellen Fall NICHTS wünschenswertes sind (beim Sex hudeln -> Kondom nicht richtig oder gar nicht benutzen).

LG

Dorian
 

ibini

Mitglied
Hallo Dorian,

Dein Gedicht habe ich mir inzwischen zu Gemüte geführt. Sicher kann man dazu einiges sagen. Allerdings erscheint mir hierfür der „Tatort“ sinnvoller. Die Inspiration zu der Darstellung, die ja Deinen eigenen Worten nach von der „Hudelei“ an dieser Stelle kam, dürfte sich wohl auf die Atmosphäre insgesamt beziehen. Interessant ist für mich, daß ich vor einigen Wochen ein ganz ähnliches Thema am Wickel hatte. Allerdings ist kein Gedicht, sondern Prosa daraus geworden.

Mit Gruß
ibini
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ich kannte das Wort "hudeln" bisher nur im Zusammenhang mit "Lobhudeln".

Man lernt stets dazu.

Viele Grüße von Bernd
 



 
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