Wiedersehen mit Damals

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Gabriele

Mitglied
Der Rudolfsplatz - endlich. Viel hat sich hier nicht verändert – zum Glück! Auf dem Rasen vor dem Historischen Museum liegen immer noch junge Leute in der Sonne. An der Tür des Buchladens hängen wie eh und je eine Menge Flyer und Unterschriftenlisten. Auch das Café „Einstein“ sieht noch genauso aus wie vor fünfzehn Jahren.
Und doch – irgendetwas ist anders geworden: Die jungen Leute auf der Wiese tragen jetzt zum Großteil Designerklamotten, die Texte der Demo-Aufrufe und Petitionen sind irgendwie braver geworden, und aus dem Café klingt heute Robbie Williams statt Nirvana.
Wie oft sind wir auf diesem Platz rumgehangen, damals in der Studienzeit: Kathrin, Werner, Bianca und ich! Was uns damals trotz unserer unterschiedlichen Studienrichtungen verband, war das Engagement in jener linken Gruppierung, die es nun schon seit fast zehn Jahren nicht mehr gibt. Diese oft nächtelangen Diskussionen, dieser Enthusiasmus, dieser Glaube an eine andere, gerechtere Gesellschaft! Ja, auch damals nach dem Fall der Mauer noch – vielleicht sogar gerade damals! Wurde unsere Gruppe doch befruchtet von dem einen oder anderen Ossi, der die DDR nicht nur als finsterste Diktatur erlebt hatte.
Ja, damals lag das Leben noch vor uns, bot uns unzählige Möglichkeiten, uns zu engagieren und weiterzuentwickeln.
Und heute? Was ist aus unseren Plänen und unseren politischen Aktivitäten geworden?
Kathrin lebt in den USA, ist im Management bei einem dieser IT-Riesen tätig. Werner arbeitet als Chirurg in einer Hamburger Klinik. Zu den beiden habe ich praktisch keine Verbindung mehr, weiß nciht mal, ob sie allein leben oder inzwischen Familie haben.
Bianca ist hier geblieben und leitet eine Rechtsanwaltskanzlei. Wir telefonieren öfter und sehen uns ein-, zweimal pro Jahr. Seit ihrer Scheidung vor etwa drei Monaten habe ich nicht mehr mit ihr gesprochen. Politisch aktiv ist auch sie schon lange nicht mehr.
Na, und ich kann mir als Lehrerin in Fürstenburg, jener Kleinstadt, in der ich nach mehrjähriger Wartezeit endlich eine Stelle bekommen habe, nicht allzu viel eigene Meinung leisten. Wie gut es tut, dieser engen kleinen Welt nach Ferienbeginn zu entfliehen und nicht mehr unter Beobachtung zu stehen!
Den Pflichtbesuch bei meiner Mutter in Erlenbach habe ich schon hinter mir. In meinem Heimatdorf fühle ich mich ja leider ebenso kontrolliert wie an meinem Arbeitsort, denn dort kennt man mich noch dazu schon seit meiner Kindheit. Schon meiner Mutter zuliebe muss ich dort die brave tüchtige Tochter spielen.
Naja, brav und tüchtig bin ich inzwischen ohnehin geworden – etwas zu sehr sogar! Ein wenig einsam auch – naja. Der Traum von einer Familie und eigenen Kindern, der mich nach meiner revolutionären Phase eine Zeitlang heimsuchte, wird wohl unerfüllt bleiben. Mit den durchwegs biederen Herren, denen ich in Fürstenburg oder Erlenbach bisher begegnet bin, scheint mir eine Partnerschaft jedenfalls wenig erstrebenswert...
So, genug gegrübelt! Im Gastgarten vom „Einstein“ ist noch ein sonniger Platz frei. Ich werde mal bei einem Cappuccino mit Bianca telefonieren.
 
B

bonanza

Gast
sehr realistisch, was im kopf dieser frau rumschwirrt.
lebensnahe schilderung der begegnung mit der verlorenen
jugend und ihren träumen. so ist das halt. erstens anders
und zweitens, als man denkt. hopplahopp gehört man zum
establishment.
etwas schnurzig geschrieben aber durch seine kürze und
klaren aussagen gefällig.

bon.
 

Gabriele

Mitglied
Danke, bon,

freut mich, dass Dir mein kleines Werk (bzw. der Anfang eines eventuell mal größeren Werkes) gefallen hat!
Erklär mir nur bitte, was Du mit "schnurzig" meinst! Dieses Wort ist bisher noch nicht in meinen Wortschatz vorgedrungen. :)
LG Gabriele
 
B

bonanza

Gast
schnurzig: lässig bis nachlässig.
paßt aber nicht schlecht zur selbstironie und der
lakonischen weltsicht der protagonistin.
sprachlich fehlen dem text die "treffer".

bon.
 

Gabriele

Mitglied
Hallo bon,

Du meinst, er liest sich ein bißchen langweilig?
Naja, einerseits hat die Prot., wie Du schon angemerkt hast, eine leicht selbstironische und desillusionierte Weltsicht. Zum anderen ist dieser Text ja eigentlich eher als Einstieg in eine "größere" Geschichte gedacht.
Aber gerade deshalb sollte er natürlich schon Lust aufs Weiterlesen machen.
Ich werde mal darüber nachdenken, wie ich ein paar "Treffer" reinbringen könnte.

Lieben Gruß
Gabriele
 
I

inken

Gast
Liebe Gabriele, vom Ansatz her nicht schlecht, aber mir gefällt die Ausführung nicht ganz - zu viel gesagt, zu wenig gezeigt und ein bisschen mehr Witz hätte ich mir auch gewünscht, ein wenig larmoyant das Ganze, finde ich.

Ich hätte mir als Aufhänger ein paar Szenen mehr gewünscht,
so sehe ich nur eine reifere Frau mit einem wehmütigen
Gesicht vor mir, die sich erinnernt.

Bitte nicht böse sein.
Liebe Grüße Ingrid
 

Gabriele

Mitglied
Liebe Ingrid,

ich bin Dir überhaupt nicht böse!
Ich will ja wissen, wie meine Werke auf verschiedene LeserInnen wirken, und ich bin über jede fundierte Kritik froh, denn ich möchte ja "besser" werden.
Lieben Gruß
Gabriele
 



 
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