Willi Ruffel und die Börse

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Wolfsbane

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Als Willi Ruffel eines Tages mal wieder seine Mutter besuchte, hatte sie Rübli-Kuchen gebacken. Das war sein Lieblingskuchen.
"Lecker", sagte er, als er das dritte Stück nahm.
"Ich nehme geriebenen Zwieback statt Mehl", erklärte sie. "Die Mohrrüben, die ich da reingeraspelt habe, sind aus meinem eigenen Garten", sagte sie.
"Gibt es heute was zu feiern?", fragte er.
Sie nickte.

"Onkel Herrmann hat wieder Dividende bezahlt. Du weißt doch, daß er damals zehntausend Mark brauchte, um seine Werkstatt zu bauen, und daß ich ihm tausend Mark dazugegeben habe. Seitdem kriege ich jedes Jahr ein Zehntel vom Gewinn. Diesmal war es ganz schön viel."
"Heutzutage würde Onkel Herrmann zu einer Bank gehen", sagte Willi. "Die würden sich dann mit ihm über alles genau unterhalten und dann für ihn Aktien drucken, die jeder bei der Bank kaufen kann. "
"Dein Onkel Bernie, der schon genug Geld hatte, und nie arbeiten wollte, ist zur Bank gegangen. Der hat der Bank sein Geld gegeben, damit die Bank dafür sorgt, daß es Aktien mit seinem Namen gibt, und damit die Experten von der Bank überall erzählen, daß dein Onkel Bernie aus Zwieback und Mohrrüben nicht nur leckeren Kuchen, sondern Gold machen kann."
"Richtiges Gold?", fragte Willi.
"Ja, richtiges Gold", sagte seine Mama.
"Das haben die Leute geglaubt?"
"Ja", antwortete seine Mutter.
"Unglaublich."
Willi trank seinen Pfefferminz-Tee. Essen konnte er nicht mehr, sonst wäre er wohl geplatzt.
"Was hat Onkel Bernie eigentlich mit dem Geld gemacht, das die ganzen dummen Leute für seine Aktien bezahlt haben?", fragte er.
"Er hat sich in Spanien ein großes Haus mit einem Klo aus Gold gekauft."
"Was ist denn jetzt mit den Aktien, auf denen sein Name steht?"
"Die sind nichts mehr wert", sagte seine Mutter. "Wenn Onkel Bernie gefragt wird, behauptet er einfach, daß es mit dem Goldmachen nicht klappen konnte, weil seine Arbeiter immer alle bloß krankgefeiert und faul im Bett gelegen haben, statt fleißig Gold zu machen."

Willi zog ein Stück Papier aus seiner Tasche. Das hatte er aus einer Zeitschrift mit dem schönen Titel "Der Reichmacher" ausgeschnitten.
"Guckmal", sagte Willi. Er zeigte auf das Foto. "Diesen Turboloder kann man an fast jeden Motor dranbauen, und dann braucht er nur noch halb soviel Benzin. Die Firma baut gerade die Fabrik dafür fertig. Hier steht, daß die Aktien bald tausendmal soviel wert sind."
"Das glaub ich nicht", sagte sie.
"Weißt du denn überhaupt, was ein Turbolader ist?"
"Das ist ein Gerät, das heiße Luft pumpt."
"Genau", sagte Willi. "Sieht das Foto nicht toll aus?"
Willis Mutter stand auf, holte ihren Phön und legte ihn neben das Bild.
"Da kommt auch heiße Luft raus", sagte sie.
Willi guckte wieder auf das Bild.
"Unglaublich", sagte er, "die haben nur einen Phön mit Silberfarbe angestrichen."
Seine Mutter lachte.
"Warum lachst du?", fragte Willi ärgerlich.
"Weil ich mich freue, daß dein Onkel Bernie noch lebt", sagte sie fröhlich.
 

Zefira

Mitglied
Hallo Wolfsbane,
das ist lustig - der Willi macht die geheimnisvollen Zusammenhänge des Geldmarktes auch dem letzten Deppen verständlich ;)
Nur, den letzten Satz kapiere ich nicht. Warum sollte Onkel Bernie nicht mehr leben? Was meint Willis Mutter damit? Denkt sie vielleicht, daß Bernie Glück hatte, daß ihn seine Anleger nicht an den Daumen aufgehängt haben?
Das mit der "heißen Luft" gefällt mir. Wenn auch die Kümmelspalterin vermerkt: Fön schreibt sich mit F. Aber mit Ph sieht es gelehrter aus. Vielleicht könnte in dem Prospekt stehen: "Unser neuartiger Turbolader besteht im Gegensatz zu herkömmlichen Turboladern aus einem erstklassigen, wetterfest lackierten Phön" ;)

Grüßle von
Zefira
 

Wolfsbane

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Turbodyne

Hallo Zefira,



Börse ist ein schwieriges Thema. Ich danke Dir, daß Du meiner Geschichte eine gute Verständlichkeit bescheinigst.

In den letzten Jahren haben viele Leute an der Börse Geld verloren. Unsere Generation dürfte bis auf einige spielsüchtige Narren gegen die uralten Maschen der Börsen-Betrüger immun sein, aber der nächsten Generation kann man das (noch) ersparen.

"Willi Ruffel und die Börse" wurde von mir in der Absicht geschrieben, schon kleine Kinder "aufzuklären", um sie gewissermaßen gegen die ewige Lüge vom leicht zu erreichenden Reichtum zu "impfen".
Außerdem wollte ich die Erwachsenen erinnern, wozu Aktien eigentlich gedacht sind, nämlich um Dividenden zu bringen, statt als Lotterie-Lose mit angeblicher Gewinn-Garantie verschachert zu werden.

Übrigens habe ich wirklich mal einen Artikel über eine Firma gelesen, die einen genialen Turbo-Lader bauen wollte. Das Foto zeigte tatsächlich etwas, das wie ein in Metallic lackierter Phön aussah. Die Firma hieß "Turbodyne". Angeblich verhandelte sie mit allen namhaften Auto-Konzernen, aber keiner der Konzerne hat das jemals bestätigt. Erst lange nach den Berichten über diese angeblichen Verhandlungen kam die Nachricht, daß die Firma ein Patent angemeldet hätte. Das muß man sich mal vorstellen- erst heißt es, die Firma hätte ein fertiges Produkt, und dann stellt sich später heraus, daß sie noch nicht einmal ein Patent für ihre angebliche Erfindung hat...
Viel zu spät wurde diese kanadische Aktie an ihrer Heimat-Börse aus dem Handel genommen...

Beim Schluß habe ich mich besonders bemüht, die Geschichte den anderen Abenteuern von Willi ähneln zu lassen. Meistens sind die Pointen dieser Stories doch recht versöhnlich. Darum wollte ich hier auch
a) Willis Mama etwas Positives sagen lassen
b) die Anzahl der Börsen-Betrüger runterspielen

Mit Leuten wie diesem "Onkel Bernie" ist es meistens so, daß sie ihre "normal(en)" Bekannten langweilig finden, und sich ihnen überlegen fühlen. Darum kann ich mir gut vorstellen, daß "Onkel Bernie" sich aus Arroganz etc. lange nicht gemeldet, sondern nur in der "High Society" rumgetrieben hat.
Damit mir nicht die Schuld dafür gegeben wird, daß der "DAX" und der "Neue Markt" im Moment so schlecht aussehen, wollte ich auch nicht so tun, als wenn es an der Börse NUR Betrüger gibt. Ich dachte mir, daß es ein bischen milder wirkt, wenn ich stattdessen so tue, als wenn Willis Onkel der einzige Mann wäre, der sich solche Schwindeleien ausdenken kann...
;)

Zu meinen Fehlern in Rechtschreibung und Stil kann ich nicht soviel sagen. Nur eines: Ich bekenne mich SCHULDIG.
:rolleyes: ;)


Gruß
 
Hallo Wolfsbane,

Du mußt den Vorwurf gegen Dich gelten lassen, mit Deiner Geschichte zu spät "auf den Markt" gekommen zu sein.

Wenn die kluge Mutter aus Deiner Geschichte mit ihrer Familie rechtzeitig eine Tournee durch die oberen Etagen der Frankfurter Hochhäuser unternommen hätte, wären uns Begrifflichkeiten wie "Deasaster am Neuen Markt" erspart geblieben.

Ich würde die Lehre aus Deiner pragmatischen Erklärung von "Wirtschaft" gerne aufnehmen und bei meinen beruflichen Exkursionen durch die deutsche Bankenlandschaft darauf verweisen.

Mit einem lieben Gruß aus Frankfurt (und Münster) in das schöne Reich der Wasserschlösser

Hannes
 

Wolfsbane

Mitglied
Gern

Hallo Hannes,


leider wurde ich während der "Blütezeit" des "Neuen Markt" als Kritiker immer von meinen Freunden in die Defensive getrieben, indem sie mir ihre tollen Gewinne vorhielten, die sie dort machten, indem sie den Tipps von Egbert Prior und anderen "Guru(s)" folgten... Umso mehr ich warnte, desto mehr wurde ich verspottet und wegen meiner vergleichsweise schmalen Renditen für dumm erklärt.

Es freut mich, wenn Du Verwendung für diesen Text hast. Aber ich bin nur ein Trittbrettfahrer. Wenn es keine Einwände gibt, überlasse ich Dir diesen Text gern für weitere Verwendung- die Ehre wäre mir in diesem Fall Lohn bzw. Tantiemen genug...

Das Copyright für "Willi Ruffel" liegt bei ZEFIRA und MIGNON.

;) :)
 



 
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