Winterfurcht

dasZottel

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Die Eier sangen ihr brutzelndes Lied und Kartoffelbrei wartete fertig zusammengerührt im Topf neben dem Herd. Anna stand am Fenster, zitternd, zusammengekauert. Beide Arme um ihren Körper geklammert schaute sie schluchzend, hektisch atmend auf die schneebedeckte Landschaft hinter dem Haus. Er war schon lange fort, hoffentlich ging es ihm gut. Etwas roch verschmort, erst nur ein wenig, dann stärker und als sich das Fräulein umdrehte, war es schon zu spät. Die Eier wanderten in den grünen mit Plastik ausgelegten Eimer. Hunger verspürte sie so oder so nicht. Befürchtungen plagten sie und ihr kleines tugendhaftes Herz. Nie hatte sie sich etwas zu Schulden kommen lassen, nie. Warum traf es sie dann jetzt so hart? Er hatte sie verlassen. Ob er zurückgeschlichen kommt? Heimlich, ja ohne Entschuldigungen, ohne Reuegefühle, sich zur Hintertür hereinstiehlt und alles wäre wieder bester Ordnung? Er könnte den Kartoffelbrei essen, den mochte er schon immer gern, schon damals, als ich ihn zu mir nahm und jetzt lag Nichts vor ihr, keine Hoffnung, keine Zuneigung, keine Zukunft mit ihm, nur weißgetränkte Felder, Häuser mit Wattemützchen und von Eiweiß gekrönte Bäume, ebensolches Weiß, welches ihr eben in der Pfanne verbrannt war.
Noch immer stand sie am Glas, am kalten Fenster mit verschränkten Armen, steif und in Gedanken versunken, nur bei ihm mit allen Ängsten, allem Kummer, ob er an sie denkt? Und ob er sie vermisst? Oder hat er sich schon ein neues Mädchen an seiner Seite gesucht, ihr die Tür zu seinem Herzen geöffnet? Wird er nach ihrer Pfeife tanzen? Bei Anna hatte er es nie getan, stets ging alles nach seinem Kopf und sein Wille war Gesetz. Doch sie bangte weiterhin und salzige Tropfen benetzten stumm den kalten Linoleumboden zu ihren Füßen. Dieser blöde Boden, wie oft hatte Anna hier mit ihm gespielt, seine Triebe befriedigt, wie oft hatte sie ihm hier, auf diesem Belag, ihr Herz geschenkt und seine Augen hatten gestrahlt wie die Seen bei Sonnenuntergang es zu tun pflegen, wegen dieses einen Blicks hätte sie alles für ihn getan. Doch nun war er fort, seine Augen und sein Geruch mit ihm, dieser herrliche Duft von Wärme und Geborgenheit. Könnte sie ihn doch wieder riechen, nur ein Mal wollte sie ihn noch in sich aufsaugen diesen lusttrunkenen Wohlgeruch, auch er wollte spielen.
Zögernd drehte sich Anna vom Fenster weg, müde blickten ihre Augen unter dem stumpfen zerzausten Haar hervor, sie waren gerötet von den Tränen der Furcht, den Trauermeeren um ihn. Er gehörte ihr, hatte immer ihr gehört, soll es auch weiterhin. Hörte sie doch nur die Tür klappen, dieses kleine Klacken, wenn die Angeln zurückschnellten, bitte dieses vorsichtige Schnappen des Holzes.
Anna trabte, wie ein Schlückchen Pfützentümpel in sich zusammengefallen, in Richtung Wohnstube, zum Sofa, Kuscheldecke auf 12 Uhr. So oft hatte sie dieses fürchterliche Stück Stoff mit ihm geteilt, wollte sie mit keinem anderen teilen, auch die Decke hatte seinen Geruch verloren. Zwei Wochen war er nun schon fort. Bitte komm wieder!
Es hatte wieder zu schneien begonnen, große weiße Tropfen Weiß schwebten und tanzten vorm Fenster. Die alten Fotoalben lagen aufgeschlagen auf dem kleinen Glastisch vor der Couch. Lange hatte sie die Bilder schon betrachtet und noch viele Stunden wird sie die bunten Figuren, ihn und sich zusammen, glücklich und vereint, beschauen. Jedes wird sie eine Träne kosten, jedes eine Erinnerung beleben und ihren Schmerz verstärken, ihre Furcht.
Ein paar im Wind schaukelnde Zweige schlugen gegen die Tür zum Balkon. Anna sprang auf, erwartungsvoll, die Äuglein weit aufgerissen, den Mund einen Spalt weit geöffnet, doch sogleich fiel sie enttäuscht zurück in das verflucht einsame kuschelige Weich und in die alles umfassende Melancholie. Das arme Mädchen träufelte durch verblichene Galerien, fühlte sich Stück für Stück erfasst vom Strom des Vergehens, von der reißenden unbarmherzigen Strömung, die auch ihn genommen hatte. Es klatschte wieder und wieder an die Scheibe, doch Anna reagierte nicht, sie starrte wie gebannt, in Trance, auf all die verflossenen, verschneiten Erinnerungen, es krachte und schrubbte, es kratzte und kratzte und kratzte unablässig. Nun musste sie doch aufmerksam werden.
Sie konnte es kaum glauben: Er war es! Da stand er, durchnässt und mit rotunterlaufenen Augen. Was war nur geschehen? Wo war er gewesen, welchen Weg hatte er beschnuppert und welches Revier ausgekundschaftet? Er bot einen jämmerlich verwahrlosten Anblick. Rasch und rascher sprang Anna auf und öffnete hastig die Balkontür, als hinge ihr Leben davon ab, um den Heimkehrer, ihren Schatz in die Arme zu schließen, nie wieder wollte sie ihn von sich lassen, nie wieder sollte er fortgehen, nie wieder wollte sie so leiden.
Er war wieder da, bei ihr und tätschelte ihr Herz mit lieblicher Freude.
Schwanzwedelnd huschte er auf’s Sofa und rollte sich in der roten Wolldecke zusammen. Lächelnd setzte sich Anna neben ihn, streichelte seinen Bauch, wie er es mochte. Danke, dass du zu mir zurück gekommen bist. Und keine Sorge: Die Flöhe kriegen wir auch bald wieder aus’m Pelz. Sie drückte ihn so herzlich, er hätte um die Entlassung aus dieser Umarmung bangen müssen. Er leckte ihren Hals, schnaufte zufrieden und schlief, die Tatze auf Anna’s Schulter geparkt, unüberhörbar ein.
Alles strahlte vor heimischer Wärme. Es schien als lächle das Haus, der Küchenboden, die Kuscheldecke, jedes Ding und Mobiliar mit Anna und freue sich über den alten neuen Mitbewohner.
 



 
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