Winterknochen

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Billy Bibbit

Mitglied
Winterknochen


I.
Immerhin verging sich Martha
nicht mehr an ihrem Staubsauger.
Die Kamine rauchten dezenter,
als im letzten Winter und
aus den verdammten Eichenlaubblättern
am Boden
ragten immer noch
zum Gruße gestreckte Hände heraus.
Nichts für sensible Gemüter.
Echt nicht.
Die Zeit war gelb.
Wie eine dünne Schicht
Vanillesoße auf brauner Götterspeise.

II.
Es gab keine Gründe
gegen das Sterben zu demonstrieren.
Erster Advent auf der Krebsstation.
Walther empfand nichts als Ekel,
als er die Toiletten der Inneren reinigte.
Irgendwo in Ostdeutschland
war er ein Idol.
Ein Vorbild für Idioten,
eine Idee von Ignoranz,
eine überlebensfähige Willkür der Natur.

III.
Stefan vergewaltigte sieben Kinder
im Mai und wurde im Dezember freigesprochen.
Keine Resozialisierung erforderlich.
Der Gutachter trank schon seit
drei Jahren nichts mehr.
Trockene Gedanken bei nasskaltem Wetter.
Karin hing seit Tagen an der großen Tanne
im Wald ihrer Kinderträume.
Stefan war ihr früher mal begegnet.

IV.
Die Auslagen der Geschäfte glitzerten
unwürdig und verziehen keiner Ideologie
ein kurzes Intermezzo.
Zwischen Kugeln und Kerzen
paarten sich Gedanken aus Scheinheiligkeit.
Werner erfand eine Wintergeschichte
und verlor sich in der Kaiserallee
an Zwischenmenschlichkeit.
Umsonst.
 

Ralf Langer

Mitglied
hallo billy,
gefällt mir sehr dies stück

lyrik-prosa-lyrik.

kraftvolle bilder:

Die Zeit war gelb.
Wie eine dünne Schicht
Vanillesoße auf brauner Götterspeise.

Karin hing seit Tagen an der großen Tanne
im Wald ihrer Kinderträume.

ein parforce ritt duch tote-tödliche welten

sehr schön

ralf
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Billi,
zu interpretieren gibt es in diesem Gedicht wenig. - Starke Prosalyrik, von der ich noch mehr zu lesen hoffe. -
Wie ich sehe, bist du ein neuer Autor (eine neue Autorin) und vermutlich in der Lage, zum Glanz des Hauses beizutragen. :)
der 8.
 
B

Beba

Gast
Ja, der Text gefällt auch mir. Gekonnte Prosalyrik! Einzig hier mag ich nörgeln:

Die Kamine rauchten dezenter,
als im letzten Winter
gehört kein Komma hin. ;)


Das "Da freut man sich schon mehr" verkneife ich mir, um den Autoren nicht gleich unter Druck zu setzen. ;)

Willkommen hier!
Beba
 

Billy Bibbit

Mitglied
Liebe Kollegen,

euer Willkommen in Form dieser positiven Resonaz freut mich sehr und löst in mir auch tatsächlich das bedürfnis aus weitere Texte vorzustellen.

ich hatte nicht erwartet eine so aufgeschlossene und fexible Autorenschaft vorzufinden.


Lieben Dank
BB
 

Billy Bibbit

Mitglied
Auch hier schreiben viele von Euch, dass mein Text Prosalyrik sei.
Das genau ist er aber nicht.
Eine Klassifizierung zweier Genres zu einem Modewort gefällt mir nicht, weil dann ein Text "alles und nichts" sein kann.
Es ist erforderlich, einen Text ( egal von welchem Autor ) wertungsfrei zu betrachten und sich allein mit dem Inhalt zu beschäftigen.

Ich denke jeder ( oder aber die meisten ) die hier schreiben, entscheiden sich bewusst für eine Rubrik, unter der sie ihre Texte veröffentlichen.

Meines Erachtens sollte damit die stilistische Diskussion beendet sein. :)

Allerdings wäre es gut, wenn man im Bereich der Lyrik neuere Genres und vor allen Dingen modernere Genres und Rubriken zur Verfügung stellen würde, damit die Autoren ( so wie ich auch ) sich differenzierter entscheiden könnten, wo sie ihren Text ansiedeln möchten.


Lieben Grüße
BB
 



 
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