Wir schwimmen in der Zeit

Torquato

Mitglied
Habe ich dich letztes Mal richtig gesehen? Gläsern und spröde, so empfand ich dich. Dünn deine Haut, schmal dein Handgelenk. Fast störend kräftig die Sportarmbanduhr.
Heute wundere ich mich. Dein Oberarm so weich. Sanft empfängst du den Blick, den ich auf dich abschieße. Deine Augen, wie sie langsam größer werden. Du öffnest dich. Nun umgrenzt dich nichts mehr. Wir sind mitten im Feld. Wir schwimmen in der Zeit. Sie umfließt uns. Ohne Widerstand.
Wie du zu mir sprichst, langsam, ohne Nachdruck. So, ohne Hast und Heftigkeit, atmest du auch. Diese lässige Art, ganz anders als am Donnerstag, gefällt mir. Abwartend zwar, aber locker.
Du eine Frau: diese passive Weiblichkeit steht dir. Selbst dein braunes Haar fällt weich und unentschieden auf deine Schulter, die du hängen läßt, als würde sie heute nicht mehr gebraucht.
Auch dein Frühwarnsystem, die ganze Klingelleitung, ist ausgeschaltet. Ich halte deine Hand, ja ich knete sie. Du zuckst nicht zurück, wie letztens noch. Du riechst nach Tundra-Flechten, nach sibirischem Kürbis. Seltsamen Gerüche ziehe ich in mich hinein. Ein lange getragenes Kleid. Ein Kefirmagen.
Ich rege mich auf, denn du, von meiner Hand gezogen, kommst nach vorn und näher und unter mich. Nun bin ich über deinem Nacken. Ich sehe deinen trainierten Körper. Die Sehnen spielen unter der Haut. Wie sich die Adern abzeichnen, sie sind dir wie außen aufgelegt. Versorgungsleitungen nicht unter Putz.
Du stellst unverschämte Fragen. Ich fühle mich in die Enge getrieben. Weil wir unbegrenzt Zeit haben. Du sprichst schnell. Verschluckst dich dabei. Du mußt ein Tempotaschentuch nehmen, dir den Mund wischen. So viel Wasser ist dir vor Eifer in die Ecken getreten. Du verschränkst deine Beine und nimmst mich in die Klemme.
So habe ich dich noch nicht erlebt. Du sprichst vom Eindringen. Daß wir die Körpersäfte tauschen.

Du legst Musik auf, kommst zu mir zurück, der ich mitten im Raum stehe, du lehnst dich an mich, während ich zum Musikkasten blicke und auf das Dröhnen aus den großen Boxen warte.
Nicht wie Stockschläge knallt es heraus, sondern weich schwimmt die Musik in den Raum. Du schiebst deine Hand in mein Hemd. Frechheit. Ich weiß doch über dich Bescheid, du harte und spröde Nuß. Ich kenne deine Heißmacher- und deine Verweigerungs-Mechanismen.
Du hast Wärme, du drückst mich, schiebst mir dein Knie in den Winkel, tust mir weh. Du schnüffelst an mir. Und ich muß sagen, mir fehlen die Noten zu dir. Du läßt dich, knochenlos, weich, von mir halten. Dein Bodenkontakt ist weg.
Ich öffne die Fenster weit. Dabei hängst du mir an wie ein Plumpsack, und duftest. Kühle schwimmt ins Zimmer. Wohltuend. Du zeigst dein Mädchengrinsen (Mensch, du bist 30!). Du holst dir deine Strickjacke, Modell Bayerischer Wald. Dann rauchst du. Sinnlich wölbst du die Lippen, pustest. Beißt in die Luft. Literweise trinkst du Apfelsaft. Fängst an, dir den Ellbogen zu kratzen. Gelenkgrind.
Indessen antworte ich auf jede Frage. Du grinst nicht mehr, sondern zeigst einfühlende Trauer. Sie gilt mir, meinem Alleinsein als Mann.
Letzte Woche du so spröde und zickig. Jetzt wirst du zärtlich. Erst mit Schmeichelreden. Halbe Sätze, schluck-- und stoßweise. Nasse Luft an meinem Ohr. Dinge sprichst du, wandelbar, geheimnisvoll. Kommst mit Schmusegesten. Zeigefinger von links nach rechst über meine Lippen, dann dir in den Mund.
Du öffnest ein ganzes Bündel von Bezirzungsriten, machst Andeutungen, erst mit Worten, dann mit Handauflegen. Wie am Schnürchen läuft das, du schließt gar die Augen und bringst ein Knurren hervor.
Die Kluft zwischen deinen Brüsten, zwei Erhebungen, ein Tal. An Schwimmstunden im Hallenbad denke ich, an der Angel, eine Korkweste um den Leib. Ich sehe zwei Wogen, ein Papierschiffchen steigt auf und ab. Ich sehe ein Kind, das die Schaukel immer höher treibt.
Schließlich platzt du mit Lachen heraus. Was für ein lustiges Nasengesicht du hast. Die Musik füllt den Raum, wie eine Flüssigkeit. Wir schwimmen in der Zeit. Ich stütze deinen Kopf im Nacken, weil dir vom Sprechen und Lachen müde ist.
Wir sitzen. Du rauchst unablässig. Du hast Asche im Schoß. Ich muß immer wieder hingucken, wie dein schmales Gesäß, dieser Kinderpopo, sich bewegt, als der graue Staub dir in den Schoß fällt, gespannter Rock zwischen den Schenkeln, und tanzt und zittert. Du duftest nach frisch geschnittenem Gras.
Deine Lust, Männer abzuweisen, ist jetzt so auf dem Höhepunkt, daß du, als ich meine Hand in deinem Schoß habe, einem Lachkrampf erliegst. Dein Busen gerät dabei vollends außer Rand und Band. Ich drücke meinen Mund darauf, ich reime Kuhle auf Buhle und bin ratlos, ob diese Stunde enden wird.
Wir schwimmen in der Zeit. Du im Schmetterlingsstil, nun gänzlich albern und außer Kontrolle. So, eine Entfesselte, bewegst du dich im Zimmer. Du liest mir aus einem Schulheft vor, das du vom Bord genommen hast: »Ach, warum macht mich der Winter mutlos und warum kümmern mich meine Schoß- und Schockreaktionen so sehr. Eisblumen am Fenster ist mir innen kalt.«
 
K

KF

Gast
Mannomann Wilhelm, nach dem Montabaur-Gedicht-ICE-Strecke endlich kompleto- ist das ein bisschen arg entrückt poetisch-eingebildet?

Nicht abheben und trotzdem tanzen ist angesagt:"Hatirla beni"

Knack dran

Klara F.
 



 
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