Wo worme Werdsch'n wing'n

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Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Kuno Wimm, seines Zeichen ein gerade seinen wohlverdienten Jahresurlaub genießender Angestellter im mittleren Dienst einer sächsidschen Kleinstadtverwaltung, spürte, wie ihm die Zornesröte ins ansonsten eher blässelnde Gesicht schoß. Knurrend schob er die Unterlippe nach vorn, holte tief Luft und preßte schließlich ein "verdammtes Arschloch" hervor. Ohnmächtig mußte er zuschauen, wie ein klappriger Kleinwagen rotzfrech genau in die Parklücke schoß, die er sich gerade ausgeguckt hatte. Fahrig am Lenkrad kurbelnd, zwängte er sich brutal zwischen entgegenkommenden Fußgängern mit hochbepackten Einkaufswagen hindurch und atmete erst auf, als er zwar reichlich schief, aber ohne anzuschrammen endlich eingeparkt hatte. Kaum hatte er den Wagen abgeschlossen, hetzte er auch schon los.
Ja, Kuno war voll im Streß. Und ihn beutelte sein leerer Magen. Hunger macht wütend. Und nur so ließ sich auch seine grimmige Miene deuten, mit der er durch die breite Eingangstür des Kleinposner Einkaufscenters stürmte. Er hastete den Gang entlang, ließ die kleinen Läden und Boutiquen rechts und links unbeachtet, mußte sich auf Höhe eines Schnellimbisses kurz orientieren und... prallte voll mit einem kleinen untersetzten Mann zusammen, der vor Schreck fast seinen Türkenkoffer aus der Hand gleiten ließ. Schon knurrte Kuno ein hastiges "Tschldschung", da fühlte er sich kräftig auf die Schulter geschlagen.
"Heh - Guunoh. Na das iss scha e Ding. Mir hamm uns scha enne Ewichgeed nich mähr gesähn. Was for e Wind hadd‘sch denn hierher...?
Vor ihm stand sein alter Schulfreund Kalle Kallweit. Natürlich hatten sie sich lange nicht mehr gesehen. Natürlich gab es ne Menge Neuigkeiten. Natürlich wollte Kalle wissen, ob...
Aber Kuno war im Streß. Und Kuno hatte Hunger. Just in dem Moment, wo er gerade Kalles Wortschwall unterbrechen und sich einigermaßen höflich verabschieden wollte, fiel sein Blick auf die Stehtische vor dem Imbißstand. Er sah die Frau, die gerade ihre furchtbar lecker aussehende Bockwurst in den Senf tunkte. Kuno mußte unwillkürlich schlucken. Schon versuchte er mit Gewalt seinen Augen eine andere Richtung zu geben, als die Frau fast zeitlupenartig die Wurst an den Mund führte, ein paarmal mit den Lippen leicht anstippte, ehe sie den Mund öffnete und schließlich den herrlichen Dampfriemen weit einführte. Es war, als würde sie diesen Moment regelrecht genießen. Täuschte er sich oder trat wirklich ein leicht erotischer Glanz in ihre dunklen Augen? Sie mußte seinen hungrigen Blick auf ihrem Gesicht brennen gefühlt haben, denn sie hob plötzlich den kastanienbraun beschopften Kopf und schaute zu ihm herüber. Während sie das angebissene Stück auf den Teller legte und die Kaumuskeln ihr aufregendes Spiel begannen, besaß sie sogar noch Zeit, zu ihm herüber zu lächeln.
Irgendwo in Kunos tiefstem Inneren war plötzlich ein kleines, aber selbst das widerliche Magenknurren noch übertönendes "Pling".
"Du heerschd mor ieberhaubd nich zu", beschwerte sich der alte Schulfreund.
"Wie? Was?"
Die Rothaarige hatte erneut im Senf gerührt, das Würstchen an den Mund geführt und wieder herüber gelächelt.
Pling!
"Isch hadde gefraacht. Ob de ooch Wochenendeingäufe machsd", hörte er Kalle wie aus weiter Ferne.
"Nee, nee - Ich will enn Anzuch goof'n. Isch wetze mir schonn den ganzen Vormiddaach de Haggen ab, gugge in jeden Loaden, aber dengsde, Du grischsd‘n vornimfdsche Gleedahsche, die och bassd?"
Kuno sah das Grinsen in Kalles Gesicht und hätte ihm dafür eins in die Fresse hauen können. Und da kam auch schon die völlig überflüssige Bemerkung: "Hasdes schonn ma mid vornifd‘scher Fresserei vorsuchd? Deine Frau gann doch beschdimmd..."
"Hab geene Frau. Hadde blos ne Lähmsgefährdin, die hadd'sch abor aus'm Stoob gemachd."
"Ach Singel bisde!" Kalle zog eine Grimasse, mit der er blankes Mitgefühl zu simulieren suchte.
"Mensch - wie gommsde denn da zurechte, so ganz alleene?"
"Nu - mo wurschdeld sich so dursch", wich Kuno aus und schielte unbewußt wieder hinüber zu der Schönen mit der Wurst. Die hatte inzwischen das Objekt ihrer und seiner Begierde bis auf Daumenlänge schrumpfen lassen und wischte mit diesem unansehnlichen Stummel säuberlich die Senfreste zusammen. Sie wirkte dabei äußerst konzentriert und besaß diesmal kein Lächeln.
"Am bessd‘n, du gehsd zu Biesch un Globbenbursch", hörte er Kalle sagen. "Wenn die nischd hamm, dann weß'sch och nich. Ich habb da vor e baar Wochen..."
"Ja, da gennsde reschd hamm", nickte Kuno eifrig, drückte dem überraschten Kalle die Hand und gab Fersengeld.
'Beschdimmd sindhafd deier', dachte Kuno, 'abor isch brauche dän Anzuch bis morsch’n.'
Schließlich war morgen Nachmittag der Empfang im Rathaus, wo der Bürgermeister sogar den Staatssekretär des Innenministeriums begrüßen durfte. Und Kuno Wimm sollte seinen erkrankten Dezernenten vertreten. Welch eine Ehre!
Mit derartigen Gedanken beschäftigt, betrat er die Globbenbiegsche Lumbenbude, wie der hiesige Volksmund den Edelladen bezeichnete. Angenehme Kühle, leicht gedämpftes Licht, lautloses Gehen auf dicker Auslegware und die Ständer voller Klamotten. Aber weit und breit keine Verkäuferin. Das heißt, zwei von ihnen hatten sich in eine stille Ecke zurück gezogen und schienen eine wichtige Beratung über alle auszuschöpfenden Möglichkeiten akkurater Kundenbetreuung zu führen. Da wollte der ohnehin schüchterne Kuno nicht stören. Also irrte er mutterseelenallein zwischen all den mit Anzügen vollgehängten Ständern umher und verfiel mehr und mehr in eine sich steigernde Panik. Welche Konfektiongröße besaß er überhaupt? 48? Und welche Farbe sollte er wählen? Wild entschlossen griff er sich ein hellbraunes Exemplar und verzog sich damit in einer Umkleidekabine. Uff - die Hose war nicht zuzukriegen, und als er sich in das Jackett gepreßt hatte, sah er aus wie eine schlecht gestopfte Leberwurst. Hm. Na ja. Anzug wieder hingehängt und einen in Größe 50 gegriffen - diesmal in Schwarz. Schwarz macht schlank, dachte er und freute sich, dass die Hose scheinbar wie angegossen saß. Nun noch das Jackett über und raus an den großen Spiegel.
"Bassd!" dachte er erleichtert und begann, das Oberteil zuzuknöpfen. Scheiße - wohl doch zu eng. Aber wenn er ein wenig den Bauch einzog? Furchtbar! Immer diese Probleme mit der Wambe.
„Du siehsd, wie wenn de enn Medezienball vorschluggd hädd‘sd,“ hatte seine Ex immer gesagt. Weniger Bockwurst und dafür mehr Gemüse. Leicht gesagt. In der Kantine des Rathauses war die Auswahl nicht gerade üppig. Und außerdem - da war schon was dran - zählte er zu den ausgesprochenen Bockwurstfans. Doch „Medizinball“ hielt er für maßlos übertrieben. Ein Volleyball vielleicht.... Er zog den Bauch ein und merkte, wie ihm die Luft knapp wurde. Jetzt spannte der Knopf kaum noch, dafür wurde es im Brustbereich höllisch eng.
"Na, de Brusd-naus-Bauch-nein-Meddoode glabbd wo nich so richt‘sch?" hörte er plötzlich eine Frauenstimme von der Seite. Kuno wandte den Kopf und schaute in ein lächelndes Gesicht mit lebhaften Braunaugen und kirschroter Schnute. Das Lächeln kannte er. Die Frau vom Imbißstand.
"Darfsch helf'n?" sagte sie und ließ ihren Blick prüfend über Kunos vermanschte Figur gleiten.
„ Se brauch'n de Schageddgreese sechsnzwantzsch", meine sie dann fachmännisch.
"Abbor bassd mor denn dann ooch de Hose?"
Sie schüttelte lachend den Kopf und wies dann auf einen Ständer, der nur wenige Schritte entfernt stand. "Dord gibbds Anzieche zum Selborbasdln. Ziehn se das schwarze Ding aus, isch such Ihn mah was raus."
Kuno vermochte nur dankbar aber auch ziemlich verwirrt zu nicken und verschwand wieder in der Kabine, um sich dort aus dem Anzug zu schälen. Während er in seinen Feinripp-Unterhosen in dem engen Kabuff herum hüpfte und vergeblich die Klamotten ordentlich auf den Bügel zu hängen versuchte, wurde plötzlich der Vorhang einen Spalt weit beiseite geschoben, durch den sich ein schlanker Frauenarm schob.
"Sie duhn awwer rummähr’n. Hier, brobiernse mah."
Dankbar nahm er den Bügel entgegen, auf dem eine anthrazitfarbene und mit dezenten Streifen versehene Hose hing. Rasch fuhr er in dieses Beinkleid, schloss den Hosenbund, fuhr sich ein paarmal über den mageren Hintern und machte zusätzlich probeweise ein paar Kniebeugen.
"Bassd wie angeleihmd", freute er sich.
"Lassense ma sähn." Sie schob den Vorhang gänzlich beiseite, betrachtete Kuno von allen Seiten und griff sogar prüfend in den Bund. Dann kam ein ernsthaftes nicken. "So, un nu's Schagedd."
Kuno warf es über, schloß die Knöpfe und konnte sich ein glückliches Strahlen nicht verkneifen.
"Brima. Werglisch gans brima. Hamse bombsch hingegrischt", jubelte er. Und an dem Anzug herunter schauend: "Dän nähmsch."
"Da habsch abber ne rischtsche Fachgrafd erwischt. Isch dank ooch scheen. Ich zieh misch fix um, dann gönnse die Glamodden glei midd zur Gasse nähm."
"Dud mir leid, das missense schonn selber mach'n. Isch muss misch nämlisch vorrgriehmeln. Meine Middaachsbause iss rum."
"Ach, sie vorgoofen wo gar nich hier?" Die Verblüffung stand ihm ins Gesicht geschrieben. Lachte sie ihn jetzt an oder aus?
"Nee, hier nich. Abor isch arbeede hier im Sendor. Isch vorgoofe Schoggolade."
'Aha - e Schoggoladenmähdch‘n also. Bassd erchendewie zu ihr‘, dachte er und mußte zu seinem Leidwesen mit ansehen, wie sie auf dem Absatz kehrt machte.
"Un scheen Dangk och nochmah", rief er ihr hinterher. Sie drehte sich noch einmal kurz um, hob eine Hand für ein kurzes Winken, dann wurde sie draußen vom Besucherstrom geschluckt.
'Das iss abbor ne ganz Nedde', dachte er und fühlte Bedauern in sich aufsteigen. 'Unn hibbsch isse ooch. "Schade", seufzte er. "Isch hädde gerne noch e Häppchen mit ihr gequasseld."
Nachdenklich kehrte er in die Kabine zurück und warf sich wieder in die leicht verschwitzten Alltagsklamotten. Minuten später eilte er mit einer großen Tüte in der Hand zum Auto. Spätestens als er sein Gepäck verstaut hatte, meldete sich wieder der Hunger. Wütender als vorher. 'Nu geh’sch abbor endlisch e Werschdsch'n mampfen', grunzte er zufrieden. "Scheiß off Volleyball!"
Aber da war ja noch die nette Rothaarige in seinem Kopf. "Die ziehd mähr, als jedes Werschtsch'n dor Weld. Isch musse such'n."
War er vorhin an den einzelnen Läden achtlos vorbei gestürmt, so nahm er diese jetzt genau unter die Lupe. Optiker, Bäcker, Schuhsalon, Parfümerie, Computerladen - zack um die Ecke - Schreibwaren, Modeboutique, Würstchenstand (kurzes Verharren) Zeitschriftenladen - Glaswaren - Schoko...
„Schdobb! Hier isses! "
„Naschkatze"stand über dem Eingang. Und das fand er sehr treffend. In den Auslagen des kleinen Lädchens versuchte er sich zu orientieren. Und schließlich glaubte er, das Richtige gefunden zu haben.
Als er eintrat, bekam das rothaarige Schokoladenmädchen hinter dem Ladentisch kreisrunde Augen.
"Na gougge, sie schonn widder. Mir vorgoof’n abor geene Anzieche", lachte sie und schien sich ehrlich über sein Auftauchen zu freuen.
"Nee, nee - das hammor ja gligglich hinder uns gebrachd. Nee - jetz willsch was Sießes."
"Was Sießes? Soll's was Beschdimmdes sinn odor wolln'sch erschte ma umguggen?"
"Nich neetsch. Ich habbe da an so enn Brallinschdraus gedachd."
"Un wieviel woll se so schbring lass‘n?"
Er zögerte einen Moment, weil er keine Ahnung hatte, was so etwas kostet. "Fimfmzwanzsch Eiro – dud das lang‘n?"
"Oh. So e großen Schdraus habsch nich. Dähn mus‘sch erschd bind‘n."
Sprachs und begann, einen wirklich kunstvollen Strauß zu basteln. Fasziniert vom Geschick ihrer Hände, sah er zu und bekam jedesmal ein Kribbeln im Bauch, wenn sie ihm - hin und wieder kurz von der Arbeit aufschauend - ein Lächeln schenkte.
"Fiern Mann oder ne Frau?" fragte sie, während sie nach passendem Dekor suchte.
"Fier ne Frau", sagte er. Sie blickte kurz auf, sagte aber nichts und brachte mit plötzlich leicht verkniffenen Lippen ihr Werk zu Ende.
"So, das machd fimfmzwanzsch Eiro unn fuffzsch Zennt." Damit hielt sie ihm das Kunstwerk entgegen. "Da wird'sch abor ihre Angebädede frein."
"Isch hoffs", quetschte er schüchtern durch die Zähne.
Er nahm den Strauß, drehte und wendete ihn ein paarmal, wobei er immer „hm“ und „ja“ sagte und schließlich in ein heftiges Nicken verfiel. Dann straffte er das Kreuz, dachte kurz "Hoffndlich gommt schetz geh Gunde hier neingeschiss’n." und setzte ein möglichst feierliches Gesicht auf.
"Där iss ...Där iss nämlisch for sie" stammelte er schließlich, und nach einem tiefen Luftholen setzte er erklärend hinzu: "Weil se mir so scheen geholf'n hamm."
"For misch?"
"Ja, wissense, wenn sie nich gewäs'n wärn..."
Und dann wollte er ihr von dem so wichtigen Empfang des Bürgermeisters berichten, doch er unterbrach sich, weil er endlich ihren weit offenen Mund und die kindlich staunenden Augen wahr nahm.
"For mich?" wiederholte sie "Das iss abbor lieb... Blos..." Sie errötete, so dass ihre Wangen fast die Farbe ihrer Haare annahmen. Und zögernd fuhr sie fort: "Nähmses mir nich iebel. Abbor ich mach mor gar nischd aus Sieß‘n. Um gans ährlisch zu sinn. E bar gnaggsche Werschd'sch währn mor echd liebor."
Einen winzigen Moment herrschte Schweigen. Sie sagte nichts, weil ihr das Geständnis peinlich war, er weil sich sein Pralinenstrauß als Flop erwiesen hatte.
Doch dann lachten beide fast gleichzeitig los, und nachdem er ihr anvertraut hatte, ebenfalls ein absoluter Bochwurschtfan zu sein, verabredeteten sie sich ganz spontan zu einem Fast-food-Date am Würstchenstand.
 

flammarion

Foren-Redakteur
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hm,

ich fand die geschichte schon hinreißend, als du sie vorgelesen hast. nu kannsch se mer ändlich nunterladn.
drei tippfehler habsch gsehn: in der dritten zeile vom anfang hast du "sächsidschen" geschrieben, da is ja wohl n d zuviel.
mitten im Text benutzt du ausnahmsweise ein wort in sächsischer schreibweise, was vom stil abweicht: Wambe. da gehört n p rein.
und irgendwo "meine sie fachmännisch", da fehlt ja wohl ein t.
ansonsten - supi!
ganz lieb grüßt
 

Ralph Ronneberger

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Christa,

also langsam wirste mir unheimlich. Was du alles rausfischen tust (herrrliches Deutsch). Ich wollte schon lautstark protestieren, denn natürlich sagen die Sachsen "Wambe", aber es war ja im erzählenden Teil. Den Punkt kannste also getrost für dich verbuchen.
Ansonsten möchte ich mich nur noch artig bedanken, dass du dieses, ein Mauerblümchendasein fristendes Textpflänzchen ein wenig mit Aufmerksamkeit begossen hast.

Gruß Ralph
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also

meiner meinung nach kannste den text getrost unter kurzgeschichte posten, denn es ist ja nur die wörtliche rede im dialekt. und den hat doch so mancher wessi ebenso gelernt wie unsereiner das bayerische, oder? also raus mit de zicke an de frühlingsluft!
ganz lieb grüßt
 



 
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