MarleneGeselle
Mitglied
Wohnung Dreizehn
Der Fernseher in der Ecke spulte sein buntes, hektisches Programm herunter, lautlos. Wie denn auch anders, Marion hatte wieder einmal vergessen, den Ton anzuschalten. Funktionierte nicht mehr so ganz das alte Teil. Immer zuerst die Power-Taste drücken und dann im Anschluss daran den Ton. Sonst Stummfernsehen.
War ihr aber heute Abend egal. Scheißegal wie alles andere auch scheißegal. "Ich hätte nicht herziehen sollen, nicht den blöden Job annehmen", murmelte sie leise vor sich hin. "Wer jobbt denn schon als einziger Mensch unter lauter Abfüllautomaten und Verpackungsrobotern in einer vollautomatischen Fabrik am Kontrollbildschirm und zieht dann auch noch in so nen Wohnsilo - noch dazu in die Dreizehn. Kein Wunder, dass ich nen Rappel hab."
Die junge Frau warf sich auf die Schlafcouch, grabbelte nach der Tüte Chips auf dem Beistelltisch, drückte auf die Fernbedienung. Statt Schlagermusik kam agressives Brummen aus der Kiste, das Bild wurde zuerst flimmrig, ging dann ganz weg. "Auch das noch!" Marion rappelte sich vom Sofa hoch, schlurfte zum Fernseher, versetzte ihm einen kurzen, gezielten Hieb. Half nichts.
"Das nutzt dir nichts, Schätzchen." Die junge Frau stutzte. Wirklich, die Stimme kam aus der Glotze. Das Bild war immer noch fort, aber der Apparat gab wieder Ton von sich. "Vergiss es, Schätzchen", kam es wieder wispernd aus der Kiste. "Egal was du anstellst, es wird sich nichts tun. Du bist eine vergessene Seele. Man hat dich vergessen, Schätzchen. Ganz einfach vergessen. Und darum kannst du tun und lassen was du willst, du kannst nichts tun."
Marion schluckte. Seit vier Wochen wohnte sie hier jetzt in diesem Wohnsilo. Wochen, in denen sie nie jemanden angetroffen hatte, nicht auf dem Flur, nicht im Treppenhaus, nicht einmal im Trockenkeller. Egal wann sie kam, egal wann sie ging oder wohin sie ging, keine Menschenseele war ihr begegnet. Genau wie in der Fabrik. Fiel ihr alles jetzt erst auf. Und Post hatte wie während der ganzen Zeit auch nicht gekriegt, nicht mal Werbung.
"Ich muss bekloppt geworden sein, dass ich hier rumhocke und mich mit der Glotze unterhalte." Ein wisperndes Lachen kroch aus dem Fernseher und machte sich im ganzen Zimmer breit. Marion begann zu frieren, trotz Sommerhitze. "Glaub mir Schätzchen, die Sache ist so wie sie ist." Marion wagte nicht, den Kopf ungläubig zu schütteln. "Man hat dich vergessen. Es gibt dich nicht mehr. Streng genommen hat es dich doch überhaupt niemals gegeben, Schätzchen. Und das liegt daran Schätzchen, dass dich niemand mehr braucht."
Langsam war die junge Frau zurück zum Sofa geschlurft, hatte sich wieder auf das Sofa gehockt, mechanisch die Chips gegessen. Das da, das passierte ja gar nicht wirklich. Fernseher spielen nicht plötzlich den Geist aus einer anderen Dimension und lachen einen obendrein auch noch aus. Sie hatte einen Job nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit, sofort eine neue Wohnung gekriegt und war dabei, sich hier ein bisschen einzuleben.
Und da kam dieser Schrotthaufen von Fernseher daher und wollte den Gruseligen spielen!
"Niemand braucht dich wirklich Schätzchen - daran liegt das alles." Mit unerträglicher Lautstärke boxte der Apparat den letzten Gedankenfetzen aus ihrem Kopf, brannte eine unerträgliche Leere in ihre Hirnwindungen, schrie in diese hinein, was sie nicht hören wollte.
"Du hast ja nicht mal Verwandtschaft, die dich nach Strich und Faden ausnimmt, geschweige denn welche, der du was Wert bist. Dein Macker hat längst ne Neue - und längst deine Telefonnummer aus dem Adressbuch gerissen. Halt dir ruhig die Ohren zu, Schätzchen, es nützt nichts, denn du bist längst vergessen und kannst gar nichts mehr tun, weil du vergessen bist. Glaubst du etwa, in der Firma braucht man dich wirklich? Da läuft alles ohne dich. Du bist da nur die Tusse, die den Strom verbraucht für die Zimmerlampe und den Kontrollmonitor. Schätzchen, du bist nicht nur zu nichts nütze, du bist streng genommen sogar schädlich."
"Ich werd irre, ich muss hier raus, muss unter Menschen."
Marion war von der Schlafcouch aufgesprungen. Mechanisch hatte sie nach dem Schlüsselbund gegriffen, war in die Sneakers geschlüpft. Gott sei Dank fanden ihre Füße den Weg zur Wohnungstüre mittlerweile von alleine. Nur raus! Nur weg von hier! Fort von dem Irrsinn, von dem sie nicht einmal wusste, ob er aus der Glotze kam oder sich in ihrem Hirnkasten abspielte. Egal, nur raus.
"Vergiss es, Schätzchen, bist vergessen, bist gefangen. Bist streng genommen nicht mal mehr am Leben."
Ihre Finger waren ganz klamm von der Kälte, die sie rings um sich herum spürte. Packten mit Müh und Not den richtigen Schlüssel, steckten ihn ins Schloss, drehten ihn herum. Nichts. Mit beiden Händen griff sie zur Türklinke, drückte sie runter, zog dran, rüttelte. Nichts. Die Türe blieb verschlossen.
"Vergiss es Schätzchen, es klappt nicht."
Die junge Frau ging einige Schritte rückwärts und warf sich mit ihrem vollen Gewicht gegen die Türe. Arm und Schulter rebellierten gegen die höllischen Schmerzen, verweigerten jedweden Gehorsam.
"Vergiss es Schätzchen, du bist eine vergessene Seele. "Du hast Job und Bude vom PC. Nicht mal mehr die Leute vom Arbeitsamt und von der Personalabteilung wissen mehr, dass es dich jemals gegeben hat. Kapier doch endlich, Schätzchen! DU BIST EINE VERGESSENE SEELE !!!"
Noch immer stand Marion vor der Wohnungstüre, unfähig, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Überließ es einfach ihren Füßen, quer durch den Raum zu schlurfen, auf den Balkon zu gehen.
Draußen war strahlend heller Sonnenschein. Von ganz weit weg ein feiner Duft: Sommerflieder mit einem Hauch von Lavendel. Ein Schwarm Spatzen im klaren Sommerhimmel.
Fliegen, einfach nur fliegen.
Ist doch ganz einfach, sich nur fallen lassen.
Der Fernseher in der Ecke spulte sein buntes, hektisches Programm herunter, lautlos. Wie denn auch anders, Marion hatte wieder einmal vergessen, den Ton anzuschalten. Funktionierte nicht mehr so ganz das alte Teil. Immer zuerst die Power-Taste drücken und dann im Anschluss daran den Ton. Sonst Stummfernsehen.
War ihr aber heute Abend egal. Scheißegal wie alles andere auch scheißegal. "Ich hätte nicht herziehen sollen, nicht den blöden Job annehmen", murmelte sie leise vor sich hin. "Wer jobbt denn schon als einziger Mensch unter lauter Abfüllautomaten und Verpackungsrobotern in einer vollautomatischen Fabrik am Kontrollbildschirm und zieht dann auch noch in so nen Wohnsilo - noch dazu in die Dreizehn. Kein Wunder, dass ich nen Rappel hab."
Die junge Frau warf sich auf die Schlafcouch, grabbelte nach der Tüte Chips auf dem Beistelltisch, drückte auf die Fernbedienung. Statt Schlagermusik kam agressives Brummen aus der Kiste, das Bild wurde zuerst flimmrig, ging dann ganz weg. "Auch das noch!" Marion rappelte sich vom Sofa hoch, schlurfte zum Fernseher, versetzte ihm einen kurzen, gezielten Hieb. Half nichts.
"Das nutzt dir nichts, Schätzchen." Die junge Frau stutzte. Wirklich, die Stimme kam aus der Glotze. Das Bild war immer noch fort, aber der Apparat gab wieder Ton von sich. "Vergiss es, Schätzchen", kam es wieder wispernd aus der Kiste. "Egal was du anstellst, es wird sich nichts tun. Du bist eine vergessene Seele. Man hat dich vergessen, Schätzchen. Ganz einfach vergessen. Und darum kannst du tun und lassen was du willst, du kannst nichts tun."
Marion schluckte. Seit vier Wochen wohnte sie hier jetzt in diesem Wohnsilo. Wochen, in denen sie nie jemanden angetroffen hatte, nicht auf dem Flur, nicht im Treppenhaus, nicht einmal im Trockenkeller. Egal wann sie kam, egal wann sie ging oder wohin sie ging, keine Menschenseele war ihr begegnet. Genau wie in der Fabrik. Fiel ihr alles jetzt erst auf. Und Post hatte wie während der ganzen Zeit auch nicht gekriegt, nicht mal Werbung.
"Ich muss bekloppt geworden sein, dass ich hier rumhocke und mich mit der Glotze unterhalte." Ein wisperndes Lachen kroch aus dem Fernseher und machte sich im ganzen Zimmer breit. Marion begann zu frieren, trotz Sommerhitze. "Glaub mir Schätzchen, die Sache ist so wie sie ist." Marion wagte nicht, den Kopf ungläubig zu schütteln. "Man hat dich vergessen. Es gibt dich nicht mehr. Streng genommen hat es dich doch überhaupt niemals gegeben, Schätzchen. Und das liegt daran Schätzchen, dass dich niemand mehr braucht."
Langsam war die junge Frau zurück zum Sofa geschlurft, hatte sich wieder auf das Sofa gehockt, mechanisch die Chips gegessen. Das da, das passierte ja gar nicht wirklich. Fernseher spielen nicht plötzlich den Geist aus einer anderen Dimension und lachen einen obendrein auch noch aus. Sie hatte einen Job nach zwei Jahren Arbeitslosigkeit, sofort eine neue Wohnung gekriegt und war dabei, sich hier ein bisschen einzuleben.
Und da kam dieser Schrotthaufen von Fernseher daher und wollte den Gruseligen spielen!
"Niemand braucht dich wirklich Schätzchen - daran liegt das alles." Mit unerträglicher Lautstärke boxte der Apparat den letzten Gedankenfetzen aus ihrem Kopf, brannte eine unerträgliche Leere in ihre Hirnwindungen, schrie in diese hinein, was sie nicht hören wollte.
"Du hast ja nicht mal Verwandtschaft, die dich nach Strich und Faden ausnimmt, geschweige denn welche, der du was Wert bist. Dein Macker hat längst ne Neue - und längst deine Telefonnummer aus dem Adressbuch gerissen. Halt dir ruhig die Ohren zu, Schätzchen, es nützt nichts, denn du bist längst vergessen und kannst gar nichts mehr tun, weil du vergessen bist. Glaubst du etwa, in der Firma braucht man dich wirklich? Da läuft alles ohne dich. Du bist da nur die Tusse, die den Strom verbraucht für die Zimmerlampe und den Kontrollmonitor. Schätzchen, du bist nicht nur zu nichts nütze, du bist streng genommen sogar schädlich."
"Ich werd irre, ich muss hier raus, muss unter Menschen."
Marion war von der Schlafcouch aufgesprungen. Mechanisch hatte sie nach dem Schlüsselbund gegriffen, war in die Sneakers geschlüpft. Gott sei Dank fanden ihre Füße den Weg zur Wohnungstüre mittlerweile von alleine. Nur raus! Nur weg von hier! Fort von dem Irrsinn, von dem sie nicht einmal wusste, ob er aus der Glotze kam oder sich in ihrem Hirnkasten abspielte. Egal, nur raus.
"Vergiss es, Schätzchen, bist vergessen, bist gefangen. Bist streng genommen nicht mal mehr am Leben."
Ihre Finger waren ganz klamm von der Kälte, die sie rings um sich herum spürte. Packten mit Müh und Not den richtigen Schlüssel, steckten ihn ins Schloss, drehten ihn herum. Nichts. Mit beiden Händen griff sie zur Türklinke, drückte sie runter, zog dran, rüttelte. Nichts. Die Türe blieb verschlossen.
"Vergiss es Schätzchen, es klappt nicht."
Die junge Frau ging einige Schritte rückwärts und warf sich mit ihrem vollen Gewicht gegen die Türe. Arm und Schulter rebellierten gegen die höllischen Schmerzen, verweigerten jedweden Gehorsam.
"Vergiss es Schätzchen, du bist eine vergessene Seele. "Du hast Job und Bude vom PC. Nicht mal mehr die Leute vom Arbeitsamt und von der Personalabteilung wissen mehr, dass es dich jemals gegeben hat. Kapier doch endlich, Schätzchen! DU BIST EINE VERGESSENE SEELE !!!"
Noch immer stand Marion vor der Wohnungstüre, unfähig, einen halbwegs klaren Gedanken zu fassen. Überließ es einfach ihren Füßen, quer durch den Raum zu schlurfen, auf den Balkon zu gehen.
Draußen war strahlend heller Sonnenschein. Von ganz weit weg ein feiner Duft: Sommerflieder mit einem Hauch von Lavendel. Ein Schwarm Spatzen im klaren Sommerhimmel.
Fliegen, einfach nur fliegen.
Ist doch ganz einfach, sich nur fallen lassen.