XR 298-7610
“Was machen Sie da?” Die Stimme des Chefgeologen klang scharf.
Arise zog ihre Hand von dem eigenwilligen Kristallgebilde zurück, das wie eine filigrane Hand aus dem smaragdgrünen Sand ragte. Sie runzelte ärgerlich die Stirn. Ärgerlich auf sich selbst, weil sie die wichtigste Grundregel einer Außenmission außer Acht gelassen hatte: niemals etwas berühren, das noch nicht analysiert worden war!
“Frischlinge!” knurrte der hagere Chefgeologe verdrossen.
“Gib Ruhe, Jonasti! Das ist Feldmanns erster Außeneinsatz,” sagte Kirola und lächelte. Dutzende feiner Fältchen bildeten sich um ihre Augen und Mundwinkel. “Ich erinnere mich noch gut an dein erstes Mal!”
“Ist mir neu, daß du bei meinem ersten Mal die Glückliche warst,” frozelte Jonasti und grinste die Botanikerin an.
“Nun hören Sie sich diesen Schaumschläger an,” rief Kirola.
Arise hörte ihrem Geplänkel nicht zu. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet und mit all ihren Sinnen war sie eingetaucht in diese fremdartige, neue Welt. ‘Das ist es,” dachte sie glücklich. ‘Um soetwas zu sehen, habe ich mich diesem Forschungsflug angeschlossen.’
Über dem Wüstenboden aus schillerndem grünen Sand, auf dem die Stiefel des Außenteams fächerförmige Abdrücke hinterließen, waberten fahlgrüne Nebelschwaden. Sie schienen wie eine Herde aus wolkigem Nichts der kleinen Gruppe über die Dünen vorauszutanzen, ihnen den Weg zu weisen bis zu den tannenfarbenen Felsformationen am Horizont. Kein Gras, kein Baum, kein Strauch unterbrach die Einöde von Sand und Gestein, dennoch war die vorherrschende Farbe das Grün. Selbst der Himmel war nicht klar und blau wie auf der Erde, sondern schien mit einem milchig grünen Film überzogen zu sein, der das grelle Licht der beiden Sonnen dämpfte und alle anderen Farben auf dem Planeten mit seinem bleichen grünen Schimmer zeichnete. Hin und wieder ragten bizarre Findlinge, umschwebt von Nebelfetzen und glitzernd in allen Schattierungen von Grün, aus dem Sand.
‘Wie Juwelen, die ein Riese über den Dünen verstreut hat,’dachte Arise. Das eigentümliche Licht wirkte kalt, fast krank, und Arise lief ein Schauer über den Rücken.
“Feldmann! Träumen Sie?” Brügge, der stämmige, kleine Sicherheitsoffizier riß sie aus ihrer Versunkenheit. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß sie stehengeblieben war und wie hypnotisiert der Wanderung der Nebelwogen hinterhergestarrt hatte. Kirola und Jonasti hatten sie bereits überholt. Arise riß sich zusammen und schloß wieder zu ihrem kleinen Trupp auf, der im Gänsemarsch über die Dünen stapfte.
“Erze, Magmatide, Silicate, Metamorphitgestein,” murmelte Jonasti mit Blick auf die Anzeigen seines Analytors.
Kirola, die ebenfalls ihr Analysegerät befragte, schüttelte den Kopf. “Aber nicht die geringsten Anzeichen irgendeiner Art von Flora,” sagte sie. “Was haben Sie, Feldmann?”
Arise entzifferte die Codes auf ihrem Display. “Keine biologischen Lebensformen,” meldete sie gehorsam. Sie hatte nichts anderes erwartet, denn schon die ersten Untersuchungen, die gemacht worden waren, als das Schiff in den Orbit dieses Planeten eingeschwenkt war, hatten ergeben, daß es auf XR 298-7610 kein organisches Leben gab. Daß man sie als rein terrestrische Biologin und blutigen Neuling dennoch auf diesen Außeneinsatz mitgenommen hatte, betrachtete sie als großes Privileg.
Arise wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bei jedem Schritt sanken ihre Stiefel bis zu den Knöcheln im Sand ein, was das Laufen mühselig gestaltete. Die Temperatur betrug 41,3 Grad Celsius und der Luftdruck war für einen Menschen gerade noch erträglich. Zuerst hatte sie kaum gewagt, in dieser bleichgrünen, fremdartigen Luft überhaupt Atem zu holen, doch jetzt sog sie sie gierig in ihre Lungen. Die Luft roch nach Pollen und Früchten, prickelte auf ihrer Zunge, als hätte sie Champagner gekostet und hinterließ einen süßlichen Geschmack auf ihren Lippen. Woher kam dieser intensive Geruch, wenn es doch nirgendwo Pflanzen zu geben schien?
Nakogi, Fachmann für diplomatische, außerterrestrische Kontakte und Leiter dieser Außenmission, blieb plötzlich stehen. Sein ausgestreckter Arm wies in eine Senke zwischen den Dünen, die vor ihnen lag.
“Dort drüben sollte das Wasservorkommen zu finden sein, das Jonasti vorhin gemessen hat.” Er warf einen kurzen Blick auf die vier Mitglieder seines Teams und nickte dann.
“Lassen Sie uns das prüfen.”
Einer der Nebelfetzen heftete sich an Arises Fersen. Entgegen der Gesetze der Physik schien er um sie herumzutanzen, wie ein Hündchen an ihr hochzuspringen und wallte ihr dann voraus. Für einen kurzen Moment hatte sie den Eindruck, als würde der fahle Schwaden sich nach ihr umschauen. Ein Gefühl von Unwirklichkeit beschlich sie.
“Bewegen sich diese Nebelfetzen nach einem erkennbaren Muster?” fragte sie unbehaglich.
Nakogi, der vorausging, warf ihr über seine Schulter einen leidenschaftslosen Blick zu. “Auch wenn Sie keinen Wind spüren, gibt es hier doch zahlreiche meßbare Luftströmungen,” erklärte er. “Sie brauchen nur auf die Anzeigen auf Ihrem Analytor zu sehen.”
“Luftströmungen. Ja. Natürlich,” murmelte Arise verlegen. Sie fing Brügges breites Grinsen auf und wünschte sich, sie hätte den Mund gehalten.
Geh, geh, geh...... Die Stimme schwebte wie ein Echo an ihr vorüber.
Arise drehte sich hastig um, doch Kirola, die hinter ihr ging, hatte den Kopf gesenkt und studierte ihre Anzeigen. Sie sah auf, als hätte sie Arises Blick gespürt und ihr kaffeefarbenes Gesicht, das in dem diffusen Licht zhombiehaft blaß war, bekam einen besorgten Ausdruck.
“Was haben Sie, Feldmann?”
“Nichts. Ich... ich glaubte, ich... ich hätte etwas gehört,” stotterte Arise und wurde rot.
Kirola runzelte die Stirn, dann lächelte sie. “In einer fremden Welt neigen wir dazu, zu unseren menschlichen Ursprüngen zurückzukehren und das Ungewöhnliche für Geistererscheinungen zu halten,” sagte sie. “Sie brauchen sich Ihrer Empfindungen nicht zu schämen. Das geht jedem so, der zum ersten Mal auf einem fremden Planeten spazierengeht.”
Arise nickte dankbar. “Beeindruckt Sie eine so fremdartige Landschaft denn gar nicht mehr?” wollte sie wissen.
“Doch, natürlich!” Kirola lachte leise. “Ich bin ebenso fasziniert wie Sie. Aber man darf sich von den neuartigen Eindrücken nicht überwältigen lassen und den Blick für die Realität verlieren.” Sie deutete auf ihren Analytor. “Überprüfen Sie so oft wie möglich ihre Anzeigen. Das hilft!”
Sie gingen weiter, kämpften sich über die Düne. Die einzigen Geräusche waren das Knirschen ihrer Stiefel im Sand und das Keuchen ihres Atems. Das Nichtvorhandensein jedes anderen Geräuschs verstärkten in Arise das Gefühl der Unwirklichkeit, das bedrohlicher zu werden schien, je weiter sie sich von ihrem Shuttle entfernten. Arise ertappte sich dabei, wie sie immer öfter einen Blick zurückwarf.
Als sie die Senke erreichten und der sandverschlammte, moosgrüne See sich vor ihren Augen ausbreitete, begann Arises Kopfhaut zu prickeln. Die Nebelschwaden schienen sich hier ein Stelldichein zu geben, umlagerten den morastigen See, krallten sich an die scharfkantigen Quarzfelsen, die das Ufer bildeten und schwebten in Grüppchen über der schlierigen Flüssigkeit. Der süßliche Duft der Luft hatte sich verstärkt und einen unangenehmen Beigeschmack bekommen.
“Riechen Sie das?” fragte Jonasti und Kirolas schlanke Finger tippten hastig über ihren Analytor. “Keine Pflanzen, keine organischen Ablagerungen, gar nichts!”
Geh, geh, geh....... zurück, zurück, zurück...... Da war es wieder. Arise schnappte nach Luft. Die echoartige Stimme klang diesmal nicht so verschwommen wie das erste Mal und hatte einen beängstigenden Unterton.
“Hören Sie das?” wisperte sie und packte Jonastis Arm, der ihr am nächsten stand. Der hagere Geologe warf ihr einen merkwürdigen Blick zu und schüttelte den Kopf. “Ich höre nichts.”
Nakogi drehte sich um und fragte gelassen: “Beschreiben Sie, was Sie hören, Feldmann.”
Arise biß sich auf die Lippen. “Es ist eine Stimme. Sie klingt wie ein Echo und wiederholt immer dasselbe Wort “Geh”,” sagte sie zögernd.
“Geh? Ja wohin denn?” fragte Jonasti. Seine Ironie ließ Arise verstummen.
Nakogi zog die Augenbrauen hoch. “Mit dieser Aussage können wir nicht viel anfangen,” sagte er ruhig. “Sind Sie sicher, daß es eine Stimme ist und nicht ein Klang in der Luft?”
“Ich bin mir ziemlich sicher,” nickte Arise.
“Dann beobachten Sie das Phänomen weiter und berichten Sie mir, wenn sich etwas Neues ergibt,” ordnete er an, doch Arise spürte, daß er ihr nicht recht glaubte.
Nachdenklich starrte sie über den morastigen See. Hatte sie sich die Stimme nur eingebildet? Aber noch während sie sich diese Frage stellte, kehrte die Stimme zurück und blieb.
Geh, geh, geh..... Fremde, Fremde, Fremde..... zurück, zurück, zurück........ Der monotone Singsang heftete sich an ihre Gedanken und ließ sie nicht mehr los.
‘Reiß dich zusammen,’ befahl sie sich selbst, doch es nutzte nichts und mit jeder Wiederholung schien die Stimme in ihr eindringlicher, nachdrücklicher, ja bedrohlicher zu werden.
Arise spürte, wie die anderen Mitglieder ihres Teams sie mißtrauisch beobachteten, während sie ihrer Arbeit nachgingen und den See analysierten und kartografierten. Ihr eigener Analytor hing schlaff in ihrer Hand und die Daten, die er ständig automatisch sammelte verschwammen vor ihren Augen. Es schien ihr so, als rückten die Nebelschwaden näher an sie heran und veränderten ihre Farbe. Sie blinzelte und schüttelte ihr Analysegerät, das unkooperativ ihren Wahrnehmungen Lügen strafte und ihre aufkeimende Angst nicht in Codes übersetzen konnte.
Arise trat neben Kirola und sagte leise. “Irgendetwas lebt hier. Und ich glaube, es betrachtet uns als Eindringling und will uns hier nicht haben.”
“Ist das nur ein Gefühl, oder haben Sie Daten, die ihre Theorie untermauern könnten?” fragte die Botanikerin. Arise kniff die Augen zusammen und schluckte. Ein Nebelfetzen umschmeichelte ihre Knie, als wolle er ihr Gespräch belauschen und plötzlich sah sie ein Auge darin aufglimmen, ein schwarzer Kreis mit einem winzigen Lichtpunkt in der Mitte, wimpernlos, lidlos, seltsam zweidimensional und dennoch eindeutig ein Auge. Sie schrie auf und Jonasti, Kirola und Nakogi fuhren zu ihr herum. Brügge riß seine Laserautomatik aus seinem Holster.
“Was ist los?” fragte Nakogi scharf.
“Da sind Augen im Nebel,” rief Arise und deutete auf die Schwaden, die sich langsam um das Team herum zu sammeln schienen. Ein Gefühl von Panik überflutete sie, eine atavistische Angst krampfte ihren Magen zusammen.
Mit einem Augenrollen steckte Brügge seine Waffe zurück in das Holster und Jonasti stöhnte auf: “Herrgott nochmal, Feldmann! Reißen Sie sich endlich zusammen. Hier gibt es nichts Lebendes! Unsere Geräte hätten selbst eine Amöbe aufgespürt, was sage ich, noch die winzigste Zelle. Aber hier ist nichts! Gar nichts!”
“Etwas lebt hier. Und es ist uns feindlich gesonnen!” wisperte Arise beharrlich und fühlte die
Stimme in ihrem Kopf anschwellen.Die Nebelfetzen rückten schwebend näher und näher, auf und abtanzend, als wollten sie um den Trupp einen Kreis bilden und Nakogis Leute zum Reigen bitten. Arise spürte wie sich die wolkigen Gebilde nach ihnen ausstreckten, fühlte die Gefahr herannahen wie eine erste Brise, die den Sturm verkündete. Sie ließ ihren Analytor fallen und preßte ihre Hände auf ihre Ohren, während sie auf die blinkenden Augen starrte und Schritt für Schritt vor ihnen zurückwich.
“Bitte, Sie müssen mir glauben!” schrie sie im verzweifelten Versuch, zu überzeugen. Kirola, das Gesicht mitleidig verzogen, nahm ihren Arm, doch Arise riß sich los. “Es gibt hier Leben und es betrachtet uns als Feinde! Wir sind in größter Gefahr! Ich war mir noch niemals so sicher!”
Jonasti schüttelte den Kopf, murmelte etwas von Raumkoller und wandte sich ab, als könne er ihr wirres Gejammer nicht mehr hören.
“Beruhigen Sie sich, Feldmann!” befahl Nakogi barsch. Sie konnte ihn fast nicht mehr hören, so laut war die Stimme geworden. Tränen stürzten aus ihren Augen, während sie weiter zurückwich und beobachtete, wie der nebelhafte Ring sich um die anderen schloß. Warum konnten sie das nicht sehen?
Arise versuchte einen letzten, flehenden Apell.
Niemand hörte auf sie. Keiner folgte ihr, als sie sich schließlich umdrehte und um ihr Leben rannte.
Weit kam sie nicht. Ein kristallgrüner Stachel, der wie ein Pfeil aus dem Quarzgestein herausschoß und ihren Schenkel durchbohrte, nagelte sie am Felsen fest. Arise schrie vor Schmerz und Angst. Mühsam drehte sie sich um und sah Kirola blutüberströmt zusammenbrechen, von tausenden winzigkleinen Tröpfchen durchbohrt, die sich aus dem Nebel lösten, sich im Bruchteil einer Sekunde verfestigten und innerhalb eines Lidschlags die Haut, das Fleisch, die Knochen der menschlichen Eindringlinge zu blutigen Klumpen zerfetzten. Erstarrt und jenseits aller Furcht beobachtete Arise, wie der Nebel sich über das Blutbad senkte und als er sich wieder erhob, war von Kirola, Jonasti, Brügge und Nakogi nichts mehr übrig. Langsam wendeten die Nebelschwaden, jetzt wieder fahlgrün und bleich, und schwebten auf sie zu.
Sie hörte ihren keuchenden Atem und blinzelte. Jemand klopfte hartnäckig an die Tür ihrer winzigen Kabine.
“Werfen Sie sich in ihre Uniform, Feldmann und kommen Sie mit,” sagte Jonasti, der Chefgeologe des Schiffs, während sein Blick wohlgefällig über ihr knappes Shirt und über ihre langen, nackten Beine glitt. “Ihre erste Außenmission erwartet Sie. Wir konnten auf XR 298-7610 zwar kein organisches Leben feststellen, aber der Chef will auf Nummer Sicher gehen.”
“Nun machen Sie schon! Der grüne Planet erwartet uns!” rief er munter, als sie nicht antwortete und betrachtete verwundert ihr leichenblasses Gesicht.
“Was machen Sie da?” Die Stimme des Chefgeologen klang scharf.
Arise zog ihre Hand von dem eigenwilligen Kristallgebilde zurück, das wie eine filigrane Hand aus dem smaragdgrünen Sand ragte. Sie runzelte ärgerlich die Stirn. Ärgerlich auf sich selbst, weil sie die wichtigste Grundregel einer Außenmission außer Acht gelassen hatte: niemals etwas berühren, das noch nicht analysiert worden war!
“Frischlinge!” knurrte der hagere Chefgeologe verdrossen.
“Gib Ruhe, Jonasti! Das ist Feldmanns erster Außeneinsatz,” sagte Kirola und lächelte. Dutzende feiner Fältchen bildeten sich um ihre Augen und Mundwinkel. “Ich erinnere mich noch gut an dein erstes Mal!”
“Ist mir neu, daß du bei meinem ersten Mal die Glückliche warst,” frozelte Jonasti und grinste die Botanikerin an.
“Nun hören Sie sich diesen Schaumschläger an,” rief Kirola.
Arise hörte ihrem Geplänkel nicht zu. Ihr Blick war in die Ferne gerichtet und mit all ihren Sinnen war sie eingetaucht in diese fremdartige, neue Welt. ‘Das ist es,” dachte sie glücklich. ‘Um soetwas zu sehen, habe ich mich diesem Forschungsflug angeschlossen.’
Über dem Wüstenboden aus schillerndem grünen Sand, auf dem die Stiefel des Außenteams fächerförmige Abdrücke hinterließen, waberten fahlgrüne Nebelschwaden. Sie schienen wie eine Herde aus wolkigem Nichts der kleinen Gruppe über die Dünen vorauszutanzen, ihnen den Weg zu weisen bis zu den tannenfarbenen Felsformationen am Horizont. Kein Gras, kein Baum, kein Strauch unterbrach die Einöde von Sand und Gestein, dennoch war die vorherrschende Farbe das Grün. Selbst der Himmel war nicht klar und blau wie auf der Erde, sondern schien mit einem milchig grünen Film überzogen zu sein, der das grelle Licht der beiden Sonnen dämpfte und alle anderen Farben auf dem Planeten mit seinem bleichen grünen Schimmer zeichnete. Hin und wieder ragten bizarre Findlinge, umschwebt von Nebelfetzen und glitzernd in allen Schattierungen von Grün, aus dem Sand.
‘Wie Juwelen, die ein Riese über den Dünen verstreut hat,’dachte Arise. Das eigentümliche Licht wirkte kalt, fast krank, und Arise lief ein Schauer über den Rücken.
“Feldmann! Träumen Sie?” Brügge, der stämmige, kleine Sicherheitsoffizier riß sie aus ihrer Versunkenheit. Sie hatte gar nicht bemerkt, daß sie stehengeblieben war und wie hypnotisiert der Wanderung der Nebelwogen hinterhergestarrt hatte. Kirola und Jonasti hatten sie bereits überholt. Arise riß sich zusammen und schloß wieder zu ihrem kleinen Trupp auf, der im Gänsemarsch über die Dünen stapfte.
“Erze, Magmatide, Silicate, Metamorphitgestein,” murmelte Jonasti mit Blick auf die Anzeigen seines Analytors.
Kirola, die ebenfalls ihr Analysegerät befragte, schüttelte den Kopf. “Aber nicht die geringsten Anzeichen irgendeiner Art von Flora,” sagte sie. “Was haben Sie, Feldmann?”
Arise entzifferte die Codes auf ihrem Display. “Keine biologischen Lebensformen,” meldete sie gehorsam. Sie hatte nichts anderes erwartet, denn schon die ersten Untersuchungen, die gemacht worden waren, als das Schiff in den Orbit dieses Planeten eingeschwenkt war, hatten ergeben, daß es auf XR 298-7610 kein organisches Leben gab. Daß man sie als rein terrestrische Biologin und blutigen Neuling dennoch auf diesen Außeneinsatz mitgenommen hatte, betrachtete sie als großes Privileg.
Arise wischte sich den Schweiß von der Stirn. Bei jedem Schritt sanken ihre Stiefel bis zu den Knöcheln im Sand ein, was das Laufen mühselig gestaltete. Die Temperatur betrug 41,3 Grad Celsius und der Luftdruck war für einen Menschen gerade noch erträglich. Zuerst hatte sie kaum gewagt, in dieser bleichgrünen, fremdartigen Luft überhaupt Atem zu holen, doch jetzt sog sie sie gierig in ihre Lungen. Die Luft roch nach Pollen und Früchten, prickelte auf ihrer Zunge, als hätte sie Champagner gekostet und hinterließ einen süßlichen Geschmack auf ihren Lippen. Woher kam dieser intensive Geruch, wenn es doch nirgendwo Pflanzen zu geben schien?
Nakogi, Fachmann für diplomatische, außerterrestrische Kontakte und Leiter dieser Außenmission, blieb plötzlich stehen. Sein ausgestreckter Arm wies in eine Senke zwischen den Dünen, die vor ihnen lag.
“Dort drüben sollte das Wasservorkommen zu finden sein, das Jonasti vorhin gemessen hat.” Er warf einen kurzen Blick auf die vier Mitglieder seines Teams und nickte dann.
“Lassen Sie uns das prüfen.”
Einer der Nebelfetzen heftete sich an Arises Fersen. Entgegen der Gesetze der Physik schien er um sie herumzutanzen, wie ein Hündchen an ihr hochzuspringen und wallte ihr dann voraus. Für einen kurzen Moment hatte sie den Eindruck, als würde der fahle Schwaden sich nach ihr umschauen. Ein Gefühl von Unwirklichkeit beschlich sie.
“Bewegen sich diese Nebelfetzen nach einem erkennbaren Muster?” fragte sie unbehaglich.
Nakogi, der vorausging, warf ihr über seine Schulter einen leidenschaftslosen Blick zu. “Auch wenn Sie keinen Wind spüren, gibt es hier doch zahlreiche meßbare Luftströmungen,” erklärte er. “Sie brauchen nur auf die Anzeigen auf Ihrem Analytor zu sehen.”
“Luftströmungen. Ja. Natürlich,” murmelte Arise verlegen. Sie fing Brügges breites Grinsen auf und wünschte sich, sie hätte den Mund gehalten.
Geh, geh, geh...... Die Stimme schwebte wie ein Echo an ihr vorüber.
Arise drehte sich hastig um, doch Kirola, die hinter ihr ging, hatte den Kopf gesenkt und studierte ihre Anzeigen. Sie sah auf, als hätte sie Arises Blick gespürt und ihr kaffeefarbenes Gesicht, das in dem diffusen Licht zhombiehaft blaß war, bekam einen besorgten Ausdruck.
“Was haben Sie, Feldmann?”
“Nichts. Ich... ich glaubte, ich... ich hätte etwas gehört,” stotterte Arise und wurde rot.
Kirola runzelte die Stirn, dann lächelte sie. “In einer fremden Welt neigen wir dazu, zu unseren menschlichen Ursprüngen zurückzukehren und das Ungewöhnliche für Geistererscheinungen zu halten,” sagte sie. “Sie brauchen sich Ihrer Empfindungen nicht zu schämen. Das geht jedem so, der zum ersten Mal auf einem fremden Planeten spazierengeht.”
Arise nickte dankbar. “Beeindruckt Sie eine so fremdartige Landschaft denn gar nicht mehr?” wollte sie wissen.
“Doch, natürlich!” Kirola lachte leise. “Ich bin ebenso fasziniert wie Sie. Aber man darf sich von den neuartigen Eindrücken nicht überwältigen lassen und den Blick für die Realität verlieren.” Sie deutete auf ihren Analytor. “Überprüfen Sie so oft wie möglich ihre Anzeigen. Das hilft!”
Sie gingen weiter, kämpften sich über die Düne. Die einzigen Geräusche waren das Knirschen ihrer Stiefel im Sand und das Keuchen ihres Atems. Das Nichtvorhandensein jedes anderen Geräuschs verstärkten in Arise das Gefühl der Unwirklichkeit, das bedrohlicher zu werden schien, je weiter sie sich von ihrem Shuttle entfernten. Arise ertappte sich dabei, wie sie immer öfter einen Blick zurückwarf.
Als sie die Senke erreichten und der sandverschlammte, moosgrüne See sich vor ihren Augen ausbreitete, begann Arises Kopfhaut zu prickeln. Die Nebelschwaden schienen sich hier ein Stelldichein zu geben, umlagerten den morastigen See, krallten sich an die scharfkantigen Quarzfelsen, die das Ufer bildeten und schwebten in Grüppchen über der schlierigen Flüssigkeit. Der süßliche Duft der Luft hatte sich verstärkt und einen unangenehmen Beigeschmack bekommen.
“Riechen Sie das?” fragte Jonasti und Kirolas schlanke Finger tippten hastig über ihren Analytor. “Keine Pflanzen, keine organischen Ablagerungen, gar nichts!”
Geh, geh, geh....... zurück, zurück, zurück...... Da war es wieder. Arise schnappte nach Luft. Die echoartige Stimme klang diesmal nicht so verschwommen wie das erste Mal und hatte einen beängstigenden Unterton.
“Hören Sie das?” wisperte sie und packte Jonastis Arm, der ihr am nächsten stand. Der hagere Geologe warf ihr einen merkwürdigen Blick zu und schüttelte den Kopf. “Ich höre nichts.”
Nakogi drehte sich um und fragte gelassen: “Beschreiben Sie, was Sie hören, Feldmann.”
Arise biß sich auf die Lippen. “Es ist eine Stimme. Sie klingt wie ein Echo und wiederholt immer dasselbe Wort “Geh”,” sagte sie zögernd.
“Geh? Ja wohin denn?” fragte Jonasti. Seine Ironie ließ Arise verstummen.
Nakogi zog die Augenbrauen hoch. “Mit dieser Aussage können wir nicht viel anfangen,” sagte er ruhig. “Sind Sie sicher, daß es eine Stimme ist und nicht ein Klang in der Luft?”
“Ich bin mir ziemlich sicher,” nickte Arise.
“Dann beobachten Sie das Phänomen weiter und berichten Sie mir, wenn sich etwas Neues ergibt,” ordnete er an, doch Arise spürte, daß er ihr nicht recht glaubte.
Nachdenklich starrte sie über den morastigen See. Hatte sie sich die Stimme nur eingebildet? Aber noch während sie sich diese Frage stellte, kehrte die Stimme zurück und blieb.
Geh, geh, geh..... Fremde, Fremde, Fremde..... zurück, zurück, zurück........ Der monotone Singsang heftete sich an ihre Gedanken und ließ sie nicht mehr los.
‘Reiß dich zusammen,’ befahl sie sich selbst, doch es nutzte nichts und mit jeder Wiederholung schien die Stimme in ihr eindringlicher, nachdrücklicher, ja bedrohlicher zu werden.
Arise spürte, wie die anderen Mitglieder ihres Teams sie mißtrauisch beobachteten, während sie ihrer Arbeit nachgingen und den See analysierten und kartografierten. Ihr eigener Analytor hing schlaff in ihrer Hand und die Daten, die er ständig automatisch sammelte verschwammen vor ihren Augen. Es schien ihr so, als rückten die Nebelschwaden näher an sie heran und veränderten ihre Farbe. Sie blinzelte und schüttelte ihr Analysegerät, das unkooperativ ihren Wahrnehmungen Lügen strafte und ihre aufkeimende Angst nicht in Codes übersetzen konnte.
Arise trat neben Kirola und sagte leise. “Irgendetwas lebt hier. Und ich glaube, es betrachtet uns als Eindringling und will uns hier nicht haben.”
“Ist das nur ein Gefühl, oder haben Sie Daten, die ihre Theorie untermauern könnten?” fragte die Botanikerin. Arise kniff die Augen zusammen und schluckte. Ein Nebelfetzen umschmeichelte ihre Knie, als wolle er ihr Gespräch belauschen und plötzlich sah sie ein Auge darin aufglimmen, ein schwarzer Kreis mit einem winzigen Lichtpunkt in der Mitte, wimpernlos, lidlos, seltsam zweidimensional und dennoch eindeutig ein Auge. Sie schrie auf und Jonasti, Kirola und Nakogi fuhren zu ihr herum. Brügge riß seine Laserautomatik aus seinem Holster.
“Was ist los?” fragte Nakogi scharf.
“Da sind Augen im Nebel,” rief Arise und deutete auf die Schwaden, die sich langsam um das Team herum zu sammeln schienen. Ein Gefühl von Panik überflutete sie, eine atavistische Angst krampfte ihren Magen zusammen.
Mit einem Augenrollen steckte Brügge seine Waffe zurück in das Holster und Jonasti stöhnte auf: “Herrgott nochmal, Feldmann! Reißen Sie sich endlich zusammen. Hier gibt es nichts Lebendes! Unsere Geräte hätten selbst eine Amöbe aufgespürt, was sage ich, noch die winzigste Zelle. Aber hier ist nichts! Gar nichts!”
“Etwas lebt hier. Und es ist uns feindlich gesonnen!” wisperte Arise beharrlich und fühlte die
Stimme in ihrem Kopf anschwellen.Die Nebelfetzen rückten schwebend näher und näher, auf und abtanzend, als wollten sie um den Trupp einen Kreis bilden und Nakogis Leute zum Reigen bitten. Arise spürte wie sich die wolkigen Gebilde nach ihnen ausstreckten, fühlte die Gefahr herannahen wie eine erste Brise, die den Sturm verkündete. Sie ließ ihren Analytor fallen und preßte ihre Hände auf ihre Ohren, während sie auf die blinkenden Augen starrte und Schritt für Schritt vor ihnen zurückwich.
“Bitte, Sie müssen mir glauben!” schrie sie im verzweifelten Versuch, zu überzeugen. Kirola, das Gesicht mitleidig verzogen, nahm ihren Arm, doch Arise riß sich los. “Es gibt hier Leben und es betrachtet uns als Feinde! Wir sind in größter Gefahr! Ich war mir noch niemals so sicher!”
Jonasti schüttelte den Kopf, murmelte etwas von Raumkoller und wandte sich ab, als könne er ihr wirres Gejammer nicht mehr hören.
“Beruhigen Sie sich, Feldmann!” befahl Nakogi barsch. Sie konnte ihn fast nicht mehr hören, so laut war die Stimme geworden. Tränen stürzten aus ihren Augen, während sie weiter zurückwich und beobachtete, wie der nebelhafte Ring sich um die anderen schloß. Warum konnten sie das nicht sehen?
Arise versuchte einen letzten, flehenden Apell.
Niemand hörte auf sie. Keiner folgte ihr, als sie sich schließlich umdrehte und um ihr Leben rannte.
Weit kam sie nicht. Ein kristallgrüner Stachel, der wie ein Pfeil aus dem Quarzgestein herausschoß und ihren Schenkel durchbohrte, nagelte sie am Felsen fest. Arise schrie vor Schmerz und Angst. Mühsam drehte sie sich um und sah Kirola blutüberströmt zusammenbrechen, von tausenden winzigkleinen Tröpfchen durchbohrt, die sich aus dem Nebel lösten, sich im Bruchteil einer Sekunde verfestigten und innerhalb eines Lidschlags die Haut, das Fleisch, die Knochen der menschlichen Eindringlinge zu blutigen Klumpen zerfetzten. Erstarrt und jenseits aller Furcht beobachtete Arise, wie der Nebel sich über das Blutbad senkte und als er sich wieder erhob, war von Kirola, Jonasti, Brügge und Nakogi nichts mehr übrig. Langsam wendeten die Nebelschwaden, jetzt wieder fahlgrün und bleich, und schwebten auf sie zu.
Sie hörte ihren keuchenden Atem und blinzelte. Jemand klopfte hartnäckig an die Tür ihrer winzigen Kabine.
“Werfen Sie sich in ihre Uniform, Feldmann und kommen Sie mit,” sagte Jonasti, der Chefgeologe des Schiffs, während sein Blick wohlgefällig über ihr knappes Shirt und über ihre langen, nackten Beine glitt. “Ihre erste Außenmission erwartet Sie. Wir konnten auf XR 298-7610 zwar kein organisches Leben feststellen, aber der Chef will auf Nummer Sicher gehen.”
“Nun machen Sie schon! Der grüne Planet erwartet uns!” rief er munter, als sie nicht antwortete und betrachtete verwundert ihr leichenblasses Gesicht.