Yappidappi und das Hirnfax.

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Stephan

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Yappidappi und das Hirnfax.

Von Stephan Moll

Susanne tippte gemächlich auf der Tastatur. Der Brief, den sie abtippen sollte war knapp zwei A4 Seiten lang. „Nur keine Eile!“ Sie kreiste gemächlich mit ihren Fingern über die Tastatur. Hin und wieder fiel ihr Blick auf die Uhr, die oben über der Tür hing. „Gleich kommt Yappidappi“, sie konnte sich schon vorstellen, was das für ein Theater es geben würde, wenn „Yappidappi“ aus der Besprechung käme und der Brief noch immer nicht fertig ist. „Yappidappi“ war der junge, frisch von der Uni angeworbene Personalchef und Susanne war die etwas ältere, aber bereits joberprobte Sekretärin. „Dieses blöde Arschloch!“ dachte Sie sich. Sie hatte bereits einschlägige Erfahrungen mit Ihm gemacht. Schon hörte sie auf dem Flur seine Stimme. „Yappidappi“ war ein Name, den sich Susanne und einige ihrer Kolleginnen ausgedacht hatten. Diese Name bedeutete nichts anderes als eine Kreuzung aus „Yuppie“ und „Depp“, sein richtiger Name war Dieter Müller. Für alle andere eben nur „Yappidappi“ oder eben auch „Arschloch“. Sie hatten sich irgendwann auf „ Yappidappi“ geeinigt, weil man das auf dem Flur sagen konnte, ohne das es auffiel – noch. Denn wenn „Yappidappi“ allgemein enttarnt worden wäre, hätte man auch Arschloch sagen können. Das wäre dann spätestens der Punkt gewesen, an dem sich Susanne und Co ein neues Synonym für Dieter Müller hätten ausdenken müssten. Aber „ Yappidappi“ war eben „ Yappidappi“, und die Gefahr, das sein Deckname enttarnt würde, war im Moment eher gering.

Die Bürotür ging auf und Dieter Müller stand vor Susanne. „Guten Tag, Frau Schnapp.“, Susanne nickte höflich und stellte ihre Kaffeetasse auf den Brief, den sie längst abgetippt haben sollte. Müller warf seine Jacke über einen Stuhl und eilte weiter in sein Büro, die Tür mit Schwung hinter sich zuwerfend. Müller war 1,85 m groß, hatte schwarze, mit Haargel nach hinten gekämmte Haare und trug teure Maßanzüge. Er war etwas über dreißig Jahre alt und machte seinen Job jetzt seit einem knappen Monat – und in dieser Zeit hatte er es geschafft, sich sehr unbeliebt zu machen. „Jetzt muß ich mich aber beeilen, ehe der merkt das der Brief noch nicht fertig ist!“. Das Büro des Personalchefs war etwa genau so groß wie das der Sekretärin, es hatte nur ein größeres Fenster. „Das haben die so konstruiert, damit sie leichter aus dem Fenster springen können.“ munkelte man mit einem Grinsen in den unteren Schichten der Belegschaft. Gesprungen war bisher noch niemand. Bei einem Sprung aus dem vierten Stockwerk wäre das Ergebnis allerdings eindeutig vorhersagbar gewesen.

Die Tür ging wieder auf. „Frau Schnapp, ist der Brief fertig zur Unterschrift?“, Dieter Müller drehte sich um und wartete auf die Antwort. Seine Bürotür ging von alleine etwas weiter auf, so das Susanne ihn sehen konnte. „Äh ...“, rief Sie, stand dann aber auf um ins Büro von „Yappidappi“ zu gehen. „Nein, es dauert noch zehn Minuten.“ entgegnete sie ihm daraufhin etwas selbstbewußter. Müller knöpfte sein Sakko auf. „Frau Schnapp, ich hatte Ihnen schon gestern den Auftrag gegeben, den Brief in Reinform zu bringen, damit er heute Morgen von mir unterzeichnet werden kann – und nun?“ Beide schauten sich an. „Arschloch!“, dachte sich Susanne. „Wie bitte?“, fragte Yappidappi. „Ich habe nichts gesagt...“, flüsterte sie. Einen Moment lang war sie sich über nichts mehr sicher. „Ich hab das mit dem Arschloch doch nicht gesagt, oder etwa doch?“, sie grübelte, kam aber zu der festen Überzeugung, daß sie es nur gedacht haben konnte. Dieter „Yappidappi“ Müller sah sie nur an. „Frau Schnapp, ist bei Ihnen alles in Ordnung?“, er blickte etwas angeekelt. „Sind Sie in der Lage ihren Beruf noch auszuüben?“; fragte er und die Sekretärin war wie vom Blitz getroffen. „Was? Wie?“, dachte sie sich „Der denkt doch nicht etwa daran, mich abzusägen! Ich muß zusammen mit meinem Mann den Kredit für unser Haus abstottern!“ Susannes Blutdruck kletterte höher. „Arschloch! Du verdammtes Arschloch!“; dachte Sie sich, Dieter „Yappidappi“ Müller kniff die Augen zusammen. „He, was soll das?“, fragte er Susanne. „Was haben Sie da gerade gesagt?“. Susanne hob ratlos die Schultern. „Nichts, ich habe nichts gesagt!“. Müller drehte sich um und schüttelte den Kopf. „Gehen Sie bitte aus meinem Büro – und schauen Sie zu das der Brief so schnell wie sie können fertig wird.“

Susanne ließ sich das nicht zweimal sagen, beinahe geräuschlos verschwand sie aus Müllers Büro. Mit leicht zittriger Hand setzte sie sich an ihren PC und versuchte, den Brief fertig zu bekommen. Nach einer knappen halben Stunde läutete das Telefon in Müllers Büro, und noch etwas später ging die Tür wieder auf. Müller stand mit seinem Mantel überm Arm abreisefertig in Susannes Büro. „Der Brief, der ist fertig!“, verkündete sie stolz. „Ja, kann sein, prima. Sehen Sie, sie können auch noch was leisten, wenn man sie nur richtig anstachelt!“ er knöpfte den Mantel langsam zu. „Den Brief können Sie mir auf den Schreibtisch legen – ich bin außer Haus, für ein paar Stunden. Wenn jemand nach mir fragt, sagen Sie, das ich einen Außendiensttermin habe. Mein Handy lasse ich hier.“, er sagte das und verschwand. Susanne war sauer. Nun war der so wichtige Brief fertig – und war doch nicht mehr so wichtig.

Dieter Müller war mit dem Aufzug bereits auf dem Weg nach unten. Im zweiten Stockwerk hielt selbiger und zwei junge Damen gesellten sich zu Müller. Sie grüßten ihn mit einem breiten Grinsen. Müller nickte kurz angebunden zurück, seine Blicke glitten ständig über seine Uhr. „Seit wann bist du denn hier in der Ausbildung?“, fragte die etwas Dickere von beiden die andere. „Oh, seit drei Monaten bin ich hier. Und du?“, erwiderte die Dünne. „Ich bin im zweiten Lehrjahr. Ist eigentlich ganz nett hier. Bis auf ...“, beide lachten. „Yappidappi!“, flüsterte die Dicke, beide lachten etwas lauter und schauten zu Müller rüber, der das alles nicht mitbekam. Er war gedanklich woanders – genaugenommen schon bei seinem Autohändler, wo sein neuer TT auf ihn wartete. „Yappidappi würde ich mal gerne in den Arsch treten!“, flüsterte die Dicke. Müller schaute leicht angewidert in eine andere Ecke. „Worüber reden die beiden nur?“, fragte er sich. „Wahrscheinlich über irgendeinen Dünnschiss, dieses Hauptschülerpack!“, er atmete auf als der Aufzug im Erdgeschoss ankam und er mit weiten Schritten an dem bildzeitungslesenden Türwärter vorbeischnellte. „Für heute auf nimmer Wiedersehen, Herr BildProfessor!“, flüsterte „Yappidappi“ Müller in einem mehr als verächtlichen Ton im vorbeigehen.

Susanne nutze die Abwesenheit des Vorgesetzten zu einem Plausch mit Elke. Sie trafen sich immer wenn die Luft rein war, am Ende des Flurs um dort die gewohnte Zigarette zu rauchen und die neusten Firmeninterna auszutauschen. Wer trieb es mit wem, wer wurde gefeuert. Wer hat was gesagt, und am Ende stand immer Yappidappi. Da im Haus ein komplettes Rauchverbot galt, hielten sie ihre Hände mit den Glimmstengeln aus dem Fenster. „Der Müller, mobbt der dich noch immer?“, fragte Elke, die bald vor der Verrentung stand – sie gehörte zu dem Alteisen, zu dem ganz alten Alteisen, das schon kräftigst am wegrosten war. „ Yappidappi läßt mir keine Ruhe. Immer diese kleinen Nadelstiche. Der weiß genau, daß ich und mein Mann noch einen dicken Buckel zu tragen habe. Wahrscheinlich müssen meine Enkel den Kredit vom Haus noch abzahlen. Und die Sau nutzt diese Tatsache aus.“ „Ja, du hast echt Pech mit deinem Müller.“ Susanne zog heftig an ihrer Zigarette und schaute aus dem Fenster. „Ja, wie soll das nur weitergehen. Alles ist so ungerecht. Der verdient das x fache von dem, was ich bekomme und macht was er will. Heute Nachmittag ist er wieder unterwegs sich ein neues Auto kaufen.“, Elke nickte erneut, ihr Blick verdunkelte sich zusehends. „Elke, was ist los?“, fragte Susanne, die registrierte wie die alte Elke auf einmal immer grimmiger dreinschaute. „Susanne, ich muß dir was sagen, muß dir ein Geheimnis anvertrauen.“

Susanne war überrascht.

„Ist Yappidappi etwa dein Sohn?“, Susanne konnte sich das Lachen gerade noch verkneifen. Elke schüttelte den Kopf. „Nein, Susanne, ich bin schon seit vierzig Jahren in dieser Branche. Da hab ich manches gelernt. Auch Dinge, die sich vielleicht völlig abgedreht anhören.“ Susanne lauschte gebannt. Draußen zog sich ein Gewitter zusammen. Dunkle, massige Wolken türmten sich übereinander und bereiteten sich vor, helle Blitze zu produzieren. Elke stand mit dem Rücken zum Fenster, umrahmt von den Wolkentürmen. Susannen spürte einen leichten Luftzug durch das offene Fenster, ihre Zigarette hatte sich bereits selbst ausgeraucht. „Elke, was ist los?“, von weitem zuckte ein Blitz und ließ Elke kurzzeitig wie einen Racheengel erscheinen. Eine Bürotür knallte zu – es war niemand auf dem Flur zu sehen. Aus dem profanen Bürotrakt der multinational tätigen Firma wurde eine zeitweise unheimliche Gruft der vieldeutigen und nichtsdeutigen Andeutungen einer altgedienten Sekretärin.

„Elke! Bitte!“, rief Susanne etwas laute. „Was ist los?“. Elke trat einen Schritt auf ihre Kollegin zu. „Sende ihm ein Hirnfax!“

Susanne lachte.

„Ein Hirnfax? Wieso keine Hirnmail?“, Susanne schaute amüsiert und zündete sich eine neue Zigarette an. Elke fühlte sich falsch verstanden. „Susanne, glaub mir, in den vergangenen Jahrzehnten habe ich viel gelernt, auch Dinge, die ich nicht genauer erklären kann, Dinge, die sich vielleicht eine Spur zu mystisch anhören.“ „Mystisch?“ Susanne zog an ihrer Zigarette. „Elke..., bitte!“ „Du hast doch ein ziemliches Arschloch als Chef, oder?“ „Keine Wiederrede.“ „Siehst du, du hast dir wahrscheinlich auch schon hin und wieder was schlimmes gedacht. Vor allem, wenn du in seiner unmittelbaren Nähe warst.“ Susanne nickte. „Ja klar.“ „Bingo – dann hast du ihm ein Hirnfax geschickt.“ „Na gut, nenn es Hirnfax, aber er bekommt dieses Fax ja nie zu sehen.“ „Bist du dir da sicher?“, Elke schaute ihrer jüngeren Kollegin tief in die Augen. „Nein, wenn du so fragst. Heute morgen dachte ich öfters in Yappidappis Nähe, das er ein Arschloch ist. Also das denke ich auch, wenn er nicht neben mir steht, aber heute morgen stand er neben mir – und er tat so, als ob er das gehört hätte.“

Elke klatschte in die Hände. „Na prima! Susanne, du kannst es also, ohne es zu wissen. Du bist auch ein Mensch mit der Gabe des Hirnfaxes!“. Susanne sagte erst mal nichts, lachte dann aber laut drauf los. „Was ist denn da los?“, fragte eine Kollegin aus einem Büro hinaus. „Nichts, nichts...“, wiegelte Elke ab. „Susanne, alles was mit dem Hirnfax zu tun hat, ist eine Gabe die nur wir Sekretärinnen können. Es ist eine Art von Psi – wer weiß, was dahinter steckt.“ „Wieso redest du so leise?“; fragte Susanne „Wieso ich leise spreche? Was ist denn, wenn einer unserer Vorgesetzten das mitbekommt?“ Susanne konnte noch immer glauben, was sie da hörte. „Du hast die innerliche Befriedigung, das du deinem Frust freien Lauf lassen kannst, ohne Gefahr zu laufen, erkannt zu werden. Und das schöne daran ist, die Person deines ganz persönlichen Hasses bekommt das mit – und weiß nicht woher es kommt!“, Elke klatschte erneut in die Hände. „Und irgendwann geben sie zermürbt auf – entweder sie ändern sich oder sie gehen.“ „He, das ist ja sowas wie Mobbing!“, fügte Susanne hinzu. „Wie du willst – für mich ist es und war es immer eine Hilfe. Sonst wäre ich wahrscheinlich nicht solange hier geblieben.“


In diesem Moment öffnete sich in weiter Entfernung der Aufzug und einige Damen und Herren mit wichtigen Gesichtern schauten heraus. „Achtung!“, flüsterte Elke, sie und Susanne schnippten ihre glühenden Zigaretten aus dem Fenster. Der Trupp der jungen Highlowpotentials marschierte an ihnen vorbei. „Und ... Hirnfax abgeschickt?“, Elke schaute Susanne an. Diese nickte. Einige Meter weiter drehte sich einer der wichtigen Wichtigkeiten kurz herum und ging dann weiter. „Hoppla – ist das Fax gerade angekommen?“

Beide lachten.

„Aber Susanne, erzähl das nicht weiter. Das darf den Kreis der Unsrigen nicht verlassen.“, Elke preßte ihre Hand fest in Susannes Hand. „Versprochen!“

Am nächsten Tag ...

Dieter Müller saß an seinem Schreibtisch und durchwühlte einige Unterlagen. „Unwichtig..., noch unwichtiger. Zu alt, zu blöd, zu schlau.“, er schaute gerade Bewerbungsunterlagen durch. „Frau Schnapp!“; rief er „Kommen Sie mal!“, Susanne vernahm den Befehl und marschierte los. „Ja bitte?“ „Einen Kaffee.“ Sie nickte und organisierte eine Tasse Kaffee. Neben ihrem Schreibtisch stand eine alte Kaffeemaschine, die langsam und unmotiviert den Kaffee in die Kaffeetasse sudelte.

„Was zum Teufel??“, Müller griff nach dem Mülleimer und spuckte den Kaffee hinein. „Der schmeckt ja zum Kotzen!“, er klopfte mit der Faust auf seinen Schreibtisch. „Frau Schnapp, was ist denn mit Ihnen los? Der Kaffee hier ist ja das allerletzte.“ Susanne schaute auf die Kaffeemaschine und verstand nicht, was er wollte. „Die Milch!“, rief Yappidappi „die ist sauer!“ Susanne Schnapp nahm die Milchdose und schnupperte vorsichtig daran. „Stimmt. Aber die habe ich gestern erst frisch aufgemacht. Aber soll ich die Milch vorher immer testen? Ich bin doch kein Vorkoster!“, Susanne war sauer, genau wie die Milch. Müller regte sich langsam wieder ab und fand sich damit ab, das es heute wohl keinen Kinderkaffee mehr gab. „Kaffee schwarz!“, er steckte die Zunge kurz heraus. „Nein Danke!“ Susanne warf die saure Milch in den Mülleimer, dabei schoß eine weiße Milchsäule etwa einen Meter weit hoch in die Luft und besudelte den Boden. Die Milch breitete sich vor ihrem Schreibtisch auf dem Laminat aus, kleine Milchflüsse flossen in Richtung Bürotür von Dieter M.

„Frau Schnapp!“, rief Müller. „Kommen Sie mal in mein Büro.“ Behutsam und unter beabsichtigtem Übersehen des Milchsees tänzelte sie in Yappidappis Büro. „So, das mit dem Kaffee war ja mal wieder kein guter Einstand für den heutigen Morgen, Frau Schnapp. Aber ich hoffe das die etwas komplexeren Aufgaben ihrerseits nun etwas professioneller erledigt werden, nicht wahr?“, er schaute nicht Susanne an, sondern auf einen Stapel Papiere, die auf seinem Schreibtisch lagen. Susanne hielt einen Bleistift und einen Schreibblock bereit. „Aaarrschhhgesicht..., als ob ich die Milch geben würde.“ dachte sie sich, dabei schaute sie allerdings genau auf Dieter Müller und erwartete eine Reaktion. „Wie bitte?“, er hob den Kopf. „Was haben Sie gesagt?“, fragte er irritiert. „Nichts habe ich ... gesagt.“ erwiderte Susanne, und klopfte nervös mit dem Bleistift auf den Block. „Werden Sie mal nicht nervös, gleich können wir beginnen.“ er blätterte diverse Bewerbungsunterlagen durch, warf verschiedene auf einen Haufen, andere auf einen anderen. „Ne, die ist ja jünger als ich – und hat einen besseren Abschluß! Weg damit.“ murmelte er und warf die Bewerbung auf den rechten Haufen. Womit klar war, welcher Haufen welche Bedeutung hatte. Susanne Schnapp schaute sich das „Spiel“ an. „Der hat doch keine Ahnung, wie man diesen Job macht. Frisch von der Universität und null Komma null Ahnung. Sein Vorgänger, der hatte den Masterplan – aber der ist leider in Rente gegangen.“; sie dachte wehmütig an die Zeit zurück, in der Yappidappis Vorgänger hier gewirkt hatte. Dieser hatte in einem anderen Ton mit ihr geredet, der hatte sie wie einen Menschen behandelt. „So, Frau Schnapp. Heute wollen wir mal ein Protokoll erstellen. Wir haben ja einen neuen Abteilungsleiter in der Produktion zu besetzen. Und außerdem habe ich heute noch andere Dinge zu erledigen! Können Sie mir folgen?“, Müller schaute kurz zu Susanne und fummelte parallel dazu in einem Prospekt herum. „Na? Alles klar?“, fragte er provozierend. Susanne dachte an die Zeit vor Yappidappi, sie war ein wenig weggetreten. „Frau Schnapp, sind wir da? Hallo – ist jemand zu Hause?“, klopfte mit seinem Kugelschreiber auf die Schreibtischplatte.

Susanne merkte, daß ihr „Weggetretensein“ auffiel. „Ja – alles klar, wir können loslegen.“, sie klopfte ebenfalls mit ihrem Bleistift auf den Block – und brach dabei die Spitze ab. Vor lauter Schreck rutschte der Block zu Boden. „So ein Mist...“, fluchte sie. „Ich muß den Spitzer holen.“, sie stand auf und wollte an ihren Schreibtisch gehen. Doch Yappidappi rastete wegen dieser kleinen Kleinigkeit aus. „Frau Schnapp, jetzt ist es aus. Ich habe die Nase voll! Erst das mit der Milch, dann das!“, er stand rasch auf. Dabei flatterte das Prospekt, welches auf dem Schreibtisch lag, zu Boden. Es handelte sich um ein Prospekt des Wagens, den er sich gestern angesehen hatte. „Schnapp! Passen Sie auf – sonst schnappt sich jemand anders Ihren Job!“, wohl des Wortspiels mit ihrem Nachnamen wegen kicherte er. Susanne kicherte nicht, ihr standen beinahe Tränen in den Augen.
„Und außerdem habe ich die Sauerei mit der Milch auf dem Boden gesehen. Die machen Sie jetzt auch gleich weg!“
Kurz darauf weinte sie und rannte aus dem Büro in den Flur.

Dieter „Yappidappi“ Müller wartete einige Sekunden, ehe er reagierte. Eher um Schaden von sich abzuhalten, beschloß er, Susanne Schnapp hinterherzugehen. Diese rannte Elke in die Arme, die auf dem Weg in den Aufenthaltsraum war. „Was ist los?“, fragte sie. Susanne, die sich mittlerweile wieder beruhigt hatte, erläuterte in knappen Worten, was passiert war. Elke holte tief Luft. Mehrere Kolleginnen gingen an ihnen vorbei in den Raum. „Ich glaube, es wird Zeit, etwas zu unternehmen! Ich glaube es wird Zeit, unsere Fähigkeiten anders einzusetzen.“, sagte Elke fast in einem triumphierenden Ton. Susanne schaute sie ratlos an, kapierte es dann aber. „Ihr wollt ihm ein Hirnfax schicken?“ Elke lachte beinahe. „Und was für eins! Viel schlimmer als ein Werbefax mit 100 Seiten!“

Von weiten sahen sie auch schon Yappidappi auf sie zukommen. Er hob seine rechte Hand und wollte was rufen, doch da waren Elke und Susanne bereits im Aufenthaltsraum verschwunden. Dort saßen bereits mehrere Sekretärinnen und schauten sie neugierig an. Elke drückte die Tür leise zu. „Leute, wir müssen heute was tun, was wir noch nie so getan haben. Alles was hier passiert wird unter uns bleiben! Klar?“, Elke schaute in den Kreis der Anwesenden, von jeder Person nahm sie ein bestätigendes Kopfnicken ab.

Yappidappi drosselte seine Geschwindigkeit, vor der Tür blieb er stehen. Seine Hand streckte er aus um die Türklinke herunterzudrücken, doch plötzlich erwog er, doch erst einmal anzuklopfen. „Meine Güte, was für eine beschissene Sache!“, dachte er sich und faßte sich gleichzeitig an den Kopf. „Jetzt muß ich mich bei dieser Tante entschuldigen. Na ja, was solls. Gute Miene zum bösen Spiel, die bekommt morgen trotzdem ihre Kündigung. Ich habe die Nase voll.“ Ehe er anklopfte, dachte er, Stimmen gehört zu haben „... mann, oder sind das Kopfschmerzen.“ Er klopfte an und öffnete die Tür.

Das was er sah, war nichts sonderlich außergewöhnliches.

Fast ein Dutzend Sekretärinnen saßen um einen Tisch und schauten ihn an, darunter auch Susanne und Elke. Sie nippten dabei abwechselnd an ihren Kaffeetassen. Dann stand Elke auf und ging um ihn herum und schloß die Tür. Erst dachte sich Müller nichts dabei, doch als Elke den Schlüssel umdrehte und in die Tasche steckte, wurde ihm mulmig. „He, was soll das?“, fragte er. Elke setzte sich auf ihren Stuhl zurück und wartete einige Momente ab. „Was soll was?“, fragte sie. „Wieso haben Sie die Tür abgeschlossen?“ Sein blasses Gesicht färbte sich blutrot vor lauter Aufregung. „Was geht denn hier vor sich?“, er untermauerte seine Frage durch eine lauter werdende Stimme.

Doch Elke schwieg.

Susanne ebenfalls – genau wie alle anderen im Raum.

Sie starrten ihn nur an. Nur wenige Minuten, er griff sich an den Kopf und brachte seine aufwendig gestylte Gelfrisur durcheinander. Da kein Hirnfaxströmungsmessgerät zur Verfügung stand, konnte man nicht feststellen, was in diesem Moment in diesem Raum vor sich ging. Alle waren stumm, nur Yappidappi nicht. Dieser versuchte etwas zu sagen, brachte aber nur Wortfetzen heraus. Er stotterte und wimmerte, rang um zusammenhängende Sätze.

Bis die Sekretärinnen ein Einsehen hatten und ihn gehen ließen.

Am nächsten Tag.

Susanne saß bereits seit einer Stunde alleine im Büro, von Yappidappi keine Spur. Erst gegen 11 hörte man Schritte auf dem Flur. Aber nicht so laut und feste wie normal, eher etwas leiser und vorsichtiger. Dann öffnete sich die Bürotür – Dieter „Yappidappi“ Müller stand vor der Tür. Er schenkte Susanne Schnapp keinen Blick – murmelte nur was von „... Guten Morgen...“ - aber ganz leise.

Er versuchte auf jeden Fall, Blickkontakt mit Susanne zu vermeiden. Wieder eine Stunde später hörte Susanne seine Stimme. „Frau Schnapp, können Sie bitte mal kommen.“, Susanne hörte das erste mal „Bitte“. Sie nahm sich ihren gespitzten Bleistift samt Block und ging ins Büro. „Ja bitte...“, flötete. „Ich ...“, er schaute sie vorsichtig an „... habe eine wichtige Personalentscheidung zu fällen.“ Susanne schluckte, vielleicht hatten sie es gestern mit ihren Hirnfaxen übertrieben. Gestern dachte sie unaussprechliche Flüche und Beleidigungen aus. Zu was führten Sie nun?

„Die Personalentscheidung sieht so aus, das eine Stelle neu besetzt werden muß.“ Seine Stimme klang sehr leise und unterwürfig. „Welche?“, fragte Susanne und rechnete mit dem Schlimmsten.

Yappidappi legte ein Couvert auf den Schreibtisch. „Da, schauen sie hinein...“, er gab dem Brief einen Schubser. „Lesen Sie.“ Susanne nahm den Brief und öffnete ihn, er war nicht zugeklebt.

Sie las es – und war einem Freudenschrei nahe.

Dieter „Yappidappi“ kündigte seine Stelle.

Ende.
© Stephan Moll
 



 
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