Zauberei

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Oma

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Zufällig waren wir in dem Laden an der Ecke, wollten stöbern, dachten an nicht Besonderes. Es war ein Tag, wie jeder andere, draußen fielen Schneeflocken langsam an den Schaufenstern vorüber, wir küssten uns, dort draußen, lachten, drückten die Nasen an den Scheiben platt, wie Kinder.
Und jetzt standen wir vor der Vitrine, du hieltest dir die Hände vor den Mund, um nicht vor Freude aufzuschreien, warst aufgeregt und tratst von einem Bein beständig auf das andere.
Endlich kam der Besitzer des Geschäftes, öffnete die Glasfront, die mit einem kleinen Schloss gesichert war, und überreichte dir die begehrte Kostbarkeit, eine kleine Kristallkugel, in der ein Plastikhaus seinen Frieden fand. Still lag eine Schneedecke auf dem Grundstück, ein Reh stand im zaunlosen Vorgarten und schaute durch das Glas, war gespannt, was Außen vor sich ging. Nicht, dass dies das erste in deiner Sammlung wäre. An die dreißig Stück standen schon im Regal, vor dem Fenster unserer Abstellkammer, oben auf dem Speicher. Überbleibsel aus deiner eigenen Wohnung in der du lebtest, kurz vor unserer Heirat.
Ehrfürchtig griffen deine Hände nach dem fein gearbeiteten Stück und hielten es wie einen Gral in die Höhe. Deine Augen bekamen Glanz, strahlten das Fundstück an.
„Das ist sie“, stammeltest du vor dich hin. „Das ist sie wirklich!“, wobei deine Stimme fester wurde und die Kugel langsam zur Brust hinab sank. Dann drücktest du sie an dich, ließt sie wärmen von deinem Mantel.
„Ich habe sie wieder! Die nehmen wir!“, und zur Bestätigung erzähltest du die Geschichte von unseren Flitterwochen, als die Schneeflocken auch nur so umherflogen, oben in den Bergen. Da waren wir alleine, am entlegensten Winkel der Welt. Wie gerne erinnertest du dich daran, sprachst nun von nichts anderem mehr, sahst in die Kristallkugel, schütteltest sie energisch, und ließest die Erinnerung in deinen Worten gleichzeitig aufleben, mit all den winzigen Flocken, die nun wirbelten und tanzten. Schließlich fanden sie ihren Platz auf dem Dach des Hauses und auf dem Rücken des kleinen Rehs. Auch der Tannenwald, bestehend aus drei Gehölzen, war betroffen.
Du beobachtetest jede Einzelheit. Es schien, als ob du die Vergangenheit tatsächlich hinter dem Glas sehen konntest.
Du sagtest, du mochtest die Kugel, weil sie dich an unseren Urlaub erinnerte, aber in mir wuchs beständig der Eindruck, es könnte umgekehrt sein. Schon als wir in der Winterlandschaft fest saßen, sprachst du häufig davon, wie sehr dich die Natur dort an deine Sammelstücke erinnerten. Fast jeden Tag hörte ich diesen Hinweis. Jetzt war es mir wieder klar, fand es seltsam, aber dachte mir in diesen Tagen nichts dabei. Nun fiel mir deine Leidenschaft besonders auf.
Mit der Errungenschaft im Arm, machten wir uns auf den Heimweg. Schon im Wagen packtest du die Kugel aus, starrtest sie unentwegt an.
„Was meinst du, wäre es nicht schön dort drin zu wohnen, ganz alleine, nur du und ich?“ Ich blickte sie an, die Frage schien ihr ernst. „Schau doch mal, wie bezaubernd sie ist. So himmelblau und außen ganz rosig. So verträumt. Würdest du dort nicht auch gerne bleiben?“
Wieder sah ich zu ihr, bemerkte, wie gespannt sie auf meine Antwort war. Wieder irgend so eine Fantasie, wie sie sie häufig hatte.
Ich überlegte kurz, ob ich sagen sollte, wie wenig mir das Ding eigentlich bedeutete, wusste nicht, ob du es verstehen würdest, aber ich brachte es nicht übers Herz. Du wartetest auf eine Reaktion von mir, ich wollte dich nicht verletzen.
„Ja, ich würde auch gerne darin bleiben, fern ab von allem hier!“, hörte ich mich sagen.
„Mehr wollte ich doch nicht wissen!“, schriest du plötzlich, und unvermittelt fand ich mich – wie es geschehen konnte ist mir auch nach Jahren noch ein Rätsel – mit einem Reh im Arm zwischen Kunststoffflocken stehend wieder, bald abgestellt zu den anderen Schneegläsern deiner Sammlung.
Ewig schaute ich zum Fenster raus, und wusste nicht, was ich was ich getan hatte.
 



 
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