Zeitlos

dakini

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Die Zeit saß im Morgenrock an ihrem Schreibtisch und war gerade damit beschäftigt, sich dicke falsche Wimpern anzukleben.

Der Tod trat hinter sie, beugte sich zu ihr herunter und drückte ihr einen Kuß auf die Wange.
Igitt, sagte die Zeit, was hast du nur für ein ekelhaftes Rasierwasser, und verzog angewidert das Gesicht.
Es ist kein Rasierwasser, sagte der Tod und lächelte geheimnisvoll, es ist ein neues Parfum, Liebste....

Die Zeit sah ihn interessiert an.
Du hast heute überhaupt so einen Humphrey-Bogart-Touch, sagte sie.
Der Tod fuhr sich mit einer gezierten Geste durchs brillantineglänzende Haar.
Ich bin eben flexibel, sagte er und pustete ein imaginäres Staubkorn von seinem Jackett.
Gefällt es dir? fragte er und drehte sich vor ihr langsam im Kreis.

In diesem Moment flog die Tür auf und der Augenblick stürzte gehetzt ins Zimmer.

Habt ihr vielleicht zufällig die Ewigkeit gesehen? fragte er, erschöpft nach Atem ringend, und sah sich suchend im Zimmer um.

Nein, zum Glück nicht, sagte die Zeit. Sie konnte die Ewigkeit nicht ausstehen.
Der Augenblick wandte sich wortlos um und ließ die Tür laut knallend ins Schloß fallen.

Die Zeit widmete sich wieder dem Spiegel.
Rella Tief war ja heute noch gar nicht da, sagte der Tod.
Sie hat doch eine Affäre mit irgendsoeinem Theo, erwiderte die Zeit, während sie sich die Haare kämmte, weißt du das nicht?

Mit welchem Theo, fragte der Tod verständnislos und probierte ein paar Dracula-Zähne vor dem Spiegel aus.
Theo Rieh, oder so, sagte die Zeit, mit dem hängt sie doch dauernd zusammen.

Da klingelte es stürmisch an der Haustür, und der Tod erhob sich, um zu öffnen.
Na, da bist du ja, sagte er nur, während Rella Tief den Raum betrat.
Hi, darling, sagte sie zur Zeit und setzte sich auf ihren Schoß. Na, was macht Theo, fragte die Zeit und fing an, sich ihre Fingernägel zu lackieren.
Ach, sagte Rella und kicherte, ich habe ihn schon ganz schön durcheinandergebracht. Es ist köstlich!

Der Tod saß auf einem kleinen Plüschhocker und sah gelangweilt aus dem Fenster.

Bist du schon wieder eifersüchtig? fragte die Zeit und schob Rella von ihrem Schoß, um aufzustehen.
Sie ging zum Tod und umarmte ihn sanft.
Ich kann ohne dich einfach nicht leben, sagte der Tod und seufzte.
Ja, weiß ich, antwortete die Zeit, mir geht es so ähnlich....

Ach Kinder, sagte Rella, nun hört doch mal mit dem albernen Liebesgesäusel auf. Das geht einem auf die Nerven. Und außerdem koch ich jetzt Kaffee. Hört ihr mir überhaupt zu?
Als sie keine Antwort bekam, zuckte sie nur mit den Schultern und ging in die Küche.

Die beiden waren so ineinander versunken, daß sie nicht bemerkten, wie die Ewigkeit leise ins Zimmer huschte.
Ein Lächeln flog über ihr Gesicht.

Sie glich dem Augenblick wie ein Ei dem anderen.

Als sie die Wirklichkeit in die Möglichkeit verwandelte, löste der Raum sich plötzlich lautlos auf und verschwand im Nichts.

Die Ewigkeit stand unbeweglich da.

Sie lächelte noch immer.
 



 
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