Zeitreise

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huwawa

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Arbeit ist das fünfte Element

Schon seit langem befassen sich Menschen mit der Möglichkeit von Zeitreisen, bisher mußten sie sich dabei jedoch auf phantastische Erzählungen und Filme beschränken. Nun ist es einem internationalen Team von Wissenschaftlern aber endlich gelungen, diesen Traum zu verwirklichen und so können wir heute einen amerikanischen Star-Reporter bei einem Besuch im antiken Griechenland begleiten, wo er einen Mann trifft, der eine etwas kuriose Mischung zwischen weltfremdem Sonderling und tiefsinnigem Philosophen darstellt.

„Guten Tag, Mister Diogenes, vermute ich? Ich habe eine lange und mühsame Suche nach Ihnen hinter mir, aber Dank der genauen Beschreibung Ihres - äh.....Wohnsitzes ist es mir nun doch gelungen, Sie zu finden!

„Auch ich grüße Euch, ohne große Herzlichkeit freilich, Fremder, der Ihr Euch erdreistet, mir die wärmenden Strahlen der Morgensonne zu verdecken. Sagt, wer seid Ihr und was führt Euch hierher?“

„Oh, mein Name ist Ted Turner von der Fernsehanstalt CNN. Ich komme aus dem großen Land Amerika, weit jenseits von Atlantis, um im Auftrag des Wirtschaftsmagazins „financial times“ Ihre Meinung zum Thema „Arbeit“ zu erfahren, Mister Diogenes.“

„So, meine Meinung darüber wollt Ihr wissen? Nun, ich glaube, nein, ich behaupte, Arbeit ist neben Feuer, Wasser, Erde und Luft das fünfte Element! Alles was ich mache ist Arbeit, ich hebe ein Augenlid und arbeite, ich esse eine Olive und arbeite, ich spreche mit Euch und arbeite, ich gewähre einem Wind, mein Inneres zu verlassen und arbeite, Arbeit ist einfach immer und überall zugegen!“

„Also ich denke, ganz so einfach kann man das nicht sehen, Mister Diogenes, hier handelt es sich ja wohl um mehr oder weniger instinktive Tätigkeiten! Arbeit dient doch dem Zweck, Bedürfnisse stillen zu können, lebensnotwendige natürlich, wie Nahrungsbeschaffung, Wohnen und dergleichen, aber auch höhergestellte Ansprüche sowohl materieller als auch geistiger Natur wollen befriedigt werden, man will sich ja schließlich etwas leisten können!“

„Ja, ja, sich etwas leisten können, man braucht einen gewissen Luxus, so hört man es heute allenthalben! In Athen speisen die wohlhabenden Bürger aus feinsten tönernen Schalen, welche auf Kreta gebrannt wurden und den Wein kredenzt man in silbernen Bechern aus Libya! Sie kleiden sich in edles Tuch aus Asien und in wertvolle Pelze aus den fernsten Ländern und ich frage Euch: Brauchen wir all diesen sogenannten Luxus?“

„Aber ein florierender Welthandel ist doch alles andere als Luxus, Mister Diogenes, er ist der Motor, welcher das Wirtschaftswachstum antreibt und damit für die Erhaltung der Arbeitsplätze sorgt!“

„Das Wachstum, ja , das ist es, immer mehr und mehr und mehr muß es sein, selbst die gewöhnlichen Bauern fahren nicht mehr mit ihren Handkarren, sondern mit Ochsenwagen auf die Felder und versuchen sich sogar gegenseitig in deren Größe zu übertreffen! Immer mehr Ertrag möchten sie aus ihren Äckern und Gärten herausholen, immer mehr müssen sie dafür arbeiten, aber der Lohn dafür wird immer niedriger, weil die Händler in Piräus und Korinth des Überangebotes wegen immer schlechtere Preise bezahlen! Sie, die Händler jedoch, sind die einzigen, die wirklich reich werden, sie lassen sich Häuser, nein,
Paläste bauen, welche an Größe und Prunk den Tempeln der Akropolis kaum mehr nachstehen!“

„Ja aber Sie müssen doch zugeben, Mister Diogenes, daß dies einen Boom in der Bauwirtschaft auslöst, zehntausende Menschen erhalten Arbeit und kommen somit zu einem veritablen Einkommen!“

„Zu einem veritablen Einkommen! Muß denn schon alle Welt mit diesen modernen lateinischen Fremdwörtern herumwerfen? Und überhaupt, was glaubt Ihr, wem die meiste Arbeit an diesen Protzbauten zufällt? Sklaven sind es, bis aufs Blut geschundene arme Schweine, deren ganzes „veritables Einkommen“ eine karge Schüssel Gerstenbrei am Abend und eine üppige Tracht Prügel am Morgen ist, wenn sie zu schwach und zu müde zum Weiterarbeiten sind! Ich sage Euch, das ist eine ganz schlimme Geschichte mit dieser Sklaverei, so etwas werdet Ihr in Eurer Welt wohl nie gekannt haben, Meister - Törner, wenn ich mich richtig erinnere!“

„Oh, ich kann Ihnen versichern, Mister Diogenes, daß das Unrecht der Sklaverei, nicht zuletzt Dank der Vorreiterrolle des amerikanischen Volkes, in unserer heutigen Welt endgültig beseitigt ist! Jeder Mensch erhält für seine Arbeit ehrlichen Lohn, jene die mehr leisten natürlich mehr, die nicht so strebsamen oder gar faulen dementsprechend weniger bis gar nichts. Ihr müßt doch zugeben, daß dies die einzig gerechte Regelung ist!“

„Ja, Ihr scheint aus einer großen, freien und gerechten Welt zu kommen, Herr. Hier bei uns sieht die Sache freilich etwas anders aus, auch den kleinen Gewerbetreibenden und Handwerkern wird ihr Fleiß und ihre Mühe von den großen Auftraggebern zumeist nur unzureichend abgegolten. Denn Arbeit, glaubt es mir, Arbeit gäbe es wahrlich genug, wenn man all die Bedürfnisse der Mächtigen und der Möchtegerns, der Reichen und der Neureichen befriedigen wollte, nur bezahlen möchten diese feinen Herrschaften allesamt nichts! Es gibt einfach keine Bescheidenheit mehr, dabei bräuchte doch der Mensch wirklich nichts als ein Dach über dem Kopf, wie etwa meines hier, zwei Mahlzeiten
am Tag und eine Liegestatt zum Schlafen! Aber was will man denn verlangen in einer Welt, in der die Moral schon völlig verkommen ist und wo selbst die obersten Götter nur noch Bettgeschichten und Kriegszüge im Sinn haben! Seid wachsam, Meister Törner, damit es nicht auch bei Euch in Amerika eines Tages so weit kommt!

Ich weiß, ich gerate jetzt ein bißchen vom Thema ab, aber das mußte einfach einmal gesagt werden! Um jedoch zu Eurer ursprünglichen Frage zurückzukommen, so kann ich nur wiederholen: Arbeit gibt es im Überfluß, sie ist immer und überall zugegen und gewissermaßen das fünfte Element. Ob allerdings jene, welche am meisten arbeiten auch den meisten Lohn dafür erhalten, wage ich zu bezweifeln. Aber das wird wohl immer so bleiben, denn mögen sich auch die Zeiten und Welten ändern, die Menschen werden dies niemals tun! Ich danke für Eure Aufmerksamkeit, Meister Törner und bitte Euch, dem Sonnenlicht nun wieder ungehinderten Zutritt auf mein Haupt zu gewähren! Fahret wohl und kommt gut heim in euer großes, mächtiges und gerechtes Land!“

Auch ich verabschiede mich von Ihnen, Mister Diogenes, und wenn auch meine Anschauungen nicht immer mit Ihren übereinstimmen mögen, so bin ich doch überzeugt, daß die Welt noch in zweieinhalbtausend Jahren von Ihnen sprechen wird! Good bye, old fellow, good bye!“
 



 
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