Zeitwinde

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Aragorn

Mitglied
Zeitwinde

Heute ist mir so,
wie ich gestern nicht gedacht hatte,
dass es Morgen schon sein könnte.

Als ob fallende Blätter
nicht genug der Kälte sind.

Im Vorbeirauschen wird mir bewusst,
wie Zeitwinde mich tragen,
mir zeigen wie spät es ist,
ganz nah am Zifferblatt.

Es ist wie längst vergangen,
doch nah genug um zu frieren.

Ob ich es wage auf die Uhr zusehen,
oder meinen Blick senke,
bevor ich erkennen kann,
dass es vorbei ist?

Was schleppend angefangen hat
und dann doch rannte,
als sei es die Flucht meines Lebens.

Vor mir,
durch mich

immer wieder...​

14.11.04
(c) Ara
 
S

scarda

Gast
Hallo Aragorn

Mehrmals durchgelesen, aber letztendlich immer noch nicht zu einem für mich homogenen, einheitlichen Bild gekommen. Du beginnst mit einem Aphorismus und fährst fort mit einem „als ob“-Vergleich, den ich nicht verstehe. „nicht genug DER Kälte sein …“ erschließt sich für mich nicht wirklich.
Und auch im dritten Absatz komme ich mit dem Nebeneinander von Dynamik („Vorbeirauschen“) und Statik („tragen, zeigen“) nicht zurecht. Zeigen die Zeitwinde tatsächlich, wie spät es ist oder sind sie die Ursache für das Vorbeirauschen und erlauben nur zufällig den Blick auf das Zifferblatt?
Du machst es deinen Lesern ganz schön schwer – wenn ich nur wüsste, ob bewusst oder nur aus Unachtsamkeit.
 

Aragorn

Mitglied
liebe scarda,

es ist bewusst so gehalten, da ich nicht überdeutlich das Thema welches ich umschreiben wollte, beschreiben will.
Ich denke, Jeder kann es für sich erschließen und so sollte es letztlich auch sein. Es hat für mich Bedeutung sogar ne ganze Menge...
Ich danke für Deinen Kommentar
LG Ara
 
K

Klopfstock

Gast
"Heut ist mir so,
wie ich gestern nicht gedacht hatte,
daß es Morgen schon sein kann."


Heute ist mir so zumute.... - mir wurde bewußt, daß Morgen
schon alles (mein Leben) vorbei sein kann.
Seltsam, gestern wäre ich nicht auf solche Gedanken gekommen.

"Als ob fallende Blätter
nicht genug Kälte sind"


Reicht nicht schon das nahe Ende des Jahres? Die sich
einschleichende Kälte, das Sterben der Natur? -
Warum um Himmelswillen muß mir auch noch bewußt
werden, daß auch ich endlich bin - das es schon morgen
geschehen könnte?

"Im Vorbeirauschen wird mir bewußt,
wie Zeitwinde mich tragen,
mir zeigen wie spät es ist,
ganz nah am Zifferblatt."


Im Betrachten der Alltäglichkeiten, der Oberflächlichkeiten
des Lebens, erkenne ich, daß ich von der Zeit getragen
werde, wie von einem Wind, der mich ein wenig fliegen läßt,
um mich - ganz plötzlich vielleicht - fallen zu lassen.
Mir wird bewußt, daß mein Ende näher sein kann, als ich dachte.

"Es ist wie längst vergangen,
doch nah genug um zu frieren."


Ich habe mich zwar mit der Erkenntnis der Vergänglichkeit
abgefunden - und dennoch, ganz genau betrachtet,
macht sie mir Angst.

"Ob ich es wage auf die Uhr zu sehen,
oder meine Blicke senke,
bevor ich erkennen kann,
daß es vorbei ist?

Was schleppend angefangen hat
und dann doch rannte,
als sei es die Flucht meines Lebens.

Vor mir,
durch mich

immer wieder....."


Ob ich wohl den Mut habe, bewußt mit dem Rest des Lebens
noch genügend anzufangen - noch etwas daraus zu machen,
oder ob ich die Endlichkeit verdränge und so tue, als ob es sie nicht gäbe? Bis ich wohl merken muß, daß mein Ende gekommen ist. Das Ende eines Lebens - in dem man Anfangs immer glaubt, man hätte Zeit in alle Ewigkeiten, dann jedoch merkt, wie diese immer schneller
vergeht, immer rasanter läuft, so als wollte sie vor mir und durch mein Tun flüchten.

So in etwa habe ich Dein Gedicht verstanden, lieber Ara -
und es gefällt mir!!!

Liebe Grüße
von Klopfstock;);)
 

Aragorn

Mitglied
Hallo Klopfstock!

Also, ich weiss gar nicht was ich sagen soll, aber Du hast es verstanden, ich hätte es nicht besser umschreiben können und doch gilt der eine Zusatz des Verlustes noch in den Zeilen als bestimmend.
Es soll ein "nach vorne Schauen" sein, doch mit Blick zurück fällt es schwer das kalte des Jahres zu durchlaufen, wissend, es wird schon werden, doch ängstlich, manchmal mutig. Mutig genug?
Ja, ich hoffe es und trage am heutigen Tag, den Kopf oben, es gibt auch gute Tage, sie werden von Jahr zu Jahr mehr...es ist schön sich darauf zu freuen, auch wenn wie gesagt manchmal die Erinnerung vorraus ist und ich sie einholen und überholen muss.
Ich danke Dir sehr, für diese ausführliche und wunderbare Antwort, sie hat mich ungemein berührt.
LG Ara
 
S

scarda

Gast
Nun denn – am Tag der Toleranz: Klopfstocks Prosa als eigenes, separates Werk eingestellt gefällt mir deutlich besser als die Lyrik, die sie interpretiert.
Von Lyrik erwarte ich mehr, dichteres, exakt bearbeitetes. Z.B eine eindeutige Festlegung, des lyrischen Ichs. Bei der Strophe „Ob ich es wage …dass es vorbei ist?“ ist dies eindeutig nicht der Fall. Und bei der nächsten Strophe fehlt der zweite Teil des Satzes. „Was schleppend angefangen hat…“ das …, ja was tut es denn?
So gestatte ich mir auch heute, am Tag der Toleranz, die Meinung zu haben, dass dieser Wind bei konsequenter Überarbeitung noch deutlich besser werden könnte.

LG scarda
 

Montgelas

Mitglied
windige zeiten

lieber aragorn,

das wesentliche hat klopfstock schon gesagt.
mir bleibt nur heine:

"Der heutige Tag ist ein Resultat des gestrigen.
Was dieser gewollt hat müssen wir erforschen,
wenn wir zu wissen wünschen, was jener will."

(Heinrich Heine)


gute tage

wünscht

montgelas
 

Aragorn

Mitglied
Nun denn – am Tag der Toleranz: Klopfstocks Prosa als eigenes, separates Werk eingestellt gefällt mir deutlich besser als die Lyrik, die sie interpretiert.
Von Lyrik erwarte ich mehr, dichteres, exakt bearbeitetes. Z.B eine eindeutige Festlegung, des lyrischen Ichs. Bei der Strophe „Ob ich es wage …dass es vorbei ist?“ ist dies eindeutig nicht der Fall. Und bei der nächsten Strophe fehlt der zweite Teil des Satzes. „Was schleppend angefangen hat…“ das …, ja was tut es denn?
So gestatte ich mir auch heute, am Tag der Toleranz, die Meinung zu haben, dass dieser Wind bei konsequenter Überarbeitung noch deutlich besser werden könnte.

LG scarda
Liebe scarda, es hat niemand gesagt, dass Deine Meinung auf Nichtakzeptanz stößt, damit sollte es doch ok sein oder?
Wenn ich eben einmal nichts daran ändern möchte, ist das ein Beinbruch?
Mögest Du die selbe Akzeptanz bringen, wie sie Dir zuteil wurde...
 
S

Sandra

Gast
es ist bewusst so gehalten, da ich nicht überdeutlich das Thema welches ich umschreiben wollte, beschreiben will.
Hallo Aragorn,

es ist gut, dass du es so gehandhabt hast. Das Gedicht ist absolut gelungen und lässt Raum, um ihn mit eigenen Gedanken zu füllen. Ein besonders starker Einstieg, dessen Sprachgefühl konsequent fortgesetzt wird.

LG
Sandra
 

Perry

Mitglied
Hallo Ara,
sehr ansprechend beschriebene Zukunftsängste. Eingerahmt von einem philosophischem Beginn und einem lyrisch gekonnt offenem Ende. Bin stark beeindruckt!
LG
Manfred
 

Aragorn

Mitglied
Lieber Perry,

was für ein Lob...hab Dank, ich freu mich, dass Dir der Text gefällt.

Es gibt allerdings ein Symtom hier, das unbeschreiblich ist.
Für jeden positiven Kommentar, bekomme ich eine anonyme 3!!!
Was soll das? Wenn man sogar zu feige ist um zu sagen, dass man etwas nicht gut findet! Ich finde ganz ehrlich diese Sache unmöglich! Wenn jemand die Meinung hat, es ist nicht mehr als eine 3, so kann er mir auch gerne sagen warum das so ist! Auf diese Weise, der anonymen Vergabe reagiere ich nur noch mit Kopfschütteln.
 



 
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