Zeitzeichen

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Tinka

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Zeitzeichen

Noch wärmte die Herbstsonne. Die Luft, angefüllt vom Abschiedsgezwitscher der Vögel, streichelte ihre Haut.
Sie saß im Schatten auf der weiß gestrichenen Gartenbank und zog fröstelnd die Schultern zusammen. Blicklos starre sie auf das Handy in ihren verkrampften Fingern – wissend und doch voll trotziger Hoffnung nicht glauben zu müssen. Sie legte den schwarzen Kasten neben sich auf die Bank und schob ihn von sich, weit von sich.
Und so, als wolle sie noch mehr Raum zwischen sich und diese Nachricht bringen, stellte sie sich auf ihre Füße, die sich langsam mit ihr auf den Weg machten - Schritt für Schritt.
Ihre blicklosen Augen suchten kein Ziel. Ihr Kopf war zum Bersten leer. Ungesagte Wörter brannten auf ihrer Seele, wollten nicht verstummen und fanden doch kein Gehör mehr. Bilder tauchten auf aus der Vergangenheit, ungebeten und doch quälend willkommen.
Ihre Füße gingen mit ihr und die Sonne schien und wärmte das Vogelgezwitscher.
Ein Krächzen zerriss die Luft, drang erbarmungslos in ihre Ohren. Auf einem der schon kahlen Äste saß er, der schwarze Vogel, und äugte interessiert auf sie herab.
„Nein!“, schrie sie verzweifelt ins Geäst, das sich wie dürre Totenhände ins Blauen des Himmel streckte, „Weg! Weg mit dir!“ Hilflos schlug sie die Hände vor das Gesicht und begann lautlos zu weinen.
Ohne Eile hob sich der Vogel mit schwerfälliger Eleganz und einem letzten heiseren Ruf in die Höhe, breitete seine Schwingen aus und sein Schatten streifte ihre Gestalt.
Kraftlos sank sie zusammen. Und so kauerte ihr Körper an den bemoosten Stamm des alten Apfelbaumes gelehnt, die Arme Halt suchend um sich selbst geschlungen, doch sie griffen ins Leere.
Sie fühlte sich heimatlos, als sei sie mitgegangen auf diese Reise ins Nichts. Nur die Trauer lebte in ihr. Die Zeit verrann und hatte ihre Bedeutung verloren.
Dann nahm sie wahr, was ihren Blick schon seit einiger Zeit fesselte: Im toten Herbstbunt lag ein Apfel.

"WENN ICH WÜSSTE, DASS MORGEN DIE WELT UNTERGINGE, WÜRDE ICH HEUTE EIN APFELBÄUMCHEN PFLANZEN!"

Irgendwann richtete sie sich wieder auf und setzte ihre Füße auf den Weg, den sie nun gehen musste – langsam, still - Schritt für Schritt.
 



 
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