Zelten

Nelly steht vor dem Eingang des Igluzeltes und zittert. Ihr Kopf ist knallrot, ihre Beine zittern. Sie lacht, schämt sich und hat Angst. Sie lacht immer, wenn sie nicht weiß, was sie tun soll. Wenn sie in einer unangenehme Situation gerät und sich hilflos fühlt.
Immer und immer wieder rufen die Jungs ihr Wörter an den Kopf, Wörter, die ihr weh tun. "Indianerin! Negerkuss! Neger!" Sie lachen fies, springen um das Zelt herum. Nelly wird heiß. Sie ist doch gar keine Negerin, sie ist nur etwas dunkler. Sie ist alleine, keiner hilft ihr. Verzweifelt lacht sie und schlägt aus. Sie schreit zurück. Die Jungen spielen an ihrem Zelt, drohen es kaputt zu machen. Nelly rennt zu ihnen, um sie daran zu hindern. Schreit. Das Lachen der Jungen wird lauter. Sie jagen Nelly um das Zelt. Nelly rennt, lacht.
"Nelly!" hört sie die drohende Stimme ihres Lehrers. "Spinnst du, hier so rumzuschreien?!" Die drei Jungen sind still, grinsen vergnügt, glotzen sie an. Verletzt verkriecht sich Nelly im Zelt. Sie weint leise trockene Tränen. Noch immer ist ihr ganz heiß.
Ich bin anders als sie, denkt die Viertklässlerin. Dabei ist ihr ihre Haut, ihre Augen noch gar nie aufgefallen. Klar hatte sie gewusst, dass ihre Augen dunkel, fast schwarz sind, aber den Unterschied zu ihren Klassenkameraden hatte sie nicht erkannt. Nelly fühlt sich alleine. Keiner ist da, der sie tröstet, ihr hilft, sie in den Arm nimmt. Ihr Lehrer, den sie sehr mochte, dem sie vertraut hatte, hatte sie verletzt, die Situation nicht erkannt.
Seit dem weiß Nelly, dass sie anders ist. Dieser Tag veränderte sie. Er raubte ihr einen Teil der Kindheit. Die Jungen haben ihren kleinen Scherz sicher vergessen. Nelly ist jetzt groß, doch noch immer sieht sie die lachenden Fratzen vor sich. Sie wird sich an diesen Tag immer erinnern.
 



 
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