Zu Besuch bei Petronius

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bondit

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Zu Besuch bei Petronius:

Was es so alles gibt.

„Sieh Dir das an,“ wendet sich Petronius, der Wächter des Himmelstores und Transpositionsrealisator aller Lebensformen mit einem Schütteln seiner Silberlocken an Smoky, den gestaltlosen und allgegenwärtigen Geistesherrscher der himmlischen Gefilde. „Da habe ich diesem Robby Ackerhoff zu seiner Wiedergeburt alle Fähigkeiten gegeben, glücklich zu werden - und was ist? Er ist uuuunglücklich!
Er ist unglücklich, weil er seinen Wehrdienst in Kosistan so erfolgreich abgeleistet hat, daß er zum Oberleutnant befördert und mit dem kleinen Ritterorden für die Verhaftung von drei Banditen ausgezeichnet wurde. Sein Gewissen plagt ihn, weil er geholfen hat, drei Täter lebenslänglich hinter Gitter zu bringen.
Er hadert mit seinem Schicksal, weil er wegen seiner Verdienste für die Firma vom Manager in den Vorstand des Konzerns aufgestiegen ist und nun mehr denn je Gewinne für die Aktionäre einfahren muß anstatt für das Wohl der Allgemeinheit sorgen zu können. Er verzweifelt fast, sich nicht genügend um seine drei wunderbaren Kinder und seine entzückende Ehefrau Susan Noire kümmern zu können. Alle bewundern und achten ihn, ja beneiden ihn beinahe. Er wird von Liebe und Hochachtung umgeben. Sein Sexualleben ist erfüllt, aber nein, der Herr Robby Ackerhoff geruht unzufrieden zu sein.
Er möchte lieber Hausfrau, sprich Hausmann sein, sich seinen Kindern, seiner Familie und seinen privaten Interessen widmen und nebenbei SF-Stories schreiben. Er möchte liebend gern mit Susan tauschen. Schau nur, Smoky, mit welch flottem Wagen er die Auffahrt zu seiner edlen Villa hinauffährt, wo ihm Frau und Kinder schon entgegen laufen. Er lächelt zwar und freut sich; wenn Du aber in sein Herz siehst, erkennst Du im Hyperbariebereich Unzufriedenheitsmodulationen.
Und Susan? Genau die gleichen Unzufriedenheitsemissionen. Smoky, sag selbst, was erblickst Du bei Susan? Sehnsucht nach Selbstverwirklichung. Verlangen nach beruflichen Erfolgen. Reisen möchte sie wie Ihr Mann, fremde Länder erleben, mal den täglichen familiären Verpflichtungen entfliehen, keine Kinderfragen hören: Mammi, kannst Du mir mal helfen, Mammi, warum, Mammi guck mal undsoweiterundsofort. Die Tätigkeit im Elternbeirat ödet sie an. Sie hat es satt, sich über das Essen, das auf den Abendtisch kommen soll, Gedanken zu machen. Dabei kann sie bei der finanziellen Grundlage doch alle Möglichkeiten ausschöpfen.
Nein, sie möchte lieber Drachenfliegen, sich erheben über den Alltag, mal frei sein, selber entscheiden, andere Menschen führen. Hier, hier, hast Du das registriert?! Sie will echt Macht haben. Sie beneidet die Männer um ihre Freiheiten. Ha, sie will am liebsten ein Mann sein, noch mehr Mann als ihr Mann es ist. Jaja, sie liebt ihn und die Kinder, aber, aber, aber!!“
„ Mein lieber Petronius, das Problem kennen wir doch schon seit Äonen und haben es in einigen Religionen doch schon ganz gut gelöst. Die Aufstiegsmöglichkeiten bei einer Wiedergeburt bis hinauf zu Dschinns und anderen Geistern, sogar bis zu Marx und Engels, oh verzeih, mein lieber Petronius, ich meine natürlich bis in
die Engel-Hierarchie können wir voll ausnutzen, ebenso natürlich die Abstiegspfade bis hinunter zur staubfressenden Schlange oder gar zur kotmampfenden Schmeißfliege, ganz wie es der Gefügelage, dem Verhalten der betreffenden Wesen zu ihren Lebzeiten und ihren potentiellen Wünschen entspricht. Auch horizontale Reinkarnationen sind uns gegeben. Will eine Ente im nächsten Leben lieber ein Erpel sein, ein Fuchs lieber eine Fähe, warum nicht? Das Wesen muß nur zwei Bedingungen erfüllen: Es muß sich im aktuellen Leben so bewähren, daß es die Transposition auch verdient hat, und es muß fest an die Transpostionsrealisation glauben. Aber, das weißt Du doch alles, lieber Petronius, falls es Dir nicht als steinaltem Transpositionsrealisator entfallen sein sollte.“

107 Jahre später

Smoky, auf seinem gravitationslosen, watteweichen Formenergie-Diwan schwebend, blättert im Transpositionsreporthologramm des letzten Säculum. „Hey, Petronius,“ denkt er laut hallend. „Warum zum T.., also, warum hast Susan nach ihrem Hinscheiden nicht zum Mann transponiert wie sie es wollte“ - „ Oh, das hat sehr einleuchtende Gründe, lieber Smoky. Erstens haben Frauen inzwischen die gleichen Chancen wie die Männer, vielleicht sogar bessere und zweitens wollte sie keine männlichen Genitalien haben. Ich finde diese zwar recht lustig, aber Susan war anderer Meinung. Also ließ ich sie wie sie war. Sie ist jetzt Präsident des Eurorates, hat drei Töchter mit Roberta und ist absolut glücklich.“ „??????“
„Ach Du meinst, wie es für ein lesbisches Paar möglich ist, Kinder zu bekommen. Nun statt mit einer Samenzelle wurde Robertas Eizelle im Reagenzglas mit Susans Eizelle befruchtet, bis Stadium 32 weiter gezüchtet und dann Roberta implantiert. Das geht bei lesbischen Paaren natürlich nur mit Töchtern, bei Männern...“
„ Ja, ja, ich weiß schon“, unterbrach ihn Smoky etwas unwillig. „Robby hast Du also transponiert. Bist also wieder einmal den männlichen Wünschen bevorzugt entgegen gekommen, mmh? Ich sollte Dich bei nächster Gelegenheit auch einmal transponieren, z.B. in eine Petra“, provozierte Smoky seinen Torhüter. „ Ist Roberta denn nun ebenso glücklich wie Susan?“ - „ Darauf kannst Du einen, Entschuldi-gung, Dich verlassen, Smoky. Abgesehen natürlich von den Schwangerenzeiten. Das aber wird im kommenden Jahrhundert auch geändert. Da werden Hausschimpansen die Embryos austragen. So oder ähnlich wird das Problem gelöst werden.“
„Und wie steht es mit dem Sex?“ bohrte Smoky weiter.
„Also,da kannst Du ganz beruhigt sein. Als Susan letzthin von einer Reise mit ihrem Sekretär zurückkam, da wäre beinahe eine künstliche Befruchtung nicht mehr nötig gewesen. Die beiden haben die ganze Na.., äh na, Du weißt schon. Schau nur in den Hologrammreport. Die ganze Familie ist jetzt zufrieden. Nur die jüngste Tochter Petra hat einige Probleme und die „Nase voll von der Weiberwirtschaft“, wie sie sagt. Doch da müssen wir erst einmal abwarten.“

© Bonni Bondit
 



 
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