Zuckerschlecken

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Walther

Mitglied
Zuckerschlecken


Was soll das Geschrei bezwecken?
Sterben nicht die letzten Recken?
Sag es laut und ohne Schmu:
Gutes geht, die Tür fällt zu.

Narr zu sein - kein Zuckerschlecken:
Ehrlichkeit ist am Verrecken.
Wer noch sagt, was er sich denkt,
Wird am nächsten Ast gehenkt.

Wer es wagt, laut anzuecken,
Wird man in die Klapse stecken:
Geh mit Gott, geh in den Tod,
Halt den Mund, willst du vom Brot.

Achte drauf, dich zu verstecken,
Züngle nicht beim Ärschelecken:
Nimm nichts ernst, doch zeig es nicht.
Schweigen ist die höchste Pflicht.

Was will dein Geschrei bezwecken?
Enden werden erst die Kecken.
Böses kommt, die Tür geht auf.
Stell dich nicht in seinen Lauf.
 

Rhea_Gift

Mitglied
"Der Nagel, der hervorsteht, wird eingeschlagen."

(Zitat von weiß grad nich wem - Konfuzius vielleicht...)


>> Wahre Worte Walther... aber gelten die nicht für jede Epoche? Und gabs nicht in jeder auch tapfere Recken? Ich bin da nicht ganz so pessimistisch... ;)

LG, Rhea
 

presque_rien

Mitglied
Oah, Walter, du Ferkel!
Züngle nicht beim Ärschelecken
Uääh, also .. nee ... ich bin ja wirklich für alles offen, aber ... nee ... das geht nicht ... bzw. das geht schon, bei gaytube.com, aber doch nicht in der Lupe Mensch, also... :D

Und sonst?

Mir gefällt:
Sag es laut und ohne Schmu:
Gutes geht, die Tür fällt zu
Geh mit Gott, geh in den Tod,
Halt den Mund, willst du vom Brot.
Nimm nichts ernst, doch zeig es nicht
die Tür fällt zu [...] die Tür geht auf
Mir gefällt nicht:
Wer es wagt, laut anzuecken,
Wird man in die Klapse stecken: (Satzbau)
Enden werden erst die Kecken. (Versteh ich nicht)
Und ich gebe Rhea Recht, bzw. würde noch weiter gehen: Selbst mit einem Augenzwinkern kann man nicht wirklich sagen, dass es eine neue Entwicklung ist. Heute wird man gerade nicht direkt in die Klapse gesteckt, wenn man etwas anders ist als Andere. Ich weiß, das ist ein Spaßgedicht, aber es deckt sich einfach nicht mit meiner Empfindung.

Lg presque

PS.: Gerade gestern oder vorgestern habe ich noch darüber nachgedacht, das Andersartigkeit, also der hervorstehende Nagel, die treibende Kraft jeder Evolution ist. Das Problem ist nur, dass niemals von Vorneherein klar ist, welcher der vielen hervorstehenden Nägeln sich zur neuen Norm entwickeln wird.
 

MarenS

Mitglied
Ich fürchte, Walther hat mit diesem Gedicht die Erwartungen vieler Geschäftsleitungen, Vorstände und Teamleiter an ihre Mitarbeiter perfekt getroffen.
Presque liegt nicht falsch mit der Bemerkung, dass Anderssein heute bei weitem nicht mehr so schwierig ist wie früher...aber bitte nur im Privatleben!
Die Welt der Wirtschaft ist selten perfider gewesen und selten ist man derart über Menschen gefahren, über Leichen gegangen. Unsere Marktwirtschaft hat sich drastisch geändert. Mitarbeiter sind Verbrauchsmaterial, Nachhaltigkeit ist ein Unwort geworden. Wir schütteln oft über die Ausbeutung der Menschen in armen Ländern entsetzt den Kopf, sehen aber die Machenschaften im eigenen Lande nicht. Hier wird genauso brutal ausgebeutet, nur auf höherem Lohnniveau, da müsste man doch zufrieden sein...burnout oder einfach völlige Erschöpfung durch Überarbeitung, Mädelgejammer!

Was das Züngeln beim Ärschelecken angeht, das passt...auch in der Lupe, sonst verkommen wir irgendwann zum Teekränzchen. Solange es inhaltlich so gut eingebaut ist wie hier und mit bösem Augenzwinkern kommt macht es mir keine Probleme.

Wider Willen nun noch folgendes:
Absolut gelungen für mich der Beginn und das Ende, die Türen.

Es grüßt die Maren
 

presque_rien

Mitglied
Die Welt der Wirtschaft ist selten perfider gewesen und selten ist man derart über Menschen gefahren, über Leichen gegangen.
Also bitte. Wenn man sich hier in Wales um einen Job bewirbt - egal welchen - bekommt man ein zusätzliches Formular zum Ausfüllen, wo man seine Geschlechtsidentität und sexuelle Präferenz, ethnische Herkunft und eventuelle Behinderungen angeben kann (natürlich nicht muss), damit man im Fall von gefühlter Diskriminierung am Arbeitsplatz von den zuständigen Institutionen betreut werden kann. Soviel zum Thema "Anderssein am Arbeitsplatz". Streik ist in Deutschland ein Arbeiterrecht, Gewerkschaftsmitglieder erhalten sogar Streikgeld. Überhaupt, es gibt Gewerkschaften. Es gibt von Firmen bezahlte Fortbildungsseminare, es gibt Arbeitslosengeld, es gibt Weihnachtsgeld, Mindestlohn (zumindest hier in Wales), es gibt Bezahlung im Krankheitsfall und bezahlten Urlaub. Es gibt den Luxus, dass Depression und Burnout als Krankheiten anerkannt sind. Ich hätte gerne mal einen Arbeiter im Zeitalter der Industrialisierung gesehen, der sich über Depression beklagt hätte. Ich selbst habe viele Monate bei Burger King gearbeitet, also genau so ein internationaler Konzern, von dem man nichts gutes erwartet, und die Arbeitsbedingungen waren ausgesprochen fair. Ich glaube, wir in der westlichen Welt wissen wirklich nicht zu schätzen, wie gut es uns eigentlich geht.
 

Walther

Mitglied
Zuckerschlecken


Was soll das Geschrei bezwecken?
Sterben nicht die letzten Recken?
Sag es laut und ohne Schmu:
Gutes geht, die Tür fällt zu.

Narr zu sein - kein Zuckerschlecken:
Ehrlichkeit ist am Verrecken.
Wer noch sagt, was er sich denkt,
Wird am nächsten Ast gehenkt.

Den, der’s wagt, laut anzuecken,
Wird man in die Klapse stecken:
Geh mit Gott, geh in den Tod,
Halt den Mund, willst du vom Brot.

Achte drauf, dich zu verstecken,
Züngle nicht beim Ärschelecken:
Nimm nichts ernst, doch zeig es nicht.
Schweigen ist die höchste Pflicht.

Was will dein Geschrei bezwecken:
Enden nicht zuerst die Kecken?
Böses kommt, die Tür geht auf.
Stell dich nicht in seinen Lauf.
 

Walther

Mitglied
Hallo Ihr Lieben,

angeregt wurde ich zu diesem Gedicht durch die Canisius Affäre, China, Rußland, Iran - und die aktuelle Moral- und Ethikdebatte. Es gibt für dieses Statement weder Zeit noch Ort. Es gibt allenfalls graduelle und regionale Unterschiedlichkeiten.

Politische Lyrik ist immer das Vorhalten von Spiegeln. Und am besten hält man sie sich selbst vor.

Danke und lieber Gruß W.

Lb. Presque-rien,

Deine Anregungen haben ich aufgenommen und einige Formulierungen verbessert (hoffe ich ;)). Zur Formulierung in S5Z2: Die "Kecken" sind die Frechen, Vorlauten, Wunderfitzigen. Das ist ein nicht mehr so ganz gebräuchliches Wort, das hier aber wirklich gut paßt, und nicht nur des Reimes wegen.

Danke für Deine Hinweise!

LG W.

Liebe Maren,

danke für Deine Überlegungen. In der Tat ist der soziale Druck auf das Funktionieren ausgerichtet.

LG W.

Lb. Rhea-Gift,

danke für Deine Überlegungen. Lyrik dieser Art reizt zum Weiterspinnen ihrer Anregungen ebenso wie zum Widerspruch.

Bester Gruß W.
 



 
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