Zum Tod eines Poeten

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allerleirau

Mitglied
Nun hast du aufgehört, die Milchstraße zu fegen.
Du bist am Ende deines Kreises, Fisch im Stein.
Es taut das Eis auf allen deinen Wegen
Und vor dem Winde in den Wind fliehst du allein.

Nun hast du aufgehört, im Fieber zu verbrennen.
Du bist ein runder Mond im Spiegelglanz.
Hörst du das Schilfrohr deinen Namen nennen?
Sing, Trunkener, noch einmal deinen Scherbentanz!

Nun hast du aufgehört, dein Herz zu geben.
Du bist in Stein gegossen, stumm und taub.
Aus Weinlaubwunden stürzt das bunte Leben
Und Schweigen ruht auf Mergel, Salz und Staub.
 

nachtfalter

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von allerleirau
Nun hast du aufgehört, die Milchstraße zu fegen.
Du bist am Ende deines Kreises, Fisch im Stein.
Es taut das Eis auf allen deinen Wegen
Und vor dem Winde in den Wind fliehst du allein.

Nun hast du aufgehört, im Fieber zu verbrennen.
Du bist ein runder Mond im Spiegelglanz.
Hörst du das Schilfrohr deinen Namen nennen?
Sing, Trunkener, noch einmal deinen Scherbentanz!

Nun hast du aufgehört, dein Herz zu geben.
Du bist in Stein gegossen, stumm und taub.
Aus Weinlaubwunden stürzt das bunte Leben
Und Schweigen ruht auf Mergel, Salz und Staub.



Fisch im Stein:Warum nicht? Alles Leben stammt aus dem Meer.Das Gedicht gefällt mir.
LG
nachtfalter
 
G

Gelöschtes Mitglied 4259

Gast
Hallo Allerleirau,

ich hab in letzter Zeit nichts Vergleichbares hier gelesen! Die Bilder kann ich sehr gut nachempfinden, die Sprache wirkt auf mich angenehm, unaufdringlich; Rhythmus und Metrum sind stimmig, der Text schiebt analytische Ambitionen resp. Gelüste ins Bedeutungslose (an Silbenzählereien werde ich mich ohnehin nicht mehr beteiligen).

LG

P.
 
Hallo Allerleirau, hallo Penelopeia,

die Zeilen mögen gut gemacht sein, das erkenne ich an, aber ich denke nicht, dass man heute wirklich so dichten kann. Mir persönlich ist das etwas zu sehr dem Alten verhaftet. Keine eigene Sprache. Es ist zu geschlossen, zu rund. Und dann immer das Reimen. Ich frage mich manchmal, ob überhaupt Gegenwartslyrik rezipiert wird. Das ist für mich eher der Stil am Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts als am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

„Es taut das Eis auf allen deinen Wegen“

Diese Satzmelodie ist das, was mir misshagt – nicht aus Prinzip, aber wenn es mir als heutige Dichtung angeboten wird. Es wird keine Gegenwart eingefangen, vielmehr (ohne starke eigene Anverwandlung von Material und Thematik) aus dem Repertoire lyrischer Formen gegriffen. Wie gesagt: Handwerklich mein Respekt!!! Originalität sehe ich für mich als Leser nicht genug - vor allem, was die Gestaltung und eigene dichterische Aus- und Neu-Formung der Zeilen an geht.

Wie viel tausend Mal wurde schon Staub auf taub gereimt? Oder Leben auf geben?

Liebe Grüße

Monfou
 
B

bonanza

Gast
gut, daß der poet tot ist und deine verse nicht liest.
"scherbentanz" sagt eigentlich schon alles über den
stellenwert dieses lyrischen nachrufs.
dein gedicht wirkt wie aus fragmenten drittklassiger,
angelesener lyrik zusammengesetzt.

bon.
 

Montgelas

Mitglied
der reim

hallo pen, allerleirau und monfou,

einige unvollkommene gedanken zur anregung ...

ich finde den text sehr gut. auch die verwendung des reimes. der reim ist m.e. immer sehr gut geeignet abgeschlossene prozesse darzustellen und noch besser ist es, wenn er ironisch-satirisch benutzt wird, wie hier in diesem text. ein autor der leselupe, rolf-peter wille, hat dies nahezu zur perfektion getrieben. insofern ist der reim nicht tod.

allerdings hilft er nicht weiter und verklärt eher zustände, die vielleicht inhaltlich bedauert werden, wenn er sich zeitfragen oder existentiellen problemen eines gegenwärtigen lyrischen ich zuwendet.

es waren interessanterweise franzosen, die ja durch ihre chansonkultur bis heute keine probleme mit dem reim haben, die im 19.jahrhundert das vollkommene reimgedicht kritisierten.

mehr später

ich bin in eile

allen einen herzlichen gruss

montgelas
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Allerleirau,

Dein Text erschließt sich für mich, wenn ich ihn so lese, als wäre der Poet nicht verstorben sondern verstummt.

Dann wird alles für mich schlüssig. Das Eis geht ihm aus dem Wege, in den Wind ist er hineingenommen, das heißt: es wird nichts mehr griffig für ihn und deshalb kann er nichts mehr gestalten.
Der Scherbentanz bezieht sich auf die Gestaltungsweise seiner früheren Werke.

Abgeschlossen still für sich ist er wie der runde Mond, den man aber in seinen früheren Werken (Spiegelungen) immer noch rezipieren kann.

Das bunte Leben pulsiert immer noch in der von ihm zuvor beschriebenen Zerrissenheit, aber er ist verstummt.

Auf diese Weise gelesen sagt mir Dein Text etwas. Ich habe aber einige Zeit gebraucht, bis ich das herausfinden konnte, so auf Anhieb betrachtet erschien es mir zunächst auch so, als würde hier nichts wirklich Neues formuliert, aber dann hat sich mir Dein Anliegen eröffnet.

Ich lese es also als einen Anruf an den Verstummten, erneut sein Empfinden von Welt in Sprache zu bringen.

Herzlich grüßt Dich
Vera-Lena
 



 
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