Zweifel

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MaryB

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Zweifel

Ich verstehe nicht, wieso sich immer alle Leute so auf das Wochenende freuen. Für mich ist das Wochenende ein Alptraum schlechthin! Es muss doch eine Möglichkeit geben, dieser verflixten Einsamkeit zu entkommen. Wütend und deprimiert hockte ich in meinem Wohnzimmer. Was für eine hochtrabende Bezeichnung. Ohne Gardinen und nur das nötigste Mobiliar. Keine Gemütlichkeit, keine Harmonie.
Am Geld lag es nicht. Ich bin LKW-Fahrer und manchmal wochenlang unterwegs. Da fehlte es mir einfach an Zeit (und Lust) mir die Wohnung gemütlich einzurichten. Und wozu auch? Was hier hauptsächlich fehlte, war eine Frau! Neee...., an mir liegt es nicht! Ich bin nicht dumm und oftmals hat man mir auch schon gesagt, dass ich gut aussehe. Eigentlich müssten die Frauen nur so auf mich fliegen. Nein, nicht wegen meines Aussehens, sondern weil ich unheimlich fleißig und zuverlässig bin. Und? Was hat es mir gebracht? Ich bin fast 29 Jahre alt und immer noch alleine.
Missmutig griff ich zur Fernbedienung. Vielleicht läuft ja was spannendes im Fernsehen und lenkt mich etwas ab. Genervt switchte ich mich durch die Kanäle. Tagesschau, Western, ach du sch...., nicht auch noch Big Brother! Schnell weiter.....
Ich griff zur Fernsehzeitung und schenkte mir mit der anderen Hand ein Bier ein. Plötzlich erstarrte ich! Mein Blick klebte förmlich an einem Inserat: „ Widderfrau, 22J, 171cm/56KG, häuslich und zärtlich möchte ernsthafte Beziehung (Bitte mit Photo)“!
„Scheiße!“ Fluchte ich los. O Gott, das ganze Bier lief mir über die Hose. Mit einem Ruck riss ich die Tischdecke runter und versuchte mich notdürftig abzutrocknen. Das half mir für den Moment. Nun hatte ich nämlich ganz andere Sorgen!
Aber das ist doch die Idee! Ich gebe eine Annonce auf und die Weiber kommen angerannt! Wo? Welche Zeitung wäre für mich angebracht? Irgendwo hatte ich doch hier einen Lokalanzeiger? Hektisch durchsuchte ich die Bude. In dem Saustall konnte man ja auch nichts finden! Aber irgendwo muß sie sein. Ich weiß es ganz genau. Moment! In der Küche! Ich stürmte los, riss die Tür vom Unterschrank der Spüle auf und...., Nein das Leck hatte ich mit Reklame abgedichtet. Langsam drehte ich mich um. Im Flur! Ja, genau im Flur muss sie liegen, als ich das letzte mal in Hundedreck getreten bin. Volltreffer! Ich hab’ sie! Sogar auf Anhieb die Telefonnummer.
87330 wählte ich. Hallo? Ja, Guten Tag. Bender ist mein Name. Ich würde gerne ein Inserat aufgeben, wann würde das erscheinen? Mittwoch? Geht das nicht eher? Ja, habe ich verstanden. Kein Problem, Mittwoch geht klar! Den Text? Ja also, „Zwilling, 28 Jahre, 188cm / 90 KG, treu und ehrlich, kinderlieb, etwas schüchtern möchte liebe „Sie“ kennen lernen. Nur ernstgemeinte Zuschriften unter Chiffre“!
„Wie bitte?“ Persönlich mit dem Ausweis vorbei kommen? Okay! Wie lange haben Sie denn noch geöffnet? Ein Blick auf die Uhr. „Klar, das schaffe ich, bis gleich!“
Schnell sprang ich in eine trockene Hose, schnappte mir Geld und Papiere und rannte los. Ich hatte berechtigte Angst, dass ich es mir noch anders überlegen könnte.
Wieder zu Hause grübelte ich über meine Schnapsidee nach. Hatte ich das wirklich nötig? Egal, richtig oder nicht. Was könnte mir denn im schlimmsten Fall passieren? Im schlechtesten Fall, sind doch nur die 17 EUR weg. Klar war nur eins: Hier musste sich dringends etwas ändern!
Das Wochenende ging vorüber wie die anderen. Montags hatte mich der Alltag wieder voll im Griff. Fieberhaft erwartete ich die erste Post. Meine Nerven waren zum zerreißen gespannt. Zum ersten Mal seit langem sehnte ich sogar das Wochenende herbei. Endlich Freitag! Hektisch rannte ich nach Hause und öffnete meinen Briefkasten und verstand die Welt nicht mehr. Nichts! Aber absolut gar nichts war im Kasten! Noch nicht einmal ne’ Rechnung! Nichts!!!
Verstört ging ich hoch, knallte meine Tasche in die Ecke und ließ mich auf die ausgelutschte Couch fallen. Das ist doch nicht möglich. Die haben mich mit Sicherheit vergessen! Empört riss ich den Hörer von der Gabel und rief an.
„Hören Sie, letzte Woche habe ich bei Ihnen ein Inserat mit Chiffre aufgegeben! Ist die überhaupt erschienen?“ Wie bitte? Chiffre Nummer? Klar habe ich die, einen Moment. CH 4889!“
„Abholen?“ Ach so! „Wie viele sind denn gekommen?“ „Drei?“ „Okay, ich komme!“
Juuuuupihey!!!! “Die ham’ geschrieben! Echt geschrieben!“ Wahnsinn! Mein Herz hämmerte ein Stakkato! Ich Koooome!!! Aufgewühlt bis zum „Geht nicht mehr“ machte ich mich auf den Weg meine Zukunft abzuholen. Endlich hielt ich die Briefe in meinen Händen. Äußerlich unterschieden sie sich kaum. Ganz gewöhnlich Umschläge. Aber drinnen?
Ich eilte ungeduldig nach Hause und öffnete den ersten Brief. Andrea.....22J, Gabi....28J, Sonja 19J. Mmhhh.....süße Schrift! Auch ihr Stil zu schreiben. Richtig ansprechend, und witzig ist sie auch noch. Schnell entwickelte sich ein intensiver Briefkontakt. Sie ließ mich nie lange auf Antwort warten. Ich schrieb fast an jeder roten Ampel ein paar Zeilen an Sonja. Es wurde Standard, dass mich wütende Autofahrer anhupen mussten. Das juckte mich nicht im geringsten. Endlich hatte auch ich etwas worauf ich mich freuen konnte! Ich blühte richtig auf. Bald darauf tauschten wir unsere Telefonnummern aus. Und siehe da! Wo ich sonst so schüchtern war, ging jetzt fast alles ganz einfach. Fast von alleine. Ihre Stimme war genauso wie ich sie mir vorgestellt hatte. Sanft, wie eine Melodie. Ob ich ihren Erwartungen auch entsprach? Leise Zweifel wollten sich wieder bei mir einschleichen. Dann kam das Unvermeidliche...., aber auch das Erhoffte. Sie schlug ein erstes Treffen vor! Damit wir uns erkennen, vereinbarten wir bestimmte Kleidung zu tragen. Ich wollte eine Jeans mit einem roten Sweatshirt anziehen und sie wollte ein schwarz-weiß gemustertes Kostüm anziehen. Also dann, Samstagabend bei Karstadt um 18:00 Uhr.
Je näher die Zeit rückte um so nervöser wurde ich. Was ist, wenn das so eine dicke, fette und hässliche Schrappnell ist??? Panik drohte mich durchdrehen zu lassen. Doch dann, nach einer unruhigen und schlaflosen Nacht, hatte ich die rettende Idee. Ich ziehe einfach etwas ganz anderes an, so dass sie mich nicht erkennt und ich kann sie mir in aller Ruhe anschauen. Ist sie OK dann hin, wenn nicht dann weg! Ganz einfach. Innerlich musste ich nun doch über mich Hasenfuß lachen. So kurz davor aufzugeben, dabei liegt die Lösung so nahe. Gegen Abend rasierte ich mich, kleidete mich an, ein wenig Deo und ich marschierte los......
17:50h, noch niemand in Sicht. Unruhig ging ich auf und ab. Sicherheitshalber hatte ich mich auf der gegenüberliegenden Seite von Karstadt postiert. 18:10h, nirgends sah ich eine Frau im schwarz-weiß gemusterten Kleid. Nur hektische Leute, die Feierabend hatten und nach Hause hetzten. Fast halb sieben. Das gibt es doch nicht! Um viertel vor sieben ging ich nach Hause. Ich war wie betäubt. Mechanisch setzte ich einen Fuß vor den anderen. Zu ungeheuerlich so versetzt worden zu sein.
Ich hörte nie wieder von ihr.
Ich wurde älter. Ab und zu eine kurze Beziehung hier und da. Aber niemals das non plus ultra. Mittlerweile bin ich in den Vierzigern. Schon wieder nahte der Winter und Weihnachten. Wie furchtbar ist ein Fest der Liebe, wenn man alleine ist. Ich hatte weiß Gott Angst davor. Eines Abends ging ich in den Pub an der Ecke. Wie immer setzte ich mich in meine Nische als eine Frau herein kam. Ach was, eine Frau. Eine Dame! Die hatte ich hier noch nie gesehen. Elegant und anmutig nahm sie ganz in meiner Nähe Platz und bestellte sich einen Grog.
„Genau das Richtige bei diesem Wetter, nicht?“ Sagte ich zu ihr.
Sie lachte auf und schüttelte sich. „Ja, es ist wirklich eisig da draußen!“ Es entspann sich eine lockere Unterhaltung und ich durfte an ihrem Tisch Platz nehmen. Ich lud sie zu einer Flasche Wein ein. Unsere Stimmung stieg und der Pegel in unseren Gläsern sank immer mehr. Wir lachten und diskutierten über Gott und die Welt, als würden wir uns ewig kennen.
Doch mit einem mal wurde sie ganz ruhig. Fast schon melancholisch .
„Wissen Sie, sagte sie, plötzlich muss ich an etwas denken, was schon viele Jahre zurück liegt. Durch eine Annonce fand ich einen Brieffreund. Es war eine herrliche Zeit. Wir verstanden uns prächtig und wollten uns dann persönlich kennen lernen“.
„Aber ich....!“ Begann ich.
„Nein, warten Sie“, unterbrach sie mich. „Ich möchte es Ihnen erzählen. Wir verabredeten bestimmte Kleidung, damit wir uns erkennen....
„Ich kann Ihnen...“, versuchte ich es erneut, aber sie ließ mich nicht aussprechen. Mein Mund war völlig ausgetrocknet. Ich konnte kaum noch schlucken, aber sie bemerkte es nicht. Gedankenverloren spielte sie mit ihrem Weinglas und erzählte weiter.
„Im letzten Augenblick packten mich Zweifel. Vielleicht war es auch Feigheit und ich beschloss etwas ganz anderes anzuziehen um mir somit ein Hintertürchen offen zu halten“.
Sie hob ihren Blick und schaute mich voll an. „Ziemlich feige, nicht?“
Ich wollte es ihr sagen. Meine Augen schrieen es förmlich. Aber ich war wie gelähmt. Doch da lachte sie schon wieder. „Was soll’s, das ist eine Jugenderinnerung. Ich weiß noch nicht einmal, warum sie mir ausgerechnet heute Abend in den Sinn kam. Nun, ich bin seit 8 Jahren glücklich verheiratet und.....ooh, schon so spät?“
„Tut mir leid, ich muss leider los, war nett Sie kennen gelernt zu haben!“
 

knychen

Mitglied
prädestiniert *

hallo MaryB,
die grundidee der geschichte finde ich klasse, es ist so eine story, bei der man im film sagt:"mann, da hat der regisseur aber dick aufgetragen." aber es gibt solche zufälle wirklich.
zwei dinge sind mir aber aufgefallen.
wenn der zweite teil in der gegenwart spielt, würde ich den ersten teil in die vergangenheit versetzen.
die stelle mit dem "es entwickelte sich ein intensiver briefkontakt..." würde ich als neuen absatz beginnen.
und, mal ganz nebenbei, so nachlässig ist doch nun wirklich keiner, daß er die zeitung, mit der er sich vor mehreren wochen die hundescheiße von den schuhen gewischt hat,(ist aber auch 'ne plage hier in berlin) immer noch im flur rumliegen hat. wenn doch, dann ist er nicht der typ, der einen interessanten und stilvollen briefwechsel pflegen kann. das beißt sich irgendwo, ist aber 'ne ganz persönliche empfindung.
gruß knychen
* siehe profil
 



 
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