ThomasStefan
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Zweikampf mit einer Fliege
Ärgerlich wedele ich das lästige Vieh aus meinem Gesicht. Diese blöde Fliege! Seit einer Woche schon belästigt mich dieses Biest, aber – ist es wirklich dieselbe? Wie lange lebt so ein Tier eigentlich? Ich dachte bisher, nur einen Tag, und dann ist sie sowie dahin.
Diese hier gibt nicht auf, fliegt mich immer wieder an und stört mich beim Zeitungslesen. Karin scheint sie nicht zu stören. Aber mich! Setzt sich gar auf meine Nase! Es reicht!! Ich falte die Zeitung zu einer Art Prügel zusammen, wie es schon mein Vater getan hatte. Er konnte Insekten nicht ausstehen, und ich habe diese Einstellung nahtlos übernommen, mag diese kleinen Flügler nicht einmal berühren. Früher, wenn wir im Sommer im Garten saßen, wurde es bei uns am Tisch immer schnell hektisch, sobald sich das Getier für unseren Obstkuchen interessierte. Somit warte ich nun in alter Tradition auf meine Chance.
Wie gerufen kommt sie angeflogen, landet neben meinem Teller auf dem Frühstückstisch. Jetzt ist die Gelegenheit da, diesem Störenfried ein Ende zu bereiten. Ich fasse die zusammengeknüllte Zeitung fester, hole aus. Eigentlich ist diese Drohung nicht zu übersehen. Doch... erstaunlicherweise fliegt sie nicht weg, fast, als warte sie auf ihren Tod. Aber wer will schon ein sterbendes, noch zuckendes Tier auf dem gedeckten Tisch sehen? Ich nicht, wenn ich ehrlich bin! Denn so etwas sieht ekelig aus, da vergeht einem der Appetit. Und gesetzt den Fall, ich überwände mich, die Hinrichtung gelänge gar mit dem ersten Hieb und das Biest klebte erschlagen auf der Decke – da wüsste ich jetzt schon, wie meine bessere Hälfte das kommentieren würde:
„Na toll!“, und verärgert würde Karin auf den schwarzen Fleck deuten, „Musste das sein? Die Decke ist jetzt versaut!“
Wenn ich das alles bedenke, kommt diese Aktion ohnehin nicht infrage. Gott sei Dank! Ach, jetzt sehe ich, es liegt gar keine Decke auf, nur ein Frühstücksset, ein gummiartiges geblümtes Viereck auf dem blanken Holz des Tisches. Also besteht gar kein ernsthaftes Hindernis. Hm ...
Doch ... vielleicht treffe ich den Teller oder die halb volle Tasse, überlege ich mir, und die Frühstücksreste fliegen über den Tisch. Bei meinem Insektenekel wäre das nicht unmöglich. Da haue ich womöglich daneben, und dann haben wir erst richtig eine Schweinerei! Und alles nur wegen dieses blöden kleinen Viehs! Ich lasse den Arm wieder sinken. Vorsichtig ziehe ich das Set mit allem, was darauf liegt, nach links, immer weiter. So, das Geschirr ist in Sicherheit. Die Fliege rührt sich nicht, sitzt da wie auf dem Präsentierteller. Ich hole wieder aus, es muss sein. Sie stört einfach, und die Situation fordert es von mir: Der Mann sorgt für Ordnung, weist die Gegner in die Schranken, besiegt die wilden Tiere. Hat mein Großvater imer zu mir gesagt. Dennoch, irgendwie ist die Vorstellung von dem Bild, das sich mir gleich bieten wird, abstoßend. Dieses mit dem Tode ringende Wesen muss ja anschließend noch weggebracht werden! Natürlich auf keinen Fall anfassen! Also aufkehren, auf ein Blatt Papier, hochheben, wegbalancieren. Dabei rutscht es womöglich auf mich zu, berührt mit seinen schwarzen, pelzigen Beinen meinen Daumen! Es stellen sich mir die Haare auf. Mein Arm mit der Zeitung wie auch mein Mut sinkt wieder.
So, wie ich jetzt zögere, nachdenke, mich ekele – es ist ein Wunder, dass das Tier immer noch dasitzt. Hoffte ich insgeheim, dass es weiterfliegt? Und ich mir sagen kann: Schade, ich hätte es so gern erschlagen! Alles Lüge, ich weiß. Ich bin ein erbärmlicher Feigling. Anerzogen und fest in mir verwurzelt, diese Insektenphobie.
Aus den Augenwinkeln blicke ich zu meiner Karin. Sie ist in ihre Zeitung vertieft, hat anscheinend nichts mitbekommen. Plötzlich fällt mir das leere Wasserglas auf dem Tisch auf. Es ist heute unbenutzt geblieben. Erleichtert lege ich die misshandelte Zeitung zur Seite, denn endlich sehe ich eine angenehme Alternative. Behände nehme ich das Glas, fasse es an der Unterseite und drehe es mit einer geschmeidigen Bewegung um. Jetzt kommt meine Bienen- und Wespenfang-Technik zum Tragen. Der glatte Untergrund des Holztisches, das hygienische Fangverfahren, die Schonung der eigenen Nerven. Eine wirklich ideale Situation. Das Vieh ist immer noch da, es hat eine unfassbare Geduld mit mir.
`So, du elendes Miststück, jetzt bist du dran!´, denke ich mir, rücke sowohl mit dem umgestülpten Gefäß als auch dem Gesicht näher an sie heran.
`Deine letzte Chance, und wenn du jetzt nicht abhaust, selbst schuld!´
Ich nehme Maß, peile über den Glasrand hinweg den Feind an.
Ganz sanft steuere ich meine Hand mit der gläsernen Falle Richtung Ziel, dann wieder zurück, es geht hin und her. Ich übe die Bewegung ein, fühle mich wie ein Dart-Meister vor dem entscheidenden Wurf. Jetzt nur nicht zu fest aufsetzen, nicht, dass vom Rand des Glases etwas abplatzt! Nein, ganz soft, wie ...seinerzeit die Mondfähre, gesteuert von Neil Armstrong, oder besser: so cool wie Dirk Nowitzki beim Dreier-Wurf, wenn die Hand sanft, aber bestimmt abklappt, nachdem der Ball sie Richtung Korb verlassen hat. Sagenhaft, wie elegant man so ein Wasserglas bewegen kann.
Abrupt höre ich mit meinem Fangtraining auf, denn plötzlich bemerke ich diese steile Falte auf der Stirn meiner Frau. Ein sicheres Zeichen völliger Verständnislosigkeit, mit Übergängen zur Zornesfalte. Und ich dachte, wenigstens sie versteht mich! Über mich selbst enttäuscht blicke ich auf die Fliege herab. Wäre ich dieses Tier, möglicherweise des Lebens überdrüssig und schon eine Weile sehnsüchtig auf den Tod wartend – ich hätte die Schnauze endgültig voll, völlig klar. An ihrer Stelle würde ich mir das nächstbeste Spinnennetz suchen und mich hineinwerfen. Ende, aus. So eine Spinne ist verlässlich. Der Mensch dagegen ist zum Kotzen: Wenn man ihn braucht ... Einfach zu blöd.
Plopp. Das Glas sitzt fest auf dem Tisch, ich habe meinen Ekel bezwungen. Und der überraschte Störenfried ist gefangen. Begeistert über mich selbst schaue ich auf das wehrlose Wesen. Jetzt ist es von der Welt getrennt, quasi steril verpackt unter einer Glaskuppel. Ein bisschen stolz bin ich über meinen Coup.
„Na, hast du es endlich geschafft?“ , fragt mich Karin. Ihr genervter Blick kriecht über den Rand der Zeitung und trifft mich. Auch ein leichtes Kopfschütteln bemerke ich.
`Sei du bloß ruhig´, denke ich mir, `du hast dafür Angst vor Hunden.´
Vorsichtig schiebe ich ein glattes Stück Papier, Teil der verschont gebliebenen Edeka-Werbung, unter das Glas. Das Tier ist scheinbar erwacht, krabbelt zwischen den abgebildeten Artikeln herum, sucht Halt zwischen Hundfutter und Grillkohle.
„Ich mache dir auf,“ seufzt meine Frau, ist schon an der Verandatür. Ich sage leise: „Danke“, schaue aber lieber nicht in ihr Gesicht, sondern konzentriere mich auf meine Aufgabe, lasse das Untier nicht aus den Augen. Während sie die Tür aufhält, schlängele ich mich an ihr vorbei, nach draußen in den Garten. Dabei halte ich das Glas mit dem Werbeblatt von unten zu und gehe weit auf den Rasen, damit die Fliege mir nicht wieder folgt und erneut in mein Leben eindringt. Mit einer einzigen eleganten Bewegung, eines großen Dirigenten würdig, öffne ich den gläsernen Sarg und gebe dem kleinen Biest die Freiheit zurück. Ich fühle mich wie der letzte Humanist – zumindest erweise ich mich wieder als Tierfreund. Der bin ich bestimmt, das aber meistens aus sicherer Entfernung, oder besser noch: virtuell, auf einem Bildschirm. Da erfreut mich das animalische Leben.
Sofort haste ich wieder nach drinnen, verschließe die Tür. Zufrieden kehre ich zum Frühstückstisch zurück und glätte ich die gequälte Zeitung, striegele sie immer wieder glatt. Mal sehen, was heute Abend im Fernsehen kommt. Plötzlich dringt ein feines Geräusch an mein Ohr. Und da sitzt sie wieder, meine Fliege: direkt vor mir, knabbert an einem Krümel. Muss sich von diesem Ausflug in die Natur erst einmal erholen. Oder ist es eine ihrer Schwestern? Egal! Ich fühle mich wehrlos, verhöhnt. Ich will das nicht, nicht noch einmal! Ich will meine Ruhe!
Peng!! Das Geschirr auf dem Tisch scheppert nachdrücklich, als die Hand meiner Frau auf die Tischplatte saust und meinem kleinen Quälgeist ein Ende bereitet. Mit wildem Gesichtsausdruck zeigt Karin mir ihre Handfläche, auf der das tote Tier klebt, hält es mir direkt unter die Nase.
„So macht man das!“
„Danke,“ murmele ich überrascht, drehe mich aber angewidert ab. Wieder einmal hat es sich bewahrheitet: Frauen sind einfach härter als wir Männer. Und in solchen Momenten braucht man sie: Ihre Entschlussfreude und ...Schlagkraft.
Während die tote Fliege von ihr entsorgt wird, wende ich mich erleichtert der Zeitung zu. Ah, heute Abend kommt ein Tierfilm! Titel: Was wir von den Insekten lernen können. Sehr interessant! Diese kleinen Vielbeiner haben mich schon immer fasziniert!
Ärgerlich wedele ich das lästige Vieh aus meinem Gesicht. Diese blöde Fliege! Seit einer Woche schon belästigt mich dieses Biest, aber – ist es wirklich dieselbe? Wie lange lebt so ein Tier eigentlich? Ich dachte bisher, nur einen Tag, und dann ist sie sowie dahin.
Diese hier gibt nicht auf, fliegt mich immer wieder an und stört mich beim Zeitungslesen. Karin scheint sie nicht zu stören. Aber mich! Setzt sich gar auf meine Nase! Es reicht!! Ich falte die Zeitung zu einer Art Prügel zusammen, wie es schon mein Vater getan hatte. Er konnte Insekten nicht ausstehen, und ich habe diese Einstellung nahtlos übernommen, mag diese kleinen Flügler nicht einmal berühren. Früher, wenn wir im Sommer im Garten saßen, wurde es bei uns am Tisch immer schnell hektisch, sobald sich das Getier für unseren Obstkuchen interessierte. Somit warte ich nun in alter Tradition auf meine Chance.
Wie gerufen kommt sie angeflogen, landet neben meinem Teller auf dem Frühstückstisch. Jetzt ist die Gelegenheit da, diesem Störenfried ein Ende zu bereiten. Ich fasse die zusammengeknüllte Zeitung fester, hole aus. Eigentlich ist diese Drohung nicht zu übersehen. Doch... erstaunlicherweise fliegt sie nicht weg, fast, als warte sie auf ihren Tod. Aber wer will schon ein sterbendes, noch zuckendes Tier auf dem gedeckten Tisch sehen? Ich nicht, wenn ich ehrlich bin! Denn so etwas sieht ekelig aus, da vergeht einem der Appetit. Und gesetzt den Fall, ich überwände mich, die Hinrichtung gelänge gar mit dem ersten Hieb und das Biest klebte erschlagen auf der Decke – da wüsste ich jetzt schon, wie meine bessere Hälfte das kommentieren würde:
„Na toll!“, und verärgert würde Karin auf den schwarzen Fleck deuten, „Musste das sein? Die Decke ist jetzt versaut!“
Wenn ich das alles bedenke, kommt diese Aktion ohnehin nicht infrage. Gott sei Dank! Ach, jetzt sehe ich, es liegt gar keine Decke auf, nur ein Frühstücksset, ein gummiartiges geblümtes Viereck auf dem blanken Holz des Tisches. Also besteht gar kein ernsthaftes Hindernis. Hm ...
Doch ... vielleicht treffe ich den Teller oder die halb volle Tasse, überlege ich mir, und die Frühstücksreste fliegen über den Tisch. Bei meinem Insektenekel wäre das nicht unmöglich. Da haue ich womöglich daneben, und dann haben wir erst richtig eine Schweinerei! Und alles nur wegen dieses blöden kleinen Viehs! Ich lasse den Arm wieder sinken. Vorsichtig ziehe ich das Set mit allem, was darauf liegt, nach links, immer weiter. So, das Geschirr ist in Sicherheit. Die Fliege rührt sich nicht, sitzt da wie auf dem Präsentierteller. Ich hole wieder aus, es muss sein. Sie stört einfach, und die Situation fordert es von mir: Der Mann sorgt für Ordnung, weist die Gegner in die Schranken, besiegt die wilden Tiere. Hat mein Großvater imer zu mir gesagt. Dennoch, irgendwie ist die Vorstellung von dem Bild, das sich mir gleich bieten wird, abstoßend. Dieses mit dem Tode ringende Wesen muss ja anschließend noch weggebracht werden! Natürlich auf keinen Fall anfassen! Also aufkehren, auf ein Blatt Papier, hochheben, wegbalancieren. Dabei rutscht es womöglich auf mich zu, berührt mit seinen schwarzen, pelzigen Beinen meinen Daumen! Es stellen sich mir die Haare auf. Mein Arm mit der Zeitung wie auch mein Mut sinkt wieder.
So, wie ich jetzt zögere, nachdenke, mich ekele – es ist ein Wunder, dass das Tier immer noch dasitzt. Hoffte ich insgeheim, dass es weiterfliegt? Und ich mir sagen kann: Schade, ich hätte es so gern erschlagen! Alles Lüge, ich weiß. Ich bin ein erbärmlicher Feigling. Anerzogen und fest in mir verwurzelt, diese Insektenphobie.
Aus den Augenwinkeln blicke ich zu meiner Karin. Sie ist in ihre Zeitung vertieft, hat anscheinend nichts mitbekommen. Plötzlich fällt mir das leere Wasserglas auf dem Tisch auf. Es ist heute unbenutzt geblieben. Erleichtert lege ich die misshandelte Zeitung zur Seite, denn endlich sehe ich eine angenehme Alternative. Behände nehme ich das Glas, fasse es an der Unterseite und drehe es mit einer geschmeidigen Bewegung um. Jetzt kommt meine Bienen- und Wespenfang-Technik zum Tragen. Der glatte Untergrund des Holztisches, das hygienische Fangverfahren, die Schonung der eigenen Nerven. Eine wirklich ideale Situation. Das Vieh ist immer noch da, es hat eine unfassbare Geduld mit mir.
`So, du elendes Miststück, jetzt bist du dran!´, denke ich mir, rücke sowohl mit dem umgestülpten Gefäß als auch dem Gesicht näher an sie heran.
`Deine letzte Chance, und wenn du jetzt nicht abhaust, selbst schuld!´
Ich nehme Maß, peile über den Glasrand hinweg den Feind an.
Ganz sanft steuere ich meine Hand mit der gläsernen Falle Richtung Ziel, dann wieder zurück, es geht hin und her. Ich übe die Bewegung ein, fühle mich wie ein Dart-Meister vor dem entscheidenden Wurf. Jetzt nur nicht zu fest aufsetzen, nicht, dass vom Rand des Glases etwas abplatzt! Nein, ganz soft, wie ...seinerzeit die Mondfähre, gesteuert von Neil Armstrong, oder besser: so cool wie Dirk Nowitzki beim Dreier-Wurf, wenn die Hand sanft, aber bestimmt abklappt, nachdem der Ball sie Richtung Korb verlassen hat. Sagenhaft, wie elegant man so ein Wasserglas bewegen kann.
Abrupt höre ich mit meinem Fangtraining auf, denn plötzlich bemerke ich diese steile Falte auf der Stirn meiner Frau. Ein sicheres Zeichen völliger Verständnislosigkeit, mit Übergängen zur Zornesfalte. Und ich dachte, wenigstens sie versteht mich! Über mich selbst enttäuscht blicke ich auf die Fliege herab. Wäre ich dieses Tier, möglicherweise des Lebens überdrüssig und schon eine Weile sehnsüchtig auf den Tod wartend – ich hätte die Schnauze endgültig voll, völlig klar. An ihrer Stelle würde ich mir das nächstbeste Spinnennetz suchen und mich hineinwerfen. Ende, aus. So eine Spinne ist verlässlich. Der Mensch dagegen ist zum Kotzen: Wenn man ihn braucht ... Einfach zu blöd.
Plopp. Das Glas sitzt fest auf dem Tisch, ich habe meinen Ekel bezwungen. Und der überraschte Störenfried ist gefangen. Begeistert über mich selbst schaue ich auf das wehrlose Wesen. Jetzt ist es von der Welt getrennt, quasi steril verpackt unter einer Glaskuppel. Ein bisschen stolz bin ich über meinen Coup.
„Na, hast du es endlich geschafft?“ , fragt mich Karin. Ihr genervter Blick kriecht über den Rand der Zeitung und trifft mich. Auch ein leichtes Kopfschütteln bemerke ich.
`Sei du bloß ruhig´, denke ich mir, `du hast dafür Angst vor Hunden.´
Vorsichtig schiebe ich ein glattes Stück Papier, Teil der verschont gebliebenen Edeka-Werbung, unter das Glas. Das Tier ist scheinbar erwacht, krabbelt zwischen den abgebildeten Artikeln herum, sucht Halt zwischen Hundfutter und Grillkohle.
„Ich mache dir auf,“ seufzt meine Frau, ist schon an der Verandatür. Ich sage leise: „Danke“, schaue aber lieber nicht in ihr Gesicht, sondern konzentriere mich auf meine Aufgabe, lasse das Untier nicht aus den Augen. Während sie die Tür aufhält, schlängele ich mich an ihr vorbei, nach draußen in den Garten. Dabei halte ich das Glas mit dem Werbeblatt von unten zu und gehe weit auf den Rasen, damit die Fliege mir nicht wieder folgt und erneut in mein Leben eindringt. Mit einer einzigen eleganten Bewegung, eines großen Dirigenten würdig, öffne ich den gläsernen Sarg und gebe dem kleinen Biest die Freiheit zurück. Ich fühle mich wie der letzte Humanist – zumindest erweise ich mich wieder als Tierfreund. Der bin ich bestimmt, das aber meistens aus sicherer Entfernung, oder besser noch: virtuell, auf einem Bildschirm. Da erfreut mich das animalische Leben.
Sofort haste ich wieder nach drinnen, verschließe die Tür. Zufrieden kehre ich zum Frühstückstisch zurück und glätte ich die gequälte Zeitung, striegele sie immer wieder glatt. Mal sehen, was heute Abend im Fernsehen kommt. Plötzlich dringt ein feines Geräusch an mein Ohr. Und da sitzt sie wieder, meine Fliege: direkt vor mir, knabbert an einem Krümel. Muss sich von diesem Ausflug in die Natur erst einmal erholen. Oder ist es eine ihrer Schwestern? Egal! Ich fühle mich wehrlos, verhöhnt. Ich will das nicht, nicht noch einmal! Ich will meine Ruhe!
Peng!! Das Geschirr auf dem Tisch scheppert nachdrücklich, als die Hand meiner Frau auf die Tischplatte saust und meinem kleinen Quälgeist ein Ende bereitet. Mit wildem Gesichtsausdruck zeigt Karin mir ihre Handfläche, auf der das tote Tier klebt, hält es mir direkt unter die Nase.
„So macht man das!“
„Danke,“ murmele ich überrascht, drehe mich aber angewidert ab. Wieder einmal hat es sich bewahrheitet: Frauen sind einfach härter als wir Männer. Und in solchen Momenten braucht man sie: Ihre Entschlussfreude und ...Schlagkraft.
Während die tote Fliege von ihr entsorgt wird, wende ich mich erleichtert der Zeitung zu. Ah, heute Abend kommt ein Tierfilm! Titel: Was wir von den Insekten lernen können. Sehr interessant! Diese kleinen Vielbeiner haben mich schon immer fasziniert!