Zweikampf mit einer Fliege

3,30 Stern(e) 3 Bewertungen

ThomasStefan

Mitglied
Zweikampf mit einer Fliege


Ärgerlich wedele ich das lästige Vieh aus meinem Gesicht. Diese blöde Fliege! Seit einer Woche schon belästigt mich dieses Biest, aber – ist es wirklich dieselbe? Wie lange lebt so ein Tier eigentlich? Ich dachte bisher, nur einen Tag, und dann ist sie sowie dahin.
Diese hier gibt nicht auf, fliegt mich immer wieder an und stört mich beim Zeitungslesen. Karin scheint sie nicht zu stören. Aber mich! Setzt sich gar auf meine Nase! Es reicht!! Ich falte die Zeitung zu einer Art Prügel zusammen, wie es schon mein Vater getan hatte. Er konnte Insekten nicht ausstehen, und ich habe diese Einstellung nahtlos übernommen, mag diese kleinen Flügler nicht einmal berühren. Früher, wenn wir im Sommer im Garten saßen, wurde es bei uns am Tisch immer schnell hektisch, sobald sich das Getier für unseren Obstkuchen interessierte. Somit warte ich nun in alter Tradition auf meine Chance.

Wie gerufen kommt sie angeflogen, landet neben meinem Teller auf dem Frühstückstisch. Jetzt ist die Gelegenheit da, diesem Störenfried ein Ende zu bereiten. Ich fasse die zusammengeknüllte Zeitung fester, hole aus. Eigentlich ist diese Drohung nicht zu übersehen. Doch... erstaunlicherweise fliegt sie nicht weg, fast, als warte sie auf ihren Tod. Aber wer will schon ein sterbendes, noch zuckendes Tier auf dem gedeckten Tisch sehen? Ich nicht, wenn ich ehrlich bin! Denn so etwas sieht ekelig aus, da vergeht einem der Appetit. Und gesetzt den Fall, ich überwände mich, die Hinrichtung gelänge gar mit dem ersten Hieb und das Biest klebte erschlagen auf der Decke – da wüsste ich jetzt schon, wie meine bessere Hälfte das kommentieren würde:
„Na toll!“, und verärgert würde Karin auf den schwarzen Fleck deuten, „Musste das sein? Die Decke ist jetzt versaut!“
Wenn ich das alles bedenke, kommt diese Aktion ohnehin nicht infrage. Gott sei Dank! Ach, jetzt sehe ich, es liegt gar keine Decke auf, nur ein Frühstücksset, ein gummiartiges geblümtes Viereck auf dem blanken Holz des Tisches. Also besteht gar kein ernsthaftes Hindernis. Hm ...
Doch ... vielleicht treffe ich den Teller oder die halb volle Tasse, überlege ich mir, und die Frühstücksreste fliegen über den Tisch. Bei meinem Insektenekel wäre das nicht unmöglich. Da haue ich womöglich daneben, und dann haben wir erst richtig eine Schweinerei! Und alles nur wegen dieses blöden kleinen Viehs! Ich lasse den Arm wieder sinken. Vorsichtig ziehe ich das Set mit allem, was darauf liegt, nach links, immer weiter. So, das Geschirr ist in Sicherheit. Die Fliege rührt sich nicht, sitzt da wie auf dem Präsentierteller. Ich hole wieder aus, es muss sein. Sie stört einfach, und die Situation fordert es von mir: Der Mann sorgt für Ordnung, weist die Gegner in die Schranken, besiegt die wilden Tiere. Hat mein Großvater imer zu mir gesagt. Dennoch, irgendwie ist die Vorstellung von dem Bild, das sich mir gleich bieten wird, abstoßend. Dieses mit dem Tode ringende Wesen muss ja anschließend noch weggebracht werden! Natürlich auf keinen Fall anfassen! Also aufkehren, auf ein Blatt Papier, hochheben, wegbalancieren. Dabei rutscht es womöglich auf mich zu, berührt mit seinen schwarzen, pelzigen Beinen meinen Daumen! Es stellen sich mir die Haare auf. Mein Arm mit der Zeitung wie auch mein Mut sinkt wieder.

So, wie ich jetzt zögere, nachdenke, mich ekele – es ist ein Wunder, dass das Tier immer noch dasitzt. Hoffte ich insgeheim, dass es weiterfliegt? Und ich mir sagen kann: Schade, ich hätte es so gern erschlagen! Alles Lüge, ich weiß. Ich bin ein erbärmlicher Feigling. Anerzogen und fest in mir verwurzelt, diese Insektenphobie.

Aus den Augenwinkeln blicke ich zu meiner Karin. Sie ist in ihre Zeitung vertieft, hat anscheinend nichts mitbekommen. Plötzlich fällt mir das leere Wasserglas auf dem Tisch auf. Es ist heute unbenutzt geblieben. Erleichtert lege ich die misshandelte Zeitung zur Seite, denn endlich sehe ich eine angenehme Alternative. Behände nehme ich das Glas, fasse es an der Unterseite und drehe es mit einer geschmeidigen Bewegung um. Jetzt kommt meine Bienen- und Wespenfang-Technik zum Tragen. Der glatte Untergrund des Holztisches, das hygienische Fangverfahren, die Schonung der eigenen Nerven. Eine wirklich ideale Situation. Das Vieh ist immer noch da, es hat eine unfassbare Geduld mit mir.
`So, du elendes Miststück, jetzt bist du dran!´, denke ich mir, rücke sowohl mit dem umgestülpten Gefäß als auch dem Gesicht näher an sie heran.
`Deine letzte Chance, und wenn du jetzt nicht abhaust, selbst schuld!´
Ich nehme Maß, peile über den Glasrand hinweg den Feind an.
Ganz sanft steuere ich meine Hand mit der gläsernen Falle Richtung Ziel, dann wieder zurück, es geht hin und her. Ich übe die Bewegung ein, fühle mich wie ein Dart-Meister vor dem entscheidenden Wurf. Jetzt nur nicht zu fest aufsetzen, nicht, dass vom Rand des Glases etwas abplatzt! Nein, ganz soft, wie ...seinerzeit die Mondfähre, gesteuert von Neil Armstrong, oder besser: so cool wie Dirk Nowitzki beim Dreier-Wurf, wenn die Hand sanft, aber bestimmt abklappt, nachdem der Ball sie Richtung Korb verlassen hat. Sagenhaft, wie elegant man so ein Wasserglas bewegen kann.
Abrupt höre ich mit meinem Fangtraining auf, denn plötzlich bemerke ich diese steile Falte auf der Stirn meiner Frau. Ein sicheres Zeichen völliger Verständnislosigkeit, mit Übergängen zur Zornesfalte. Und ich dachte, wenigstens sie versteht mich! Über mich selbst enttäuscht blicke ich auf die Fliege herab. Wäre ich dieses Tier, möglicherweise des Lebens überdrüssig und schon eine Weile sehnsüchtig auf den Tod wartend – ich hätte die Schnauze endgültig voll, völlig klar. An ihrer Stelle würde ich mir das nächstbeste Spinnennetz suchen und mich hineinwerfen. Ende, aus. So eine Spinne ist verlässlich. Der Mensch dagegen ist zum Kotzen: Wenn man ihn braucht ... Einfach zu blöd.

Plopp. Das Glas sitzt fest auf dem Tisch, ich habe meinen Ekel bezwungen. Und der überraschte Störenfried ist gefangen. Begeistert über mich selbst schaue ich auf das wehrlose Wesen. Jetzt ist es von der Welt getrennt, quasi steril verpackt unter einer Glaskuppel. Ein bisschen stolz bin ich über meinen Coup.
„Na, hast du es endlich geschafft?“ , fragt mich Karin. Ihr genervter Blick kriecht über den Rand der Zeitung und trifft mich. Auch ein leichtes Kopfschütteln bemerke ich.
`Sei du bloß ruhig´, denke ich mir, `du hast dafür Angst vor Hunden.´
Vorsichtig schiebe ich ein glattes Stück Papier, Teil der verschont gebliebenen Edeka-Werbung, unter das Glas. Das Tier ist scheinbar erwacht, krabbelt zwischen den abgebildeten Artikeln herum, sucht Halt zwischen Hundfutter und Grillkohle.
„Ich mache dir auf,“ seufzt meine Frau, ist schon an der Verandatür. Ich sage leise: „Danke“, schaue aber lieber nicht in ihr Gesicht, sondern konzentriere mich auf meine Aufgabe, lasse das Untier nicht aus den Augen. Während sie die Tür aufhält, schlängele ich mich an ihr vorbei, nach draußen in den Garten. Dabei halte ich das Glas mit dem Werbeblatt von unten zu und gehe weit auf den Rasen, damit die Fliege mir nicht wieder folgt und erneut in mein Leben eindringt. Mit einer einzigen eleganten Bewegung, eines großen Dirigenten würdig, öffne ich den gläsernen Sarg und gebe dem kleinen Biest die Freiheit zurück. Ich fühle mich wie der letzte Humanist – zumindest erweise ich mich wieder als Tierfreund. Der bin ich bestimmt, das aber meistens aus sicherer Entfernung, oder besser noch: virtuell, auf einem Bildschirm. Da erfreut mich das animalische Leben.

Sofort haste ich wieder nach drinnen, verschließe die Tür. Zufrieden kehre ich zum Frühstückstisch zurück und glätte ich die gequälte Zeitung, striegele sie immer wieder glatt. Mal sehen, was heute Abend im Fernsehen kommt. Plötzlich dringt ein feines Geräusch an mein Ohr. Und da sitzt sie wieder, meine Fliege: direkt vor mir, knabbert an einem Krümel. Muss sich von diesem Ausflug in die Natur erst einmal erholen. Oder ist es eine ihrer Schwestern? Egal! Ich fühle mich wehrlos, verhöhnt. Ich will das nicht, nicht noch einmal! Ich will meine Ruhe!

Peng!! Das Geschirr auf dem Tisch scheppert nachdrücklich, als die Hand meiner Frau auf die Tischplatte saust und meinem kleinen Quälgeist ein Ende bereitet. Mit wildem Gesichtsausdruck zeigt Karin mir ihre Handfläche, auf der das tote Tier klebt, hält es mir direkt unter die Nase.
„So macht man das!“
„Danke,“ murmele ich überrascht, drehe mich aber angewidert ab. Wieder einmal hat es sich bewahrheitet: Frauen sind einfach härter als wir Männer. Und in solchen Momenten braucht man sie: Ihre Entschlussfreude und ...Schlagkraft.
Während die tote Fliege von ihr entsorgt wird, wende ich mich erleichtert der Zeitung zu. Ah, heute Abend kommt ein Tierfilm! Titel: Was wir von den Insekten lernen können. Sehr interessant! Diese kleinen Vielbeiner haben mich schon immer fasziniert!
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Ein ungleicher Kampf

Eine hübsche kleine Satire auf die Freuden des Sommers. Das Problem mit diesen kleinen Plagegeistern kennt jeder und entwickelt Strategien, die aber nie weiterhelfen. Es ist im Übrigen ein Irrglaube, dass Fliegen am Fenster verzweifelt den Weg nach draussen suchen - sie wollen sich dort doch nur sonnen.

Ich persönlich habe im Sommer einen anderen Erzfeind. Ein kleines harmloses Wesen, dass Netze baut, Fliegen fängt und sich an Wänden in Wohnungen und im Keller stets unvorteilhaft in Szene setzt.

Ein kleiner Tippfehler:

[red]Hat mein Großvater imer zu mir gesagt.[/red] Suche selbst danach.

Gruß vom Ironbiber
 

ThomasStefan

Mitglied
Zweikampf mit einer Fliege


Ärgerlich wedele ich das lästige Vieh aus meinem Gesicht. Diese blöde Fliege! Seit einer Woche schon belästigt mich dieses Biest, aber – ist es wirklich dieselbe? Wie lange lebt so ein Tier eigentlich? Ich dachte bisher, nur einen Tag, und dann ist sie sowie dahin.
Diese hier gibt nicht auf, fliegt mich immer wieder an und stört mich beim Zeitungslesen. Karin scheint sie nicht zu stören. Aber mich! Setzt sich gar auf meine Nase! Es reicht!! Ich falte die Zeitung zu einer Art Prügel zusammen, wie es schon mein Vater getan hatte. Er konnte Insekten nicht ausstehen, und ich habe diese Einstellung nahtlos übernommen, mag diese kleinen Flügler nicht einmal berühren. Früher, wenn wir im Sommer im Garten saßen, wurde es bei uns am Tisch immer schnell hektisch, sobald sich das Getier für unseren Obstkuchen interessierte. Somit warte ich nun in alter Tradition auf meine Chance.

Wie gerufen kommt sie angeflogen, landet neben meinem Teller auf dem Frühstückstisch. Jetzt ist die Gelegenheit da, diesem Störenfried ein Ende zu bereiten. Ich fasse die zusammengeknüllte Zeitung fester, hole aus. Eigentlich ist diese Drohung nicht zu übersehen. Doch... erstaunlicherweise fliegt sie nicht weg, fast, als warte sie auf ihren Tod. Aber wer will schon ein sterbendes, noch zuckendes Tier auf dem gedeckten Tisch sehen? Ich nicht, wenn ich ehrlich bin! Denn so etwas sieht ekelig aus, da vergeht einem der Appetit. Und gesetzt den Fall, ich überwände mich, die Hinrichtung gelänge gar mit dem ersten Hieb und das Biest klebte erschlagen auf der Decke – da wüsste ich jetzt schon, wie meine bessere Hälfte das kommentieren würde:
„Na toll!“, und verärgert würde Karin auf den schwarzen Fleck deuten, „Musste das sein? Die Decke ist jetzt versaut!“
Wenn ich das alles bedenke, kommt diese Aktion ohnehin nicht infrage. Gott sei Dank! Ach, jetzt sehe ich, es liegt gar keine Decke auf, nur ein Frühstücksset, ein gummiartiges geblümtes Viereck auf dem blanken Holz des Tisches. Also besteht gar kein ernsthaftes Hindernis. Hm ...
Doch ... vielleicht treffe ich den Teller oder die halb volle Tasse, überlege ich mir, und die Frühstücksreste fliegen über den Tisch. Bei meinem Insektenekel wäre das nicht unmöglich. Da haue ich womöglich daneben, und dann haben wir erst richtig eine Schweinerei! Und alles nur wegen dieses blöden kleinen Viehs! Ich lasse den Arm wieder sinken. Vorsichtig ziehe ich das Set mit allem, was darauf liegt, nach links, immer weiter. So, das Geschirr ist in Sicherheit. Die Fliege rührt sich nicht, sitzt da wie auf dem Präsentierteller. Ich hole wieder aus, es muss sein. Sie stört einfach, und die Situation fordert es von mir: Der Mann sorgt für Ordnung, weist die Gegner in die Schranken, besiegt die wilden Tiere. Hat mein Großvater immer zu mir gesagt. Dennoch, irgendwie ist die Vorstellung von dem Bild, das sich mir gleich bieten wird, abstoßend. Dieses mit dem Tode ringende Wesen muss ja anschließend noch weggebracht werden! Natürlich auf keinen Fall anfassen! Also aufkehren, auf ein Blatt Papier, hochheben, wegbalancieren. Dabei rutscht es womöglich auf mich zu, berührt mit seinen schwarzen, pelzigen Beinen meinen Daumen! Es stellen sich mir die Haare auf. Mein Arm mit der Zeitung wie auch mein Mut sinkt wieder.

So, wie ich jetzt zögere, nachdenke, mich ekele – es ist ein Wunder, dass das Tier immer noch dasitzt. Hoffte ich insgeheim, dass es weiterfliegt? Und ich mir sagen kann: Schade, ich hätte es so gern erschlagen! Alles Lüge, ich weiß. Ich bin ein erbärmlicher Feigling. Anerzogen und fest in mir verwurzelt, diese Insektenphobie.

Aus den Augenwinkeln blicke ich zu meiner Karin. Sie ist in ihre Zeitung vertieft, hat anscheinend nichts mitbekommen. Plötzlich fällt mir das leere Wasserglas auf dem Tisch auf. Es ist heute unbenutzt geblieben. Erleichtert lege ich die misshandelte Zeitung zur Seite, denn endlich sehe ich eine angenehme Alternative. Behände nehme ich das Glas, fasse es an der Unterseite und drehe es mit einer geschmeidigen Bewegung um. Jetzt kommt meine Bienen- und Wespenfang-Technik zum Tragen. Der glatte Untergrund des Holztisches, das hygienische Fangverfahren, die Schonung der eigenen Nerven. Eine wirklich ideale Situation. Das Vieh ist immer noch da, es hat eine unfassbare Geduld mit mir.
`So, du elendes Miststück, jetzt bist du dran!´, denke ich mir, rücke sowohl mit dem umgestülpten Gefäß als auch dem Gesicht näher an sie heran.
`Deine letzte Chance, und wenn du jetzt nicht abhaust, selbst schuld!´
Ich nehme Maß, peile über den Glasrand hinweg den Feind an.
Ganz sanft steuere ich meine Hand mit der gläsernen Falle Richtung Ziel, dann wieder zurück, es geht hin und her. Ich übe die Bewegung ein, fühle mich wie ein Dart-Meister vor dem entscheidenden Wurf. Jetzt nur nicht zu fest aufsetzen, nicht, dass vom Rand des Glases etwas abplatzt! Nein, ganz soft, wie... seinerzeit die Mondfähre, gesteuert von Neil Armstrong, oder besser: so cool wie Dirk Nowitzki beim Dreier-Wurf, wenn die Hand sanft, aber bestimmt abklappt, nachdem der Ball sie Richtung Korb verlassen hat. Sagenhaft, wie elegant man so ein Wasserglas bewegen kann.
Abrupt höre ich mit meinem Fangtraining auf, denn plötzlich bemerke ich diese steile Falte auf der Stirn meiner Frau. Ein sicheres Zeichen völliger Verständnislosigkeit, mit Übergängen zur Zornesfalte. Und ich dachte, wenigstens sie versteht mich! Über mich selbst enttäuscht blicke ich auf die Fliege herab. Wäre ich dieses Tier, möglicherweise des Lebens überdrüssig und schon eine Weile sehnsüchtig auf den Tod wartend – ich hätte die Schnauze endgültig voll, völlig klar. An ihrer Stelle würde ich mir das nächstbeste Spinnennetz suchen und mich hineinwerfen. Ende, aus. So eine Spinne ist verlässlich. Der Mensch dagegen ist zum Kotzen: Wenn man ihn braucht... Einfach zu blöd.

Plopp. Das Glas sitzt fest auf dem Tisch, ich habe meinen Ekel bezwungen. Und der überraschte Störenfried ist gefangen. Begeistert über mich selbst schaue ich auf das wehrlose Wesen. Jetzt ist es von der Welt getrennt, quasi steril verpackt unter einer Glaskuppel. Ein bisschen stolz bin ich über meinen Coup.
„Na, hast du es endlich geschafft?“ , fragt mich Karin. Ihr genervter Blick kriecht über den Rand der Zeitung und trifft mich. Auch ein leichtes Kopfschütteln bemerke ich.
`Sei du bloß ruhig´, denke ich mir, `du hast dafür Angst vor Hunden.´
Vorsichtig schiebe ich ein glattes Stück Papier, Teil der verschont gebliebenen Edeka-Werbung, unter das Glas. Das Tier ist scheinbar erwacht, krabbelt zwischen den abgebildeten Artikeln herum, sucht Halt zwischen Hundfutter und Grillkohle.
„Ich mache dir auf,“ seufzt meine Frau, ist schon an der Verandatür. Ich sage leise: „Danke“, schaue aber lieber nicht in ihr Gesicht, sondern konzentriere mich auf meine Aufgabe, lasse das Untier nicht aus den Augen. Während sie die Tür aufhält, schlängele ich mich an ihr vorbei, nach draußen in den Garten. Dabei halte ich das Glas mit dem Werbeblatt von unten zu und gehe weit auf den Rasen, damit die Fliege mir nicht wieder folgt und erneut in mein Leben eindringt. Mit einer einzigen eleganten Bewegung, eines großen Dirigenten würdig, öffne ich den gläsernen Sarg und gebe dem kleinen Biest die Freiheit zurück. Ich fühle mich wie der letzte Humanist – zumindest erweise ich mich wieder als Tierfreund. Der bin ich bestimmt, das aber meistens aus sicherer Entfernung, oder besser noch: virtuell, auf einem Bildschirm. Da erfreut mich das animalische Leben.

Sofort haste ich wieder nach drinnen, verschließe die Tür. Zufrieden kehre ich zum Frühstückstisch zurück und glätte ich die gequälte Zeitung, striegele sie immer wieder glatt. Mal sehen, was heute Abend im Fernsehen kommt. Plötzlich dringt ein feines Geräusch an mein Ohr. Und da sitzt sie wieder, meine Fliege: direkt vor mir, knabbert an einem Krümel. Muss sich von diesem Ausflug in die Natur erst einmal erholen. Oder ist es eine ihrer Schwestern? Egal! Ich fühle mich wehrlos, verhöhnt. Ich will das nicht, nicht noch einmal! Ich will meine Ruhe!

Peng!! Das Geschirr auf dem Tisch scheppert nachdrücklich, als die Hand meiner Frau auf die Tischplatte saust und meinem kleinen Quälgeist ein Ende bereitet. Mit wildem Gesichtsausdruck zeigt Karin mir ihre Handfläche, auf der das tote Tier klebt, hält es mir direkt unter die Nase.
„So macht man das!“
„Danke,“ murmele ich überrascht, drehe mich aber angewidert ab. Wieder einmal hat es sich bewahrheitet: Frauen sind einfach härter als wir Männer. Und in solchen Momenten braucht man sie: Ihre Entschlussfreude und... Schlagkraft.
Während die tote Fliege von ihr entsorgt wird, wende ich mich erleichtert der Zeitung zu. Ah, heute Abend kommt ein Tierfilm! Titel: Was wir von den Insekten lernen können. Sehr interessant! Diese kleinen Vielbeiner haben mich schon immer fasziniert!
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo Ironbiber

Danke fürs schnelle und genaue Lesen. Fehlerchen beseitigt.
Wenn man sein eigenes Zeugs immer wieder liest, geht gerade das Gefühl für die humoristische Wirkung verloren. Man stumpft ab. Insofern interessiert mich, ob man über diesen Typen hier noch lachen kann, oder nur noch den Kopf schüttelt oder gar angewidert ist; bzw. ob ich das Rad überdreht habe?!
Schöne Grüße zum Sonntag, Tom
 

Ironbiber

Foren-Redakteur
Fliegenlatein

Es ist eine kleine Geschichte, die die eigenen Schwächen aufs Korn nimmt. Somit ist es eine Satire nach allen Regeln der Kunst. Nur wenige Autoren sind bereit sich selbst auf die Schippe zu nehmen, um dadurch ihren Lesern einen Spiegel vorzuhalten. Sie ist scharf beobachtet, recht humorvoll geschrieben und hat zumindest mir an manchen Stellen ein breites Grinsen entlockt.

Ein anderer Aspekt dieses Werkes ist die satirische Konfrontation des Protagonisten mit seinen, im Unterbewusstsein schlummernden Abneigungen, die sich sogar zu Ängsten weiterentwickeln können. Meister dieses Genres, wie Roald Dahl, Ambrose Bierce oder denke mal an Monty Python haben diese Kunstform zur Perfektion getrieben. Sie gehen dabei mit ihren Pointen an und über die Grenzen des guten Geschmacks. Sie brechen Tabus, ohne dass der Leser sich angewidert fühlt.

Das kann dir mit deiner Lieblingsfliege hier aber nicht passieren. Da müsstest du schon noch zehn Schippen nachlegen.

Ich denke mal, dass du mit dem Stück den Nerv der Satireliebhaber getroffen hast, jeder sich beim Lesen wiedererkennen kann und den Kampf mit der nächsten Stubenfliege mit anderen Augen sieht.

Gruß vom Ironbiber
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
Das ist eine gelungene Satire über den Kampf mit den täglichen Plagegeistern. Unterschwellig ist es aber auch eine Beziehungsgeschichte, ein Geschlechterkampf am Frühstückstisch. Für mich sind hier zwei Ebenen miteinander verknüpft.
Ich kopiere Dir mal meinen Text von der Fliege, den ich vor einigen Wochen hier einstellte:

Mittags setzte er sich an den Küchentisch und las die Stellenanzeigen. Wie immer fand er nicht eine einzige, die für ihn in Frage kam. Resigniert faltete er die Zeitung zusammen. In der nächsten Woche hatte er wieder einen Termin beim Arbeitsamt. Der wievielte? Es hatte ja doch alles keinen Sinn mehr für ihn. Wer nahm ihn schon mit 46?
Ein Geräusch störte ihn, ein beständiges Brummen und er erblickte eine dicke schwarze Fliege, die taumelnd gegen das Küchenfenster flog, ihr Spiegelbild gleichsam liebkosend und er ärgerte sich über ein so dummes Tier, das den Weg zwar hinein, aber nicht mehr heraus fand. Immer wieder und wieder berührte das Tier die glatte, glänzende Fläche des Fensters und nervte ihn mit ihrem Gebrumm. Außerdem hasste er diese schwarzen, fetten Fliegen. Wozu gab es sie überhaupt?
Die Stunden schlichen dahin, es gab nichts für ihn zu tun. Die Wohnung war sauber und aufgeräumt, so wie sie es gerne hatte und wie sie es ihm auftrug, bevor sie zu ihrer Arbeit aufbrach. Sie würde gegen 17 Uhr zurückkehren, sich frisch machen und anschließend würden sie zu Abend essen, bevor sie den Fernseher einschalteten. Alles war vorhersehbar. Das Einzige, was heute anders war, war diese blöde Fliege mit ihren Geräuschen. Im Moment war nichts zu hören. Er bemerkte, dass die Fliege auf der Scheibe saß, ihre Beine putzte und ihn anzusehen schien. Kurz überlegte er, sie mit seinem Hausschuh zu erschlagen, aber die Fenster waren erst gestern von ihm mühsam geputzt worden, streifen frei, und er wollte sich diese kleine Freude nicht selbst zunichte machen.
Er schlug die Fernsehzeitung auf und versuchte, ein Kreuzworträtsel zu lösen. Es gelang ihm mäßig, und als er gerade über Lebensform mit drei Buchstaben grübelte, hörte er den Schlüssel in der Tür. Sie betrat die Wohnung, ließ Mantel und Tasche beinahe fallen und streckte den Kopf durch die Tür. "Hallo.....hast du alles gemacht, was ich gesagt habe?" "Natürlich", antwortete er, "alles gesaugt, gewischt und den Müll entsorgt. Essen ist vorbereitet....". Sie ging in die Küche, inspizierte kurz den Kühlschrank und kam wieder ins Wohnzimmer. "Gut", sagte sie, "ich bin kaputt, nehme ein Bad. In der Küche ist übrigens eine Fliege, eklig, hau sie doch kaputt, aber so, dass die Fenster nicht leiden!" Sie verschwand im Bad und er hörte das Wasser in die Wanne rauschen.
Er ging in die Küche und betrachtete die Fliege, die wieder wie blöd gegen das Fenster flog. Kurz überlegte er, ihr nun den Garaus zu machen oder das Fenster weit zu öffnen, um sie in die Freiheit zu entlasssen, verwarf den Gedanken aber wieder. Wieso sollte es für sie Freiheit geben, wenn sie ihm verwehrt war? Wenn er auch gefangen in dieser Küche saß.
Er spürte, dass er sich erleichtern musste und ging vorsichtig ins Bad. Sie lag in der Wanne, die Augen geschlossen, und reagierte nicht, als er die Toilette benutzte. Er hasste es, vor ihr Wasser zu lassen, das machte man nicht, das war zu intim, aber es ging nicht anders in dieser Wohnung. Als er fertig war, wandte er sich um und warf einen Blick auf seine Frau. Ihre Augen waren noch immer geschlossen, feine Schweißperlen zierten die Stirn, das Haar kräuselte sich um ihre Schläfen. Sein Blick glitt über ihre gewaltigen, hängenden Brüste, die nicht vom Wasser und Schaum bedeckt waren. Den Rest ihres Körpers konnte er sich vorstellen: Der schwabbelige Bauch, der an Wellfleisch erinnerte, das dunkle unrasierte Ypsilon ihres Schoßes, die von Orangenhaut überzogenen Oberschenkel, die strammen Waden. Nein, er begehrte sie schon lange nicht mehr.
"Warum kommst du nicht rein?", hörte er plötzlich ihre Stimme und er erschrak, denn so ein Angebot machte sie nie. Unsicher starrte er sie an. Verweigerte er dies, würde sie den restlichen Abend kein Wort mehr an ihn richten. Auf der anderen Seite - was wollte er denn von ihr in der Wanne? Nichts. Und was wollte sie? Etwa ihn? Nach ewiger Zeit?
Schließlich entschied er sich für das kleinere Übel und zog sich rasch aus, stieg in die Wanne, sorgsam darauf bedacht, kein Wasser überschwappen zu lassen. Er legte sich so hin, dass sich nur ihre Beine schwach berührten und sah seinen Körper mit dem gleichen Abscheu an, mit dem er den ihren betrachtet hatte. Seine eingefallene Brust mit den inzwischen grau gewordenen Haaren, seinen Bauchansatz, seinen kleinen Penis, der wie eine verschrumpelte rote Wurst durch das Wasser schimmerte, seine schlaffen, untrainierten Beine. Nein, mit ihm war auch kein Staat zu machen.
"Na, wie wäre es, mal hier in der Wanne....haben wir doch noch nie oder ich kann mich nicht erinnern...", sie brach ab und sah ihn herausfordernd an. Er schwieg. Er dachte, die fehlende Reaktion seines Körpers sagte doch wohl genug. Er schaute sie an und sah den Hass in ihren Augen. "Ach du", sagte sie, "Versager auf der ganzen Linie" und ließ die Liddeckel herunterklappen.
Er stieg aus der Wanne, trocknete sich ab und zog sich an, alles in Windeseile. Bloß weg hier, raus aus dieser, warmen erstickenden Enge. Als er in die Küche ging, in der die Fliege wieder brummte, rief sie ihm hinterher: "Mach wenigstens das Essen schon fertig, du......Schlappschwanz!"
Er verharrte in der Bewegung, den Kühlschrank öffnen zu wollen und fühlte sein Herz schlagen, heftig, ungleichmäßig, zu schnell. Es reicht, schrie es, es reicht! Er ergriff den nächstbesten Gegenstand und schlug zu. Er schlug und schlug und schlug, wie von Sinnen, konnte nicht mehr aufhören, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen. Dann hielt er inne.
"Wurde aber auch Zeit, dass du dieses Scheißvieh erledigt hast, geht einem ja tierisch auf den Wecker mit seinem Gebrumm. Aber das frische Tuch musstest du dafür nicht ruinieren, und das saubere Fenster ist im Eimer, musst du morgen putzen", sagte sie, als sie aus dem Bad in die Küche kam. Er starrte sie an, starrte das Fenster an, an dem die verendende Fliege eine hässliche Schleimspur hinter sich her zog und starrte auf das Küchentuch, von ihm gestern erst sorgsam gebügelt.
Nach dem Abendessen sahen sie Forsthaus Falkenau. Alles war wie immer. Das Tuch war in der Wäsche. Die Abendsonne warf ihren Schein auf das von der Fliege verschmierte Fenster.
 

ThomasStefan

Mitglied
Hallo!
Erstmal danke für deine Zustimmung. DeinenText kannte ich bisher nicht. Meiner entstand Ende 2011, wurde jetzt leicht überarbeitet.
Über deinem Text schwebt durchgehend Tristesse; bei dir steht eine gescheiterte Beziehung im Mittelpunkt, und die Fliege stellt sich erst als Gefangene dar, ähnlich der Rolle des Mannes, später wird sie ersatzweise zum Opfer. Eine gelungene Pointe zum Schluss. Auch die andauernde Trostlosigkeit und dennoch Fortsetzung der Beziehung ist glaubhaft.
Zusammenfassend erstaunlich, wie verschieden man das Accessoire eine Fliege verwenden kann.
Gruß, Tom
 

Aligator

Mitglied
Deine Geschichte war unterhaltsam und wunderbar zu lesen. Vor allem der innere Zwist ist nachvollziehbar und humorvoll dargestellt.

Mir persönlich hätte es allerdings besser gefallen, wenn dein Prot am Ende mit einem Baseballschläger auf den schön gedeckten Tisch eingedrescht hätte und seine Frau, ohne beim Zeitungslesen auf zu sehen, gefragt hätte, ob ihm der Kaffee nicht schmeckt.

Grüße, Aligator
 



 
Oben Unten