aus dem Leben

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Label

Mitglied
die Sonne prügelte den Teer weich
das große schwarze Tor blieb hart
nach draußen wie sein Hüter
der vor seinem Herren knickste
und um freie Tage bat für Kümmernisse

fürs erste Kind von seiner zweiten Frau
die Erste kinderlose die das Kind sich nahm
aus altem Recht und doch nicht nähren konnte
die Zweite die verzweifelt sah wie es verhungerte

da war kein Geld fürs Kind die Milch zu kaufen
und auch kein Mut den Herrn darum zu bitten
weil er sonst hätte sagen müssen
der Kauf des Fernsehers
der hatte alles aufgefressen

er knickste höflich nahm sich Mut und bat
um freie Tage für die Kümmernisse
und Füße sanken in den heißen Teer
 

Perry

Mitglied
Hallo Label,

eine seltsame Bildermischung aus Naturphänomen (die Sonne prügelte den Teer heiß) und Familientragödie (das Kind sich nahm ... sah wie es verhungerte), die ich zwar einzeln verorten, aber nur schwer unter einen Hut bringen kann.
Gut Metaphern sind frei, aber einen "höflichen Knicks" hätte ich in diesem Kontext eher nicht erwartet. :)
LG
Manfred
 

Label

Mitglied
Lieber Manfred

Dass die Sonne den Asphalt heiß prügelt, na ja, in heißen Weltgegenden kann einem das schon so vorkommen. Erbarmungslos herunter brennen ist wohl bekannter.
Metaphern habe ich äußerst sparsam eingesetzt, der Knicks ist keine. Dort wo sich das ereignete ist das für Männer so üblich gegenüber rangmäßig höher stehenden Personen.

"die ich zwar einzeln verorten, aber nur schwer unter einen Hut bringen kann"
Das kann ich gut verstehen, unser europäisches Denken tut sich mit solchen "Sitten und Gepflogenheiten" ziemlich schwer.
Vielen herzlichen Dank für deine Rückmeldung, es freut mich sehr, dass du dich mit diesem Text beschäftigt hast, mich beschäftigt dieses Ereignis auch immer noch.

Dir einen lieben Gruß
Label
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Label,
guter text, der lakai buckelt, obwohl keiner das von dem erwartet, er buckelt vor seiner eigenen schwachheit ...

ein vorschlag noch, dieses prügeln kommt mir gewaltig, hieltest du kochen für möglich:

"die sonne kochte den teer weich"

ne idee von ´ner dohle

lg
 

Label

Mitglied
Lieber die Dohle ;)

danke, dein "guter Text" hat mich gefreut.

Ich habe überlegt warum mir das herunterprügeln der Sonne gewöhnlich vorkam und dir gewaltig. - Es ist englisch, Sonne und Regen beats down, das, mit weich prügeln schien mir eine perfekte Kombination. Da war mir nicht bewusst dass ich eine englische Metapher eingedeutscht habe.
Es gefällt mir immer noch, sehe aber ein, dass es im Deutschen befremdlich wirkt.
Dein Vorschlag gefällt mir auch gut, herzlichen Dank dafür, aber im Moment fällt es mir noch schwer mich von der prügelnden Sonne zu trennen.

Liebe Grüße
Label
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Bitte nicht abschwächen!

die Sonne prügelte den Teer weich
Das ist perfekt!
Und im "Knicksen" des Mannes schwingt "einknicken" mit - wobei Assoziationen zwar egal sind, denn sie sind subjektiv, aber die etwas altertümliche Standes-Geste selbst ist von Dir gut erklärt worden und gehört unbedingt in den Zusammenhang.

Das ist ein ganz ausgezeichnetes Gedicht, meine ich.
 

Label

Mitglied
Lieber Mondnein

danke für deine Rückmeldung, dass dir der weichgeprügelte Teer zusagt. Ich war schon am Einknicken ;)
Manchmal sind die Denkmuster aus einer anderen Sprache/Kultur eben doch fremd.
Dein Lob für das Gedicht freut mich ungemein, denn ich dachte mir schon, dass solch ein Geschehen wahrscheinlich so unbekannt, befremdlich und unangenehm ist, dass es eher zum Wegsehen anreizt. Für dich scheine ich das auch in ein "ausgezeichnetes Gedicht" geformt zu haben.

Freut mich, freut mich DANKE
Lieber Gruß
Label
 

HerbertH

Mitglied
wieso lässt mich dieses Gedicht so intensiv an Ausbeutung und Sklaverei denken?

Es beschreibt in wenigen Zeilen so viel vom Elend in dieser unserer Welt...

Danke für die Erinnerung daran

Liebe Grüße

Herbert
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Dass die Sonne den Asphalt heiß prügelt, na ja, in heißen Weltgegenden kann einem das schon so vorkommen.
Ich war schon in so manchen dieser heißen Gegenden, aber mit deinem Bild kann ich überhaupt nichts anfangen. Es hat mich sofort stocken lassen. Ich kann mir eine "prügelnde" Sonne einfach nicht vorstellen. "Beat down" trägt in meinen Augen auch eine andere Bedeutung in sich als dein "prügeln".

Von dieser ersten Zeile mal abgesehen, finde ich den Text interessant, wobei ich Herberts Gedanken gut nachvollziehen kann. Ich hatte ähnliche Bilder vor Augen.

LG
BeBa
 

Label

Mitglied
Lieber Herbert

wieso lässt mich dieses Gedicht so intensiv an Ausbeutung und Sklaverei denken?
weil du damit Recht hast. Dies trug sich in Schwarzafrika zu, in einem Gebiet in dem es noch die alten Gruben gibt, in denen die Menschen für den Verkauf in die Sklaverei gefangen gehalten wurden. Die starken kriegerischen Stämme haben ihre schwächeren Nachbarn zum Verkauf an die Küsten gebracht. So weit landeinwärts kamen die Weißen erst nachdem die Sklaverei als solche schon verboten war. Die Ausbeutung ist aktuell. Mensch das Land, Chief die Stammesangehörigen, Männer die Frauen und Kinder, Weiße die Schwarzen und auch gelegentlich umgekehrt usw. und das meiste noch fest in Traditionen verankert.
Es gibt viel Elend, mich freut, dass du für Nöte ein offenes Ohr hast und - auf einem ganz anderem Blatt, auch deine erfreuliche Wertung.

Lieber Beba

the sun is beating down ist eine übliche Redewendung. Google findet das https://www.google.de/#q=sun+is+beating+down
und merriam webster sagt zu beating down http://www.merriam-webster.com/dictionary/beat down
: to harass, subdue, or crush the spirit of <he beat down the arrogance of a heretic — H. O. Taylor> vanquish <the enemy was beaten down>
oder an anderer Stelle http://idioms.thefreedictionary.com/beat+down
beat someone down
Fig. to defeat or demoralize someone. The constant bombing finally beat them down. The attackers beat down the defenders.

beat down (on someone or something)
to fall on someone or something. The rain beat down on us for an hour. The rock slide beat down on the car and totally ruined the body.
vielleicht kannst du jetzt meine Gedankenverbindung nachvollziehen, auch wenn dir diese Bedeutung bislang nicht bekannt war.
Wie auch immer, ich hatte ja schon weiter oben gesagt mir ist jetzt bewusst, dass diese Verknüpfung im Deutschen nicht zu Hause ist und sofort stocken lässt.
Die Frage ist - zu fremd - nach den Erläuterungen?

Dass du das restliche Gedicht interessant findest und deine Bewertung dazu, das freut mich richtig sehr. Danke.

liebe Grüße
Label
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Lb. Label,


vielleicht kannst du jetzt meine Gedankenverbindung nachvollziehen, auch wenn dir diese Bedeutung bislang nicht bekannt war.
Die diversen Bedeutungen des "Beat" waren mir durchaus bekannt. ;)

beat down (on someone or something)
to fall on someone or something. The rain beat down on us for an hour. The rock slide beat down on the car and totally ruined the body.
das ist es doch. Es ist eben nicht immer das "Prügeln", was hinter dem "beat" steckt. Die englische Sprache hat bekanntermaßen einen wesentlich kleineren Wortschatz als die deutsche. Zwangsläufig werden Ausdrücke im Englischen variabler gebraucht. Im Deutschen gibt es dank des größeren Wortschatzes genauere, treffendere Ausdrücke.
Ein tpyisches Beispiel haben wir genau hier mit dem "beat". Dein angeführtes Beispiel bestätigt mich doch, oder? "beat" heißt eben nicht unbedingt "prügeln, schlagen".



LG
BeBa
 

Thylda

Mitglied
Hallo Beba

Zwangsläufig werden Ausdrücke im Englischen variabler gebraucht. Im Deutschen gibt es dank des größeren Wortschatzes genauere, treffendere Ausdrücke.
Da bin ich mir gar nicht so sicher, ob das Deutsche einen größeren Wortschatz hat. Wir ziehen Worte zusammen und schon ist es ein neues Wort. Da läßt sich schnell ein großer Wortschatz konstruieren, wenn jede solche Konstruktion als neues Wort zählt. Umgekehrt gibt es viele Worte im Englischen, bei denen das Deutsche nicht differenziert. Himmel oder Schildkröte z.B. sind recht bekannt.
"Beat"bedeutet auch nicht nur schlagen im physischen Sinne, genau wie in unserer Sprache, deshalb fand ich die Wortwahl eigentlich schon recht treffend. Aber ich unterhalte mich gerne mit Dir über die grundsätzliche Bedeutung und treffenste Übersetzung des Wortes "beat" - von Takt bis prügeln ;)

Liebe Grüße
Thylda
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Was ist denn das für eine Diskussion?

Metaphern dürfen doch wohl kühn sein?
Man nennt es Dichtung.
 
G

Gelöschtes Mitglied 14616

Gast
Lb. Thylda,

ich habe hier ja Label nur meine persönliche Ansicht mitgeteilt. Sie ist halt anderer Meinung. Ist doch gut so. ;)

LG
BeBa
 

lapismont

Foren-Redakteur
Teammitglied
Moin Label,

ich verstehe die zweite Strophe inhaltlich nicht.

Es geht um die Kümmernisse des Hüters:

fürs erste Kind von seiner zweiten Frau
klingt so, als ob die zweite Frau des Hüters in den Wehen liegt

die Erste kinderlose die das Kind sich nahm
aus altem Recht und doch nicht nähren konnte
Hier wird von der ersten Frau des Hüters gesprochen? Sie war kinderlos, nahm sich aber das Kind. Welches? Das der zweiten Frau? Mir sagt dieses alte Recht nichts. Gibt es da irgendwo eine Tradition?

die Zweite die verzweifelt sah wie es verhungerte
Die Frauen leben beieinander?

Ich habe die Vermutung, hier fehlt mir etwas Kontext. Allerdings scheint das gar nicht so wichtig zu sein, da ja der Hüter letztlich Schuld am Verhungern des Kindes hat, da ihm der Fernseher wichtiger war.

sprachlich sehr überzeugend
cu
lap
 

Thylda

Mitglied
Lieber Lapis

Ich erinnere mich nur all zu gut. Ich war damals schockiert, wie das bei Europäern oft der Fall ist. Unsere Wertvorstellungen können sich mit anderen Kulturen schlecht arrangieren.

Die Vielehe ist dort üblich, wenn der Mann ein entsprechendes Einkommen hat, um mehrere Frauen zu unterhalten. Dabei gibt es eine ganz klar abgegrenzte Rangordnung. Erste vor zweiter Frau. Söhne der ersten Frau vor denen der zweiten, älterer vor jüngeren, Söhne vor Töchtern. Jeder kennt seinen Rang und erhält was die Vorigen übrig lassen. Die Entscheidungen des Ehemannes sind innerhalb der Familie unantastbar. Der wiederum steckt in der Stammeshierarchie. Den letzten beissen die Hunde. In diesem Fall den Erstgeborenen.

Entsetzlich, unverständlich, schockierend, ..? Oder einfach anders. Andere Kultur, nicht nachvollziehbar. Trotzdem hinterlässt es Unbehagen. Eine Erfahrung, die einen nicht verlässt, die Fernsehberichte in ein anderes Licht setzt. Für mich jedenfalls. Ich hatte Label abgeraten, diesen Text einzustellen, da er vom normalen Erlebnishorizont zu weit entfernt ist. Ich persönlich finde den Text sehr treffend. Es gruselt mich immer noch. Ich kann aber auch verstehen, wenn ein Leser hier diesen Text nicht einordnen kann.

Liebe Grüße
Thylda
 
D

Die Dohle

Gast
Hallo Thylda, hallo Lapismont,
der mitteleuropäische brillenfilter ist ein schwieriger, sag ich mal. ich hab gelegentlich mit amtlichem naturschutz zu tun, das ist in teilen blütenreiner rassismus, verbrämt in wissenschaftlich verklausulierten dämlichkeiten.

die welt ist groß und bunt. es gibt nicht D A S rezept, nach dem gelebt ein leben zwingend glücklich zu werden hat. die freiheit beginnt dort, wo eherne zöpfe zwar respektiert werden, sie jedoch einer prüfung zugänglich gehalten werden. mir gefällt dieser text daher ausgesprochen gut. der ist aus der reihe und doch nimmt der den essentiellen mangel, die bucklelnde feigheit, verantwortung zu übernehmen, auf´s korn. dieser mangel ist eine internationale landplage, sag ich mal. insofern, der text trifft den nagel.

lg
die dohle
 
G

Gelöschtes Mitglied 19679

Gast
Vielen Dank, Label, besonders für den Hinweis auf Dein Gedicht, das mir sehr gut gefällt, weil es das Wesentliche einer wahren Lebensgeschichte eindringlich erzählt. Wenn ich auch in Westafrika gelebt habe, so kann ich Deine Zeilen sofort tief nachempfinden - die prügelnde Sonne und das Knicksen - klare bewegende Bilder.

Lieben Gruß, Monika
 



 
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