der Nachbar

traeumerin

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Der Nachbar

Viele Leute haben ja Streit mit ihren Nachbarn und stehen ständig auf Kriegsfuß mit ihnen. Ich kann das gar nicht verstehen. Mein Nachbar ist nämlich ganz anders als alle anderen Nachbarn. Er ist sehr hilfsbereit, vielleicht sogar der hilfsbereiteste Mensch, den ich kenne. Zumindest aus unserer Straße. Na ja, ich muss zugeben, in unserer Straße gibt es ja auch nur fünf Häuser. Vier Einzelhäuser mit einer ziemlich großen Entfernung zueinander. Ja, und dann ist da eben noch dieses Doppelhaus. In der einen Hälfte wohne ich, 37 Jahre alt, ledig und von Beruf Krankenschwester. Und in der anderen Hälfte wohnt mein lieber Nachbar Rolf mit seinem entzückenden Dackel Mr. Boogie. Ein reizendes Tier, besonders am Nachmittag, wenn ich mich für ein paar Stunden aufs Ohr gelegt habe. Schließlich habe ich Schichtdienst. Das ist dann meistens auch die Zeit, in der mein Nachbar seinen Hund draußen vor der Tür anbindet, damit er selbst auch ein Nickerchen machen kann. Die heulenden Töne des Dackels sind besonders gut zum Einschlafen.
Ich bin meinem Nachbarn immer wieder dankbar. Besonders gut ist der sympathische Kerl im Heckenschneiden. Überstehende Zweige der auf der Grenze stehenden Hecke werden wie selbstverständlich von ihm entfernt. Meistens ist er sogar so großzügig, dass er meinen Teil gleich mit abschneidet. Dass die Hecke jetzt kaputt ist, stört da nicht weiter. Im Gegenteil. Im Sommer kann er mir nun ungestört beim Sonnenbaden zugucken und es entwickeln sich meist sehr interessante Gespräche.
Ein weiterer großer Vorteil einen Nachbarn zu haben, ist es, dass man sich immer etwas ausleihen kann. Mein guter Nachbar Rolf ist auch hier wieder viel liebenswürdiger als andere Nachbarn. Er schenkt mir seine Sachen immer, wenn er nicht weiß, wohin damit. Vor einiger Zeit hatte ich somit drei Tage nach der Müllabfuhr bereits wieder einen vollen Mülleimer. Irgendwo mussten Rolfs Abfälle nach seiner Party ja hin. Ich war diejenige, die sie bekommen hat.
Manchmal bin ich wirklich stolz darauf, so einen Nachbarn zu haben. Neulich zum Beispiel, beim Tapezieren. Er war so hilfsbereit, mich bei meiner mühseligen Arbeit zu unterstützen, indem er auf seiner Trompete lautstark versucht hat, einige Töne zu erzeugen. Mit Musik ging die Arbeit gleich viel entspannter zu und die Ohrenschützer, die ich mir aufgesetzt hatte, wärmten meine Ohren in der Sommerhitze besonders gut.
Was wäre ich nur ohne meinen Nachbarn?
 
Träumerin,
sehr schöner letzter Satz, wie ich finde! Zweideutig! Allgemein find ich den Schluss gut. Während man im Mittelteil den Eindruck hat der Text sei zu berechenbar und die ironischen Wendungen zu billig, ist der Schluss um einiges interessanter, nach Auflösung strebend. Der Anfang, bei dem ich einige Zeit brauchte um die Ironie zu erkennen, gefällt mir ebenfalls

Gruß vom Kastanienbaum
 



 
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