der traum vom vergeblichen torschuß

4,00 Stern(e) 3 Bewertungen
M

margot

Gast
der traum vom vergeblichen torschuß



der elfmeterschütze legt sich den ball
auf dem punkt zurecht
er heißt pepelino
das stadion ist voll
die luft erwartungsschwanger
ein länderspiel
der torwart sieht aus wie gerard depardieu
er hätte jetzt eher auf
ein plauderstündchen bock
„hey, pepelino, was macht es für einen
sinn, dass du diesen elfmeter trittst?
stelle dir vor, du verfehlst, dann
bist du hinterher der arsch der
nation.“
ich werde im folgenden gesprächsverlauf
den torwart depardieu nennen
vielleicht ist es auch der echte depardieu
pepelino und es könnten brüder sein
sie sehen sich sehr ähnlich
„ich verfehle schon nicht“, sagt der
und fummelt immer noch den
ball
in die richtige schußposition
die photoreporter hinter dem torraum
polieren ein letztes mal ihre blitzlichter
in zeitlupe
„überlege es dir gut. wenn du nicht
triffst, wird meine mannschaft das spiel
herumreißen, und wir werden
gewinnen ...“
„das denkst du dir so. ich werde diesen
elfmeter schießen – und wenn du dich
auf den kopf stellst!“
der schiedsrichter pfeift
die kugel ist zum abschuß freigegeben
depardieu versucht es in seinem kasten
ein letztes mal
„du wirst es bereuen. bedenke das ganze
noch mal. denke an deine frau, an deine
3 kinder. angenommen, du versenkst
die kugel wirklich, dann bist du der
held des augenblicks. aber unsere
mannschaft wird das spiel trotzdem
gewinnen, und dein torschuß wird kein
schwein interessieren ...“
„woher willst du das wissen?“ fragt
pepelino zynisch und setzt zum anlauf an
„ich werde dir eine gans braten!“
depardieu, der sich zwischen seinen
torpfosten aufbäumt, schreit dem
anstürmenden pepelino entgegen
„bist du sicher, dass du der vater
deiner kinder bist?!!!“
der springt über den ball, rennt direkt
auf das tor zu
„du drecksack, du elender drecksack!“
es kommt zur keilerei, und mitspieler
springen hinzu, die die beiden
kontrahenten trennen

in meinem traum verhielt sich das anders
torwart und schütze begannen
über gott und die welt zu philosophieren
depardieu legte sich zwischen die
torpfosten
und pepelino setzte sich auf den ball
was für einen sinn machte ein solcher
torschuß?
genau
es war doch nur ein spiel
wozu diese zuschauermassen?
wozu der ganze aufwand?
hinterher würde das rätselraten über
den geglückten oder missglückten elfmeter
beginnen
konnte man es nicht gleich sein lassen?
gemütlich ein tässchen kaffee trinken
und depardieu hatte schließlich recht
der druck lastete auf dem schützen
niemand würde dem torwart
die schuld
für einen ungehaltenen elfmeter geben
darin lag die crux
„wir sind brüder“, sagte pepelino
„wir sind alle brüder“, sagte depardieu
und raufte sich mit seinen torwarthandschuhen
seine dunklen haare
„was spielt es auch für eine rolle,
wer von uns der vater
ist.“
 
G

Gegge

Gast
SEHR(!) poetisch.

Im ernst, wenn Du es nicht ins Poesie-Forum gestellt hättest, also ICH wäre da NIE auf Poesie gekommen. Ich hätte es doch tatsächlich für einen Prosa-Text gehalten (mit dem üblichen margotschen Zeilenumbruchproblem halt).

Aber dies soll mein letzter Kommentar an dich gewesen sein.

Gruß und weg
Gegge
(der hofft, dass die Ignore-Funktion sich irgendwann nicht darauf beschränkt, dass ich dich ignorieren soll, sondern mich in dem trügerischen Glauben lässt. dass es dich hier gar nicht mehr gibt.)
 
M

margot

Gast
dieser kommentar von dir, gegge, ist
echt böse. das tut mir leid.
richtig - es handelt sich mal wieder um ein
prosa-gedicht. und ob es dir paßt oder nicht,
es besitzt auch einen anspruch auf poesie.
da es hier keine extra-sparte für solche
erzähl-gedichte gibt, setze ich es natürlich
in das naheliegendste forum.
in prosa wäre es nicht gut aufgehoben.
ich schrieb es in gedichtform, weil ich diese
form liebe und als passend für meine gedanken
empfinde.
schade, daß du mich in zukunft ignorieren willst.
ich werde dich weiterhin nicht ignorieren.

liebe grüße
ralph
 

unbekannt2581

Verbotenes Mitglied
aber hallo, deshalb darf doch ein anderer sagen, es gefalle ihm nicht.. dem ist halt so.

Es ist lyrische Prosa, ja. Ich würde dann auch die "Prosaform" vorziehen, inzwischen. Durch den extensiven Gebrauch der Entertaste wird es nicht besser, finde ich, der vorhandene lyrische Fluss, der ( vorhande ) innere Rhythmus wird ausgebremst. Es wäre zu diskutieren, ob solche lyrisch Prosa dann auch hier stehen könnte, von mir aus ja. Was meinst Du Kadra ?

Grüsse

mikel
 
M

margot

Gast
lyrischer fluß? jeder scheint hier viel davon zu
verstehen. natürlich reagiere ich auf kritik, aber
ich lasse jedem seine meinung.
es gibt jede menge dichter der weltgeschichte,
die diese form der "erzählenden lyrik" praktizieren,
weil sie einfach nicht so stur und glatt wie einfache
prosa daherkommt. gefühle, stimmungen lassen sich
direkter ausdrücken. prägnanter.
siehe shakespeare und auch goethe. wenn es auch weh tut:
nicht alles muß sich reimen, um in einem lyrischen fluß
zu sein.

beste grüße
ralph

(ps: mikel, ich dachte, du hättest dich von hier verbannt?)
 
M

Monfou

Gast
Ungerechtfertigte Kritik

Es handelt sich bei "der traum vom vergeblichen torschuss" um einen Text, der für mein Gefühl lyrischer ist als viele Liebes-, Natur- und Blütengedichte in diesem Forum. Die Entwicklung des "Erzählgedichtes", für das es zauberhafte Beispiele großer Lyrik gibt, sollte man schon als Traditionslinie anerkennen. Als ich noch Germanistik studierte, schaffte man gerade die Definition: Ein Gedicht ist ein Text mit gebrochenen Zeilen. Ohnehin gab es eine Entwicklung, die die Grenzen zwischen Kurzprosa und Lyrik bewusst verwischte. Ich will hier mit Namen berühmter Erzähllyriker euch verschonen (genannt seien dennoch aus neuerer Zeit: Paul Beatty, Neeli Cherkovski, Luis Rodriguez, Papenfuß). Ich halte also die Kritik in Bezug auf die Spartenklärung (Lyrik oder "zerhackte Kurzprosa") ehrlich für nicht gerechtfertig, allerdings darf man gewiss fragen, warum ein Autor diese Form wählt. Prinzipiell ist nichts gegen ein Erzählgedicht einzuwenden, das natürlich an sich gut oder schlecht sein kann wie jedes andere Gedicht.

Hier ein kurzes Beispiel von Patricia Smith, die mit diesem Gedicht den Nationalen Poetry Slam Preis Amerikas gewann.
(Ich muss leider Diagonalstriche für die Zeilensprünge setzen, weil die Zeilen so lang sind, dass sie automatisch vom System gebrochen werden):

CHINESISCHE GURKEN

es ist nachmittag drei uhr an einem höllisch heißen tag und er hat //das enge wirrwarr der straßen durchstreift ohne pause,//ohne mittag zu essen. es ist drei uhr nachmittags genau eine woche //nachdem ihn der aufmacher des revolutionsblättchens im //supermarkt angebrüllt hatte: CHINESISCHE GURKEN // WUNDER HEILT AIDS und jetzt mitten beim //stöbern an einer staubigen marktbude...


Liebe Grüße

Monfou
(aus Zeitgründen keine weiteren Kommentare zu diesem Thema)
 



 
Oben Unten