dinge die dazwischen stehen

Mein Liebster,



allein die Begrüßung “mein Liebster” erscheint mir so falsch wie die Tatsache, dass ich dir überhaupt einen Brief schreibe denn es ist überzogen. Überzogen von der Seite, die leidet. Also von mir. Während du diesen Brief liest, wirst du vermutlich lachen, dich amüsieren, mir wie immer überlegen sein. Ich schreibe ihn mit Tränen in den Augen, Wunden im Herzen, blutigen Fingernägeln. Natürlich ist dies eine Übertreibung dessen was wirklich vorherrscht doch du kennst mich ja, ich muss die Dinge ausschmücken damit mir nicht langweilig wird. Außerdem möchte ich dich nicht enttäuschen und das würde ich vermutlich wenn ich in einem mir fremden nüchternen Zustand diese Zeilen verfassen würde. Also werde ich dir jenes Drama ermöglichen welches dir so vertraut ist wie der Klang meiner Stimme. Doch vermutlich erinnerst du dich nicht mal mehr an diesen Klang. Er wäre gar nicht auszumachen neben den tausend anderen Stimmen, die dein Leben bestimmen.

Aus welchem Grunde schreibe ich dir diesen Brief wirst du dich nun vermutlich fragen. Und diese Frage ist berechtigt, oh mein Liebster. Denn ich habe längst begriffen wie die Dinge stehen, habe sie akzeptiert auch wenn sie mir schlichtweg nicht passen. Ich habe dich dein Leben leben lassen nachdem du meins sorgfältig und äußerst erfolgreich zerstört hast und du hast nicht mal Vorwürfe meinerseits bekommen. Als wäre nie etwas vorgefallen bist du zurückgegangen in das Leben welches du geführt hast bevor du mich trafst. Doch diese Zeit ist nun vorbei denn ich habe entschieden, dass du büßen musst für jedes Wort, das du nie gesagt hast; jede Untat, die du begangen hast; jede Träne, die du zu verantworten hast. Und wie soll das funktionieren wirst du dich nun vermutlich fragen. Ach mein Liebster, hab Geduld, früh genug wirst du alles verstehen!

Man könnte meinen ich wäre verbittert weil ich dir, aus Rache und Verzweiflung, einen Brief schreibe der im Grunde nichts bewirken kann. Ein Blatt Papier hat keine lebensverändernde Wirkung auf jemanden wenn er es nach dem Lesen sofort wieder zur Seite legt oder sogar wegwirft. Einzelne Wörter können niemanden dazu bewegen, etwas zu ändern wenn er es nicht selbst in seinem Innersten will. Wozu also dieser Brief? Ich glaube es ist eine simple Genugtuung wenn ich mir beim Schreiben dieses Briefes klar mache wie du beim Lesen reagieren wirst. Die ganze Zeit über wirst du schmunzeln bis du gegen Ende feststellen musst, dass ich dir entgegen deiner bisherigen Überzeugungen doch gefährlich werden kann und zwar in einer Art und Weise, die dir bis zu dem Zeitpunkt unbekannt war. Ja, ich glaube das ist der wahre Grund, warum ich diesen Brief an dich verfasse: Ich rechne ab. Mit dir, unserer gemeinsamen Zeit doch vor allem mit meinem damaligen Ich welches ich nun nur noch verabscheuen kann.

Eine relativ lange Einleitung für einen Brief dessen Hauptteil eigentlich nicht viel ausmachen wird. Also werde ich nun direkt auf den Punkt kommen: Du, mein Liebster, hast es geschafft, dass ich keinen Schritt vor oder zurück komme. Deinetwegen bin ich auf der Stelle stehen geblieben, die nach wie vor deinen Schatten wirft und von der etwas Unerklärliches und zugleich Bösartiges ausgeht. Ja, ich bin verbittert und wütend, und wie gerne würde ich mich persönlich für alles revanchieren. Doch die Macht habe ich leider nicht. Also bleibt mir nur eines: die Hoffnung, dass du wirklich alles bekommen wirst was du verdienst. Ich könnte dir nun eine effektvolle Fabel erzählen, die dir klarmachen könnte was ich meine, doch ich preferiere es, dich selbst nachdenken zu lassen denn das bereitet mir einfach eine gewisse Zufriedenheit. Ich freue mich sehr wenn ich weiß, dass dir meine Worte mal einfallen werden, in einer Situation tiefster Trauer und die von mir herbeigeführt wurde.

Der Brief findet nun unaufhaltsam und vor allem abrupt sein Ende und zwar mit den Worten, die dir wie gesagt unbewusst im Gedächtnis bleiben werden: Mein Leid ist dein Glück, meine Trauer dein Zuspruch doch bedenke, dass das letzte Wort nicht gesprochen ist und wenn du von nun an durch die Welt läufst, dermaßen erhaben und eingebildet wie du nun mal bist, denk bitte daran, dass dein Leid mein Glück und deine Trauer mein Zuspruch sein wird.



Xxx
 



 
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