du bist gestalt

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Walther

Mitglied
du bist gestalt
du warst gestalt
du wirst / dich stets gestalten
gleich was wille ist / und können
wenn du endlich göttlich bist /
auf deiner burg
auf deinem turm
dem first // dem höchsten
den du elend niedertrittst /
im falschen glauben
den du eingeritzt / in blut und boden
und dann ausgeschwitzt /

verkaufst als neu
wie deine krone blitzt //
auf deinem haupt
so kahl und abrasiert /
was alt ist wird schnell
heimlich massakriert /
zerfasert ausgedünnt und
finissiert //

am ende hängst du schlicht
an einem strick /
der zieht dich hoch und bricht
mit einem klick /
du puppe deines spiels
dir das genick //
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Walther,
du hast ein Gedicht geschrieben, dessen LyrI mit seiner Entwicklung, insbesondere dem Altern hadert, was ich sehr gut nachvollziehen kann (bei einem Winzling wie mir, fällt eine Glatze noch viel mehr auf, weil ich ja von fast allen Menschen von oben betrachtet werde). - Formal entzückt mich das Spiel mit den Taktstrichen, ein echter Eyecatcher.
Nun im einzelnen:
du bist gestalt
du warst gestalt
du wirst / dich stets gestalten
Den Einstieg finde ich gut. Hier wird der Mensch als Vorstufe zu einem göttlich(er)en Wesen betrachtet, was bei seinem Prototyp vielleicht auch so gedacht war.
[strike]gleich was wille ist / und können
wenn du endlich göttlich bist /[/strike]
Die beiden Verse sind m. E. redundant. Der Leser könnte sich das selbst zusammenreimen.
auf deiner burg
auf deinem turm
dem first // dem höchsten
den du elend niedertrittst /
im falschen glauben
den du eingeritzt / in blut und boden
und dann ausgeschwitzt /
Hier zucke ich ein wenig bei "Blut und Boden" (du weißt bestimmt warum), abgesehen davon, dass sich in Blut schlecht ritzen lässt. Vielleicht in "Haut und Fleisch"?
verkaufst als neu
[strike]wie deine krone blitzt [/strike]//
dies blitzen deiner krone
auf deinem haupt
so kahl und abrasiert /
was alt ist wird schnell
heimlich massakriert /
zerfasert ausgedünnt und
finissiert //
Brillant das "finissiert!"
am ende hängst du schlicht
an einem strick /
der zieht dich hoch und bricht
mit einem klick /
du puppe deines spiels
dir das genick //
(noch dein Genick?)
Ein ganz tolles Ende! Eine Marionette, die sich selbst das Genick bricht (so komme ich mir auch manchmal vor.)
Trotz meiner Änderungsvorschläge ein sehr gelungenes Gedicht, das dem Poeten zur Ehre gereicht.
Der8.
 

Walther

Mitglied
Lb. Milko,

mich freut Dein Lob, weil Du einen Sinn für Texte hast, die nicht der "Norm" entsprechen. Genau das wollte ich vermeiden.

Danke dafür und lieber Gruß

W.

Lb. AchterZwerg,

dieses Gedicht hat eine sog. "dritte" Dimension, mit der ich, seit einem Hinweis zur Lesbarkeit meiner Texte durch Vera-Lena experimentieren. Hier die Auflösung dieser Dimension:
du bist gestalt du warst gestalt du wirst
dich stets gestalten gleich was wille ist
und können wenn du endlich göttlich bist
auf deiner burg auf deinem turm dem first

dem höchsten den du elend niedertrittst
im falschen glauben den du eingeritzt
in blut und boden und dann ausgeschwitzt
verkaufst als neu wie deine krone blitzt

auf deinem haupt so kahl und abrasiert
was alt ist wird schnell heimlich massakriert
zerfasert ausgedünnt und finissiert

am ende hängst du schlicht an einem strick
der zieht dich hoch und bricht mit einem klick
du puppe deines spiels dir das genick
Mit dieser Auflösung wird klar, daß ich Deine gut begründeten Änderungsvoerschläge so nicht umsetzen kann, also an die Umformulierung gehen muß - was ich werde, aber dafür - angesichts meiner Arbeitslage - um etwas Geduld bitte.

Es ist jedenfalls immer wieder schön, daß der eine oder andere Leser meine Texte nicht zum Abgewöhnen findet.:) Gerne würde ich ja erfahren, was daran zum Abgewöhnen ist - am Ende wahrscheinlich der Autor selbst, und dem kann ich, aus eigener Erfahrung nicht wirklich in jeder Hinsicht widersprechen. Wer wäre nicht immer mal wieder zum Abgewöhnen? :D

In diesem Sinne frohes Werken und herzliches Willkommen in der Lupe!

LG W.
 
A

AchterZwerg

Gast
Nun dämmert es, Walther.
Dann würde doch aber eine etwas andere Strophenaufteilung als Änderung genügen oder nicht?
Vieleicht nicht ganz so regelmäßig wie die zuletzt vorgestellte, aber im Eingangsbereich (1. und 2. Abschnitt) wäre sie für die Wahrheitsfindung bestimmt recht dienlich ...
Freundliche Grüße
Der 8.
 

revilo

Mitglied
Hallo Walther mit th.......ein starkes Gedicht, bei dem ich 2 mäusekleine Veränderungen vorschlage........ich ließe entweder das Bild des Turms oder der Burg weg, weil das doppelt gemoppelt ist..........
an statt " elend " schriebe ich " emsig "...........
LG revilo
 
A

AchterZwerg

Gast
Vielleicht so:

du bist gestalt
du warst gestalt
du wirst / dich stets gestalten gleich

was wille ist / und können
wenn du endlich göttlich bist /

auf deiner burg
auf deinem turm
dem first // dem höchsten
den du elend niedertrittst

im falschen glauben
den du eingeritzt / in blut und boden
und dann ausgeschwitzt

verkaufst als neu
wie deine krone blitzt //
auf deinem haupt
so kahl und abrasiert /
was alt ist wird schnell massakriert

zerfasert ausgedünnt und
finissiert //
am ende hängst du schlicht
an einem strick /
der zieht dich hoch und bricht
mit einem klick /
du puppe deines spiels

dir das genick
Ich glaube, wenn Leerzeilen gesetzt werden, fallen die Taktstriche weg ... bin mir aber nicht sicher. Das weißt du sicherlich besser.
Freundliche Grüße
Der 8.
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Walther,

diesen Text habe ich nun schon mehrmals tief erschüttert gelesen. Ich selbst könnte über derartige Grausamkeiten einfach nicht schreiben. Aber Du kannst es, wie man hier sieht.

Am besten gefällt mir "du Puppe deines Spiels", denn.... oft und immer wieder habe ich mir überlegt, wie es sein kann, dass Menschen vorsätzlich derart grausam sein können und die einzig zufriedenstellende Antwort war für mich: Solche Menschen tauchen ab in eine tiefe Finsternis. Mit jeder bösen Tat löschen sie nach und nach die Lichter in ihrer Seele aus, so dass sie schließlich in der Finsternis landen und ihr eigentliches Selbst gar nicht mehr wirklich wahrnehmen können.
Insofern handeln sie ab dann wie Marionetten.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Walther,

es ist immer wieder erstaunlich, wie das Schriftbild die Gedanken beim Lesen führt. Insofern finde ich es sehr interessant, Sonette einmal anders zu setzen. Die "3. Dimension" als Sonett hat mir geholfen, das Gedicht noch einmal anders zu lesen.

Mehr davon, bitte :)

Herbert
 

Walther

Mitglied
Lb. Vera-Lena,

danke für Deinen Eintrag. Ich "kann" das nicht schreiben, ich "muß" es regelrecht. Vielleicht kannst Du das verstehen. Und dann passiert das, was wir gerade sehen, und es stockt einem der Atem: Das Schlimme ist, daß dieser Text gerade durch die aktuelle Wirklichkeit auf das Schrecklichste "quasi" überholt wurde, so daß das Entsetzen nun personal und nicht nur gedacht und geahnt ist. Manchmal möchte man kein Menetekel an die Wand malen müssen. Das Schreiben-Müssen kann eine Strafe sein.

LG W.
 

Vera-Lena

Mitglied
Ja, das verstehe ich sehr gut, lieber Walther. Dennoch sind Menschen, die sich durch das Schreiben "irgendwie" erlösen können, begnadet und beschenkt. Zudem helfen sie auch anderen, die diese Gräuel nur stumm mit ansehen können. Wenn man etwas für das eigene Empfinden "gültig" benannt vorfindet, so ist das auch eine Hilfe, um Dinge, die einen belasten, zu verarbeiten.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Walther

Mitglied
du bist gestalt
du warst gestalt
du wirst / dich stets gestalten gleich

was wille ist / und können
wenn du endlich göttlich bist /

auf deiner burg
auf deinem turm
dem first // dem höchsten
den du elend niedertrittst /

im falschen glauben
den du eingeritzt / in blut und boden
und dann ausgeschwitzt /

verkaufst als neu
wie deine krone blitzt //
auf deinem haupt
so kahl und abrasiert /
was alt ist wird schnell massakriert /

zerfasert ausgedünnt und
finissiert //
am ende hängst du schlicht
an einem strick /
der zieht dich hoch und bricht
mit einem klick /
du puppe deines spiels

dir das genick //
 

Walther

Mitglied
Lb. AchterZwerg,

Deine Gestaltungsvariante habe ich übernommen und hoffe, dadurch die Lesbarkeit verbessert zu haben. Danke für den Vorschlag!

LG W.

Lb. revilo,

an Deinen Hinweisen arbeite ich gerade herum. Bitte noch etwas Geduld, ich melde mich!

Danke und lieber Gruß

W.

Lb. Vera-Lena,

in der Tat ist Lyrik immer auch Bearbeitung des Erlebten. Manchmal hilft es, schwierige Fragestellungen zu bewältigen - aber durchaus nicht immer.

Schön ist es, wenn sie anderen ebenfalls Erleichterung bringt.

Danke und lieber Gruß W.
 
A

AchterZwerg

Gast
Hallo Walther,
aus Wissensdurst möchte ich dich noch einmal mit den Taktstrichen peinigen (die könnte ich ja vielleicht selber einmal benötigen): Sie bleiben also auch am Strophen- bzw. Abschnittsende bestehen? Weißt du das genau oeder wenigstens, wer darüber Auskunft geben kann?
Ich mag die Teilchen irgendwie ... sie sind bestimmt ebenfalls für Experimentelles geeignet.
Grüßle
der 8.
 

Walther

Mitglied
Lb. Herbert,

der Trick an der Sache ist die Mehrdimensionalität, die man so in die Gedichte hineinbekommt. ;) Freut mich, wenn Dir dieses Experiment gefällt!

LG W.
 



 
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