ein weg.

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Otto Lenk

Foren-Redakteur
Teammitglied
auf der durchreise. nur ein tankstopp und etwas essen. auf meine frage wo man hier gut essen könne, erschrickt der tankwart und die glocke der kirche fängt, wie zur warnung, an zu läuten.
man wisse doch, dass es hier nur die krone gäbe, und das schon seit über 50 jahren. er sei aber nicht sicher, ob heute geöffnet ist. er hätte da was gehört, sagt er. und überhaupt gäbe es doch noch andere orte. ich frage ihn, wo ich das lokal fände und er sagt, dass es an seinem platz wäre, die ganzen jahre schon. immer die straße entlang, aber es gäbe ja nur diese eine straße, und das wisse man doch.
wir fahren die straße entlang. nach einigen hundert metern, links und rechts häuser, die fenster mit vorhängen und voller augen, sehen wir das schild.
wir betreten das lokal, setzen uns an einen tisch. das lokal ist leer. wie ausgestorben. aus einem raum hinter der theke hören wir flüstern. eine ältere dame, mit ängstlichen augen, kommt zu uns. über uns hinwegblickend belehrt sie uns, dass schon alle dagewesen seien. alles sei gegessen und getrunken. aber man müsse doch wissen, dass man zur rechten zeit kommen muss. jetzt sei die rechte zeit vorbei und nichts mehr da. aber im nachbardorf finde sich gewiss noch ein lokal. man könne nun gehen.
wir gehen.
an unserem auto steht ein polizist.
was man hier zu suchen habe, möchte er wissen.
benzin und etwas zu essen, sage ich.
und…habe man gefunden, wonach man gesucht.
einen teil schon.
das ist mehr, als man erwarten dürfe, sagt der polizist, den rest finde man anderswo. die welt sei ja kein dorf. es wäre gewiss für alle das beste, wenn man nun weiterführe. man müsse rücksicht nehmen. sie verstehen das doch, oder?
wir verstehen. setzen uns ins auto und fahren die straße entlang aus dem dorf. bevor es, hinter der kehre, dem blick entschwindet, schaue ich zurück. die türen, fenster, häuser, die straße, selbst die kirche scheinen sich zu neigen, unseren weg verfolgend. augen, überall augen.
die kirchglocke läutet.
 
L

Lotte Werther

Gast
An Otto Lenk

Diese Kurzprosa von dir hat etwas. Die von dir gewollte Mischung aus Abweisung, Geheimnis und Fremdheit wird spürbar und als absurd vom Leser wahrgenommen.

Ich meine aber, dass die vielen „man“ den Text nicht immer unterstützen. An einigen Stellen kannst du sie ersetzen, und den Sinn des Satzes trotzdem unpersönlich halten.
Im ersten Teil, wo der Tankwart spricht, zum Beispiel:

"Und das wäre doch bekannt" – anstatt - und das wisse man doch.

Oder

"Jeder wisse doch, dass es hier nur die krone gäbe" – anstatt - man wisse doch, dass es hier nur die krone gäbe

es wäre gewiss für alle das beste, wenn man nun weiterführe. man müsse rücksicht nehmen. sie verstehen das doch, oder?

Auch wenn die plötzlich persönlich werdende Anrede im letzt zitierten Satz (sie) Absicht ist von dir, finde ich sie nicht gut. Dann bleib lieber auch hier bei einem „das sei doch verständlich, oder?“

Noch eine Bemerkung zum vorletzten Satz der Geschichte. Da missfällt mir das Wort „sich neigen“. Es verniedlicht eine Situation, die es nicht ist.

Lotte Werther
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Otto,

eine Geschichte wie ein Stummfilm. Zwei Menschen werden in eine Anonymität hineingestoßen, weil sie hier als Fremde erscheinen. Sie drängen sich in eine Welt, in der jeder jeden kennt. Die Menschen dort gehen auf Distanz, beäugen die Eindringlinge nur hinter ihren verschlossenen Fenstern.

Außer den Kirchenglocken und dem ängstlichen Flüstern der älteren Dame hört man keinen Laut.

Das Fehlen der wörtlichen Rede ist hier ein guter Kunstgriff, um eine abweisende sogar fast unheimliche Atmosphäre zu erzeugen.

Dass kein Mensch das "ich" oder das "wir" herausbringt, dass Du das "man" ebenfalls als Stilmittel verwendest, die Verweigerung von Nahrung für die Fremden, die Feststellung, dass man doch verstehen müsse, anstatt sich zu bemühen, die Fremden zu verstehen, das alles kennzeichnet für mein Verständnis eine Geschichte über die zwischenmenschliche Kälte in unserer Welt.

Gefällt mir gut.
Liebe Grüße von Vera-Lena
 

Inu

Mitglied
Lieber Otto

Bei der Geschichte hatte ich sofort dieses Aha- Erlebnis, etwas Besonderes zu lesen. Für meine Begriffe hat sie etwas schön 'Verhextes', Geisterhaftes an sich, die sie einprägsam macht, sodass sie mir z.B. gar nicht mehr aus dem Kopf geht. Den Inhalt und den Aufbau finde ich sehr gelungen.

Mit Deiner Kleinschreibung nach dem Punkt komme ich gar nicht zurecht. Ist vielleicht auch Dein Markenzeichen. Weiß ich nicht. Vielleicht wirkt es bei Gedichttexten originell. Bei diesem Text jedoch kann ich mich nicht an das Schriftbild gewöhnen, es lenkt mich stets von der Aussage dieser ungewöhnlichen Geschichte ab, weil ich dauernd an die äußere Extravaganz denke.

Ich stelle mir den Text 'ganz normal' geschrieben vor und dann genieße ich ihn mehr.
 



 
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