Der Engelschor
Ich stehe im sommerwarmen Wasser und fühle mich leicht und frei. „Oh“, denke ich, „befinde ich mich hier in der Welt des Kleinen Grauhais? So ungefähr muß es doch dort aussehen! Versiffte Steine – nee, hier sind keine. Auch keine Fische, geschweige denn Raben oder Dohlen.“ Genaugenommen sehe ich hier keinerlei Getier. Nur einige wenige Algen und hochwüchsige Wasserpflanzen.
Gutgelaunt sehe ich mich weiter um und greife spielerisch nach den Sauerstoffbläschen, die in großen Mengen vom Boden aufsteigen. Sie fühlen sich wie Quecksilber an und sehen auch beinahe so aus. Das Wasser ist nahezu glasklar und wirbelt angenehm um mich herum. Zwischen den Pflanzen sehe ich einen birnenförmigen, silbrig glänzenden Gegenstand. Ich hebe ihn auf und spüre sofort, daß es ein UFO ist, worin sich etliche Aliens befinden. Sie zwitschern mir in ihrer Sprache ein Willkommen entgegen, worüber ich mich sehr freue. Fünf Meter vor mir ist ein sehr heller vegetationsloser kreisrunder Fleck auf dem Meeresboden. (Ich bin mir völlig sicher, auf dem Meeresboden zu sein.) Ich lege das UFO sacht auf den Boden zurück und gehe zu dem weißgoldenen Fleck. Hier ist das Wasser noch wärmer. Genaugenommen unerträglich heiß.
Endlich wird mir bewußt, daß ich schon längere Zeit ohne Atembeschwerden unter Wasser bin. Das kann doch nur bedeuten, daß ich tot bin. Das ist gut. Endlich kann ich rücksichtslos tun und lassen, was ich will! Ich fühle, daß meine Füße zu glühen beginnen. Rasch gehe ich zu meiner ursprünglichen Position zurück. Ich überlege: Woran bin ich gestorben? Bin ich ertrunken? Kaum. Ich kann mich beim besten Willen nicht an meine Todesursache erinnern. Ich mache ein paar kräftige Schwimmzüge und schiebe die Frage als unwichtig zurück. Ich plansche ungeniert herum und denke: „Viel wichtiger ist, zu wissen, wo ich mich jetzt befinde. Ich denke, also bin ich. Aber wo? Ist das der Himmel? Kaum, denn der heiße Kreis ist ja wohl ein Zugang zur Hölle.“
Nun sehe ich zwei Personen lächelnd auf mich zu kommen. Der etwa siebzehnjährige reicht mir die Hand und sagt: „Ich bin Tilo Hutschenreuter.“ Die etwa dreißigjährige modisch gekleidete Blondine sagt abfällig: „Sowas verpickeltes mit komischem Namen können wir hier nicht gebrauchen.“ und reicht mir die Hand. Schwupps ist der Junge verschwunden. Ich hätte gern mit ihm geredet und sage abweisend – die Hände hinter meinem Rücken verbergend – :„Und so eine dumme Person mit Vorurteilen kann ich nicht gebrauchen.“ Das Lächeln erstarb wie eben das des Jungen, und sie löst sich in einen Rauch auf, der sich in Richtung heißer Fleck verzieht. Ich erschrecke – das ist hier ein Ort, wo man sehr genau aufpassen muß, was man sagt, damit man nicht Leute zum Teufel jagt, die vielleicht gar nicht so schlecht sind.
Ich strenge meine Augen an – wo ist eigentlich meine Brille? – um weitere Menschen zu erblicken, aber in der ungeheuren Weite des Meeres befindet sich keine Seele. Gelinde Verzweiflung erfaßt mich – soll ich etwa hier die Ewigkeit ganz allein verbringen? Nein, das kann nicht sein! Oma sprach doch so oft vom Chor der Engel, hier muß noch jemand sein! Prompt erscheint vor mir ein Engel in einem knöchellangen weißen Musselinekleid. Sein Gesicht ist ebenso abgeklärt wie melancholisch. Leise faltet er seine riesigen weißen Flügel auf dem Rücken und spricht sanft: „Du bist leider durch die Prüfung gefallen. Es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der so einmalig ist wie du. Daher können wir dir im Moment keinen Menschen zugesellen. Es tut mir leid, aber du mußt hier in deinem ganz privaten Himmel warten, bis sich jemand passendes findet.“ Ich hatte nie Probleme mit dem Alleinsein – zumindest redete ich mir das stets ein – und fragte rasch: „Und was ist mit dem Engelschor? Darf ich da mitsingen?“ Der Engel verzog widerwillig das Gesicht: „Diesen Chor haben sich die Menschen nur ausgedacht.“ Flügelschlagend entfernt er sich in die Höhe. Mir bleibt der Mund vor Staunen offen. Ich plumpse auf den Hintern – noch etwas, worin die Oma mich belogen hatte!
Es muß hier noch andere geben, das kann nicht das Ende sein. Menschen – und erst recht nicht Engel – lassen einander nicht allein, und sei es auch nur, um den anderen zu ärgern. Ich werde hier noch irgendjemanden finden. Ich stehe auf und sehe mich nach dem UFO um. Es ist verschwunden. Nun rufe ich: „Willi, Bruno, Lisa, Norbert, Sabine, Kleiner Grauhai, Feder, Svalin, Ole, Lady Darkover, Vadian, Bernd, Adlerfeder, Panhandler, Seyteca, Ralph, Jasmin, Kyra, Nally, Sucher . . .“ An dieser Stelle breche ich mit hochrotem Kopf ab. Bin ich denn noch zu retten? Ich bin doch tot, und wenn ich die Lupis alle zu mir rufe, sind sie auch tot, das will ich doch gar nicht! Also füge ich mich in mein Schicksal und warte ab, was kommen wird. So einzigartig bin ich ja wohl doch nicht, daß ich die Ewigkeit allein verbringen muß!
Ich stehe im sommerwarmen Wasser und fühle mich leicht und frei. „Oh“, denke ich, „befinde ich mich hier in der Welt des Kleinen Grauhais? So ungefähr muß es doch dort aussehen! Versiffte Steine – nee, hier sind keine. Auch keine Fische, geschweige denn Raben oder Dohlen.“ Genaugenommen sehe ich hier keinerlei Getier. Nur einige wenige Algen und hochwüchsige Wasserpflanzen.
Gutgelaunt sehe ich mich weiter um und greife spielerisch nach den Sauerstoffbläschen, die in großen Mengen vom Boden aufsteigen. Sie fühlen sich wie Quecksilber an und sehen auch beinahe so aus. Das Wasser ist nahezu glasklar und wirbelt angenehm um mich herum. Zwischen den Pflanzen sehe ich einen birnenförmigen, silbrig glänzenden Gegenstand. Ich hebe ihn auf und spüre sofort, daß es ein UFO ist, worin sich etliche Aliens befinden. Sie zwitschern mir in ihrer Sprache ein Willkommen entgegen, worüber ich mich sehr freue. Fünf Meter vor mir ist ein sehr heller vegetationsloser kreisrunder Fleck auf dem Meeresboden. (Ich bin mir völlig sicher, auf dem Meeresboden zu sein.) Ich lege das UFO sacht auf den Boden zurück und gehe zu dem weißgoldenen Fleck. Hier ist das Wasser noch wärmer. Genaugenommen unerträglich heiß.
Endlich wird mir bewußt, daß ich schon längere Zeit ohne Atembeschwerden unter Wasser bin. Das kann doch nur bedeuten, daß ich tot bin. Das ist gut. Endlich kann ich rücksichtslos tun und lassen, was ich will! Ich fühle, daß meine Füße zu glühen beginnen. Rasch gehe ich zu meiner ursprünglichen Position zurück. Ich überlege: Woran bin ich gestorben? Bin ich ertrunken? Kaum. Ich kann mich beim besten Willen nicht an meine Todesursache erinnern. Ich mache ein paar kräftige Schwimmzüge und schiebe die Frage als unwichtig zurück. Ich plansche ungeniert herum und denke: „Viel wichtiger ist, zu wissen, wo ich mich jetzt befinde. Ich denke, also bin ich. Aber wo? Ist das der Himmel? Kaum, denn der heiße Kreis ist ja wohl ein Zugang zur Hölle.“
Nun sehe ich zwei Personen lächelnd auf mich zu kommen. Der etwa siebzehnjährige reicht mir die Hand und sagt: „Ich bin Tilo Hutschenreuter.“ Die etwa dreißigjährige modisch gekleidete Blondine sagt abfällig: „Sowas verpickeltes mit komischem Namen können wir hier nicht gebrauchen.“ und reicht mir die Hand. Schwupps ist der Junge verschwunden. Ich hätte gern mit ihm geredet und sage abweisend – die Hände hinter meinem Rücken verbergend – :„Und so eine dumme Person mit Vorurteilen kann ich nicht gebrauchen.“ Das Lächeln erstarb wie eben das des Jungen, und sie löst sich in einen Rauch auf, der sich in Richtung heißer Fleck verzieht. Ich erschrecke – das ist hier ein Ort, wo man sehr genau aufpassen muß, was man sagt, damit man nicht Leute zum Teufel jagt, die vielleicht gar nicht so schlecht sind.
Ich strenge meine Augen an – wo ist eigentlich meine Brille? – um weitere Menschen zu erblicken, aber in der ungeheuren Weite des Meeres befindet sich keine Seele. Gelinde Verzweiflung erfaßt mich – soll ich etwa hier die Ewigkeit ganz allein verbringen? Nein, das kann nicht sein! Oma sprach doch so oft vom Chor der Engel, hier muß noch jemand sein! Prompt erscheint vor mir ein Engel in einem knöchellangen weißen Musselinekleid. Sein Gesicht ist ebenso abgeklärt wie melancholisch. Leise faltet er seine riesigen weißen Flügel auf dem Rücken und spricht sanft: „Du bist leider durch die Prüfung gefallen. Es gibt auf der ganzen Welt niemanden, der so einmalig ist wie du. Daher können wir dir im Moment keinen Menschen zugesellen. Es tut mir leid, aber du mußt hier in deinem ganz privaten Himmel warten, bis sich jemand passendes findet.“ Ich hatte nie Probleme mit dem Alleinsein – zumindest redete ich mir das stets ein – und fragte rasch: „Und was ist mit dem Engelschor? Darf ich da mitsingen?“ Der Engel verzog widerwillig das Gesicht: „Diesen Chor haben sich die Menschen nur ausgedacht.“ Flügelschlagend entfernt er sich in die Höhe. Mir bleibt der Mund vor Staunen offen. Ich plumpse auf den Hintern – noch etwas, worin die Oma mich belogen hatte!
Es muß hier noch andere geben, das kann nicht das Ende sein. Menschen – und erst recht nicht Engel – lassen einander nicht allein, und sei es auch nur, um den anderen zu ärgern. Ich werde hier noch irgendjemanden finden. Ich stehe auf und sehe mich nach dem UFO um. Es ist verschwunden. Nun rufe ich: „Willi, Bruno, Lisa, Norbert, Sabine, Kleiner Grauhai, Feder, Svalin, Ole, Lady Darkover, Vadian, Bernd, Adlerfeder, Panhandler, Seyteca, Ralph, Jasmin, Kyra, Nally, Sucher . . .“ An dieser Stelle breche ich mit hochrotem Kopf ab. Bin ich denn noch zu retten? Ich bin doch tot, und wenn ich die Lupis alle zu mir rufe, sind sie auch tot, das will ich doch gar nicht! Also füge ich mich in mein Schicksal und warte ab, was kommen wird. So einzigartig bin ich ja wohl doch nicht, daß ich die Ewigkeit allein verbringen muß!