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Ralf Langer

Mitglied
Frei

ohne deine Stimme
ohne dein Lachen
ohne deine Hände
ohne dein Streicheln

ohne deine Kühle
ohne dein Spötteln
ohne deine Härte
ohne dein Weggehen

ohne einen Gruß
ohne eine Zeile
ohne einen Anruf
ohne echten Abschied

doch

mit neuen Plänen
mit neuem Mut
mit neuer Freiheit
und fast ohne Angst

hallo gabriele,

es ist hier so ein wenig wie das pfeifen im walde. lyrich macht sich mut, durch diese zeilen, allein
es scheint mir wenig glaubwürdig.

auch wollen mir gedichtimmanent die beiden adjektive:
echt und fast nicht einleuchten.

sicher istdas lyrich eben noch nicht frei ist. Auch könnte man trefflich darüber sinnieren was einen „echten“ von einem „unechten“ abschied unterscheidet.

für meinen geschmack ist der text noch zu sehr von sich selbst betroffen, so entsteht der eindruck, wenn ich dein werk „anders“ hinzuziehe das der autor noch in einem zustand verharrt, der es ihm unmöglich macht „lyisch“ die vergangenheit auszuwerten.

ich halte dieses gedicht von daher für „mißglückt“.

Von der form her wirkt für mich die aufzählung auch eher ermüdend. es hat etwas von einer litanei.

die größte schwäche, wenn ich so sagen darf, besteht darin, das das gedicht nicht zeigt was passiert, sondern (durch die wiederholungen von „ohne“) was nicht passiert.

so spüre ich eben jene betroffenheit bleibe aber selbst als leser unberührt.

und es bleiben die fragen:

( ohne alles aufzuzählen)

wie war die stimme? wie war das lachen? wie waren die hände?....

lg
ralf
 

Gabriele

Mitglied
hallo ralf,
du schreibst:
für meinen geschmack ist der text noch zu sehr von sich selbst betroffen, so entsteht der eindruck, wenn ich dein werk „anders“ hinzuziehe das der autor noch in einem zustand verharrt, der es ihm unmöglich macht „lyrisch“ die vergangenheit auszuwerten.
damit hast du vermutlich recht.
zur klärung der von dir angesprochenen unklaren worte/zeilen:
mit den sozusagen "unechten" waren all jene abschiede gemeint, bei denen davon auszugehen war, dass ihnen ein baldiges wiedersehen folgen würde. auch der letzte abschied war ein solcher, wenn auch klar war, dass es mit dem wiedersehen diesmal länger dauern würde als sonst. aber danach gab es eben
[ 4]keinen Gruß
[ 4]keine Zeile
[ 4]keinen Anruf
und das lyrich würde sich nun zumindest einen "echten abschied" erhoffen, also letzte klare worte i.S. von "auf nimmer-wiedersehen".
warum dir "fast" nicht einleuchtet, kann ich nicht nachvollziehen, zumal du das lyrich ja ziemlich durchschaut zu haben scheinst... :)
danke für deine ernsthafte auseinandersetzung mit einem weiteren missglückten (da wohl zu sehr selbsttherapeutischen) gedicht von mir!
lg gabriele

zu zwei dingen stehe ich im übrigen:
der leser/die leserin muss m.e. nicht vorgesetzt bekommen, wie genau die stimme, die hände usw. waren; er/sie soll sich ruhig selbst seine/ihre vorstellungen dazu machen.
und:
es geht hier tatsächlich (auch) sehr stark darum, was NICHT passiert (ist).
 

namibia

Mitglied
Lieber Ralf,

ich habe deine Ausführungen zu dem Gedicht mit großem Interesse gelesen und frage mich gerade, wie distanziert der Lyriker zu seinem Text tatsächlich sein sollte ( oder habe ich das mißverstanden).

Wenn ich beispielsweise an Celans Todesfuge denke, so ist für mich in dem Text deutlich die persönliche Betroffenheit des Dichters zu spüren und es ist genau diese, die mich so in den Bann zieht ( wie ich glaube). Das ist wirklich ein interessantes Thema, über das ich sicher noch viel nachdenken werde !

Liebe Gabriele,

wann Aufzählungen eindringlich wirken und wann nicht, weiß ich selber nicht. In der Tat hatte ich bei deinem Text eher das Gefühl der Aufzählungen - vielleicht wäre ein wenig mehr Spannung entstanden, wenn du die Verse als Ohne... und mit ... abgewechselt hättest... Wie gesagt- ich weiß es selber nicht, aber dein Text regt auf alle Fälle zum Nachdenken an ..

Danke dafür

Anna
 

anbas

Mitglied
Hallo Gabriele,

ich habe mit Texten, die im Grunde auf Wiederholungen aufgebaut sind, meine Schwierigkeiten (wobei ich solche auch schon geschrieben habe ;)). Durch den letzten Vers wird dieses Gedicht aus meiner Sicht zumindest teilweise "gerettet". Ich befürchte, dass in diesem Falle eine Kürzung nichts bringen wird, da es von der Vielzahl der Aufzählungen "lebt".

Auf jeden Fall ist es für mich kein schlechtes Gedicht, aber auch keines, dass ich mir unbedingt mehrfach durchlesen werde. Daher meine Bewertung mit 5 Punkten.

Empfehlen möchte ich, dass Du den Titel noch einmal über den Text stellen solltest. Er ist für dieses Gedicht - für mein Empfinden jedenfalls - sehr wichtig.

Liebe Grüße

Andreas
 

Gabriele

Mitglied
Vielen Dank euch allen, die ihr euch ernsthaft mit diesem Werk auseinandergesetzt habt (auch wenn es euch nicht gefallen hat)! Danke auch für die schonungslosen Bewertungen (das meine ich ernst)!
Vermutlich werde ich mich in nächster Zeit beim Dichten wohl ein wenig mit meiner persönlichen Betroffenheit zurückhalten und wieder stärker versuchen, meine humorvolle Seite hervorzukehren...
 

namibia

Mitglied
Oh nein, liebe Gabriele , bitte nicht... Ich denke, es ist wichtig, die persönliche Betroffenheit des Wortes auch zu spüren , denn genau darin liegt das Geheimnis des gemeinsamen Schwingens und Klingens ....

Ich freue mich auf betroffene Texte von dir und werde die Augen weit geöffnet halten .

Alles Liebe

Anna amalia
 

Ralf Langer

Mitglied
Gedanken zum Wort

Hallo namibia,
(Vorsicht nur meine Meinung)

ein gewagter Vergleich: die Todesfuge und dies Stück hier.
Hm, ich versuche noch einmal deutlicher zu klären wo dies Gedicht scheitert- ist es doch ein zerschellen an einem Ort an dem so manches Gedicht auf eine Untiefe läuft und – um im Bild zu bleiben – sinkt.

Glaubwürdigkeit: Benn hat einmal gesagt „ Das was lebt ist etwas Anderes als das was denkt“.

In leichter Abwandlung sage ich: Das was dichtet ist etwas anderes als das was erlebt.

In diesem Sinne ist dieses Geicht „pro-fan“
( profanum lat. „ Der Ort außerhalb des Heiligtums)

Das „Heiligtum“ wäre hier das gelungene Gedicht. Das Profane ist das tatsächlich erlebte
des Autors/ Dichters.


Frei

ohne deine Stimme
ohne dein Lachen
ohne deine Hände
ohne dein Streicheln

ohne deine Kühle
ohne dein Spötteln
ohne deine Härte
ohne dein Weggehen

ohne einen Gruß
ohne eine Zeile
ohne einen Anruf
ohne echten Abschied

doch

mit neuen Plänen
mit neuem Mut
mit neuer Freiheit
und fast ohne Angst

Diesem Text ist möglicherweise der gefühlte Moment der lebenden Person, die diesen Text schrieb.
Und dieser Text beherbergt alles, was den Schmerz einer ungewollten Trennung auszeichnet.

Und hier ist die Gefahr: Alles ist eine besondere Form von Nichts. Es ist eine Karte der realen Welt im Maßstab 1:1. Aber wir reden von Dichtung, und dieses Wort enthält das „verdichten“.

Dieses verdichten geschieht hier nicht. Ob es nicht geschieht, weil – wie von mir geraten – der Autor und das lyrische Ich deckungsgleich sind, ist eigentlich unwichtig, aber oftmals die Ursache für das Scheitern von Stücken mit eben solchen Inhalten.

So „lebt“ dieses Stück nicht. Es ist ein „prototext“. Die Inahlte sind da, aber die Zusammensetzung lebt nicht, sie behauptet leben.
Es ist Schwärmerei. Ein Deuten auf etwas, das jeder kennt, und darum gerne verstanden wird.

Aber es deutet auf etwas das nicht ist.
Besonders auffällig mmn. In dem von mir „angekreideten“ Wort „echt“. Das echte existiert nicht ohne das unechte. Es ist entweder ein philosophischer Begriff oder ein Teil der Alltagssprache, der außer dem Klang des Wortes nichts beinhaltet ( z.B. „ in echt?“ „meinst du das echt?“ etc)

Genauso verhält es sich mit „fast“:

„fast“ bedeutet hier ja beinahe das genau Gegenteil. Denn wer fast ohne Angst ist, lebt eben doch mit Angst.

Die Worte heben sich in ihrer gemeinten Aussage auf. Das sollte in einem Gedicht, das ja nur und ausschließlich das Wort hat, nicht geschehen.

Das halte ich für falsch, und es sorgt dafür das der Text aufgrund seiner Andeutungen, die nur Oberfläche sind, erntet was er nicht gesät hat.

Lg
Ralf
 

Walther

Mitglied
moinsen,

darf ich die debatte stark verdichten? hier handelt es sich um einen text über die unbewältigte beziehungskatastrophe des lyrichs. betroffenheitslyrik ist zu ca. 99,5% schlecht.

dieses gedicht ist jedenfalls nicht gut. die frage, ob es sich überhaupt um lyrik oder poesie handelt, ist durchaus offen.

der text kann nicht gerettet werden. auch wenn er den seelenzustand des lyrichs gut beschreibt.

lg w.
 

namibia

Mitglied
Lieber Ralf,

natürlich wollte ich die Todesfuge und das Gedicht nicht in einen Topf schmeißen ( das weißt du auch und ich weiß es .. ) Ich habe nur laut darüber nachgedacht darüber, wieviel eigene Betroffenheit des Verfassers ein Gedicht verträgt und das ist mir dank deiner Ausführungen nun klar geworden. Es geht um das Verdichten von Gefühltem und Erlebten und um Eindeutigkeit, die trotzdem Platz für Assoziationen lässt.

Ich danke dir sehr für deine Darlegungen, haben sie mich doch im Umgang mit meinen Texten weitergebracht.

Dir wünsche ich einen guten Abend ..

alles Liebe

Namibia
 

Vasco

Mitglied
Hallo Gabriele,
man merkt Deinem Text an, das Du ihn einfach runtergehauen hast. Das gibt ihm Authentizität. Rein vom Versewandern her bin ich über "Weggehen" gestolpert.

Ansonsten: Mut oder Angst ? Da geht noch was.

Gruß,
Vasco
 
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