gEsChWiNdIgKeIt

3,00 Stern(e) 3 Bewertungen

para_dalis

Mitglied
gEsChWiNdIgKeIt


Sie verstehen sicher, dass ich auf die Geschwindigkeit, bei der ich am besten schreiben kann, nicht näher eingehen werde.
Erst kürzlich erhielt ich ein weiteres Strafmandat bezüglich der vollzogenen Geschwindigkeitsüberschreitung.
Jedenfalls legte ich mir eigens zu diesem Zweck eine stabilere Mappe zu als es die handelsüblichen erlauben. Diese halb auf meinem Schoß, halb aufs Lenkrad gelehnt, schreibe ich. Die Vibrationen des Basses als Luftzug in Höhe des linken Knies.
Vorbei fliegende Bäume.
Zuvor schrieb ich lange Zeit auch auf Bahnhöfen, für meine Bekannten unverständlich.
"Bitte alles aussteigen, dieser Zug endet hier. Es bestehen Anschlussmöglichkeiten in folgende Richtungen..."
Irgendwann hatte ich mir angewöhnt, morgens gegen neun mit meinen Schreibutensilien am Bahnsteig zu erscheinen. Meist setze ich mich auf einen dieser Stühle aus Metall, bei denen ich immer befürchte, dass sie einen Abdruck auf meiner Kleidung hinterlassen. Die Blicke der Anwesenden stören mich nicht, das kalte Metallgitter ebenso wenig.

Wissen Sie, ich sitze einfach nur da und halte regungslos Bleistift und Papier. Eine eigenartige Stimmung überkommt mich, während ich da warte, als ob ich auf einen Zug warte. Als ob ich auf einen Menschen warte, der aus eben einem Zug steigen wird. Ich bewege mich kaum, nur meine Augen blicken interessiert auf die Reisenden und Wartenden, die in ihrer Unruhe in Bewegung sind. Alles ist in Bewegung begriffen, Züge fahren ein, Züge fahren aus. Sie spucken die Menschen auf den Bahnsteig, die mit dem Geruch einer langen Reise und langem regungslosen Innehalten behaftet sind. Nach einer Zugfahrt tragen Reisende immer diesen Duft am Körper.
Nirgends sonst riecht man die eigenartige Mischung aus Schlaf und Schweiß, Rauch und etwas anderem, was ich nicht definieren kann. Belegte Brote vielleicht. Und hart gekochte Eier. Manchmal riecht es auch nach Apfel. Nach frischem, gerade erst verzehrten Apfel. Manche Menschen eilen auf die, auf sie wartenden Bekannten zu. Andere steigen eher zögerlich aus den Abteilen, gerade so, als ob sie weiter reisen möchten und sich nicht über die Ankunft freuen. Verliebte fallen sich in die Arme, Töchter eilen lachend auf ihre Mütter zu und Väter nehmen stolz die erwachsenen Söhne in den Arm. All das bemerke ich und möchte es festhalten.
Die Bewegung möchte ich halten, die Menschen, die wechselnden Gestalten. Die unterschiedlichen Charaktere mit den so ganz verschiedenen Lebensläufen. Ich denke mich in die Menschen, die ich sehe.
Ein Herr Ende vierzig steht mit einer einzelnen roten Rose und zupft nervös an seiner Krawatte. Kennt er die Dame bereits, auf die er wartet? Sehen sie sich das erste Mal? Wie werden sie sich begrüßen? Er hat sich herausgeputzt für den Auftritt am Bahnsteig.
Neben ihm tritt ein junges Mädchen mit kräftig überschminkten Augen vom rechten Fuß auf den linken Fuß, winkelt das Bein, stellt es auf einen kleine Vorsprung. Sie stellt das Bein zurück auf den Boden, winkelt das andere an, tritt vom rechten Fuß auf den linken und wieder zurück und blickt erneut auf ihre Armbanduhr. Sie streicht die Haare aus dem Gesicht, die ihr immer wieder dahin zurück fallen, steckt die Hände in die Taschen, sieht auf ihr Handy, tippt darauf herum, verstaut es zurück in ihre Tasche und blickt wieder auf die Uhr am zierlichen Handgelenk. Ein Pärchen betritt den nahegelegenen Bahnhofskiosk, die Frau bestellt sich einen Kaffee, der Mann wirft gleich nach dem eintreten Münzen in einen Spielautomaten.
Sie, die Frau mit dem Kaffee in der Hand ist eine sehr gepflegte Erscheinung und trägt modische Kleidung. Er, der Mann am Spielautomat, der ihn unermüdlich und zur Freude der Frau hinter dem Tresen, mit neuen Münzen füttert, trägt verschlissene alte Jeans, dreckige Schuhe und sollte seine Münzen besser in einen neuen Haarschnitt investieren.
Nach einer ganzen Weile, die Frau hat längst ihren Kaffee getrunken, verlassen die Beiden die Imbissstube und begeben sich aus der Bahnhofshalle. Weitere Reisende schleppen ihre übergroßen Taschen in leicht schief gebeugter Haltung den Bahnsteig entlang. Ab und an machen sie Halt, wechseln ihr schweres Gepäck und setzen sich erneut in Bewegung. Manche von ihnen bemerken die Frau auf dem metallenen Stuhl, werfen ihr einen flüchtigen Blick zu und eilen weiter.
Begebe ich mich auf meinen Weg zum metallenen Stuhl, komme ich in der Bahnhofshalle an einem Café vorbei. Immer überkommt mich Verlangen nach frisch gebrühtem Kaffee und knusprigen Baguette, obwohl ich mich doch gerade vom reichlich gedeckten Frühstückstisch erhoben habe. Immer überkommt mich auf Bahnhöfen Hunger. Im Grunde unnötig. Und dennoch, manchmal erliege ich der Versuchung. Dann beiße ich verstohlen von dem erworbenen Baguette. Später rauche ich eine Zigarette, sitze einfach nur da und warte. Ich genieße die Bewegung, während ich selbst ruhig und in gleichmäßigen Zügen den Rauch inhaliere und wieder aus stoße. Ich sehe die Menschen kommen und gehen, lachen und weinen, zornig und liebend sich begrüßen und sich verabschieden.

Ich weiß nicht mehr, wann ich die Leidenschaft des schnellen Schreibens in meinem Wagen entdeckte. War es, als die Bahnhöfe für mich ihren Reiz verloren? Das Schreiben im Wagen. Die Vibrationen des Basses am linken Knie spürend.
Vor mir fährt Frau Christine Tochterhagen. Ich kenne sie von meinen unzähligen Geschwindigkeitsfahrten übers Land. Ohne uns groß verständigen zu müssen, halten wir meist an der nächst gelegenen Raststätte, um uns zu begrüßen. Dann erzählt sie von ihrem Mann, von ihrem Leben.
Ich habe den Verdacht, dass sie auf der Flucht ist und ihr Leben hinter sich lassen möchte. Oder ihrem Leben immer mehrere Stundenkilometer voraus eilt.
So auch heute. Flüchtig umarmen wir uns. So flüchtig, als wäre unsere letzte Begegnung erst gestern gewesen.
Es ist ein eigenartiges Verhältnis zwischen uns Frauen. Wir begegnen uns bereits über einen längeren Zeitraum und tauschen unsere Gedanken miteinander.
Dennoch ist es, als ob uns irgendetwas davon abhält, unsere Gespräche auch außerhalb des Geschwindigkeitsrausches fortzusetzen. Unsere Begegnungen freundschaftlicher werden zu lassen.
Sie berichtet sie mir von dem Mann, den sie liebt.
In mir wirkt die Erzählung von Frau Christine Tochterhagen nach, mein Espresso ist längst kalt. Ich weiß, er, der Mann von Frau Christine Tochterhagen wird oft ausfällig und beschimpft seine zierliche Gattin.
"Wissen Sie, " sprach Frau Tochterhagen,
"Es gibt Tage, da habe ich das Gefühl, aus der Wohnung flüchten zu müssen. Mein Ehemann schenkt dem keine Beachtung. Er bemerkt weder meine frisch nachgezogenen Lippen, noch meine Aufmachung, die alles andere als auf einen Spaziergang hin deutet."
Frau Tochterhagen bestellt sich einen weiteren Espresso.
"Dann begebe ich mich auf die Straße. Weiter als ein paar Meter kann ich nie zurück legen, ohne unsicher zu werden. Die Blicke der Männer auf meiner Gestalt, die ich früher, vor der Ehe mit Manfred als wohltuend empfand, verunsichern und stören mich jetzt.
Neulich schlang ich mir zum Beispiel trotz der wenig frühlingshaften Temperaturen meine Jacke um die Hüften, da ich das Gefühl nicht los wurde, alle Welt starre auf meinen Hintern.
Natürlich fror ich, und meine sich aufrichtenden Brustwarzen zogen weitere Blicke der Männer an. Ich eilte nach Hause zu meinem Ekel."
Ich ziehe an meiner Zigarette und weiß, spätestens jetzt sollte ich mich äußern.
Wozu sonst erzählte sie mir das alles?
"Wissen Sie, Frau Tochterhagen, diese Situation ist mir bekannt. Ich verstehe sie gut. Meine Versuche einfach nur zu gehen, enden ähnlich.
Ich komme nicht weit. Ich laufe nach hause und plündere meinen Kühlschrank."
Erneut macht sich Schweigen zwischen uns beiden Frauen breit. War ich zu förmlich, zu kurz angebunden? Erwartete Frau Tochterhagen im Gegenzug eine Offenbarung?
Wir verabschieden uns.
Dieses mal dennoch eine winzige Spur herzlicher als sonst.
Liegt es am Muschelsucher? Der Mann von dem sie mir erzählte?
In anderen Fahrzeugen sehen wir andere Frauen.
Auf der Flucht? Die Absätze ihrer Schuhe, ihrer rechten Pumps ebenso gezeichnet vom häufigen Fahren, wie die unseren?
Frau Christine Tochterhagen wirft mir einen letzten Blick zu, bevor die Tür ihres Wagens mit einem sanften Geräusch ins Schloss fällt.
(c)hh
 

para_dalis

Mitglied
Bewertung

hallo.
da ich dieses forum sehr schätze und natürlich an konstruktiver kritik interessiert bin,
hätte ich gern eine begründung zur mehr als schlechten bewertung meiner geschichte.
man kann ja nur daraus lernen,
nicht wahr?

danke und gruß
Heike
;-)
 

Rainer

Mitglied
...ich war es aber nicht...

vielleicht weil du auf dir unsinnig vorkommende kommentare nicht antwortest?


grüße

rainer
 

para_dalis

Mitglied
Hallo Rainer, hab dank für deine Antwort.
;-)

Jetzt war es ja auch merkwürdigerweise niemand, der mich bewertete, alles ist auf wundersame Weise verschwunden...

Verstehe ich dich jetzt richtig? Ich wurde schlecht bewertet, weil ich irgendwann mal nicht auf einen Kommentar geantwortet habe?
?
Ich dachte, es geht hier um Text und nicht um persönliche Sympathie oder Antipathie?
?

Schade.
Ich dachte wirklich, ich bin hier auf einer Literaturseite.
Hm.
Ich sollte wohl in Zukunft besser überdenken, ob ich hier noch was publiziere...

Hab einen schönen Tag Rainer.

Gruß
Heike
 

Zeder

Administrator
Teammitglied
Wo sind die Bewertungen

Hallo,

es werden gelegentlich User mitsamt den von ihnen abgegebenen Bewertungen gelöscht. Unabhängig davon, ob sich ein User selbst löschen lässt oder rausgeworfen wird, entscheidet die Standardabweichung der von ihm vergegebenen Bewertungen, ob diese erhalten bleiben oder nicht. (Hohe Standardabweichung=undifferenzierte Bewertungen)

Viele Grüße,
 

Rainer

Mitglied
du wurdest für deinen tollen text bewertet OHNE kommentar, möglicherweise WEIL du auf kommentare nicht antwortest.
und auf einer literaturseite gehört es zum guten ton auf abgegebene kommentare zu antworten: entweder du willst über deine werke diskutieren, dich feiern lassen, oder suchst nach jemandem der dir netterweise alles richtet.

nebenbei: ich bleibe dabei, das neue an deinen texten ist die immer wieder hochkreative zusammenstellung kleiner und großer buchstaben.


auch dir noch schöne tage + möge der geist mit dir sein

rainer
 

para_dalis

Mitglied
nein Rainer,
das stimmt so nicht.
sieh unter meinen Beiträgen nach.
wenn ich zeit habe, antworte ich.
unter einer meiner geschichten wurde sogar schon so gestritten, dass einiges gelöscht werden musste.

aber gut.
es ist eher mühselig.
mich hätte interessiert, wer so schlecht bewertet hat und warum. damit man sich verbessern kann, die meinungen überdenken kann. doch diejenigen melden sich wohl eher nicht zu wort.
also dann,
alles liebe
Heike
:)
 



 
Oben Unten